• Verloren in Europas letztem Urwald : Fotos von der polnisch-belarussischen Grenze

    „Der Weg übers Mittelmeer ist gefährlich. Doch die Leute haben gar keine Vorstellung davon, wie gefährlich der Urwald sein kann.“

    An der Grenze zwischen Polen und Belarus liegt der Belowescher Wald, einer der letzten Urwälder Europas. Seit einigen Jahren verstecken sich Flüchtende in diesem Wald vor der Grenzpolizei. Auf dem Weg in die EU durchqueren sie Sümpfe und Flüsse. Sie verirren sich und harren mitunter tagelang im Wald aus. Humanitäre Hilfe hat die polnische Regierung verboten. Trotzdem helfen Freiwillige den Flüchtenden. Die Fotojournalistin Hanna Jarzabek hat sie monatelang begleitet.

    VICE: An der polnischen Grenze zur Ukraine gibt es viel Hilfe für Flüchtende. Menschen aus Deutschland brachten Wasser, Kleidung, Essen und fuhren mit Ukrainerinnen und Ukrainern nach Deutschland. Du hast an einer anderen Grenze Polens recherchiert: die zu Belarus. Warum?
    Hanna Jarzabek: Ich wurde in Polen geboren. Von Anfang an fiel mir auf, wie unterschiedlich die Regierung mit den Flüchtenden aus der Ukraine umgeht und jenen, die Belarus durchqueren. Während es an der ukrainischen Grenze humanitäre Hilfe gibt, müssen Hilfsorganisationen an der belarussischen Grenze ihr Tun geheim halten. Polen wendet dort eine scharfe Einwanderungspolitik an.

    Was bedeutet „scharfe Einwanderungspolitik“?
    Man muss sich klar machen: Aus der Ukraine kamen 1,5 Millionen Menschen nach Polen. Ich finde es großartig, dass sie Hilfe bekommen. Von Belarus kamen etwa 40.000 Menschen. Sie werden auf die belarussische Seite zurückgetrieben und ihre Handys werden zertrümmert. Die polnische Regierung hat dort eine Mauer gebaut.

    Warum wird den einen geholfen und den anderen nicht?
    Ich denke, das hat etwas mit Ethnien, Kultur und religiösem Hintergrund zu tun. Über die belarussische Grenze fliehen Menschen aus afrikanischen Ländern und dem Mittleren Osten.

    Heißt das: Die polnische Regierung handelt rassistisch?
    Ja, das würde ich schon sagen.

    An der Grenze liegt einer der letzten Urwälder Europas: der Belowesche Wald. Du hast viele Monate dort mit Menschen gesprochen und Fotos gemacht. Wem bist du begegnet?
    Ich erinnere mich an eine Frau aus dem Iran. Sie hat an den Demonstrationen für Frauenrechte teilgenommen. Daraufhin hat die iranische Regierung sie auf eine schwarze Liste gesetzt und sie musste fliehen. Eigentlich stünde ihr politisches Asyl zu.

    Das hat sie nicht bekommen?
    Sie wurde von polnischen Grenzbeamten zurück auf die belarussische Seite getrieben. Sie war mit einer Freundin und ihrem Mann unterwegs. Beim zweiten Versuch, nach Polen zu gelangen, schlugen die Beamten die drei Flüchtenden und sprühten mit Tränengas. Die Frau wachte in einem polnischen Krankenhaus auf, aber ihr Mann und ihre Freundin waren weg.

    Wo waren sie?
    Wieder in Belarus. Es dauerte Monate, bis die Frau eine Botschaft an ihren Mann senden konnte und erfuhr, dass er noch lebt.

    Ist sie dann auch zurück nach Belarus gegangen?
    Nein. Als ich mit ihr sprach, hatte jemand sie in Polen bei sich zu Hause aufgenommen. Das ist verboten. Einige machen es trotzdem. Wir haben den Google Übersetzer genutzt, um einander zu verstehen. Ihre Erzählungen waren schlimm. Doch ich erinnere mich vor allem an ihre Augen: Die waren voller Angst.

    Politische Verfolgung ist ein valider Fluchtgrund. Aber wahrscheinlich nicht der einzige, oder?
    Viele fliehen auch vor Krieg oder Armut. Auch das sind meiner Meinung nach sehr nachvollziehbare Gründe. Der Weg übers Mittelmeer ist gefährlich. Doch ich glaube, die Leute haben gar keine Vorstellung davon, wie gefährlich der Urwald sein kann.

    Wie gelangen Menschen vom afrikanischen Kontinent eigentlich nach Belarus?
    Sie fliegen erst nach Russland und dann weiter nach Belarus. Belarus vergibt Visa. Für die Flüchtenden sind diese Visa einfach zu bekommen – und die belarussische Regierung verdient Geld damit. Dann fahren sie von Minsk zur belarussisch-polnischen Grenze und es heißt: Von hier müsst ihr noch zehn Kilometer durch den Wald laufen. Ihr Ziel ist oft gar nicht Polen, sondern Deutschland. Es geht darum, in die Europäische Union zu gelangen und dort einen Asylantrag zu stellen. Doch die polnischen Grenzbeamte halten sie davon ab.

    Wie?
    Die Grenzbeamten fragen gar nicht, ob jemand Asyl beantragen will. Wenn es jemand von sich aus anspricht, ignorieren sie es. Es gibt weder Zeugen, noch Übersetzer. Die Flüchtenden bekommen nie die Chance, einen Antrag zu stellen.

    Sondern?
    Sie werden zurück nach Belarus gedrängt. Die Grenzbeamten trampeln ihre Telefone kaputt. Dann treiben die Beamten die Flüchtenden zurück in den Wald. Ohne GPS ist man dort verloren. Man könnte sagen: Die Grenzpolizei schickt Leute in den Tod.

    Diese Push Backs kennt man vor allem aus dem Mittelmeer.
    An der europäischen Landgrenze passieren sie genauso: Polen schickt Flüchtende nach Belarus und Belarus schickt sie nach Polen. Viele haben mir erzählt, dass sie mehrfach hin und zurück geschickt wurden. Eine Person sagte, sie habe schon 17 Mal die Grenze überqueren müssen. Das verstößt gegen internationales Recht.

    Du sagtest schon, dass Helferinnen und Helfer sich im Geheimen organisieren müssen. Wie machen sie das?
    Ich kann keine Details verraten. Das würde die Helfenden in Gefahr bringen. Nur so viel: Das Rote Kreuz oder andere Organisationen gibt es nicht. Wenn man einen Krankenwagen ruft, kommt auch die Grenzpolizei. Darum gibt es eine Notrufnummer, mit der die Flüchtenden die freiwilligen Helfer erreichen.

    Du bist von August 2022 bis März 2023 mehrmals dorthin gereist. Wie hat sich die Lage verändert?
    Der Winter war schlimm. Einmal bin ich mit zwei Freiwilligen drei Stunden lang durch den Urwald gelaufen. Wir kamen schließlich bei einem syrischen Flüchtenden an, der stark unterkühlt war. Eine Freiwillige war Ärztin. Wir wechselten seine nassen Sachen. Aber es ging ihm immer schlechter. Nach zwei Stunden entschied die Ärztin, einen Krankenwagen zu rufen.

    Obwohl ihr wusstet, dass die Grenzbeamten dann kommen?
    Wir waren nicht sicher, ob er die Nacht überleben würde.

    Und dann?
    Dann warteten wir vier Stunden lang. Es waren minus elf Grad Celsius. Die Rettungsstelle hatte unsere Koordinaten. Als sie endlich ankamen, war kein medizinisches Personal dabei: nur Grenzbeamten und Feuerwehr.

    Kam der Flüchtende trotzdem ins Krankenhaus?
    Sie haben ihn ins Auto gebracht, aber sind nie in ein Krankenhaus gefahren.

    Woher weißt du das?
    Ich war wirklich besorgt und habe ich mich an das Parlament gewandt, um herauszufinden, wo er ist. So ist meine Identität als Fotojournalistin aufgeflogen. Aber ich hatte keine andere Möglichkeit. Immer wenn ich bei der Grenzpolizei anrief, hieß es: Man könne mir nichts sagen – wegen des Datenschutzes.

    Hat er überlebt?
    Ja, die Beamten haben ihn in eine Ausländerunterkunft gebracht.

    Haben dich die Grenzbeamten auch mal aufgegriffen?
    Ja, als ich die Mauer fotografiert habe. Sie steht seit Sommer vergangenen Jahres: 186 Kilometer Stahl und Stacheldraht. Ich kann es gar nicht fassen, dass sich etwa 30 Jahre nach dem Mauerfall wieder eine Mauer durch Europa zieht.

    Hält die Mauer eigentlich Flüchtende auf?
    Nun, sie ist fünfeinhalb Meter hoch und hat eine Krone aus Stacheldraht. Aber die Leute klettern trotzdem drüber. Auf der polnischen Seite fallen sie runter, brechen sich Beine und Füße. Polen hat sich damit mehr Kosten geschaffen. Denn die Menschen müssen ins Krankenhaus.

    Hast du auch Geschichten mit gutem Ende erlebt?
    Ich habe von Menschen gehört, die an sicheren Orten sind. Von Menschen, die es nach Deutschland geschafft haben. Von Menschen, die ihre Verwandten in der EU wiedergefunden haben.

    https://www.vice.com/de/article/xgwwe3/verloren-in-europas-letztem-urwald-fotos-von-der-polnisch-belarussischen-grenz
    #forêt #Pologne #Biélorussie #migrations #réfugiés #asile #frontières #push-backs #refoulements #mourir_aux_frontières #morts_aux_frontières #photographie #murs #barrières_frontalières #GPS #téléphones_portables #smartphone #Bohoniki #cimetière

    voir aussi ce fil de discussion :
    https://seenthis.net/messages/948199

  • Aserbaidschan-Affäre: Der Diktator, die CDU, der Moderator und das Geld
    https://www.vice.com/de/article/qjp74b/aserbaidschan-affare-der-diktator-die-cdu-der-moderator-und-das-geld

    VICE-Recherchen zeigen, wie aserbaidschanische Lobbyisten über Jahre Einfluss auf die Bundestagsfraktion der Union nahmen. In der Nebenrolle: ein gekaufter Berliner Lokalsender, der regimefreundliche Interviews sendet.
    . ..
    Aserbaidschan betreibt in Europa seit Jahren „Kaviar-Diplomatie“, um das Bild des autoritär regierten Landes aufzuhübschen.

    Karin Strenz (* 14. Oktober 1967 in Lübz als Karin Hellwig; † 21. März 2021 in Limerick, Irland)
    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Karin_Strenz

    Peter Brinkmann
    https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Brinkmann
    http://www.peterbrinkmann.de
    http://www.brinkmannpeter.de

  • La « consigne » des bouteilles en plastique, cadeau du gouvernement aux industriels | Gaspard d’Allens
    https://reporterre.net/La-consigne-des-bouteilles-en-plastique-cadeau-du-gouvernement-aux-indus

    Dans son projet de loi anti-gaspillage, le gouvernement propose une consigne qui n’aurait pas pour but le réemploi des emballages mais simplement leur recyclage. Une demande des industriels qui permet de donner une image écolo à la bouteille en plastique jetable. Source : Reporterre

  • Viele Rechtsextreme verstehen ihre eigenen T-Shirts nicht, sagt diese US-Soziologin - VICE
    https://www.vice.com/de/article/59k4m5/viele-rechtsextreme-verstehen-ihre-eigenen-t-shirts-nicht-sagt-diese-us-soziol


    T-Shirt-Stand bei einem Thüringer Neonazikonzert. Das Shirt rechts unten zeigt eine Aneignung eines bekannten antifaschistischen Logos

    Im VICE-Interview erzählt Cynthia Miller-Idriss, was passiert, wenn deutsche Neonazis und Identitäre versuchen, hip zu sein.

    1933, als die Nazis nach der Macht griffen, trugen sie Hakenkreuzbinden. Anfang der 90er, als Neonazis Pogrome und Attentate in ganz Deutschland verübten, kombinierten sie Glatzen mit Springerstiefeln. Heute, sagt die Soziologin Cynthia Miller-Idriss von der American University, Washington, D.C., sind Rechtsextreme und -radikale weniger leicht zu erkennen.

    Die amerikanische Wissenschaftlerin hat seit 1992 immer wieder mehrere Monate am Stück in Hamburg und Berlin verbracht. Auch für ihr neues Buch The Extreme Gone Mainstream. Miller-Idriss analysiert ihre Frisuren, Tattoos und wie Rechte ihre Hass-Botschaften codieren, damit sie sie legal auf T-Shirts drucken können.

    Miller-Idriss hat jugendliche Träger gefragt, ob sie überhaupt verstehen, was sie da anhaben.

    VICE: Sie sind US-Amerikanerin, forschen aber zu Rechtsextremen in Deutschland, warum? Cynthia Miller-Idriss: In den USA gibt es nur wenige Organisationen, die die Alt-Right beobachten und Strategien gegen sie entwickeln. In Deutschland hingegen gibt es in jeder Stadt mehrere. Deutschland ist der beste Ort der Welt, um Rechtsextremismus zu studieren, die besten Experten leben dort.

    Was unterscheidet die Auseinandersetzung mit Rechten in den USA von der in Deutschland?
    Bei uns wird Extremismus vor allem ideologisch angegangen, so gut wie niemand betreibt Präventionsarbeit. Jahrelang hat man sich nur auf radikale Islamisten konzentriert. Erst seit Charlottesville rückt auch der Rechtsextremismus stärker ins Blickfeld.

    Für Ihr neues Buch haben Sie die Mode von rechten deutschen Jugendlichen untersucht. Welche Bedeutung hat die?
    Einige Kollegen meinten, es wäre doch nur Mode, die Jugendlichen würden ihr entwachsen. Aber Mode hat eine viel emotionalere Komponente. Erstens verstärken T-Shirts rassistische und antisemitische Einstellungen, wenn sie Geflüchtete, Migranten oder Juden abwerten. Zweitens ist Mode ein Einfallstor in die rechte Szene, zu noch extremeren Personen. Meine Interviewpartner sind durch bestimmte Shirts und Accessoires auf geheime Hinterhofkonzerte gelangt, sie konnten Gleichgesinnte durch Symbole und Kleidung erkennen. Die Mode macht die Szenen cool für junge Menschen – da unterscheidet sich der Neonazismus nicht vom radikalen Islam und vom IS. Fashion does matter.

    Können Sie sich an den ersten Rechtsradikalen erinnern, den Sie hier getroffen haben?
    Ich kann nicht mehr sagen, wie er aussah, aber ich weiß, dass ich noch lange über seine Wut nachdenken musste. Er war der erste Berufsschüler, den ich für mein damaliges Forschungsprojekt über die Identität junger Deutscher interviewt habe. Die Wiedervereinigung lag noch nicht so lange zurück, die Euro-Einführung stand bevor. Ich wollte wissen, ob sich die Jugendlichen als Europäer, Deutsche oder Berliner fühlten. Ich weiß nicht, ob er als Neonazi politisch aktiv war, aber kein anderer Schüler hatte so extrem fremdenfeindliche und rassistische Ansichten wie dieser junge Mann. Das hat mich schockiert.

    Sie haben dann 2009 das Buch Blood and Culture über rechtsextreme deutsche Jugendliche veröffentlicht. Seitdem sind die Botschaften in der rechten Mode codierter und subtiler geworden.
    Mit wenigen Ausnahmen wie dem Hakenkreuz gilt: Kein Symbol allein kann heute eindeutig für eine Ideologie stehen. Man braucht den Kontext und eine Summe von Symbolen. Lehrer, Direktoren und Mitschüler haben es viel schwerer, Rechtsradikale und Rechtsextreme zu erkennen. Was ich aber auch bemerkt habe: Nur die wenigsten Rechten selbst verstehen alle Symbole, das betrifft gerade die eher historischen und komplexeren Anspielungen.

    Sie schreiben, dass rechte Marken dafür auch auf andere Sprachen zurückgreifen.
    Es gibt eine Jacke, auf deren Rücken der Ausdruck svastika steht (Anm. d. Redaktion: So wird „Swastika“ in den skandinavischen und baltischen Sprachen geschrieben). Das erkennt niemand, der nicht den Kontext kennt. 92 Prozent der Jugendlichen, die ich für die Studie befragt habe, konnten nicht mal die Bedeutung von svastika erklären. Im Online-Shop steht dann der Hinweis „Rechtlich unbedenklich“. Die Legalität wird Teil des Marketings, viele Leute tragen das Shirt, auch ohne es zu verstehen.
    Historische Anspielungen im Stile von „Festung Breslau“ verstand im Schnitt nur jeder zehnte von Miller-Idriss’ Interviewpartnern. Die Männer auf den Fotos hat sie nicht interviewt | Links: Eva L. Hoppe || Rechts: Grey Hutton

    Viele rechte Trends, sei es identitärer HipHop oder die schwarze Kleidung von Autonomen Nationalisten, stammen aus anderen Milieus. Hinken die Rechten nicht ihrer Zeit hinterher?
    Absolut. Um ihre Symbolik zu codieren und Verbote etwa an Schulen zu umgehen, bedienen sie sich bewusst der Symbolik von Linken – vom Schwarzen Block bis hin zu Flüchtlingshelfern. Denken Sie an die Refugees-Welcome-Shirt-Replik „Islamists not welcome“. So haben heute weder die Linken noch die Rechten einen einheitlichen Look. Mit der sogenannten Flüchtlingskrise haben außerdem abweisende Sprüche wie „Grenzen hoch und Schotten dicht“ und „Islamists Go Home“ stark zugenommen.

    Was ist Ihnen noch aufgefallen?
    Es gibt einen Unterschied zwischen den Sachen für Männer und denen für Frauen. Das T-Shirt „Kontaktfreudig und erlebnisorientiert“ beispielsweise gibt es in zwei Ausführungen. Bei den Männern sind rote Blutspritzer zu sehen, bei den Frauen geschürzte rote Lippen – das eine verherrlicht Gewalt, das andere sexualisiert seine Trägerinnen.

    Für Ihre Analyse haben Sie Tausende Fotos von fünf deutschen Fotografen und Journalisten ausgewertet, die die rechte Szene beobachten. Und Sie haben mit 51 Berufsschülern gesprochen. Was waren das für Menschen?
    Diese Jugendlichen entstammten der rechtsextremen Szene oder hatten Aktivisten als Freunde, Verwandte, Klassenkameraden. Sie waren wütend. Als Berufsschüler fürchteten sie, abgehängt zu werden und prekär leben zu müssen. In den Interviews habe ich gelernt, dass es ihnen am wichtigsten ist zu provozieren, egal ob es Eltern, Lehrer oder Polizisten trifft. Schriftzüge wie „Fuck Your Society“ sind gang und gäbe. Genauso oft habe ich allerdings „You’ll Never Walk Alone“ gesehen: Die Jugendlichen suchten Anschluss – und den finden sie in der Szene.

    In Deutschland wird die Liste verbotener Symbole und Zeichen beständig erweitert, zur selben Zeit entstehen immer neue Codes. Wie sinnvoll sind Verbote überhaupt?
    In den USA wird an vielen Universitäten darüber diskutiert, ob man bestimmte Gruppen und Symbole auf den Campussen verbieten sollte. Gegner dieses Vorschlags argumentieren, dass die Verbote nur noch mehr Spielräume für Rechtsradikale bieten und sie weniger erkennbar würden. Das Spiel mit Verboten macht zu einem gewissen Teil auch die Anziehung für Jugendliche aus. Sie testen ihre Grenzen, genauso wie die Hersteller. Und was bedeutet es, wenn auf einem Shirt „HKNKRZ“, statt „Hakenkreuz“ steht? Ist es dann noch ein Wort?

    Sie sind dennoch nicht gegen Verbote. Warum?
    Selbst wenn sie nicht wirken, so haben sie doch eine symbolische Wirkung für die gesamte Gesellschaft. Sie zeichnen eine Linie in den Sand, die klarmacht, was erlaubt ist – und was nicht. Das hilft Minderheiten ein Stück weit, sich sicherer zu fühlen.

    Welche Rolle spielt die rechte Mode aus dem deutschsprachigen Raum im Ausland?
    Die Innovationen der deutschen Rechten haben sich in ganz Europa verbreitet. Eine Marke wie „Doberman’s Aggressive“ aus Polen etwa bedient sich ähnlichen Codes und einer ähnlichen Ästhetik.

    Gibt es ähnliche Trends in den USA?
    Die Modelabels der sogenannten Patriotic Wear richten sich nicht direkt an Rechtsextreme, sondern an Veteranen und „Patrioten“. Mit ihren T-Shirts verherrlichen sie Waffen und Gewalt und stellen sich gegen die Regierung und die „Eliten“. Ich habe Menschen mit solchen Shirts am Spielplatz meiner Kinder und im Aufzug meines Hauses getroffen. Die Grenze zum Rechtsextremismus ist allerdings fließend, denn einige dieser Marken verbreiten auch misogyne, islamophobe und rassistische Sprüche. Eine von ihnen wirbt mit dem Spruch „Forcing hipsters into their safe space, one shirt at a time“.

    Wie sieht es in anderen Milieus aus?
    Anhänger der Alt-Right in den USA und Rechtsextreme in Deutschland ziehen sich immer öfter „normal“ oder „traditionell“ an, etwa mit Anzug oder Trachtenjacke. Auch Firmen wie New Balance, deren Vertreter in der Vergangenheit Trump unterstützt haben, sind in der Szene beliebt, obwohl sie sich keiner entsprechenden Symbolik bedienen.

    Welche Rolle spielen die Medien im Umgang mit der rechten Szene?
    In den USA war es lange Konsens, dass man der extremen Rechten keine Aufmerksamkeit und Titelstorys gibt. Seit einem Jahr ist das anders. Aber als die New York Times ein Porträt über einen „Nazi-Sympathisanten von nebenan“ veröffentlichte, beschwerten sich mehrere Leser, dass der Journalist nicht genug Distanz gezeigt hätte. So oder so glaube ich, dass wir am besten eingreifen können, wenn wir uns mit Dingen befassen. Deshalb habe ich dieses Buch geschrieben.

    #nazis #mode

  • Wie der Rechtsterrorismus auf Facebook organisiert wird - VICE
    https://www.vice.com/de/article/wie-der-rechtsterrorismus-auf-facebook-organisiert-wird

    „Gutmenschen-Meldezentralen“, Einladungen zur „Reichspogromnacht 2016“ und Mordaufrufe: nur ein paar Klicks entfernt.
    *Um den Autor zu schützen, veröffentlicht VICE diesen Text anonym. Wir wollen vermeiden, dass der Name in der „Gutmenschen-Meldezentrale“ eingetragen oder der Autor Opfer von Übergriffen wird.

    #Allemagne #extrême_droite #terrorisme