So funktioniert die Schattenwelt von Offshore-Finanzzentren

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    Steuerparadiese sind ein ganz normaler Teil der Weltwirtschaft. Nur die Armen und ein paar Gerechtigkeitsfanatiker sehen das anders.

    9.11.2023 von Simon Zeise - Intransparenz und Steuerdumping sind Markenzeichen von globalen Finanzzentren. Warum westliche Regierungen davon profitieren, erklärt die Politik-Ökonomin Andrea Binder.

    Über die Praxis von Offshore-Finanzplätzen gelangen nur selten Informationen an die Öffentlichkeit. Anonyme Informanten wie der Whistleblower, der die sogenannten Panama Papers aufgedeckt hat, sind selten. Sie vermitteln nur eine Ahnung davon, wie es in der Schattenwelt zugeht, in der Manager von Großkonzernen, Banker und Anwälte Finanzströme in Milliardenhöhe an offiziellen Behörden vorbeischleusen. Die Berliner Zeitung sprach hierüber mit der sachkundigen Finanzexpertin Andrea Binder.

    Frau Binder, multinationale Unternehmen und Superreiche parken ihr Geld in Finanzzentren wie den Cayman Islands, Luxemburg oder der City of London. Was ist der entscheidende Vorteil für die Investoren?

    Das Entscheidende ist, die Währung eines Landes mit dem Rechtsrahmen eines anderen Landes zu vereinen. In der Regel handelt es sich um den US-Dollar und um britisches Recht. Durch dieses „Mismatch“ können sehr viele Regeln umgangen werden, inklusive Steuern. Für Staaten und Unternehmen sind Offshore-Finanzzentren aber auch deshalb sehr wichtig, weil sie Zugang zu US-Dollar und dadurch Zugang zum internationalen Wirtschaftssystem bekommen können.

    Die mit Abstand meisten Transaktionen weltweit werden in US-Dollar getätigt – je nach Land sind es zwischen 80 und 95 Prozent. Finanzakteure aus dem Globalen Süden haben es aber schwer, Zugang zu US-Dollar zu bekommen, da die Regularien der amerikanischen Börsenaufsicht SEC sehr strikt sind. Deshalb sind sie auf Offshore-Finanzzentren angewiesen.

    Staaten gehen hohe Steuereinnahmen verloren, wenn Unternehmen ihr Geld in Finanzzentren parken. Warum wird dem kein Riegel vorgeschoben?

    In Offshore-Finanzzentren gibt es fast keine Regulierung, Unternehmen müssen kaum Nachweise erbringen. Meistens muss noch nicht mal die eigene Identität bestätigt werden. Es gibt kaum offizielle Statistiken, da Unternehmen keinen Jahresbericht schreiben müssen. Dieses Agieren im statistisch Unsichtbaren macht es Regierungen möglich, bestimmte politische Konflikte auszulagern.

    Große Unternehmen üben Druck auf Regierungen aus, indem sie damit drohen, ihren Firmensitz in Länder mit niedrigeren Steuersätzen zu verlagern. Selbst in Zeiten steigender Ungleichheit lassen sich im eigenen Land schlecht Wahlen gewinnen, wenn man verspricht, Unternehmenssteuern zu senken. Deshalb spielen westliche Staaten ein doppeltes Spiel. Die heimischen Unternehmen dürfen über Offshore-Finanzzentren ihre Steuerlast senken, die Steuersätze im Inland bleiben dafür nominell relativ hoch.

    Im Bankensektor ist das augenscheinlich. Für den heimischen Finanzplatz, der die nationale Ökonomie versorgen soll, gelten relative strikte Vorgaben. Aber weil die westlichen Staaten global agierende Investmentbanken haben wollen, wird es den großen Finanzinstituten ermöglicht, über Offshore-Finanzzentren viele der nationalen Regulierungen einfach wieder zu umgehen. Somit bietet sich den Regierungen eine Möglichkeit, dem demokratischen Konflikt auszuweichen.

    Durch die von den USA verhängten Sanktionen werden mehrere Staaten vom Zugang zum US-Dollar abgeschnitten. Bieten Offshore-Finanzzentren den sanktionierten Staaten eine Möglichkeit, um an US-Dollar zu kommen?

    Das ist eine wichtige Frage. In einer zugespitzten politischen Situation, wie dem russischen Angriff auf die Ukraine, gibt es durchaus Möglichkeiten, die Finanzzentren auf die Linie des westlichen Sanktionsregimes zu bringen. Das Gewicht verschiebt sich aber. Es kommen zunehmend asiatische Offshore-Finanzzentren hinzu. Hongkong und Singapur existieren schon lange. Seit 2004 ist aber Dubai dazugekommen. Das Emirat hat mit seiner „Special Economic Zone“ im Prinzip die City of London institutionell und rechtlich nachgebaut. Es ist quasi eine Kopie des britischen Finanzsystems, mit dem besonderen Unterschied, dass sie explizit nicht die westlichen Sanktionen unterstützen.

    Das hat Folgen. Man kann beobachten, dass sehr große Finanzströme aus der Schweiz nach Dubai geflossen sind. Weil diese aber immer über Briefkastenfirmen getätigt werden, ist es sehr schwer nachzuvollziehen, wer der Eigentümer ist. Deshalb kann man auch nicht beweisen, dass es mit den Russland-Sanktionen zusammenhängt, die zeitliche Nähe deutet aber auf einen Zusammenhang hin.

    Und die westlichen Unternehmen müssen alle die Sanktionen befolgen?

    Es gibt Ausweichmöglichkeiten. Wenn ein Unternehmen Geld mobilisieren will, begibt es in der Regel eine Anleihe. Mit diesem Schuldtitel geht das global agierende Unternehmen zu einer Bank, meistens handelt es sich um ein ganzes Banken-Syndikat, das für das Unternehmen auf Investorensuche geht. Offshore Finanzzentren machen es möglich, die Anleihe so über mehrere Rechtsräume zu strukturieren, dass das Unternehmen auswählen kann, welche Währung die Anleihe haben, in welchem Recht sie ausgegeben und welcher Steuersatz zugrunde gelegt werden soll.

    Außerdem – das hat mir ein Banker in meinen Forschungsinterviews erklärt – kann das Unternehmen so auch auswählen, ob Sanktionen befolgt werden sollen oder nicht. Es ist also nicht so, dass die traditionellen westlichen Finanzzentren hinter den politischen Entscheidungen der USA stehen und die aufstrebenden asiatischen Finanzzentren die schwarzen Schafe sind. Es kommt immer darauf an, welche politischen Interessen verfolgt werden. Zum Beispiel waren europäische Unternehmen wenig begeistert von den US-Sanktionen gegen den Iran. Die Art, wie die Anleihen strukturiert werden, geben Investoren eine Wahl: Wollt ihr euch an die Regeln halten oder nicht?

    Das heißt, Offshore-Finanzzentren helfen mit, westliche Sanktionen umgehen?

    Ja. Wobei ich es bei den Russland-Sanktionen für weniger wahrscheinlich halte, weil es so ein großer Konflikt ist. Man kann sagen, je größer ein Finanzzentrum ist, desto eher beteiligt es sich an diplomatischen Entscheidungen. Die Schweiz zum Beispiel sucht in so einem Konflikt ein Gespräch mit den USA und den Europäern. Ein kleines, obskures Finanzzentrum hat hingegen weniger Hemmungen, Regeln zu umgehen.

    Die Brics-Gruppe, Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, will eine Alternative zum vom US-Dollar dominierten Finanzsystem aufbauen. Wäre das das Ende der Offshore-Finanzwelt?

    Die Brics-Staaten sind stark auf den US-Dollar und deshalb auch auf Offshore-Finanzzentren angewiesen. Solange sie kein paralleles Geldsystem entwickelt haben, wird das auch weiterhin so sein. Das brasilianische Bankensystem ist zum Beispiel über Offshore-Finanzzentren sehr eng verbunden mit dem amerikanischen Bankensystem. Das heißt, wirtschaftlich ist ein Systemwechsel nicht von heute auf morgen machbar. Man könnte ein alternatives Währungssystem aufbauen, wenn ein Wille vorhanden ist. Aber es ist mit sehr hohen ökonomischen und politischen Kosten verbunden.

    Indien, Brasilien und Südafrika haben aber eher ein Interesse, sich nach allen Seiten die Türen offen zu halten. Hinzu kommt, dass in fast allen Staaten, und das gilt auch für die meisten Mitglieder der Brics, die ökonomischen und die politischen Eliten sehr eng verflochten sind. Einflussreiche Personen nutzen Offshore-Finanzzentren, um ihr Vermögen außer Landes zu bringen. Je mehr die Eliten eines Landes vom US-Dollar-System profitieren, desto weniger sind sie gewillt, es abzuschaffen.

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    In Offshore-Finanzzentren wird Geld auf intransparente Weise, am Fiskus vorbei, außer Landes gebracht. Wie groß ist der Schaden, der dadurch entsteht?

    Ich betrachte Offshore-Finanzzentren als eine Bedrohung für die Demokratie, weil für große Unternehmen und reiche Personen andere Regeln als für die Mehrheit der Bevölkerung gelten. Für Demokratien ist es aber wichtig, dass sich Vermögen nicht zementieren. Es muss ein Aufstiegsversprechen gelten: Wer einmal zu den Verlierern gehört, muss die Möglichkeit haben, in Zukunft zu den Gewinnern zu gehören. Außerdem gefährden sie die Finanzstabilität. Um ein stabiles Finanzsystem zu gewährleisten, ist es wichtig, dass die Regulierungen befolgt werden. Wenn man Ausweichmöglichkeiten für Banken und Unternehmen schafft, schafft man Risiken. Der Großteil des Geldes in Finanzzentren ist im Handel von Finanzprodukten konzentriert und nicht im Handel mit Produkten der Realwirtschaft. Das wirkt wie ein Katalysator für Finanzblasen und Krisenzyklen.

    Das Problem ist: Alle Finanzzentren zu schließen, ist nicht so einfach. Dadurch würde das internationale Wirtschaftssystem zum Erliegen kommen, weil über Finanzzentren auch die Realwirtschaft mitfinanziert wird. Und das würde zu großen ökonomischen Kosten führen. Und zwar nicht nur für diejenigen, die viel Geld haben, sondern auch für die breite Masse der Bevölkerung. Der einzige Weg daraus sind mehr Regulierung und eine politische Auseinandersetzung darüber, wie viel Entflechtung und wie viel Globalisierung wir haben möchten.

    Zur Person

    Dr. Andrea Binder ist Forschungsgruppenleiterin am Otto-Suhr-Institut an der FU Berlin. Als Expertin für globale Finanzen ist sie spezialisiert auf Offshore-Finanzzentren. Für ihr 2023 veröffentlichtes Buch „Offshore-Finance and State Power“ führte sie zahlreiche Experten-Gespräche mit Bankern, Anwälten, Steuer- und Regierungsbeamten. Für ihre Forschung wurde sie mit dem Studienpreis der Körber-Stiftung ausgezeichnet.

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