• Wie alliierte Piloten Opfer der Lynchjustiz in Österreich wurden - Blog : Geschichte Österreichs - derStandard.at › Wissenschaft
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    Les pilotes alliés victimes de lynchage dans l’Autriche / Ostmark - un centre de recherche scientifique tente à éclairer le destion des pilotes abattus au dessur de l’Autrich en 1939 - 1949. J’aimerais voir un projet semblable pour les pilotes soviétiques qui ne sont pas rentrés de leurs missions au dessus de l’Allemagne.

    Die NS-Propaganda rief die Bevölkerung dazu auf, abgestürzte Piloten zu ermorden. Bis heute fehlt von hunderten Opfern jede Spur

    Nicole-Melanie Goll

    28. August 2019 - Im Oktober 1945, nur wenige Monate nach Ende des Zweiten Weltkriegs, führten Ermittler des War Crimes Investigating Team No. 3 der britischen Armee Untersuchungen zu potenziellen Kriegsverbrechen in Österreich durch. Sie stießen rasch auf Hinweise einer spezifischen Form von solchen: Mehrere Zeugenaussagen bestätigten die Ermordung eines alliierten Fliegerpiloten im April 1945 nahe Linz.

    Weiterführende Recherchen der Briten ergaben, dass es sich bei dem Opfer um einen Angehörigen der US Army Air Force (USAAF) handeln musste, weswegen der Fall an die in Linz tätige Abteilung des US Counter Intelligence Corps übergeben wurde. Von dort zog der Fall weitere Kreise bis an die War Crimes Branch des US-Kriegsministeriums, die einige Monate später die Ermittlungen aufnahm.

    An Laternenpfahl aufgehängt

    Die Suche nach Zeuginnen und Zeugen und Hinweisen begann, die schließlich zur Entdeckung der sterblichen Überreste des Opfers führte: Es handelte sich um den P-51-Piloten Walter P. Manning, der am 1. April 1945 nach einem Luftkampf mit seiner Maschine in der Nähe von Kematen an der Krems abgestürzt war. Manning, Angehöriger der rein afroamerikanischen „Tuskegee-Airmen“, war von Soldaten der örtlichen Nachrichtenabteilung und Angehörigen der Gendarmerie und der deutschen Luftwaffe gefangen genommen und schließlich an die Fliegerhorstkommandantur Hörsching bei Linz übergeben worden.

    Der US-Jagdflieger Walter Manning, ermordet am 3./4. April 1945 in Linz-Hörsching.


    Foto: Jerry Whiting

    B-24-Bomber in starkem Beschuss durch Flak über Wien im Jahr 1945.


    Foto: NARA

    Dort war er in der Nacht vom 3. auf den 4. April 1945 von Unbekannten aus seiner Gefängniszelle geholt, schwer misshandelt und, in einem Akt von Lynchjustiz, an einem Laternenpfahl aufgehängt worden. Wer dazu den Befehl gegeben hatte, konnte von den US-Ermittlern nicht festgestellt werden. Auch die Suche nach den Täterinnen und Tätern und Beweisen blieb letztendlich erfolglos, sodass der Fall zu den Akten gelegt wurde. Dass Manning afroamerikanischer Herkunft war, mag zur ausbleibenden Weiterverfolgung des Falles durch die US-Behörden beigetragen haben.
    Eigene Kriegsgefangenenlager der Luftwaffe

    Der „Fall Manning“ war kein Einzelfall: Der Luftraum über den damaligen Alpen- und Donau-Reichsgauen hatte sich zum Kriegsschauplatz entwickelt, auf dem allein die USA zwischen 1943 und 1945 weit über 500 Flugzeuge mit insgesamt mehr als 5.000 Besatzungsangehörigen verloren hatten.

    Gefangennahme von zwei Besatzungsmitgliedern eines US-Bombers nahe Schwechat am 12. April 1944.


    Foto: Markus Reisner

    Viele Piloten und Besatzungsmitglieder kamen beim Absturz ihrer durch Flaktreffer oder Bombenexplosionen beschädigten B-24- oder B-17-Maschinen ums Leben. Ein Großteil wurde am Boden gefangen genommen und zum nächstgelegenen Stützpunkt der deutschen Luftwaffe gebracht, die sie zuerst ins „Durchgangslager Luftwaffe“ ("Dulag Luft") in Frankfurt am Main überstellte. Von dort wurden die Besatzungsmitglieder, je nach Dienstgrad, in eigene Luftwaffen-Kriegsgefangenenlager im Deutschen Reich aufgeteilt.

    NS-Propaganda rief zu Lynchmorden auf

    Einigen wenigen gelang zwar, vereinzelt mithilfe der lokalen Bevölkerung, die Flucht. Eine nicht zu unterschätzende Anzahl der alliierten Flieger fiel aber, wie auch Manning, Verbrechen zum Opfer. Weil das NS-Regime ab 1943 den alliierten Luftangriffen militärisch nichts mehr entgegenzusetzen hatte, griff Reichspropagandaleiter Joseph Goebbels zu anderen Maßnahmen: Er ließ alliierte Flugzeugbesatzungen als „Terrorflieger“ oder „Luftgangster“ betiteln, um ab Juni 1944 schließlich zur sogenannten „Fliegerlynchjustiz“ aufzurufen. Die Bevölkerung wurde aufgefordert, „Rache“ an den abgestürzten Flugzeugbesatzungen zu nehmen. So waren alliierte Flugzeugbesatzungen besonders in der Phase zwischen Gefangennahme und Überstellung an die deutsche Luftwaffe in akuter Lebensgefahr.


    Dienstausweise von US-Fliegern, die über dem heutigen Österreich abstürzten. Die Maschine des Piloten Van Nortwick kam am 25. Februar 1944 bei Saalfelden zum Absturz. Die gesamte Crew überlebte den Krieg.

    Grab eines unbekannten Piloten.


    Foto: NARA

    Vielen widerfuhren in ihrer Kriegsgefangenschaft regelrechte Gewaltexzesse, die fast immer tödlich endeten und nach Kriegsende weitgehend in Vergessenheit gerieten beziehungsweise totgeschwiegen wurden. Alleine im heutigen Österreich fielen nachweislich weit über 100 US-Fliegerpiloten dieser Gewalt zum Opfer. Von 200 weiteren fehlt bis heute jede Spur. (Nicole-Melanie Goll, 28.8.2019)

    Nicole-Melanie Goll ist Historikerin und Mitarbeiterin am Haus der Geschichte Österreich (HdGÖ). Gefördert von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) sowie dem Zukunftsfonds der Republik Österreich erstellt sie mit Peter Andorfer (ÖAW), Martin Kirnbauer (ÖAW) und Georg Hoffmann (HdGÖ) die „Downed Allied Air Crew Database“. Diese dokumentiert die alliierten Flugzeugabstürze auf dem Gebiet des heutigen Österreich und erfasst erstmals das Schicksal von über 10.000 Besatzungsangehörigen.

    Link

    Downed Allied Air Crew Database
    https://daacda.acdh.oeaw.ac.at

    Literaturhinweis

    Georg Hoffmann: Fliegerlynchjustiz. Gewalt gegen abgeschossene alliierte Flugzeugbesatzungen 1943–1945. (Krieg in der Geschichte, Bd. 88). Ferdinand-Schöningh-Verlag, Paderborn 2015.

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  • Die Sybelstraße und der Drang nach Osten
    https://berlin.kauperts.de/Strassen/Sybelstrasse-10629-Berlin


    CC https://www.flickr.com/photos/steffenz
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    Die Sybelstraße ist purer Zeitgeist, und zwar der von 1904ff. Am 27. Juli dieses Jahres widmeten die Charlottenburger Stadtoberen eine Parallelstraße des Kurfürstendamms dem neun Jahre zuvor verstorbenen Historiker und Verfechter der kleindeutschen Lösung Heinrich von Sybel. Kleindeutsch, das hört sich so friedlich an wie ein Sonntagnachmittag bei Laubenpiepers. Heinrich von Sybel war jedoch kein friedlicher Nachbar, sondern ein Agitator für die Eroberung Osteuropas durch das Deutsche Reich. 1926 wurde ein Buch daraus mit dem Titel Volk ohne Raum , politisches Schlagwort und Aufforderung an die Jugend Deutschlands, sich die Welt untertan zu machen.

    Volk ohne Raum
    https://de.wikipedia.org/wiki/Volk_ohne_Raum

    Mit dem Schlagwort wurde suggeriert, dass Not, Elend, Hunger und Armut auf die Überbevölkerung Deutschlands zurückzuführen seien und man deswegen im „Kampf ums Dasein“ neues Land (oft Lebensraum oder Lebensraum im Osten genannt) erobern müsse. Eng verbunden damit war die Behauptung, die Erde sei aufgeteilt und es sei ungerecht, dass ein so großes Volk wie das deutsche so wenig Land besitze. Diese Behauptung ist auch impliziert im geflügelten Wort Platz an der Sonne (Bernhard von Bülow sagte in einer Reichstagsdebatte am 6. Dezember 1897 im Zusammenhang mit der deutschen Kolonialpolitik: „wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne.“).

    Was dann kam kennen wir, das Giftgemisch aus Judenhass und Großmachtträumen führte zur größten Katastrophe der Menscheitsgeschichte, zum Zweiten Weltkrieg mit über 65 Millionen Toten und zur industriellen Ermordung von sechs Millionen europäischer Juden.

    Sybel-Ficker-Streit
    https://de.wikipedia.org/wiki/Sybel-Ficker-Streit

    Bei Sybel wird über den nationalen Ansatz hinaus imperialistisches Denken deutlich, das im neuen Schlagwort vom „deutschen Drang nach Osten“ seinen Ausdruck fand und dessen wichtigste Ausprägung in der vom Heiligen Römischen Reich ausgehenden Ostsiedlung gesehen wurde. Auf diese bezog sich Sybel. Sie hatte aber nicht mit Heinrich I., sondern erst im 12. Jahrhundert ohne politische Zielvorgaben großflächig eingesetzt und zunächst über die Elbe, dann über die Oder hinausgeführt, so dass Preußen, Sachsen und Schlesien ihr Entstehen dieser Siedlungsbewegung in slawischem Gebiet verdanken. Bei der Gründung des „Alldeutschen Verbandes“ 1891 hieß es dann: „Der alte Drang nach dem Osten soll wiederbelebt werden.“
    ...
    Sybels Standpunkt in Preußen, „Deutschösterreich“ und in Hitlers „Mein Kampf“
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    ... die Position Sybels fand auch erhebliches Gehör in Deutschösterreich ... und prägte z. B. das Geschichtsbild ... von Adolf Hitler:

    „Wenn wir […] die politischen Erlebnisse unseres Volkes seit über tausend Jahren überprüfen, […] und das […] heute vor uns liegende Endresultat untersuchen, so werden wir gestehen müssen, dass aus diesem Blutmeer eigentlich nur drei Erscheinungen hervorgegangen sind, die wir als bleibende Früchte klar bestimmter außenpolitischer und überhaupt politischer Vorgänge ansprechen dürfen:

    die hauptsächlich von Bajuwaren betätigte Kolonisation der Ostmark,
    die Erwerbung und Durchdringung des Gebietes östlich der Elbe, und
    die von den Hohenzollern betätigte Organisation des brandenburgisch-preußischen Staates als Vorbild und Kristallisationskern eines neuen Reiches. […]
    Jene beiden ersten großen Erfolge unserer Außenpolitik sind die dauerhaftesten geblieben. […] Und es muss als wahrhaft verhängnisvoll angesehen werden, dass unsere deutsche Geschichtsschreibung diese beiden weitaus gewaltigsten und für die Nachwelt bedeutungsvollsten Leistungen nie richtig zu würdigen verstand. […] Wir schwärmen auch heute noch von einem Heroismus, der unserem Volke Millionen seiner edelsten Blutträger raubte, im Endergebnis jedoch vollkommen unfruchtbar blieb. […]

    Wir setzen dort an, wo man vor sechs Jahrhunderten endete. Wir stoppen den ewigen Germanenzug nach dem Süden und Westen Europas und weisen den Blick nach dem Osten.“

    Der Drang nach Osten , angelegt in Sybels Schriften, wurde ab 1939 umgesetzt in eine militärisch-politische Handlungsvorlage, den Generalplan Ost . Er führte alle verbrecherischen Ideen deutscher Ideologen aus den letzten einhundert Jahren zusammen und formulierte ihre Umsetzung mit den Mitteln moderner Verwaltung, Datenvearbeitungs- und Waffentechnik.

    Generalplan Ost - Das Konzept vom „Lebensraum im Osten“
    https://de.wikipedia.org/wiki/Generalplan_Ost#Das_Konzept_vom_.E2.80.9ELebensraum_im_Osten.E2.80.9C

    Das organisierte Chaos , so nannte der Volksmund die Zustände im Nazideutschland der Kriegszeit, bot den Rassefanatikern im Jahr 1942 endlich die Gelegenheit, die industrielle Ausrottung der Juden in Auftrag zu geben und zu beginnen.

    Wannseekonferenz
    https://de.wikipedia.org/wiki/Wannseekonferenz

    (Es ging darum) die Deportation der gesamten jüdischen Bevölkerung Europas zur Vernichtung in den Osten zu organisieren und die erforderliche Koordination sicherzustellen. Die Teilnehmer legten den zeitlichen Ablauf für die weiteren Massentötungen fest, grenzten die dafür vorgesehenen Opfergruppen genauer ein und einigten sich auf eine Zusammenarbeit unter der Leitung des Reichssicherheitshauptamts (RSHA), das Heydrich führte

    Egal wieviel Zeit seitdem vergangen ist, müssen wir fragen, ob wir heute wirklich eines Vordenkers des Drang nach Osten mit einer Straße in der Hauptstadt der Berliner Republik gedenken wollen.

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