Tagesspiegel Leute Newsletter | Charlottenburg-Wilmersdorf 14.1.2022

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  • Buch über Berliner Trickfilmer Kaskeline
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    14.01.2022 von Cay Dobberke - Lachende Milchflaschen mit Armen und Beinen schwärmen 1928 in Berlin aus, um die Kundschaft der Meierei Bolle zu versorgen. Oder Muratti-Zigaretten werden in einem abstrakt gezeichneten „Feuerzauber“ angepriesen. Solche Werbetrickfilme waren die Spezialität des Regisseurs, Produzenten und Studiogründers Wolfgang Kaskeline (1892 bis 1973). Sein Leben und Werk beschreibt die Charlottenburger Autorin und Malerin Herma Köpernik-Kennel im Buch Als die Comics laufen lernten.

    Manche hätten Kaskeline den „deutschen Disney“ genannt, berichtet sie. Aus heutiger Sicht wirken die Werbefilme nicht nur skurril, sondern auch ungewöhnlich lang. Die meisten dauerten mehrere Minuten. Auf YouTube können Sie sich selbst ein Bild machen. Dort ist zum Beispiel das Video mit der Reklame für Bolle-Milch verfügbar.

    Nachdem Kaskeline sich in der Branche etabliert hatte, begannen die Werbespots mit seinem Schriftzug und dem Logo seines 1926 gegründeten Studios. Dadurch habe ihn vor allem in den 1930-er Jahren „jedes Kind“ aus dem Kino gekannt, sagt Herma Köpernik-Kennel. Heute erinnert sich kaum noch jemand an den Trickfilmpionier.

    Das will die Autorin ändern. Unglücklicherweise kam ihre 240-seitige Biografie aber unmittelbar vor dem Beginn der Corona-Pandemie im be.bra Verlag heraus. Nach zwei Lesungen in Berlin und München mussten weitere Termine ausfallen.

    Geplant war auch eine Präsentation auf der Leipziger Buchmesse, die dann jedoch abgesagt wurde. So erhielt das aufwändig recherchierte und mit Schwarzweißfotos bebilderte Buch nicht die Aufmerksamkeit, die es verdient hätte. Inzwischen schwankt der Preis zwischen 17,99 und 24 Euro, weil die Buchpreisbindung aufgehoben wurde ((ISBN 978-3-8393-0147-0). Die E-Book-Fassung kostet 18,99 Euro.

    Bei einer Feier in Berlin hatten sich Herma Köpernik-Kennel und der Sohn des Filmproduzenten, Horst Kaskeline, kennengelernt. Dieser erzählte, ein unveröffentlichtes Manuskript über das Werk seines Vaters geschrieben zu haben. Später übergab er es der Autorin und fügte Material aus dem Bundesarchiv hinzu. Köpernik-Kennel sprach auch mit weiteren Familienangehörigen, Wolfgangs Kaskelines Schwiegertochter und einer früheren Sekretärin des Studios.

    Der Filmproduzent hatte einen jüdischen Vater und wurde in der NS-Zeit deshalb zuerst als „Halbjude“ eingestuft. Trotzdem gelang es ihm, seine Karriere nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten fortzusetzen. Herma Köpernik-Kennel führt dies teilweise darauf zurück, dass Propagandaminister Joseph Goebbels sich für Trickfilme begeistert habe

    Wahrscheinlich noch wichtiger war eine Notlüge von Kaskelines Frau Minna. Sie behauptete 1939, der Vater ihres Mannes sei der „außereheliche Sohn eines deutsch-böhmischen Fürsten in Teplitz“ gewesen, und berief sich auf eine gefälschte Urkunde. Danach galt Kaskeline nur noch als „Vierteljude“ und entging einem Berufsverbot. 1940 sollte er sogar Zeichnungen für den antisemitischen Propagandafilm „Der ewige Jude“ liefern, lehnte dies jedoch ab.

    Nach dem Zweiten Weltkrieg produzierte Kaskeline weiterhin Werbung, aber auch Dokumentarfilme. Nur das Projekt eines abendfüllenden Spielfilms blieb unvollendet. 1962 übernahmen seine zwei Söhne den Betrieb.

    Vor der Kaskeline-Biografie hatte Herma Köpernik-Kennel bereits 13 andere Bücher geschrieben. Am bekanntesten wurde ihr Tatsachenroman BergersDorf. Darin schrieb sie über Deutsche, die während der Nazizeit in der „Iglauer Sprachinsel“ in der damaligen Tschechoslowakei gelebt und den Einmarsch der Wehrmacht anfangs begrüßt hatten. Das rächte sich 1945, als die deutschen Dorfbewohner vertrieben oder ermordet wurden. Das Buch erschien auch in tschechischer Sprache.

    In Charlottenburg leben Herma Köpernik-Kennel, die in Pirmasens geboren wurde, und ihr Mann seit rund zwei Jahrzehnten. Ihre heutige Wohnung liegt im Kiez um die Danckelmannstraße. Dort schätzt die Autorin die „netten, freundlichen Menschen“ und die Nähe zum Schlosspark Charlottenburg, den sie „an fast jedem Sonntag“ besucht. Unter anderem gefallen ihr auch „die vielen Antiquitätengeschäfte in der Suarezstraße“. Einige alte Dinge in ihrer Wohnung zeugen davon.