Doppelstreik in Berlin könnte Nahverkehr lahmlegen – Öffis droht Stillstand

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  • BVG und S-Bahn: Doppelstreik in Berlin könnte Nahverkehr lahmlegen – Öffis droht Stillstand
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    23.1.2024 von Peter Neumann - Bei der S-Bahn und der DB legen die Lokführer 136 Stunden lang die Arbeit nieder. Nun beginnen auch bei der BVG Tarifverhandlungen. Das kann Folgen haben.

    Berliner Fahrgäste sind einiges gewohnt. Doch was jetzt als möglich erscheint, wäre auch für erfahrene Nutzer des öffentlichen Verkehrs eine neue Problemdimension. Denn wenn nicht nur S-Bahnen und Züge der Deutschen Bahn (DB) stillstehen, sondern gleichzeitig auch die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) bestreikt würden, käme die Stadt zum Stillstand. Genau dies, ein Doppelstreik der Lokführergewerkschaft GDL und der Gewerkschaft Verdi, ist nun denkbar. „So etwas sollte man nie ausschließen“, sagte Verdi-Sekretär Jeremy Lange der Berliner Zeitung. Man halte sich alle Optionen offen.

    Es ist der vierte Warnstreik im aktuellen Tarifstreit bei der Deutschen Bahn (DB). Viele S-Bahnen, die meisten Regionalzüge und ein großer Teil der Fernverkehrszüge des Bundesunternehmens bleiben von diesem Mittwoch, 2 Uhr, bis Montag um 18 Uhr in den Abstellanlagen. Mit 136 Stunden gilt dies als die bislang längste Arbeitsniederlegung im Personenverkehr bei der Bahn. Der Güterverkehr ruht sogar 144 Stunden lang.

    Doch in Berlin gibt es eine Besonderheit. Hier ist der erbitterte Clinch zwischen der GDL und der bundeseigenen DB nicht mehr die einzige Auseinandersetzung, die den öffentlichen Verkehr betrifft. An diesem Mittwoch beginnen auch Tarifverhandlungen für die fast 16.000 Beschäftigten der BVG, die dem Land Berlin gehört. Die U-Bahnen, Busse, Straßenbahnen und Fähren des größten kommunalen Verkehrsunternehmens Deutschlands wurden im vergangenen Jahr für mehr als eine Milliarde Fahrten genutzt.

    Vertreter der Gewerkschaft Verdi und des Kommunalen Arbeitgeberverbands Berlin, der die BVG vertritt, kommen am 24. Januar um 9 Uhr zur ersten Verhandlungsrunde zusammen. Es geht um einen neuen Manteltarifvertrag für die BVG - also um bessere Arbeitsbedingungen. Mehr Urlaub, längere Wendezeiten an den Endhaltestellen und weitere Erleichterungen des Dienstalltags stehen im Forderungskatalog, der dem Arbeitgeber bereits vorliegt. Die Gewerkschaft verlangt auch ein Urlaubsgeld von 500 Euro im Jahr. Ansonsten geht es nicht um Geld - die Regelung der Löhne und Gehälter gilt noch bis Ende dieses Jahres. Auch die Wochenarbeitszeit ist kein Thema.

    „Die Erwartungshaltung bei den Kolleginnen und Kollegen ist hoch“, sagte Jeremy Arndt, der Verhandlungsführer aufseiten der Gewerkschaft, am Dienstag. Beim Fahrpersonal, das den Betrieb zu allen Tages- und Nachtzeiten in Schichtarbeit aufrechterhält, sei eine „allgemeine Unzufriedenheit“ zu spüren. BVGler tragen sich mit dem Gedanken, zu anderen Verkehrsanbietern zu wechseln – etwa zu Reisebusfirmen. Außerdem gebe es auch in anderen Branchen attraktive Arbeitsplätze, so Arndt.

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    Die Bedingungen müssten sich verbessern, sonst werde sich die Personalknappheit weiter verschärfen, warnte der Verdi-Sekretär. Die Gewerkschaft stünde unter Beobachtung, gab er zu bedenken: „Von dem, was wir bei diesen Tarifverhandlungen erreichen, wird es abhängen, ob die Fluktuation weiter zunimmt“ – oder ob es gelingt, den Exodus bei der BVG zu bremsen und ausreichend neue Fahrer zu gewinnen.

    Bessere Arbeitsbedingungen sind ein Ziel, das die BVG unterstützt. Doch das Unternehmen hat bereits darauf hingewiesen, dass der neue Manteltarifvertrag nicht dazu führen darf, dass der Personalbedarf noch stärker steigt - was angesichts des knappen Arbeitsmarkts unrealistisch sei. Schon nach der jetzigen Planung werden 2024 rund tausend weitere Busfahrer benötigt. Wenn die Wendezeit an den Endhaltestellen von vier auf zehn Minuten erhöht wird, brauche man zudem mehr Bahnen und Busse.

    „Wir stehen für konstruktive Tarifverhandlungen bereit“, betonte Arndt am Dienstag. Die nächsten Termine stünden bereits fest – unter anderem der 15. Februar und 1. März. Was die Handlungsoptionen anbelangt, halte sich Verdi aber alle Möglichkeiten offen, so der Gewerkschafter. Konkret bedeutet das, dass Arbeitskampfmaßnahmen nicht ausgeschlossen sind, wenn dies erforderlich sei, um dem Anliegen Nachdruck zu verleihen. Anders formuliert: Auch bei der BVG könnte es zu Warnstreiks kommen.

    Bei Verdi warb man um Verständnis dafür, dass man sich nicht mit der GDL abstimmen werde. Es handele sich um zwei getrennte Tarifkonflikte, hieß es. Damit sei es nicht ausgeschlossen, dass in Berlin Arbeitskampfmaßnahmen zur selben Zeit stattfinden. Konkrete Pläne gebe es derzeit nicht, weil nicht absehbar sei, wie die Gespräche vorangingen, betonte Arndt. Doch dementieren würde er die Möglichkeit eines Doppelstreiks nicht, sagte er.
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    Ein gleichzeitiger Arbeitskampf von GDL und Verdi hätte zur Folge, dass der Großteil des öffentlichen Verkehrs in Berlin stillstehen würde. Auf der Schiene würden nur noch die Züge der Niederbarnimer Eisenbahn (NEB) und der Ostdeutschen Eisenbahn (ODEG) verkehren. Stillstand könnte es auch auf den Straßen geben, denn viele Berliner würden versuchen, mit ihren Autos ans Ziel zu gelangen. Es wäre der Ausnahmezustand.

    „Ein Doppelstreik wäre die totale Blockade“, warnte Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastverband IGEB. Vor allem, wenn er Tage dauern würde. Ein kurzer Warnstreik bei der BVG von vielleicht drei oder vier Stunden Dauer, während die S-Bahn und die DB stillstehen, wäre gerade noch verkraftbar. Doch alles andere würde nicht nur Berlin enorm schaden, sondern auch der Akzeptanz von Gewerkschaften. „Die Arbeitnehmer haben es in der Hand, wie die Verhandlungen verlaufen“, entgegnete Arndt.
    Neuer BVG-Chef: Wir haben schon viel für die Mitarbeiter getan

    Im März 2008 wäre es beinah zu dem befürchteten Großstreik im öffentlichen Verkehr von Berlin gekommen. Verdi hatte zu einem unbefristeten Streik aufgerufen, als dann auch noch die GDL eine Arbeitsniederlegung ankündigte. Weil der damalige Bahnchef Hartmut Mehdorn einlenkte, konnte der Bahnstreik buchstäblich in letzter Minute abgewendet werden. Bei der BVG ging der ungewöhnlich hart geführte Tarifkonflikt, bei dem es mehrmals zu langen Ausständen kam, erst im Mai 2008 zu Ende.

    Die Tarifverhandlungen im Jahr 2021 gingen für die BVG-Fahrgäste dagegen glimpflich aus. Ohne großen Streit einigten sich die Gewerkschaft Verdi und der Arbeitgeberverband auf Entgelterhöhungen. Außerdem wurde damals vereinbart, dass die Arbeitszeit sinkt – von 39 Stunden auf 37,5 Stunden ab Juli 2024. Wie schnell es beim jetzigen Konflikt zu einer Einigung kommen wird, ist schwer absehbar. Dass Verdi zur gleichen Zeit auch in allen anderen Bundesländern (Bayern ausgenommen) Tarifverhandlungen für den Nahverkehr führt, könnte das Vorgehen verkomplizieren.

    Der neue Vorstandsvorsitzende der BVG, Henrik Falk, äußerte sich zu den nun beginnenden Tarifverhandlungen nicht. „Doch so lange ich mich mit solchen Themen befasse, gilt: In jedem guten Unternehmen geht es kontinuierlich darum, Arbeitsbedingungen zu verbessern“, sagte er im Interview mit der Berliner Zeitung. „Die BVG hat schon viel dafür getan, um die Mitarbeitenden zu entlasten. So wurde beispielsweise schon 2019 vereinbart, die Arbeitszeit schrittweise auf 37,5 Stunden in 2024 zu verkürzen. Bei der Thematik kann sicher noch einiges geschehen, aber richtig ist auch, dass die BVG in vielerlei Hinsicht schon sehr weit vorne ist.“

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