„Ich werde seine letzte Umarmung nicht vergessen“

/salvador-allendes-tochter-besucht-berli

  • Salvador Allendes Tochter besucht Berlin : „Ich werde seine letzte Umarmung nicht vergessen“
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/salvador-allendes-tochter-besucht-berlin-ich-werde-seine-letzte-uma

    Les relations entre la gauche chilienne et celle de l’Allemagne de l’Est sont toujours proches. Cinquante ans après l’assassinat de son père Isabel Allende, fille du président socialiste chilien, rend visite au quartier de Berlin bâtisé en son honneur.

    13.9.2023 von Torsten Harmsen - Genau 50 Jahre ist es her, dass in Chile das Militär gegen den gewählten Präsidenten Salvador Allende putschte. Als der Präsidentenpalast La Moneda beschossen wurde, waren auch Allendes Töchter Beatriz und Isabel bei ihrem Vater. Sie folgten schließlich seiner Anordnung, den Palast mit den anderen Frauen und Kindern zu verlassen, bevor Kampfjets mit der Bombardierung begannen. Allende, der seinen Amtssitz bewaffnet verteidigte, verließ den Palast nicht lebend. Für viele Menschen war jener Tag des Putsches ein großer Schock.

    Isabel Allende, die an jenem 11. September 1973 alles hautnah miterleben musste, besucht 50 Jahre danach Berlin, auf Einladung der SPD. Sie ist die jüngste von drei Töchtern, die Salvador Allende mit seiner Frau Hortensia Bussi hatte. Mitunter wird sie mit der gleichnamigen Schriftstellerin Isabell Allende verwechselt. Diese ist jedoch eine Nichte zweiten Grades von Allende.

    Am kommenden Sonntag, dem 17. September, wird Allendes Tochter Isabel nach Köpenick fahren. „Sie hatte den Wunsch, das Allende-Viertel zu besuchen“, heißt es in der Ankündigung des Heimatvereins Köpenick. Sie ist zum ersten Mal hier. Geplant sind ein Rundgang durch das Viertel, eine kleine Rede an der Büste Salvador Allendes, die vom Künstler Dietrich Rohde stammt, und ein Besuch im Kiezklub.
    Im Köpenicker Neubauviertel heißen Straßen nach Allende und Neruda

    Marie Isabel Allende Bussi wurde 1945 in Santiago de Chile geboren. Sie studierte Soziologie, arbeitete unter anderem als Wissenschaftlerin und Assistenzprofessorin einer Journalistenschule, begleitete ihren Vater bei Wahlkampagnen, wirkte am Aufbau der neuen Gesellschaft in Chile mit. Nach dem Putsch ging sie mit Mutter und Schwestern ins Exil nach Mexiko, wo sie unter anderem einen Abschluss in Politik machte und sich gegen Pinochets Diktatur engagierte.

    Etwa eine Million Chilenen verließen während der Militärdiktatur Pinochets das Land. Davon gingen etwa 30.000 nach Europa. Die DDR nahm etwa 2000 von ihnen auf. Hier spielten die Ideen Allendes eine große Rolle. Dieser hatte nach seinem Wahlsieg 1970 mit dem Linksbündnis Unidad Popular mitten in einer bürgerlichen Demokratie eine sozialistische Revolution in Gang gesetzt. Nach deren Niederschlagung – stark forciert durch verdeckte CIA-Operationen – kamen vor allem viele Sozialisten und Kommunisten in die DDR. Symbolik spielte dabei eine große Rolle.

    Weithin bekannt wurde zum Beispiel das Köpenicker Allende-Viertel – ein Neubaugebiet, das ab 1971 auf dem Köpenicker Amtsfeld nahe der Altstadt entstanden war. Hier wurden am 3. November 1973, nicht einmal acht Wochen nach dem Militärputsch, Straßen nach Salvador Allende und Pablo Neruda benannt, dem bekannten chilenischen Dichter und Literaturnobelpreisträger. Auch die neue Schule erhielt den Namen Allendes. Ein Jahr später kam noch die Pablo-Neruda-Schule dazu. Weitere Namensgebungen folgten.
    Die Sozialistische Partei als das „Haus der Familie Allende“

    Immer wieder gab es im Allende-Viertel Besuche von bekannten Vertretern der zerschlagenen Unidad Popular – oft im Rahmen politischer Veranstaltungen. Es kamen unter anderem Gladys Marin, Generalsekretärin des Kommunistischen Jugendverbandes, Osvaldo Puccio, der einstige Privatsekretär Allendes, und Luis Corvalán, der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chiles. Puccio und Corvalán hatten beide in Konzentrationslagern des Pinochet-Regimes gesessen. Vor allem Letzterer war sehr bekannt aufgrund einer großen Kampagne für seine Freilassung, die dann 1976 im Austausch gegen einen sowjetischen Dissidenten erfolgte.

    Isabel Allende war damals nicht in der DDR, sondern in Mexiko. Als sich die Chilenen 1988 in einem Referendum gegen eine weitere Amtszeit Pinochets aussprachen, kehrte sie nach Chile zurück. Sie setzte die Tradition ihres Vaters fort, engagierte sich in der 1989 wieder zugelassenen Sozialistischen Partei, die sie das „Haus der Familie Allende“ nennt. Ihr Vater hatte 1933 die Partido Socialista de Chile mitbegründet.

    Als Pinochet 1998 in London verhaftet wurde, setzte sich Isabel Allende für dessen Auslieferung nach Spanien ein. Dort sollte ihm der Prozess gemacht werden. Zu diesem kam es nie. Die Phase des demokratischen Neubeginns in Chile – genannt Transition – war sehr kompliziert und widersprüchlich. 1993 kandidierte Allende erstmals erfolgreich für das Abgeordnetenhaus. Dreimal schaffte sie die Wiederwahl als Abgeordnete, bevor sie 2009 die Wahl zur Senatorin gewann. Von 2014 bis 2015 fungierte sie als Präsidentin des Senats – als erste Frau überhaupt. Von 2015 bis 2017 war sie Vorsitzende der Sozialistischen Partei – erneut als erste Frau.

    Erinnerung an die Wärme, unendliche Liebe und den Humor des Vaters

    Heute ist sie Senatorin für den Wahlkreis der Region von Valparaiso. Sie engagiert sich vor allem für eine Reform der Verfassung. Erst am 11. September hielt sie eine Rede auf dem Platz vor La Moneda. Sie wandte sich gegen „Geschichtsrevisionisten“, die durch Verdrehung der Fakten versuchten, die Unidad Popular und Präsident Allende für den Staatsstreich verantwortlich zu machen.

    Die wahren Täter seien diejenigen, die die Institutionen zerstört, den Präsidentenpalast bombardiert hätten, die Tausende Chilenen verfolgten, folterten, ermordeten und verschwinden ließen. „Der Staatsstreich war ein Verbrechen“, und es gebe keinen Kontext, keine politische Ideologie, keinen Zufall und keinen Grund, um die Enteignung des Volkswillens und der Menschenwürde zu legitimieren, so die Senatorin.

    „Heute, wo die Demokratie in der Welt neuen autoritären Bedrohungen ausgesetzt ist, ist es notwendiger denn je, das Engagement jedes Einzelnen für die Demokratie zu erneuern“, sagte Isabel Allende. Und sie erinnerte sich daran, dass sie an jenem 11. September, dem Tag des Putsches, mit ihrer ältesten Schwester Beatriz in den Präsidentenpalast gegangen war, um ihren Vater zu unterstützen. Er schickte sie fort, bevor das Militär den Palast aus der Luft bombardierte. Sie sagte: „Ich werde seine letzte Umarmung, seine Wärme, seine unendliche Liebe und seinen Humor nicht vergessen.“

    Der Treffpunkt für den Besuch von Isabel Allende ist am 17. September, 11 Uhr, im Allende-Viertel in Köpenick, Kieztafel in der Pablo-Neruda-Straße neben dem Allende-Center.

    #Chili #DDR #Berlin #réfugiés #histoire #socialisme #Köpenick #Salvador-Allende-Straße