»Das hier ist die gezielte Zerstörung der Partei« , Tageszeitung junge Welt, 19.08.2023

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  •  »Das hier ist die gezielte Zerstörung der Partei« 
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    Seize ans après de la fondation du parti de gauche allemand ses fonctionnaires sont en train de détruire Die Linke par leur opportunisme et carrièrisme.

    19.8.2023 von / Interview: Nico Popp - Über die Krise von Die Linke, die Schwäche des linken Flügels und das Projekt des Parteivorstandes. Ein Gespräch mit Julian Eder

    Wie beurteilen Sie die Lage der Partei nach dem angekündigten Rückzug der gesamten Fraktionsspitze?

    Es ist täglich weniger klar, wie es weitergeht. Bei der aktuellen Dynamik kann der angekündigte Parteikonvent schon so etwas wie die letzte Chance sein, eine Spaltung zu verhindern. Für uns ist klar, dass jetzt diejenigen, die keine Spaltung wollen, den Mund aufmachen müssen. Man muss sich den tatsächlichen Spaltern entgegenstellen und nicht immer nur mit Äquidistanz Aufrufe produzieren, dass jetzt mal alle aufhören sollen, sich zu streiten.

    Interessant ist, dass die Idee des Parteikonvents sofort wieder mit Forderungen gekontert wird, jetzt endlich ohne den Wagenknecht-Flügel zu planen.

    Diese Leute wollen diesen Konvent nicht oder wollen ihn allenfalls als Tribunal, das die Spaltung endgültig macht. Man muss sich klarmachen, dass es Akteure in der Partei gibt, die diese Spaltung seit Jahren vorbereiten. Dazu zähle ich auch den ehemaligen Parteichef Bernd Riexinger, der sich ja gerade wieder zu Wort gemeldet hat. Seit 2021 wurde das Projekt forciert. Und jetzt wollen die Schluss machen mit der Partei, wie sie bisher existiert hat. Das »progressive« Netzwerk hat sich allein zu diesem Zweck gegründet. Dazu gehört auch, dass nach Kräften versucht wird, den Vorwurf der vorsätzlichen Spaltung ausschließlich gegen das Wagenknecht-Lager zu richten. Aber diese Leute demaskieren sich mehr und mehr, weil sie jetzt alle Initiativen bekämpfen, die Partei doch noch zusammenzuhalten.

    Was kann denn dieser Parteikonvent noch retten, wenn man davon ausgehen muss, dass bei zahlreichen potentiellen Teilnehmern keinerlei Bereitschaft vorhanden ist, sich zu verständigen?

    Es kommt jetzt einfach darauf an, was die Teile der Partei machen, die sich die ganze Zeit aus diesen Auseinandersetzungen herausgehalten haben. Man muss deutlich machen, dass die Partei zu nichts mehr zu gebrauchen ist, wenn sich die Befürworter von Waffenlieferungen, von NATO und EU durchsetzen. Es muss auch begriffen werden, dass durch eine Spaltung die Bedeutungslosigkeit droht. Diese Teile der Basis müssen diesen Leuten entgegentreten und sie auf offener Bühne auffordern, mit der Zerstörung der Partei aufzuhören. Es handelt sich hier ja strenggenommen nicht um eine Spaltung, die sich politisch entwickelt. Das hier ist die gezielte Zerstörung der Partei durch einen Teil des Apparats. Diejenigen, die das betreiben, haben auch einen Begriff dafür: disruptive Neugründung.

    Müsste man in dieser zugespitzten Situation denn nicht überlegen, Zusammenkünfte zu organisieren, die unabhängig von der Regie des Apparats und des Parteivorstands stattfinden?

    Es ist leider so, dass es keine schlagkräftige bundesweite Vernetzung von Genossinnen und Genossen gibt, die diese Spaltung verhindern wollen und dafür einen eigenen inhaltlichen Ansatz entwickeln. Vielleicht reicht die Kraft, um durchzusetzen, dass an dem geplanten Konvent die Basis sichtbar beteiligt wird. Wir sind aber nicht wirklich in der Lage, diesem Putsch von oben wirklichen Widerstand entgegenzusetzen. Das hat sich zum Beispiel bei der Präsentation der Spitzenkandidatur für die Europawahl gezeigt. Da wird de facto eine Entscheidung des Parteitages vorweggenommen und nebenbei der Bundesausschuss ausgebootet. Und die ziehen das eben durch.

    Im Frühjahr gab es verstärkte Bestrebungen, eine bessere Vernetzung linker oppositioneller Zusammenschlüsse herbeizuführen. Zuletzt hatte ich den Eindruck, dass diese Aktivität wieder nachgelassen hat. Oder täuscht das?

    Wir sind in den vergangenen Monaten schon ein bisschen vorangekommen. Aber es ist alles sehr mühsam. Die Partei hatte nie einen richtigen linken Flügel, nur einzelne linke Zusammenschlüsse. Und in so einer Situation wie der jetzigen kann man den leider auch nicht einfach herbeizaubern.

    Welche Ziele verfolgt Ihrer Ansicht nach die Mehrheit im Parteivorstand?

    Die Floskel, die dort benutzt wird, lautet »moderne Gerechtigkeitspartei«. Mittel- und langfristig geht es darum, die im weitesten Sinne alternativen, kleinbürgerlichen, zum Teil aktivistischen Milieus in den größeren Städten an die Partei heranzuziehen. Also Leute, die überwiegend wirtschaftlich abgesichert sind, denen die ohne Probleme mit der CDU koalierenden Grünen aber zu staatstragend geworden sind. Sozial gibt es da Überschneidungen mit vielen Leuten, die ihren Lebensunterhalt bei der Linkspartei, bei den Fraktionen oder der Rosa-Luxemburg-Stiftung verdienen. Man will für diesen Teil des Kleinbürgertums gewissermaßen die Rolle spielen, die früher die Grünen gespielt haben. Und deshalb versucht man auch alles, um den Wagenknecht-Flügel loszuwerden. Wagenknecht ist mit ihrer Orientierung auf die sogenannten kleinen Leute in diesem grün-alternativ-liberalen Milieu regelrecht verhasst. Dieser Flügel ist auch außen- und friedenspolitisch im Weg, denn dieses Milieu hat kein grundsätzliches Problem mit der EU und mit der NATO, im Gegenteil. Das Funktionärs- und Stiftungsmilieu wiederum denkt sich, dass, wenn Wagenknecht weg ist, noch mehr Posten, Regierungsbeteiligungen und so weiter drin sind. Es geht letztlich um die vollständige Integration in das politische System der Bundesrepublik. Und zumindest in den Metropolen und Stadtstaaten gibt es, wie man in Berlin und Bremen sieht, ja durchaus eine ins Gewicht fallende Basis für ein solches Projekt. Aber das ist eben nicht mehr die Arbeiterklasse.

    Wie sieht es im hessischen Landesverband ein paar Wochen vor der Landtagswahl aus?

    Auch hier werden wir von diesen Auseinandersetzungen überrollt. Der Wahlkampf ist nicht einfach, weil sich viele Genossen zurückziehen. Sie denken sich, wenn der Parteivorstand mir sagt, dass die Strömung, der ich mich zugehörig fühle, in dieser Partei keine Zukunft mehr hat, dann mache ich auch keinen Wahlkampf mehr. Als Zusammenschluss werden wir vorerst noch toleriert, bei Kritik wird abgewiegelt. Darüber, wie es nach dem 8. Oktober mit einer dann möglicherweise noch vorhandenen Rest-Linken weitergeht, will im Moment noch niemand nachdenken.

    Julian Eder ist Sprecher der LAG »Linksrum« im hessischen Landesverband von Die Linke