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  • Schimmel, Ratten, gefangen im Kredit: Bauträger in Berlin treibt Wohnungskäufer in Verzweiflung
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/schimmel-ratten-gefangen-im-kredit-bautraeger-in-berlin-treibt-wohn


    Lisa Hohneck schaute fünf Jahre lang durch ihr Fenster auf ein Baugerüst. Markus Wächter/Berliner Zeitung

    20.5.2024 von Niklas Liebetrau - Immobilienkäufer in Berlin stehen vor dem Ruin, weil sie einer Firma vertrauten, die Häuser nicht fertigstellt: Hedera Bauwert. Deren Chef ist in der Stadt kein Unbekannter.

    Manchmal, wenn ihr alles zu viel wird, stellt sich Lisa Hohneck vor, wie sich plötzlich ein Riss im Boden auftut und ihr Haus darin untergeht. Ihre Wohnung in Berlin-Friedrichshain, die sie sich vor sechs Jahren kaufte, würde dann verschwinden. Und mit ihr all der Ärger: die Feuchtigkeit, die durch die Schlafzimmerwände kriecht, die Obdachlosen, die in den Hausfluren und Kellerräumen hausen. All das wäre weg, und für einen Moment denkt sie, dann hätte sie endlich Ruhe.

    Dann fällt ihr ein, dass zwar die Wohnung weg wäre – nicht aber der Kredit. „Finanziell wäre das mein Ruin“, sagt sie.

    Dabei hatte alles so vielversprechend begonnen. Lisa Hohneck, eine 33-jährige IT-Projektmanagerin aus der Nähe von Trier, hatte sich gleich nach dem Master und frisch im ersten Job entschieden, eine Eigentumswohnung in Berlin zu kaufen. Ihr bester Freund hatte ihr dazu geraten, auch er wollte in der Stadt, in der sie jetzt lebten, etwas erwerben. Besser einen Kredit abbezahlen, sagte er, als sein Leben lang zur Miete wohnen.

    Kurz darauf, im November 2017, entdeckten sie das Haus in der Weserstraße. Die Wohnung, für die sich Hohneck interessierte, lag im Hinterhof: 65 Quadratmeter im Erdgeschoss, drei Zimmer, Küche, Bad, 200.000 Euro. Ein Schnäppchen, auch damals schon. Die Maklerin sagte: „Mein Tipp, warten Sie nicht zu lange.“ Es gebe andere Interessenten, täglich Anfragen. Sie illustrierte, wie es in dem gelben Altbauhaus bald aussehen werde: gläserne Aufzüge, stählerne Balkone, ein begrünter Innenhof, eine neue Fassade.

    Mitte Dezember 2017 sagte Hohneck zu. Ihr bester Freund entschied sich für eine Wohnung im Vorderhaus. „Bis zum Kauf“, sagt Hohneck, „lief alles hervorragend.“


    Dort, wo in der Cranachstraße Anfang des Jahres ein Haus fertig sein sollte, sammelt sich Schrott.Markus Wächter/Berliner Zeitung


    Lisa Hohneck (r.) mit ihrer Schwester vor ihrer Eigentumswohnung. Seit fast sechs Jahren warten sie auf Fertigstellung. Markus Wächter/Berliner Zeitung


    Auf der Baustelle vor dem Haus in der Weserstraße sammelt sich Sperrmüll. Markus Wächter/Berliner Zeitung


    Beschmiertes Fenster in der Weserstraße.Markus Wächter/Berliner Zeitung


    Artem Rudenko vor einem offenen Spalt in seinem Treppenhaus in der Havelberger Straße. Markus Wächter/Berliner Zeitung


    Im Hausflur in der Havelberger Straße machen sich immer wieder Obdachlose breit, sagt Artem Rudenko. Markus Wächter/Berliner Zeitung


    Bauträger des Hauses in der Havelberger Straße: Hedera Bauwert. Markus Wächter/Berliner Zeitung


    Seit August 2021 steht ein Halteverbotsschild auf der Baustelle vor der Havelberger Straße. Markus Wächter/Berliner Zeitung


    Eine von mehreren Hausleichen in Berlin, das leerstehende Wohnobjekt in der Sickingenstraße sollte im vergangenen Sommer fertig sein. Markus Wächter/Berliner Zeitung


    Anspruch und Wirklichkeit gehen weit auseinander in der Sickingenstraße in Moabit.Markus Wächter/Berliner Zeitung

    Ein Unternehmer, der in Berlin kein Unbekannter ist

    Der Geschäftsführer des Bauträgers lud sie sogar zum Kennenlernen ein: Ioannis Moraitis, ein Unternehmer aus Hessen, der in Berlin seit einigen Jahren Altbauten kaufte, sanierte und in Eigentumswohnungen aufteilte. Hohneck erinnert sich an einen „typischen Geschäftsmann“. Selbstbewusst habe er gewirkt, davon überzeugt, erstklassige Bauprojekte zu realisieren. Sein modernes Büro in einem „wunderschön sanierten Altbau“ in der Nähe des Savignyplatzes machte Eindruck auf sie.

    Ioannis Moraitis ist in Berliner Immobilienkreisen kein Unbekannter. 2015 geriet er in die Schlagzeilen, weil er der Familie Caliskan in der Kreuzberger Wrangelstraße kündigen wollte, die im Erdgeschoss seit 28 Jahren den Gemüseladen „Bizim Bakkal“ führte. Auf die Kündigung folgten wochenlange Anwohnerproteste. Zeitungen, Radio- und Fernsehsender aus der ganzen Welt berichteten. Das Stadtmagazin Zitty zählte Moraitis zu den „bissigsten Haien im Becken“ der Berliner Immobilienbranche.

    Moraitis’ Unternehmen heißt Hedera Bauwert. Am goldenen Briefkasten der Hedera lässt sich ablesen, welch großes Firmengeflecht sie umgibt: Mehr als 80 GmbHs. Für Lisa Hohnecks Haus in der Weserstraße ist die hb 16. Wohnimmobilien GmbH verantwortlich. Doch auch Gewerbeflächen gehören zur Hedera. Ihr „Herkules Portfolio“ umfasst Büros und Einzelhandelsflächen in Dresden, Berlin, Rostock, Halle, Radebeul und Bernau, insgesamt über 100.000 Quadratmeter. Auf einer seiner Websites bezeichnet Moraitis sich als „Visionär und Geschäftsführer“. Auf der Seite der Hedera heißt es: „Zusammen zu bauen, heißt einander zu vertrauen.“

    Doch kann man auf Moraitis’ Unternehmen vertrauen? Die Berliner Zeitung hat Wohnungskäufer, Handwerker und Ingenieure gesprochen, die ihm vorwerfen, nicht nach den gängigen Regeln zu spielen, Rechnungen schuldig zu bleiben, vereinbarte Termine zu überziehen. Und sich möglicherweise sogar außerhalb des Rechts zu bewegen. Nach Informationen der Berliner Zeitung ermittelt das LKA Berlin gegen Moraitis: wegen des Verdachts auf Betrug.


    Lisa Hohneck macht sich Sorgen, dass das Haus, in dem sie ihre Wohnung kaufte, weiter Schaden nimmt.Markus Wächter/Berliner Zeitung

    Ausgefallene Heizung, aufgebrochene Türen, Feuchtigkeit in den Wänden

    Lisa Hohneck wusste all das nicht, als sie Moraitis traf. Sie wunderte sich zwar über den günstigen Preis der Wohnung, aber das Treffen mit ihm, sein schickes Büro, vertrieben ihre Zweifel. Außerdem arbeitete die Maklerin, die ihr die Wohnung gezeigt hatte, für Ziegert, eine renommierte Firma in Berlin. Ziegert betone stets, man arbeite nur mit geprüften Bauträgern zusammen, sagte die Maklerin. Und im Ziegert-Portfolio befanden sich mehrere Wohnhäuser von Hedera.

    Als Einzugstermin vereinbarten Hohneck und der Bauträger den 31. August 2018. Im Frühjahr wolle man noch die „staubintensivsten Sanierungsarbeiten“ am Haus in der Weserstraße erledigen, neue Fenster einsetzen, die Arbeiten in den Wohnungen abschließen, sagte man ihr. Dann werde auch die erste Rate abgerufen, etwa 30 Prozent des Kaufpreises.

    Doch es tat sich nichts. Es wurde nicht gebaut, nichts wurde abgerufen. Nicht im März, als Hohneck begann, immer wieder beim Haus vorbeizugehen. Nicht im Juli, einen Monat vor dem Übergabetermin. Ihr WG-Zimmer in Lichtenberg hatte sie da bereits gekündigt. Sie kontaktierte Hedera. Und merkte: „Die Kommunikation lief nicht.“ Sie erreichte selten jemanden, und wenn doch, wurde sie vertröstet. Der vereinbarte Einzugstermin verstrich.

    Bis heute ziehe sich diese Nichtkommunikation durch. Egal, ob die Heizung ausgefallen sei, ob Wasser entlang der Fassade laufe, weil keine richtigen Fallrohre installiert wurden, egal ob Feuchtigkeit in ihre Wohnung dringe, jemand die Haustür aufbreche oder die Müllabfuhr nicht komme, selten melde sich jemand zurück. Inzwischen, glaubt Hohneck, ist ihr Haus zum Geheimtipp für Obdachlose geworden. Weil man leicht einsteigen könne und die meisten Wohnungen auch heute noch leer stünden. Vor kurzem habe die Feuerwehr kommen müssen, sagt sie. Jemand hatte sich in einem Raum im Keller mit Matratzen eingerichtet und einen Standgrill angefeuert, um zu heizen.

    Ende Oktober 2018, die Arbeiten hatten immer noch nicht begonnen, bekam sie einen Schlüssel für ihre Wohnung. Über Monate hatte sie gedrängt, jeden zweiten Tag angerufen. Anders als ihr bester Freund hatte sie ihre Wohnung im Istzustand gekauft, ihm sollte sie renoviert übergeben werden. Der Freund wartet bis heute darauf.

    Hohe Zinsen dafür, das Geld nicht ausgeben zu können

    2019 wurde das Gebäude eingerüstet. „Das war der Hoffnungsschimmer“, sagt Honeck. Hedera rief die erste Rate ab. Doch abgesehen vom Gerüst passierte wieder lange wenig. In all der Zeit musste Hohneck Sonderzinsen an ihre Bank zahlen, weil der Kredit, den sie aufgenommen hatte, zwar bereitlag, aber nicht genutzt wurde – sogenannte Bereitstellungszinsen. Jeden Monat 500 Euro. Dafür, ihr Geld nicht ausgeben zu können. Erst im Sommer 2021 tauschte Hedera die Fenster aus. Als die Arbeiten wieder zum Erliegen kamen, reichte Hohneck Klage ein, zusammen mit elf weiteren Käufern, auf Fertigstellung. 2023 gewannen sie vor dem Landgericht. Hedera ging in Berufung. Das Verfahren läuft vor dem Kammergericht.

    Fünf Jahre lang war das ganze Gebäude eingerüstet, die Fenster in Hohnecks Wohnung mit Folie verklebt. Vor ein paar Wochen dann bauten Arbeiter das Gerüst ab. Weil Rechnungen nicht bezahlt worden seien, erfuhr Hohneck von ihnen. Die Arbeiten am Haus aber sind noch immer nicht abgeschlossen. Keine gläsernen Aufzüge, keine stählernen Balkone. Im betonierten Innenhof, der einmal begrünt werden sollte, stapelt sich der Müll. Bei starkem Regen fließt das Wasser zu langsam ab, im Hof bildet sich dann ein kleiner See.

    Vor ein paar Wochen hat sich Hohneck einen Feuchtigkeitsmesser gekauft. Sie hält das Gerät in ihrem Wohnzimmer an eine Außenwand. Von einer hundertprozentigen Feuchtigkeit würde man bei einem Wert von 140 sprechen. Der Wert auf dem Display landet bei 163. Feuchter als feucht.

    Es raubt ihr jeden Nerv. Nicht zu wissen, wie es mit dem Haus weitergeht, für das sie die größte Investition ihres Lebens getätigt hat. Der Kredit, den sie aufnahm, wird 33 Jahre laufen. Wenn sie ihn abbezahlt hat, steht sie kurz vor der Rente. Wenn sie je dazu kommt, ihn abzurufen. Hohnecks größte Angst: Dass die Schäden irgendwann so groß sein könnten, dass das ganze Haus nicht mehr zu retten ist.

    Wird eine Immobilie gebaut, wird der Kaufpreis aufgeteilt in Raten, je nach Baufortschritt. So steht es im Gesetz. Solange nicht hundert Prozent bezahlt wurden, geht das Eigentum nicht über. Hohneck hat bisher etwa 68.000 Euro gezahlt, 34 Prozent des Kaufpreises. Sie hat weitere Rechnungen erhalten, etwa für die Fertigstellung des Daches und des Estrichs, aber nicht bezahlt. Weil beides nicht fertiggestellt worden sei.


    Das Wohnobjekt in der Havelberger Straße in Moabit ist seit etlichen Jahren eingerüstet, seit zwei Jahren wurde nicht mehr gebaut.Markus Wächter/Berliner Zeitung

    Große Pleitewelle in der Baubranche

    Die Wohnung gehört ihr noch nicht. Den Vertrag rückabzuwickeln wäre juristisch schwer, das Risiko, das gezahlte Geld nicht zurückzubekommen, äußerst hoch. Sie steckt fest, kann weder vor noch zurück. Den jahrelangen Stillstand kann sie sich nicht erklären. Eine Möglichkeit könne sein, dass ihr Bauträger zahlungsunfähig sei. Vielen Projektentwicklern gehe es gerade so.

    Die Baubranche befindet sich in einer schwierigen Phase. Allein im ersten Quartal dieses Jahres ist die Zahl der Insolvenzen laut dem Institut für Wirtschaftsforschung Halle um 44 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Grund dafür sind die gestiegenen Bauzinsen und die hohen Preise für Material und Energie. Bauträger gehen bei ihren Projekten in Vorleistung, sie müssen kalkulieren, wie hoch ihre Kosten sein werden. Aber Ereignisse wie Kriege und Pandemien lassen sich nicht vorhersehen. Viele Baufirmen sind inzwischen hoch verschuldet und zahlungsunfähig. Bauvorhaben werden gestoppt.

    Berlin ist von der Pleitewelle besonders betroffen. Bauträgerfirmen betreuen meist mehrere Wohnobjekte. Geht eine dieser Firmen in die Insolvenz, drohen hunderte Wohnungen nicht fertiggestellt zu werden. Ausgerechnet in der Stadt der Wohnungsnot.

    Sind die Hedera Bauwert und die damit verbundenen Unternehmen Teil der Pleitewelle? Bisher wurde keine Insolvenz angemeldet. Und Ioannis Moraitis geht mit Medienanwälten gegen Behauptungen dieser Art vor.

    Ende Januar erhielt Hohneck zudem einen Brief eines Anwalts des Bauträgers. Er sei gebeten worden, eine Regelung zu treffen, bei der Hohneck und die anderen Erwerber künftig selbst „das Heft in die Hand nehmen“ sollten. Es gebe Gründe für die Verzögerung. Die Planungen der Architekten für das Dach seien mangelhaft gewesen, zudem würden sich einige Altmieter im Haus gegen Sanierungsmaßnahmen stellen. Insgesamt beliefen sich die Arbeiten, die noch zu erledigen seien, auf etwa 2,5 Millionen Euro. „Unsere Mandantin bietet an, dass die Erwerber die bisher nicht erbrachten Leistungen gegen entsprechende Kaufpreisreduzierung selbst beauftragen.“

    Hohneck antwortete, sie sei grundsätzlich zu einer Vereinbarung bereit. Der Anwalt meldete sich nicht wieder zurück.


    Marlena Wenisch will sich für Geschädigte von Bauträgern einsetzen und einen Verein gründen. Markus Wächter/Berliner Zeitung

    Etliche Menschen in Berlin und Deutschland mit Moraitis in Konflikt

    Im vergangenen Jahr erfuhr Lisa Hohneck, wieviele Menschen in Berlin mit Moraitis und seinen Unternehmen in Konflikt stehen. Wieviele sich in einer ähnlichen Lage befinden wie sie. Hohneck hörte es ausgerechnet von der Maklerin, die ihr die Wohnung vermittelt hatte.

    Marlena Wenisch arbeitet heute nicht als Immobilienmaklerin. Sie macht eine Weiterbildung zur Immobilienökonomin. Die 35-Jährige ist selbst auf Moraitis reingefallen. Kurz nachdem sie vor sieben Jahren angefangen habe, für Ziegert zu arbeiten, erzählt sie, seien ihr viele seiner Objekte zugeteilt worden. In der Weserstraße verkaufte sie für Ziegert nicht nur an Lisa Hohneck, sondern auch noch drei weitere Wohnungen. Und in der Tellstraße, an der Grenze zwischen Kreuzberg und Neukölln, fand sie im Mai 2019 eine „kleine, süße Ein-Zimmer-Wohnung“ für sich selbst. Von der Hedera Bauwert.

    Bereits zwei Monate nach ihrem Kauf, sagt Wenisch, seien in der Tellstraße die Arbeiten ins Stocken geraten. Zwar seien neue Handwerker gekommen und hätten angefangen zu arbeiten, aber die seien offenbar nicht vollständig bezahlt worden und hörten wieder auf. Bis heute sei in ihrem Haus das Dach nicht fertig und sieben Wohnungen stünden leer, obwohl die meisten verkauft seien. Ein Käufer warte seit fast acht Jahren darauf, in seine Wohnung zu können.

    Durch Zufall kam Wenisch an die Nummer einer Frau, die in einem anderen Haus lebte, das von der Hedera betreut wurde, dort gab es ähnliche Probleme. Die beiden gründeten eine WhatsApp-Gruppe. In ganz Berlin hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits Käufer zu einzelnen Gruppen zusammengetan. Nur wussten sie nichts voneinander. Kurze Zeit später bemerkten Wenisch und ihre Mitstreiterin eine weitere WhatsApp-Gruppe: „Moraitis Albtraum“, gegründet bereits 2018 von einem Dachdeckermeister im Sauerland. In dieser Gruppe hatten sich Baufirmen, Handwerker und Ingenieure zusammengeschlossen, die berichteten, von Moraitis nicht bezahlt worden zu seien. Über diese Gruppe lernte sie Andreas Tesch kennen.

    Ende März sitzt Wenisch zusammen mit Tesch in dessen Wohnung am Tiergarten, nahe den S-Bahngleisen. Alle paar Minuten verdunkelt sich das Wohnzimmer, ein Zug rauscht vorbei. Tesch ist Bauingenieur, auch er hatte Probleme mit Moraitis, musste sein Honorar erst einklagen. Er und Wenisch haben aus der WhatsApp-Gruppe das „Starke Netzwerk 030“ gegründet, in dem etwa 70 Betroffene aus sechs Häusern in Berlin vertreten sind, sich treffen und Wege suchen, gegen Moraitis vorzugehen. Gerade sind sie dabei, einen Verein zu gründen, der sich für Geschädigte von Bauträgern einsetzt: Eigentun Jetzt.


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    In der Cranachstraße in Schöneberg sollten die Bauarbeiten im August 2022 beginnen.Markus Wächter/Berliner Zeitung

    Die Spur der unfertigen Häuser zieht sich durch ganz Berlin

    An diesem Nachmittag reden beide schnell und durcheinander, fallen sich ins Wort. Aufregung. Nach Jahren, in denen sie auf der Suche nach Öffentlichkeit kritische Google-Bewertungen über Moraitis schrieben und dafür von Medienanwälten abgemahnt wurden, hört ihnen endlich jemand zu. „Es ist davon auszugehen, dass hunderte Wohnungskäufer allein in Berlin betroffen sind“, sagt Marlena Wenisch. „Erwerber, die wie im Fegefeuer gefangen sind“, sagt Tesch. Anwaltskosten, Bereitstellungszinsen, endlose Stunden vergeudete Lebenszeit. „Nur weil einer sich nicht an die Regeln hält.“

    Tesch und Wenisch laden zu einer Tour durch Berlin ein. Sie wollen zeigen, wie groß das Ausmaß ist.

    In der Cranachstraße in Schöneberg sollten laut einer Vorankündigung im August 2022 die Arbeiten beginnen. An diesem Tag im März, mehr als anderthalb Jahre später, ist nicht mal eine Baugrube ausgehoben, Schrott sammelt sich auf dem Gelände, ein Hydraulikbagger steht herum. Laut der Website des Projekts sind bereits 66 Prozent der Wohnungen verkauft. In der Sickingenstraße in Moabit sind es sogar schon 100 Prozent. Das Haus, das im Juni 2023 fertig sein sollte, steht bis heute leer. So wie das Haus in der Saßnitzer Straße in Schmargendorf, das ebenfalls im vergangenen Jahr fertig sein sollte. 50 Prozent der Wohnungen sind hier bereits verkauft.

    Die Spur der leerstehenden und unfertigen Häuser, die der „verlässliche“ Unternehmer Moraitis hinter sich herzieht, führt durch die ganze Stadt: von Steglitz über Mitte und Neukölln bis nach Lichtenberg. Unvollendete Bauprojekte. Hausleichen, in denen kaum jemand wohnt.

    Warum lässt ein Bauträger reihenweise Wohnprojekte mitten in der Stadt stillstehen? Warum verkauft er Wohnungen, aber räumt den Käufern nicht das Eigentum ein? Ist er der unseriöse Unternehmer, für den ihn so viele halten – oder selbst ein Opfer der Baukrise?

    Die Berliner Zeitung hat Ioannis Moraitis einen Fragenkatalog geschickt und ihm angeboten, in einem persönlichen Gespräch seine Sicht auf die Dinge zu erklären. Auf die Anfrage meldete sich Anfang April eine bekannte Medienrechtskanzlei. Man wolle die Anfrage beantworten, weil „sich schon aus den Fragen herauslesen“ lasse, dass die Recherche „maßgeblich auf falschen Informationen“ beruhe. Eine Antwort auf die Fragen ist bis heute ausgeblieben.


    Artem Rudenko lebt mit seiner Familie als einer der wenigen in dem unfertigen Haus in der Havelberger Straße.Markus Wächter/Berliner Zeitung

    Schimmel, Ratten und seit Jahren keine freie Sicht

    Wie kann man Druck ausüben auf einen solchen Unternehmer? Diese Frage stellt sich Artem Rudenko, ein 36 Jahre alter Arzt, der eigentlich anders heißt. Ende 2020 kauften seine Lebensgefährtin und er eine Wohnung in der Havelberger Straße in Moabit für rund eine halbe Million Euro. Von der Hedera Bauwert. Als Fertigstellungstermin vereinbarten sie in ihrem Kaufvertrag den 31. August 2021. Bis heute ist das Haus komplett eingerüstet, es sieht aus wie eine verwaiste Baustelle.

    In den oberen Geschossen schimmelt es. Dort, wo eigentlich Türen für einen Fahrstuhl sein sollten, klaffen Spalten in der Hauswand, vor denen Plastikfolien flattern. „Im Winter ist das der Horror“, sagt Rudenko. Er macht sich Sorgen um die Sicherheit seiner Tochter. Auf seine E-Mails und Anrufe werde selten reagiert.

    Im vergangenen Sommer habe ein Aushang an der Tür gehangen, die Gasag kündigte an, das Haus nicht mehr mit Gas zu beliefern. Warum, erfuhr Rudenko nicht. Diesmal konnte er jemanden bei Hedera erreichen. Das Haus wird weiterhin beheizt. Kürzlich, so erzählt er, habe ihn seine Frau bei der Arbeit angerufen. Unter der Küchenzeile kratze es, sie hätten Ratten. „Ich will hier raus“, habe sie zu ihm gesagt, „ich kann nicht mehr.“ Aber aus dem Vertrag können sie nicht raus. Sie haben bereits mehrere hunderttausend Euro für die Kaufpreisraten und die eigene Sanierung der Wohnung bezahlt.

    Rudenko und weitere Käufer haben einen Insolvenzantrag gegen Hedera beim Amtsgericht Charlottenburg gestellt. Ihre Hoffnung ist, dass sie im Falle einer Insolvenz das Haus selbst fertigstellen können. Doch bislang hat sich nichts getan.

    Wie Lisa Hohneck haben auch Rudenko und Marlena Wenisch Briefe des Anwalts bekommen, der ihnen anbot, selbst „das Heft in die Hand“ zu nehmen. Der Wortlaut der Briefe unterscheidet sich nur in der Aufzählung der Gründe für die Bauverzögerungen. Ob der Bauträger versucht, die Objekte loszuwerden, oder nur Zeit gewinnen möchte, ist eine weitere Frage, die bisher unbeantwortet bleibt.

    Unter den Betroffenen kursieren derweil Medienberichte aus anderen Teilen Deutschlands. In der Goslarschen Zeitung wird über zwei Hotels geschrieben. Die denkmalgeschützten Häuser„Kaiserworth“ und „Brusttuch“ in der Altstadt stünden seit mehr als einem Jahr leer, Tagungen könnten nicht stattfinden, die Stadtgesellschaft sei besorgt. In Rostock, so schreibt die Ostseezeitung, würden zwei Einkaufszentren demnächst keine Fernwärme mehr geliefert bekommen, weil erneut Rechnungen nicht bezahlt worden seien. Eigentümer dieser Immobilien, so schreiben die Zeitungen: Ioannis Moraitis.

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  • 9,7 Quadratmeter für 149.000 Euro: Das ist Kreuzbergs wohl teuerstes Apartment | Berliner Zeitung
    https://www.berliner-zeitung.de/berlin/9-7-quadratmeter-fuer-149-000-euro-das-ist-kreuzbergs-wohl-teuerste

    9,7 Quadratmeter für 149.000 Euro - für diesen stolzen Preis wartet gerade Kreuzbergs wohl teuerstes Apartment auf einen Käufer. Auf der Plattform immonet.de wird das Mikrozimmer angeboten - und das nicht zum ersten Mal.

    Eigentlich klingt es wie der Traum eines jeden Wohnungssuchenden in Berlin: Eine ruhige Lage inmitten des beliebten Bergmannkiezes, hochwertiges Parkett, eine neue Einbauküche und ein modernes Bad. Wäre da nur nicht der Preis: Umgerechnet etwa 15.400 Euro pro Quadratmeter soll die Wohnung in der Riemannstraße 16 kosten. Hinzu kommen noch Maklerkosten in Höhe von 10.000 Euro - für einen Raum, der kleiner ist als viele Berliner WG-Zimmer.

    Früher war das Mikro-Apartment eine Besenkammer
    Bereits vor zwei Jahren, im Januar 2016, stand das Apartment zum Verkauf, damals für 99.000 Euro. „Das ist eine Luxuswohnung, sozusagen der Porsche unter den Wohnungen“, sagte der damalige Eigentümer, Immobilienmakler Jechiel Skurnik.

    Er wies Kritik an dem hohen Preis zurück. Ursprünglich habe er das Zimmer, das mal die Besenkammer eines Hausmeisters war, gekauft, um dort ein Archiv seiner Firma einzurichten. Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg habe dies als Zweckentfremdung abgelehnt und verlangt, dass das Zimmer einer Wohnnutzung zugeführt wird. „Das habe ich dann gemacht“, so Skurnik.

    Herausgekommen sei eine für Berlin noch ungewöhnliche Unterkunft, ein Mikro-Apartment. Für den hohen Mietpreis hatte der Eigentümer eine schlichte Erklärung: „Es gab keinen Strom, keine Heizung und kein Wasser, ich musste alles erst einbauen.“ Es sei doch egal, ob man zehn oder 50 Quadratmeter ausbaue, die Kosten müssten auf jeden Fall wieder reinkommen.

    Fußbodenheizung und Flachbild-TV
    Jetzt steht die Mini-Wohnung erneut zum Verkauf. „Die Einheit ist komplett neu eingerichtet und kann unmittelbar bezogen werden“, heißt es in dem Inserat. Den Eigentümer erwarten unter anderem ein Bad mit Fußbodenheizung, eine Couch mit Bettfunktion, ein 2,30-Meter-Schrank und ein „hochauflösender Flachbildschirm für TV und Internet“.

    Bei Belieben kann der neue Besitzer das Apartment sogar vergrößern: „Gern kann vom Käufer die Einheit um einen 6m² großen Balkon erweitert werden“, heißt es in der Anzeige.

    Das Interesse sei derzeit noch überschaubar, sagt Immobilienmakler Mario Hackenberg von Next Generation Service, der die Wohnung anbietet: „Bislang haben sich mehr Journalisten gemeldet als potenzielle Käufer.“

    Auch wenn das Angebot der Mini-Wohnung teuer scheint, es geht noch heftiger: Berlins wohl teuerstes Apartment wurde im Dezember 2014 für einen Quadratmeterpreis von 25.000 Euro angeboten. Allerdings liegt das Penthouse auch neben dem Berliner Ensemble in Mitte und ist 230 Quadratmeter groß.

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