Das turbulente Leben einer Schauspielerin

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  • Mary Nolan – Blondes Gift in Berlin: Das turbulente Leben einer Schauspielerin
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    Ein Porträt Mary Nolans aus den 20er-Jahren

    13.10.2023 von Bettina Müller - Vor 75 Jahren starb die Schauspielerin Mary Nolan in Amerika. Als Imogene Robertson war sie zwei Jahre lang in Berlin erfolgreich.

    Es ist der 6. August 1927: Southampton in England. Das Passagierschiff „Mauretania“ verlässt den Hafen und erreicht sechs Tage später New York. Mit an Bord ist die 25-jährige Mary Nolan, deren richtiger Name Mary Imogene Robertson lautet.

    Schwer kriminell ist sie (noch) nicht, aber dennoch: Mary ist auf der Flucht. Hat Berlin überstürzt verlassen, nachdem sie in insgesamt 17 deutschen Stummfilmen zu sehen war – aber auch so einige unbezahlte Rechnungen, vor allem bei großen Modehäusern, angesammelt hatte. Sie galt als hoffnungsvolles Talent. Dass ihr eine große Karriere bevorstand, daran zweifelte eigentlich niemand.

    Filmausschnitte, die man bei YouTube ansehen kann, zeugen heute von ihrem darstellerischen Talent. Doch wie kam es dazu, dass aus Mary am Ende ein psychisches und physisches Wrack wurde und aus ihrem Leben ein Scherbenhaufen, der in einen viel zu frühen und einsamen Tod mündete?


    Mary Nolan in dem Film „West of Zanzibar“, 1928

    Entdeckt für die „Ziegfeld Follies“

    1902 als Tochter eines Zimmermanns im ländlichen Kentucky geboren, ist es dem reinen Zufall geschuldet, dass Mary Imogene Robertson als junge Frau für die „Ziegfeld Follies“ entdeckt wird, die erfolgreichste amerikanische Musical-Show, bei der die Damen schon mal die eine oder andere Hülle fallen lassen.

    Ihre Schwester Mabel ist bereits Schauspielerin, und Mary will es ihr gleichtun, aber vor allem in das ernstere Fach wechseln, nicht nur mit ihrem Äußeren gefallen, sondern auch mit ihrem darstellerischen Können.

    Zum Verhängnis wird ihr der wesentlich ältere Frank Tinney, ein Komiker, der ebenfalls über die Bühnen Amerikas tingelt. Dass Tinney verheiratet ist, hält Mary nicht davon ab, ein Verhältnis mit ihm einzugehen. Frank ist impulsiv und schlägt schon mal zu, wenn es zum Streit kommt.

    Es ist eine tumultuöse Beziehung, die geprägt ist von männlicher Gewalt, Selbstmordankündigungen Marys, Anzeigen bei der Polizei wegen Körperverletzung, intensiver Presseberichterstattung über das unmoralische „Ziegfeld Girl“. Konservative amerikanische Frauenvereine sind empört.

    Mary will nur noch weg, das Land verlassen, aber eigentlich auch wiederum nicht. Doch das ist ihre einzige Chance, von Frank loszukommen. Europa soll das Ziel sein, dort, wo niemand sie kennt, will sie Karriere beim Stummfilm machen. Einfach ihr altes Leben hinter sich lassen, und auch ihr großes Trauma, nur nach ihrem Aussehen bewertet zu werden.


    Mary Nolan 1923

    Dass ihre blonden Haare nicht echt sind, wissen nur die wenigsten, eigentlich hat sie rotes Haar. Doch Mary wird erneut schwach und reist Frank, der ein Engagement in England bekommen, aber auch wieder zu trinken angefangen hat, hinterher. In London angekommen ist es wie immer: Tumulte, Tränen und Streitereien in der Öffentlichkeit, Schlagzeilen in der Presse. Jetzt wird es selbst Herrn Ziegfeld zu viel mit seiner skandalumwitterten Tänzerin und er feuert Mary.

    Als Mary Nolan nach Berlin kommt, soll alles anders werden. Frank ist Geschichte, ein neues Kapitel soll geschrieben werden, möglichst mit Happy End. Und sie fasst tatsächlich Fuß, wird für ihren ersten in Deutschland gedrehten Film verpflichtet. Nolan verdrängt die umschwärmte, leicht bekleidete Tänzerin aus ihrem Gedächtnis und wird zu der damenhaften und eleganten Imogene Robertson.

    „Verborgene Gluten“ unter der Regie von Einar Brunn wird am 21. Januar 1925 in der Berliner Schauburg aufgeführt, der Film gilt jedoch als verschollen. Bei einem kurzen Abstecher nach München für ihren zweiten Film hat sie bereits eine der Hauptrollen.

    Welfolg in Europa

    Zurück in Berlin bemühen sich die verschiedenen Filmproduktionen, für die sie arbeiten wird – unter anderen die Nero Film GmbH und die Greenbaum Film –, ihr ein bestimmtes Image zu verleihen. 1926 ist Imogene daher „Das süße Mädel“ und: Sie spielt die Hauptrolle. Es wird das arbeitsreichste Jahr der Imogene Robertson in Berlin.

    Sie nimmt etwa unter der Regie von Reinhold Schünzel den „Fünf-Uhr-Tee in der Ackerstraße“ ein, bedient in „Wien, wie es weint und lacht“ rührselige Österreich-Klischees, spielt neben Heinrich George in „Das Panzergewölbe“, hat die Hauptrolle in „Die Königin des Weltbades“ mit Ida Wüst. Auch durch „Erinnerungen einer Nonne“, der am 24. Februar 1927 im Emelka-Palast in der Reichshauptstadt uraufgeführt wird, wird ihr ein unschuldiges und keusches Image angeheftet, das überhaupt nicht den Tatsachen entspricht.

    Die Kritiker sind begeistert, das „Tagblatt“ vergleicht sie sogar mit der gefeierten Elisabeth Bergner. Gefördert wird das durch die äußerst beliebten Starpostkarten, vor allem aus dem Ross-Verlag. Imogene gilt jedoch hinter den Kulissen zunehmend als schwierig, als launisch und unzuverlässig, zudem kann sie nicht mit Geld umgehen.

    1929 spielt Mary Nolan in „Desert Nights“.

    1929 spielt Mary Nolan in „Desert Nights“.Everett Collection/imago

    Bei mehreren großen Berliner Modehäusern hat sie Schulden, kauft exzessiv teure Kleider und „vergisst“ schon mal zu bezahlen. Möglicherweise nimmt sie zu dieser Zeit schon Drogen, die ihr später zum Verhängnis werden. Ihre Biografin Louise Carley Lewisson konnte in ihrem Buch „Mary Nolan. Ziegfeld Girl and Silent Movie Star“, das 2019 in den USA erschien, nur Vermutungen darüber anstellen, wann genau ihre Drogensucht begann. Sehr wahrscheinlich war das aber schon weit vor ihrer Berliner Zeit.

    Bei der Uraufführung des Films im Emelka-Palast glänzt Imogene durch Abwesenheit. Sie hat Deutschland bereits verlassen, und zwar „fluchtartig“, wie es diverse Tageszeitungen melden. Nun kommt auch zutage, dass bereits mehrere Strafverfahren gegen sie in der Schwebe sind; zumeist geht es dabei um nicht bezahlte Rechnungen, aber auch um Vertragsbruch.

    Im April 1926 habe sie einen Vertrag als Schauspielerin bei der Glashaus Film GmbH unterzeichnet, ihn aber nie erfüllt. Und wieder steht Imogene an der Reling eines Schiffes und träumt von einem anderen Leben. Sie kehrt in ihr Heimatland zurück, wo sie ein Jahr später von Universal Pictures unter Vertrag genommen wird und als Mary Nolan mehrere erfolgreiche Filme dreht.

    Doch die Sucht, vorzugsweise konsumiert sie Kokain, fordert im Laufe der nächsten Jahre dann endgültig ihren Tribut, als auch die Nebenwirkungen sich nicht mehr verbergen lassen. 1930 liegt sogar ein Haftbefehl gegen sie vor, weil sie gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen habe. Ihre Arme seien voller Einstiche, wird eine Krankenschwester vor Gericht aussagen.

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    Drogensucht und Schlagzeilen

    Ein Jahr später beherrscht Mary wieder die Schlagzeilen der amerikanischen Tageszeitungen, als sie einen reichen Börsenmakler heiratet. Die Ehe wird nur drei Jahre halten. Die 30er-Jahre werden dann Marys kompletter Niedergang. Sie ist bankrott, wird sogar verhaftet, weil sie die Löhne der acht Angestellten ihres kurzlebigen Mary Nolan Gown Shops nicht zahlen kann.

    Mindestens 14 Operationen liegen hinter der wegen eines Unterleibsleidens chronisch kranken Frau. 1932 dreht sie ihren letzten Film, „File No. 113“. Doch sie begehrt auf, will nicht aufgeben, träumt erneut von einem großen Comeback, kann vom Rampenlicht nicht lassen. Zurück nach Berlin kann sie nicht, dort hat sich längst der Tonfilm durchgesetzt, und sie spricht kein Deutsch.

    Sie kann nicht mehr in diese Zeit zurück, in der man sie dafür lobte, dass sie „ein deutsches Mädchen von idealer Holdseligkeit, vorbildlicher Charakterstärke“ gab, wie ein Kritiker 1926 über sie in „Die elf Schillschen Offiziere“ schrieb. Sie kann nicht zurück in die Zeit ihrer einstigen Popularität, als das Kinopublikum „Die Lieblinge Berlins“ in der Schauburg am Potsdamer Platz „täglich bewundern“ konnte, wie es in einer Zeitungswerbung über „Die Welt will betrogen sein“ hieß, wo sie als Imogene Robertson neben den heute ebenfalls vergessenen Filmstars Harry Liedtke und Mady Christians aufspielte.

    Im Jahr 1930 ist Mary Nolan in „Outside the Law“ zu sehen.

    Im Jahr 1930 ist Mary Nolan in „Outside the Law“ zu sehen.Everett Collection/imago

    So knüpft sie in ihrer Hilflosigkeit wieder an ihr altes Leben an und tingelt durch die Nachtclubs der amerikanischen Provinz. Aus der einst auch in Deutschland so viel gepriesenen „schönsten Frau der Welt“ ist eine grell geschminkte und verlebt aussehende Tänzerin geworden, die physisch und psychisch am Ende ist. Das junge, hoffnungsvolle Mädchen aus der Provinz gibt es nicht mehr.

    Dann wird es zunehmend still um sie, und der einst umschwärmte und gefeierte Star gerät in Vergessenheit. Am 31. Oktober 1948 nimmt sich Mary Imogene Robertson in ihrer Wohnung mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben. Sie wiegt 45 Kilogramm.

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