• Ancien organe central des squatteurs de Berlin (1979 ff.) devenu figure de proue du néolibéralisme belliciste vert (2000 ad infinitum).

      Die Grünen und der Krieg | Overton Magazin
      https://overton-magazin.de/buchempfehlungen/die-gruenen-und-der-krieg


      Die TAZ n’est pas le journal du parti vert mais les positions du parti dominent sa ligne éditoriale.

      »Die Grünen entsandten 19 Jahre nach ihrer Gründung die deutsche Luftwaffe in einen Kriegseinsatz.«

      Die pazifistisch orientierten Mitglieder verloren in einem mehrjährigen innerparteilichen Prozess zusehends an Einfluss. »Ein Teil des pazifistischen Flügels sah in dieser Entscheidung einen Verrat an grünen Prinzipien und verließ die Partei.« Joschka Fischer und seine Unterstützer setzten sich auf breiter Front durch. Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen stimmte unmittelbar vor der Regierungsbeteiligung 1998 mehrheitlich einem Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der NATO im Kosovo zu – ohne Mandat der Vereinten Nationen: »(D)ie Grünen entsandten 19 Jahre nach ihrer Gründung die deutsche Luftwaffe in einen Kriegseinsatz.«

      Formal war die Zustimmung der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen nicht zwingend, politisch hingegen von großer Bedeutung. »Die Beteiligung einer Partei, die maßgeblich aus der deutschen Friedensbewegung hervorgegangen war, war mit großer Wahrscheinlichkeit geradezu entscheidend dafür, dass Deutschland zum ersten Mal nach 1945 bereit war, sich wieder aktiv an einem Krieg zu beteiligen.«

      Hausbesetzer Klaus-Jürgen Rattay - Vom Doppeldecker zu Tode geschleift
      https://www.spiegel.de/geschichte/hausbesetzer-klaus-juergen-rattay-in-west-berlin-1981-tod-unter-dem-bus-a-7c
      En 1980 Die Tageszeitung publiait les meilleures information sur le mouvement des squats berlinois. Les autres médias suivaient ou déformaient les infos. Aux yeux des reporters du TAZ la violence de l’état le situait du côté de l’ennemi. Aujourd’hui le journal a changé de camp et fait de la propagande pour la militarisation de l’Allemagne.

      #irrécupérable #presse #Allemagne #Berlin #Hausbesetzung #squat

  • Bruder von Rio Reiser: „Es hat Rio krank gemacht, dass wir die DDR überfallen“
    https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/berlin-kreuzberg-bruder-von-rio-reiser-es-hat-rio-krank-gemacht-das

    21.08.2022 Interview von Susanne Lenz

    Gert Möbius, geboren 1943, ist der mittlere Bruder von Peter und Ralph (Rio Reiser, 1950–1996). Nach einer Kaufmannslehre studierte er Malerei und arbeitete mit seinen Brüdern an Theaterproduktionen. Er managte die Band Ton Steine Scherben, arbeitete als Drehbuchautor für Film- und Fernsehproduktionen und war Mitbegründer des Berliner Tempodroms. Nach dem Tod seines Bruders Rio Reiser im Jahr 1996 baute er das Rio-Reiser-Archiv auf.
    An das Leben seines Bruders erinnert er sich in dem Buch „Halt dich an deiner Liebe fest. Rio Reiser“ (Aufbau Berlin 2017, 352 S., 14 Euro)

    Rio Reiser (1950–1996) war Mitbegründer und von 1970 bis 1985 Sänger und Haupttexter der Band Ton Steine Scherben. Zu seinen bekanntesten Liedern gehören „Macht kaputt, was euch kaputt macht“, „Keine Macht für Niemand“ und der „Rauch-Haus-Song“ mit Ton Steine Scherben sowie „König von Deutschland“, „Alles Lüge“ und „Junimond“ aus seiner Solozeit. Der Rauch-Haus-Song ist zur Hausbesetzer-und Kreuzberg-Hymne geworden. Das Georg-von-Rauch-Haus auf dem Kreuzberger Bethanien-Gelände, zu dessen Besetzung Rio Reiser 1971 bei einem Konzert in der Mensa der Berliner TU aufgerufen hatte, ist bis heute ein selbstverwaltetes Jugendzentrum.

    Gert Möbius und sein kleiner Bruder Rio Reiser wohnten in der Oranienstraße, rauchten gemeinsam den ersten Joint. Auch sein Outing hatte Rio Reiser bei ihm.

    Wir besuchen Gert Möbius in seinem Haus in Berlin-Zehlendorf, eine alte Villa mit Garten. Dass er mal in dieser ruhigen Wohngegend landen würde, habe er sich früher nicht vorstellen können, sagt er. Gerade arbeitet Gert Möbius an einer kleinen Ansprache, die er am 21. August halten wird. An diesem Tag wird bei einem Festakt ab 17 Uhr der Heinrichplatz in Berlin-Kreuzberg nach seinem kleinen Bruder benannt: Rio Reiser.

    Herr Möbius, wie sind Sie und Rio Reiser damals nach Berlin gekommen?

    Wir haben vorher in Frankfurt am Main gewohnt, haben dort Theater gemacht. Rio wusste nicht so richtig, was er machen sollte, in der Schule hatte er Probleme. Meine Mutter ist immer hingerannt, aber mit den Sprachen klappte es nicht. Das war schon im Melanchthon-Gymnasium in Nürnberg so, wir sind viel umgezogen. Musik hat er aber damals schon gemacht. Er hat dann in Nürnberg ein Krippenspiel geschrieben, das in der Schule aufgeführt wurde und ein Riesenerfolg wurde. Dann hat er auch bessere Noten bekommen. Weil mein Vater so ein begeisterter Fotograf war, hat Rio dann gesagt, er mache statt Schule eine Fotolehre. Unser ältester Bruder Peter ist nach Berlin gezogen und ich dann auch. Wir hatten eine schöne Wohnung über dem Literarischen Colloquium, und dann kamen wir auf die Idee, eine Beat-Oper zu machen. Rio sollte die Musik machen, deshalb haben wir ihn nach Berlin geholt, und wir haben dann auch zusammen gewohnt.

    Wo denn?

    Erst am Kaiserdamm, später in der Uhlandstraße. Und Rio hat dann die Lieder für „Robinson 2000“ geschrieben. Wir sind damit zum Theater des Westens gegangen, der Intendant hieß Karl-Heinz Stracke, der war aus dem Handwerker-Milieu, hat das ganze Theater tyrannisiert und auch selber gespielt. Rio hatte die Gitarre dabei und hat ihm ein paar Songs vorgespielt, die Stracke gefielen. Aber er wollte Stars haben. Zuerst haben wir selber rumtelefoniert, dann sind wir zum Arbeitsamt. Die haben dann überall rumtelefoniert. Sogar bei Ringo Starr haben die angerufen.

    Das Arbeitsamt?

    Ja. Und dann hat Eric Burdon gesagt, er macht es. Eine Woche später hat er wieder abgesagt, er musste nach San Francisco. Wir konnten dann die Sängerin Marion Maerz verpflichten. Und den Sohn von dem Tiefseetaucher Hans Hass, Hans Hass junior. Der konnte auch singen. Der Star dieser Beat-Oper war aber der der Engländer David Garrick. Von ihm stammt der Song „Dear Mrs. Applebee“.

    War das ein Erfolg?

    Ein Erfolg war das nicht. Der Regisseur hatte keine Lust. Außerdem hat er sich beim Proben in den Hauptdarsteller verliebt, aber der sich nicht in ihn. Er hat irgendwann einfach aufgehört, die Regie zu machen. Der komplizierte Handlungsablauf von Peters Libretto war auch nicht einfach zu inszenieren. Ich hab das ja selber nicht verstanden. Und dem Stracke war die Musik zu laut.

    Also, Rio Reiser kam für diese Beat-Oper nach Berlin und nicht, weil er hier keinen Wehrdienst machen musste, was ja damals für viele ein Motiv war?

    Das war auch ein Grund. Aber am wichtigsten war für ihn, dass es in Berlin eine andere Atmosphäre gab, dass man hier andere Leute kennenlernen konnte als in dem Kaff, in dem er damals lebte.

    Hat er vielleicht auch gehofft, in Berlin seine Sexualität besser ausleben zu können?

    Das war damals noch gar nicht so entwickelt. In Offenbach hatte er noch eine Freundin. Er wusste damals wohl noch gar nicht, dass er schwul ist. Er hat sich erst in Berlin bei mir geoutet.

    War er da selbstbewusst, auch wenn die Gesellschaft Homosexualität weit weniger akzeptierte als heute?

    Das war ja verboten. Es gab den Paragraphen 175 noch. Rio hat sich sehr gut mit den Lehrlingen angefreundet, mit denen wir damals Theater gemacht haben, da ist auch was gelaufen. Aber die haben sich nicht getraut, sich öffentlich zu zeigen. Das ging damals nicht. Das hätten auch die Jugendlichen nicht gewollt. Und unsere Eltern durften das schon gar nicht wissen.

    Wo in Kreuzberg haben Sie damals gewohnt?

    Erst in der Oranienstraße 45, dann in der 43, gegenüber von dem Lokal „Max und Moritz“.

    War die Oranienstraße damals schon so voller Kneipen wie heute?

    Kreuzberg war damals anders. Die Wohnungen waren nicht saniert, man lebte mit dem Klo auf halber Treppe. Kreuzberg sah genauso aus wie Ost-Berlin. Als wir da 1968 hingezogen sind, kamen die ersten Türken. Es wohnten da vor allem Familien mit Kindern. All die, die es nicht geschafft hatten, nach Gropiusstadt zu ziehen, wo sie hinsollten. Denn die wollten ja Kreuzberg abreißen und eine Autobahn bauen. Die wollten die ganze Kreuzberger Szene vernichten, die Jugendlichen und die Leute, die kein Geld hatten. Auch Rentner waren dabei. Das haben wir mit verhindert.

    Wie sah es in Ihrer Wohnung aus?

    In der Oranienstraße 43 wohnten wir in einem Fabrikgebäude im Hinterhaus. Wir hatten das als Gewerberaum gemietet, es kostete eine Mark pro Quadratmeter, und wir hatten hundert Quadratmeter. Da war gar nichts drin, auch keine Toilette. Ich habe dann erstmal einen Ölofen gekauft. Wir haben da auch geprobt. Das war ein großer Raum. Erst als wir später ans Tempelhofer Ufer gezogen sind, hatte Rio ein eigenes kleines Zimmer. Früher war man nicht so anspruchsvoll. Es gab auch keine Betten, wir hatten nur Matratzen. Der Freundeskreis in Kreuzberg wurde immer größer. Und es gab da Leute, die nicht zu Hause wohnen wollten, aber nichts hatten.

    Ging es so mit den Hausbesetzungen los?

    Ja. Ich habe dann mit meinem Freund Lothar Binger gegenüber vom alten Krankenhaus Bethanien ein Fabrikgebäude entdeckt. Da war keiner drin, und da haben wir überlegt, ob wir das nicht besetzen können. Damals gab es die Stadtteilarbeit in Kreuzberg, die haben Mieterberatung und so was gemacht, mit denen haben wir uns besprochen. Wir waren dann 20, 30 Leute, und dann spielten die Scherben in der Alten Mensa der TU. Und da hat Rio die Durchsage gemacht: Wir fahren jetzt alle zum Mariannenplatz. Wir waren 80 Leute, sind da rein, saßen bei Kerzenlicht, Strom gab es nicht. Plötzlich haben wir gemerkt: Wir können ja die ganze Nacht hier sitzen, aber besetzt ist es deswegen noch nicht. Da muss ja erst die Polizei kommen.

    Und die kam nicht?

    Erstmal nicht. Es gibt das Gerücht, dass jemand von der CDU, der spät vom Skatspielen nach Hause kam, das Licht da oben gesehen hat. Und dann kam die Polizei doch. Die wussten aber gar nichts mit uns anzufangen. Gut, die haben uns mitgenommen auf die Wache. Wir waren Lehrlinge und Studenten, es war nichts geklaut und nichts kaputt gemacht worden. Es war nichts passiert. Deshalb haben sie uns wieder laufen lassen. Wir haben den damaligen Jugend-Stadtrat von Kreuzberg angerufen, Erwin Beck, ein alter SPD-Genosse. Der hat uns das legalisiert. Wir haben Veranstaltungen gemacht, Musik, Filmvorführungen, alle möglichen Gruppen haben da was veranstaltet. Nur wohnen konnte man da nicht, aber unsere Jugendlichen wollten ja irgendwo wohnen.

    Wie ging es weiter?

    Wir haben überlegt: Gegenüber das Krankenhaus Bethanien, das steht doch auch leer. Mal sehen, was da so los ist. Aber es war Winter, und uns war klar, dass wir auf jeden Fall Heizung brauchen. Und dann haben wir beim Rumlaufen zufällig den Hausmeister getroffen. Wir haben ihm erzählt, was wir so planen, und er sagte, er sei früher bei der Roten Hilfe gewesen, in den 20er-Jahren. Dabei kam heraus, dass er wie ich halbblind ist. Er sagte: Ich mach euch auf und stell die Heizung an. Ihr könnt kommen. Das war 1971.

    Unglaublich!

    Ich bin mit Lothar Binger dahin gefahren und habe die Zäune aufgeschnitten. Und dann haben die Scherben wieder an der TU gespielt und Rio sagte: So Freunde, jetzt fahren wir nach Kreuzberg und gucken, was es da zu sehen gibt. Ein paar Tage vorher war Georg von Rauch erschossen worden, der in der Studentenbewegung aktiv war. Deshalb haben wir mehr Leute zusammenbekommen als beim ersten Mal. Und wir hatten auch gleich angekündigt, dass wir das Haus Georg-von-Rauch-Haus nennen. Wir waren dann über 100 Leute, aber es kam auch viel Polizei.

    Daher die Zeile in dem Rauch-Haus-Song: „Der Mariannenplatz war blau, so viel Bullen waren da“.

    Klar. Wir sind aber trotzdem rein und wussten nicht so richtig, wie wir uns verhalten sollen. Mich hat dann noch so ein Polizeihund ins Bein gebissen. Wir haben sofort den Beck angerufen, er kam auch und hat der Polizei gesagt, sie sollen nach Hause gehen, er würde es regeln. 74 Leute sind am Ende da wohnen geblieben.

    Was für Leute waren das?

    Ganz verschiedene. Es waren die Jugendlichen von unserer Theatergruppe, aber es waren auch viele, die ich gar nicht kannte. Leute, die bei dem Scherben-Konzert gewesen waren, aber auch Leute, die mit Rauschgift zu tun hatten. Es waren 74 Leute, die ganz verschiedene Interessen hatten. Das wurde dann auch für uns zum Problem.

    Rio Reiser und Sie haben da nicht gewohnt?

    Nein, aber ich hab das Geld aufgetrieben und für alle gekocht. Ich bin später vom Senat als Kontaktperson zwischen dem Haus und dem Senat angestellt worden, zusammen mit Irene Mössinger, die später das Tempodrom gegründet hat. Ein paar Lehrlinge waren die einzigen, die gemerkt haben, dass da Ordnung reinkommen muss. Das hieß für die: Arbeiten gehen, in die Schule gehen. Andere haben gesagt: Nee, wir wollen Revolution machen. Aber wir wollten, dass das Haus sich selber erhalten kann, und wenn man arbeitet, kriegt man Geld und als Schüler und Student auch. Da bildete sich eine Lehrlingsschicht heraus, Leute aus dem Proletariat, die realistischer drauf waren, die dann später auch beim KBW waren, dem Kommunistischen Bund Westdeutschland. Das passte den Leuten von unserer Theatergruppe „Roten Steine“ nicht, die sind dann fast alle zu uns ans T-Ufer gezogen. Die wollten nicht mehr in dem reaktionären Rauch-Haus wohnen.

    Mit wem hat sich Rio Reiser denn besser verstanden, mit den Lehrlingen oder mit den Studenten?

    Nur mit den Lehrlingen. Mit Studenten wollte er gar nichts zu tun haben, das war nicht seine Welt. Die haben ihm zu viel theoretisiert.

    Was hat ihn inspiriert?

    Er war ein sehr engagierter Christ, hat jeden Tag die Bibel gelesen. Die kannte er fast auswendig. Und er war Karl-May-Fan. Er hatte alle Bände.

    Was hat ihn an Karl May fasziniert?

    Der Gerechtigkeitssinn. Man kann jemanden in den Fuß schießen, aber nicht ins Herz. Dass er Christ ist, hat er aber nicht jedem auf die Nase gebunden. Die Scherben konnten damit nichts anfangen. Lanrue kam aus Frankreich und war katholisch. Und Kai Sichtermann kam aus Norddeutschland, der Vater war Bankdirektor. Die haben sich für sein Christentum nicht interessiert.

    Und für die linke Studentenbewegung war Religion Opium fürs Volk.

    Opium des Volkes. Das ist ein Unterschied. Aber das Christentum war Rios Welt, auch an seinen Texten merkt man seine humanistische Grundhaltung. Das kam von unseren Eltern, die waren im Dritten Reich keine Nazis, sondern Mitglieder der Bekennenden Kirche. Wie Niemöller und Bonhoeffer. Mein Vater war kein Soldat, er hat sich versteckt, als er einberufen werden sollte. Später ist er in die CDU eingetreten, aber das war eine andere CDU damals. Später ist er wieder ausgetreten.

    Und Rio Reiser ist nach der Wende in die PDS eingetreten, oder?

    Es hat ihn total krank gemacht, dass wir die DDR überfallen.

    Überfallen?

    Er hat sich darüber aufgeregt, dass wir Westler die DDR vereinnahmen wollen. Er sagte immer: Die haben mich nicht gefragt, ob ich die Wiedervereinigung in der Form will. Der ist richtig krank geworden und hat sich an Gysi gewandt, die kannten sich bereits. Und dann hat ihm Gysi am 11.11.1990 das Parteibuch überreicht.

    Wie war Ihr Verhältnis? Rio Reiser war ja Ihr kleiner Bruder, war das so ein Beschützerverhältnis?

    Wir waren immer zusammen, haben uns immer geholfen. Wir waren die besten Freunde. Als er gestorben ist, habe ich das gar nicht fassen können. Ich habe oft Angst um ihn gehabt, aber mehr in der Zeit in Kreuzberg. Er ging oft mit Leuten weg, die Trips genommen haben. Ich habe nichts gegen Trips, habe selber auch welche genommen und auch Shit geraucht. Rio und ich haben auch zusammen den ersten Joint geraucht und danach haben wir gesagt: Nie wieder Bier.

    Weil das einfach so viel besser war?

    Ja! Wir haben Musik ganz anders gehört, anders gesehen. Für mich war das ganz wichtig. Und auch das Menschenbild hat sich für mich verändert, zum Positiven hin. Dass man auch hinter die Fassade gucken kann. Aber man wusste nicht, wo die Schwelle überschritten wird und man auch andere Sachen nimmt. Einige Freunde von ihm sind an Heroin gestorben. Er hat sich Gott sei Dank da rausgehalten. Aber ich konnte manchmal nachts gar nicht schlafen. Als ob er mein Sohn wäre.

    Würde es ihn freuen, dass nun ein Platz in Kreuzberg nach ihm benannt wird?

    Klar, warum nicht. Ich finde es ganz gut, dass mal ein Platz nach jemand anderem benannt wird als nach Nazis und Generälen. Dass mal jemand anderes drankommt als die, die immer schon dran waren. Für Rio ist das im Nachhinein ein Geschenk.

    #Berlin #Kreuzberg #Oranienstraße #Mariannenplatz #Heinrichplatz #Rio-Reiser-Platz #Straßenumbenennung #Rauch-Haus-Lied #TSS #Geschichte
    #Hausbesetzung

  • Linke Hausprojekte in Berlin : Geräumte Träume
    https://taz.de/Linke-Hausprojekte-in-Berlin/!5894992

    26.11.2022 von Marie Frank, Erik Peter - Ausgerechnet unter einer rot-rot-grünen Regierung wurden zahlreiche linke Projekte geräumt. Welche Zukunft haben Freiräume in der Stadt?

    Aus berlin, 26.11.2022, 16:46 Uhr

    Die Fenster und die Tür zur einstigen Neuköllner Kiezkneipe Syndikat sind verbarrikadiert. Seit mehr als zwei Jahren, seit der durch viel Protest begleiteten polizeilichen Räumung im August 2020, hat sich hier nichts getan. Außer für die Nach­ba­r*in­nen oben drüber im Haus. Die beschweren sich inzwischen häufiger über den Gestank, der aus den vor sich hin schimmelnden ehemaligen Kneipenräumen aufsteigt, weiß der einstige Betreiber und Wirt Christian, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will, zu berichten.

    Im November 2019, als sich schon abzeichnete, dass für Berlins alternative Infrastruktur schwierige Zeiten anbrechen würden, trat die Initiative „Kein Haus weniger“ auf den Plan. 200 Projekte und ehemals besetzte Häuser und mehr als 100 Prominente überwiegend aus dem Kulturbereich schlossen sich zusammen, um sich dem Ausverkauf der Stadt entgegenzustellen. Sie schrieben: Ohne seine alternativen Haus- und Kulturprojekte wäre Berlin „sozial, politisch und kulturell um vieles ärmer“.

    Doch es nützte alles nichts. Das Syndikat machte im darauffolgenden Sommer nur den Anfang. Ihm folgten die Räumungen des queerfeministischen Hausprojekts Liebig34 in Friedrichshain im Oktober 2020, der Kreuzberger Kneipe Meuterei im März und des Köpi-Wagenplatzes in Mitte im Oktober vergangenen Jahres. Unmittelbar davor musste auch der selbstverwaltete Jugendclub Potse seine angestammten Räume in Schöneberg verlassen.

    wochentaz

    Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

    „Rein rechtlich mögen die Räumungen vollkommen korrekt sein, aber an sich stimmt irgendwas am System nicht“, sagt Christian heute im Rückblick. Immerhin waren das Syndikat und die Meuterei mehr als nur Kneipen, in denen das Bier trotz gentrifizierter Innenstadtlage noch bezahlbar war. Es waren für die Nachbarschaft auch wichtige Orte für Vernetzung, Austausch, politische Organisierung und soziales Miteinander.
    Ein Mann steht vor einem Haus mit verammeltem Fenster

    Ausgeräumt: Christian vor der nun leer stehenden Kiezkneipe Syndikat Foto: André Wunstorf

    Gemein ist allen Räumungen, dass sie für private Eigentümer durchgeführt wurden – und auf großen Protest stießen. Jeweils mehr als 2.000 Po­li­zis­t*in­nen wurden bei den Räumungen der langjährigen linken Symbolprojekte eingesetzt – entstandene Kosten für die Steu­er­zah­le­r*in­nen jeweils im siebenstelligen Bereich.
    Der neue Leerstand

    Obwohl inzwischen doch reichlich Zeit vergangenen ist, steht heute nicht nur das Syndikat leer, sondern auch die Meuterei und der ehemalige Wagenplatz auf dem Gelände des autonomen Wohn- und Kulturprojekts Köpi. 20 Jahre lang lebten hier mitten in Berlin rund 40 Menschen in kleinen Bauwagen ihren Traum vom alternativen Leben jenseits von bürgerlichen Konventionen. Als kleines Dorf mit vielen verschiedenen Kulturen und Sprachen, in dem sich alle gegenseitig helfen und voneinander lernen, bezeichnen die Be­woh­ne­r*in­nen ihr einstiges Zuhause.

    Eine von ihnen ist Mollie. Fünf Jahre lang hat die junge Frau auf dem Köpi-Wagenplatz gewohnt – bis dieser geräumt wurde. „Wir waren wie eine große internationale Familie“, sagt sie der taz. Mit dem Leben in einer normalen Wohnung könne man das nicht vergleichen. „Du hattest deinen eigenen Raum und hast gleichzeitig in einer großen Community gelebt, die sich gegenseitig hilft, Konzerte organisiert und sich in unterschiedlichen Kollektiven organisiert.“ Freiräume wie der Wagenplatz bedeuten für sie vor allem eins: eine andere Art zu Leben, kollektiv, selbstverwaltet und solidarisch.

    Dass dieser Raum nun verloren ist, ist für sie ein schwerer Verlust. „Am schlimmsten ist für mich, dass unsere Familie getrennt wurde“, sagt Mollie. Zwar haben viele Wagenplätze den ehemaligen Be­woh­ne­r*in­nen einen Platz angeboten, auch Mollie ist in einem untergekommen. Allerdings hat kaum einer der rund 20 Berliner Wagenplätze eine langfristige, vertraglich gesicherte Bleibeperspektive.

    Vom Köpi-Wagenplatz ist nur eine große Baugrube geblieben, verborgen hinter einem mit Stacheldraht gesicherten Bauzaun. Der Security-Mitarbeiter, der je­de*n misstrauisch beäugt, der*­die sich dem Gelände nähert, bewacht hier jedoch kein Bauprojekt, sondern eine Brache. Bagger oder andere Baustellenwerkzeuge sind nicht zu sehen.

    Bezirk und Eigentümer sind sich uneins darüber, ob die Baugenehmigung noch gültig ist. Die Bauaufsicht sieht diese jedenfalls seit Ende November 2021 wegen des „nicht erfolgten realen Baubeginns“ als erloschen an – also seit nur sechs Wochen nach der Räumung. Der Besitzer, die Sanus AG, hinter der der umstrittene Immobilieninvestor Siegfried Nehls steht, will das Gelände laut taz-Informationen verkaufen. Die Sanus AG dementiert das.
    Spekulieren auf Wertsteigerung

    Sollte ein Verkauf gelingen, würde sich Nehls sein Immobilienpoker vergolden lassen – schließlich dürfte sich der Grundstückswert wesentlich gesteigert haben, seit die widerständigen Be­woh­ne­r*in­nen weg sind. Die hatten schon vor der Räumung spekulativen Leerstand prophezeit. „Wir haben das erwartet, aber es ist trotzdem enttäuschend. So eine Verschwendung“, sagt Mollie über das brachliegende Gelände, das einst ihr Zuhause war.

    Einige Kilometer entfernt befindet sich die Friedrichshainer Liebigstraße. 30 Jahre lang bot hier das feministische Hausprojekt Liebig34 einen sicheren Rückzugsort für Frauen*. Zwar steht das Gebäude im Gegensatz zu den anderen geräumten Projekten nicht leer, dafür verfällt es seit zwei Jahren zusehends. Die Zustände im Haus gelten als katastrophal: kaputte Rohre, nicht funktionierende Heizungen, Müllberge im Hinterhof, überteuerte Mietverträge. Mittlerweile hat sich wegen der Mängel auch die Bau- und Wohnungsaufsicht eingeschaltet, wie eine Sprecherin des Bezirksamts auf taz-Anfrage mitteilte.
    Eine Frau mit umgehängtem Protestplakat

    Gegen den Ausverkauf: bei einer Demo für den Erhalt von linken Projekten im März 2021 Foto: Stefan Boness/Ipon

    Wie auch in vielen anderen seiner rund 50 Immobilien in Friedrichshain soll der Besitzer, der umstrittene Immobilienunternehmer Gijora Padovicz, auch hier die Not von geflüchteten Menschen auf dem angespannten Wohnungsmarkt der Hauptstadt systematisch ausnutzen. Das System ist dabei weder neu noch beispiellos: Für heruntergekommene Wohnungen wird der Höchstbetrag verlangt, den das Jobcenter oder Landesamt für Flüchtlinge übernimmt. Für die Vermittlung sollen zudem teils vierstellige Summen fließen. Die Be­woh­ne­r*in­nen des benachbarten linksradikalen Hausprojekts Rigaer94 vermuten, dass Padovicz auf diese Weise noch ordentlich Profit aus dem Gebäude schlagen will, bevor er es in teure Eigentums- oder Luxusmietwohnungen umwandelt. Für sie ist die Räumung der Liebig34 – ebenso wie die Angriffe auf das eigene Hausprojekt – der Versuch, den Widerstand gegen Gentrifizierung im Kiez zu brechen.

    Was die Eigentümer mit den umkämpften Objekten vorhatten, spielte für die Unterstützung des Staates bei der Vollstreckung der Räumungstitel keine Rolle. Dass jedoch in den vergangenen zwei Jahren ausgerechnet unter einer rot-rot-grünen Landesregierung zahlreiche linke Projekte zerstört wurden, um die Profitinteressen privater Im­mo­bi­li­en­be­sit­ze­r*in­nen durchzusetzen, gilt in der außerparlamentarischen Linken als schwerer Verrat. Insbesondere Ver­tre­te­r*in­nen der Linkspartei zeigten sich zwar solidarisch, betonten jedoch immer wieder ihre Machtlosigkeit angesichts der gerichtlich angeordneten Räumungstitel.
    Häuser dem Markt entziehen

    Moritz Heusinger ist seit vielen Jahrzehnten Anwalt für linke Projekte, auch die Liebig34 gehörte zu seinen Klient*innen. „Bei Häusern in Privatbesitz hat das Land nicht so große Einflussmöglichkeiten“, sagt er zur taz. Machtlos sei es allerdings nicht. „Der Staat kann zum einen als Kaufinteressent auftreten und so die Häuser dem Markt entziehen.“ Auch könne das Land Anreize für Eigentümer setzen, um diese zu Zugeständnissen zu bewegen. Dies war etwa in den 90er Jahren der Fall, als an Runden Tischen die Legalisierung von rund 100 besetzten Häusern verhandelt wurde.

    Berliner Häuserkampf

    Besetzte Häuser gehören in Berlin seit den 70er Jahren zum Stadtbild dazu. Während sich in Westberlin Be­woh­ne­r*in­nen mit Besetzungen gegen den systematischen Abriss von Altbauten wehrten und An­ar­chist*in­nen, Künst­le­r*in­nen und Hippies alternative Lebensformen erprobten, war in Ostberlin die Praxis des „Schwarzwohnens“ zwar weniger sichtbar, aber durchaus verbreitet: Allein in Prenzlauer Berg gab es vor der Wende Hunderte besetzte Wohnungen.

    1980/81 kam es in Westberlin zu einer großen Besetzungswelle. Innerhalb weniger Monate wurden rund 160 Häuser besetzt. Die In­stand­be­set­ze­r*in­nen erfuhren dabei viel Unterstützung in der Bevölkerung. Der Senat reagierte mit Repression: Bis 1984 wurde fast die Hälfte der Häuser gewaltsam von der Polizei geräumt. Die Be­woh­ne­r*in­nen leisteten militanten Widerstand und es kam zu regelrechten Straßenschlachten.

    Zu einer weiteren großen Besetzungswelle kam es dann 1990 nach der Wende, bei der rund 120 Häuser besetzt wurden. Das durch den Zusammenbruch der DDR entstandene machtpolitische Vakuum bot im Osten der Stadt gute Voraussetzungen, sich leer stehende Räume anzueignen. In Mitte, Friedrichshain und Prenzlauer Berg entstanden zahlreiche Haus- und Kulturprojekte. Einen Wendepunkt markierte die Räumung von zwölf besetzten Häusern in der Mainzer Straße im November 1990, die zu einer Straßenschlacht mit zahlreichen Verletzten eskalierte.

    In beiden Besetzungswellen gab es immer wieder Bemühungen, die Häuser zu legalisieren. In den 80er Jahren wurden die Verhandlungen durch die immer wieder stattfindenden Räumungen zwar erschwert, dennoch konnten bis 1984 rund 100 Häuser durch Miet- oder Kaufverträge „vertragsbefriedet“ werden. In den 90er Jahren war die Bewegung stark in verhandlungsbereite Be­set­ze­r*in­nen und Nicht­ver­hand­le­r*in­nen gespalten. Nach der Räumung der Mainzer Straße orientierte sich dann die Mehrheit an Verhandlungslösungen. An runden Tischen konnten rund zwei Drittel der Häuser Nutzungsvereinbarungen abschließen.

    Seit den 90ern kommt es nur noch vereinzelt zu Besetzungen. Das änderte sich zwischenzeitlich im Zuge der Mie­te­r*in­nen­pro­tes­te, die Wohnungen wurden jedoch schnell geräumt.

    Heusinger konnte damals für viele Projekte dauerhafte Miet- und Pachtverträge zu günstigen Konditionen rausholen. Eines dieser Projekte ist die ehemals besetzte Brunnenstraße 6/7 in Mitte. Nachdem Ende der 90er Jahre ein Immobilienunternehmer den Gebäudekomplex übernahm und die rund 100 Be­woh­ne­r*in­nen rausklagen wollte, konnten an einem runden Tisch mit Senat und Bezirk Mietverträge verhandelt werden. Dies war laut Heusinger auch deshalb möglich, weil der Senat als Anreiz die Sanierung des Hauses finanziell unterstützte. Auch im nahe gelegenen Kultur- und Wohnprojekt Schokoladen konnte 2012 noch vor dem Räumungstermin eine Einigung erzielt werden, indem der Senat dem Eigentümer im Tausch ein anderes Grundstück in der Straße vermachte. Beide Hausprojekte gibt es nach wie vor und haben eine langfristige Perspektive.

    Das Hauptproblem sieht Heusinger darin, dass das Land Berlin jahrelang zu Schleuderpreisen Grundstücke verkauft hat – die es heute für ein Vielfaches des Verkaufspreises zurückzukaufen versucht. Die Bereitstellung von Ersatzgrundstücken sei dadurch zwar schwieriger geworden, es bleibe jedoch der Hebel des Bauplanungsrechts. „Man könnte sagen, du verkaufst mir das Grundstück, dafür bekommst du woanders eine Bauerlaubnis“, so der Rechtsanwalt.

    Auch das Hausprojekt Liebig34 befand sich auf einem der verscherbelten Grundstücke. Als es dann vom neuen Eigentümer rausgeschmissen wurde, habe sich der Senat weggeduckt, kritisiert Heusinger. „Im Fall der Liebig34 wurde politisch nichts unternommen, um es zu retten.“ Beim Köpi-Wagenplatz war das anders: Die städtische Wohnungsbaugesellschaft Howoge verhandelte bis zum Schluss intensiv mit dem Eigentümer, um das Areal zu erwerben. Als dann jedoch die Räumung anstand, hatte der Eigentümer kein Interesse mehr an einer Einigung.

    Statt an sozialen Maßstäben orientiert sich Stadtpolitik heute vor allem an privatrechtlichen und ökonomischen Kriterien. „Stadtpolitik wird von Eigentümern definiert“, meint der Stadtsoziologe Andrej Holm

    Auch hier sieht Heusinger politischen Handlungsspielraum: „Man muss die polizeiliche Unterstützung für Gerichtsvollzieher nicht so schnell gewähren, sondern kann die Räumung hinauszögern.“ Und so Verhandlungen in letzter Minute ermöglichen. Dazu fehle in der SPD-geführten Innenverwaltung jedoch der politische Wille. „Der Wind hat sich für politische Projekte verschärft“, beobachtet der erfahrene Anwalt. Nicht nur würden in Berlin immer mehr langjährige Projekte verschwinden, auch Neubesetzungen würden gnadenlos geräumt. Tatsächlich wurden in den vergangenen Jahren so gut wie alle Besetzungen gemäß der Berliner Linie – Hausbesetzungen innerhalb von 24 Stunden räumen zu lassen – innerhalb kürzester Zeit von der Polizei beendet.

    Der Stadtsoziologe Andrej Holm sieht in der Räumung der zahlreichen Projekte ein „über die Jahre aufgebautes Versagen“. In den 90er Jahren habe man vereinbart, dass Hausprojekte und andere alternative Freiräume zu Berlin dazu gehören und ihre Legalisierung auf den Weg gebracht. Über die Jahre habe sich der Senat dann aus seiner Verantwortung zurückgezogen und es versäumt, ihre Existenz zu sichern. Heute fühle sich die Landesregierung nicht mehr an die Vereinbarung gebunden und verstecke sich hinter Gerichtsurteilen, kritisiert Holm, der 2016/17 selbst kurzzeitig Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen der rot-rot-grünen Berliner Landesregierung war.

    Mittlerweile sind die Spielräume für linke Freiräume und nachbarschaftliche Begegnung angesichts des steigenden Preisdrucks immer enger geworden. Dabei seien diese für die Gesellschaft wichtig, sagt Holm. „Es sind Möglichkeiten zur Selbstverwaltung und Selbstgestaltung alternativer Lebensstile jenseits des Konformitätsdrucks.“ Daran sollte auch die Berliner Landesregierung ein Interesse haben. „Die Stadt muss für alle da sein und allen Entfaltungsmöglichkeiten bieten.“ Der Kiezcharakter, der die Hauptstadt vielerorts noch ausmacht und durch eine Mischung an vielfältigen Lebensstilen geprägt ist, gehe verloren, wenn einem Teil dieser Vielfalt die Räume genommen werden.

    Statt an sozialen Maßstäben orientiert sich Stadtpolitik heute vor allem an privatrechtlichen und ökonomischen Kriterien. „Stadtpolitik wird von Eigentümern definiert“, meint Holm. Die Konsequenz sei eine Einschränkung von Entfaltungsmöglichkeiten: „Ökonomische Rationalität kann soziale und kulturelle Vielfalt niemals abbilden“, so Holm. Der Druck durch immobilienwirtschaftliche Profitinteressen werde in Berlin und anderen Städten in absehbarer Zeit jedoch nicht abnehmen – im Gegenteil. Durch die steigenden Zinsen seien Eigentümer noch stärker als bisher gezwungen, ihre Gewinne aus den Immobilien selbst zu erzielen, also durch Mieterhöhungen. Dadurch könnten weitere unkommerzielle Projekte verdrängt werden.

    Gleichzeitig werde der Wunsch nach subkulturellen Freiräumen nicht verschwinden, meint der Stadtsoziologe. Holm glaubt daher, dass es immer wieder neue Initiativen geben wird, die sich leer stehende Räume aneignen – die es in Berlin nach wie vor gibt. Ein Beispiel dafür ist die Habersaathstraße 40-48: In dem jahrelang leerstehenden Gebäudekomplex wurde nach Besetzung ein Hausprojekt für rund 50 Obdachlose geschaffen, das nach Verhandlungen zwischen Bezirk und Eigentümern seit einem Jahr geduldet wird.

    Was also kann Berlin tun, um solche Projekte zu schützen und die Stadt nicht privaten Immobilienunternehmen zu überlassen? Zuallererst brauche es einen „Artenschutz für bestehende Projekte“, sagt Holm. Und eine Politik, die die Entstehung neuer Freiräume als wichtigen Impuls für die Stadtpolitik begreift und diese unterstützt – statt sie als Störung zu begreifen.

    #Berlin #Köpenicker_Straße #Mitte #Hausbesetzung #Stadtentwicklumg #Miete #Kultur #Wohnen #Immobilien #Kapitalismus

  • Umbenennung des Mariannenplatzes in Kreuzberg: Kurt Wansner gegen Rio Reiser - Berlin - Tagesspiegel Mobil
    https://www.tagesspiegel.de/berlin/umbenennung-des-mariannenplatzes-in-kreuzberg-kurt-wansner-gegen-rio-reiser/23655358.html

    19.11.2018, 22:16 Uhr Robert Kiesel

    Der CDU-Politiker kritisiert die Pläne für Umbenennung des nördlichen Mariannenplatzes und warnt davor, „dass der Bezirk nicht zur Beute linksradikaler Kreise“ werde.

    Die Debatte um eine mögliche Umbenennung des nördlichen Mariannenplatzes in Rio-Reiser-Platz geht in die nächste Runde: Jetzt meldet sich das Kreuzberger CDU-Urgestein Kurt Wansner zu Wort und kritisiert den von der Linken initiierten Vorschlag. „Das ist Gentrifizierung der Tradition meines Bezirks“, wettert der 71-Jährige im Gespräch mit dem Tagesspiegel und übernimmt dabei – gewollt oder nicht – einen Kampfbegriff des politischen Gegners.

    Man müsse aufpassen, „dass der Bezirk nicht zur Beute linksradikaler Kreise“ werde, warnt Wansner angesichts der möglichen Umbenennung des „schönsten Platzes in Kreuzberg“ und attackiert zugleich die vielen „Zugezogenen“ in seinem Bezirk, die diesen inzwischen zu sehr dominieren würden. „Der Mariannenplatz ist für meinen Bezirk sehr wichtig“, schließt Wansner, der seit 1995 ununterbrochen Mitglied des Abgeordnetenhauses ist und viele Jahre Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes war.

    Martin Richter, als Bürgerdeputierter der Linken-Fraktion im Bezirk auch Mitglied des für Straßenumbenennungen zuständigen Kulturausschusses, ist von Wansners Kritik nicht überrascht. Richter war es, der die Idee einer teilweisen Umbenennung des Mariannenplatzes in Rio-Reiser-Platz vor mehr als einem Jahr aufgeworfen hatte. Ein Jahr später fasste die BVV einen Entschluss, in dem eine Umbenennung zumindest „in Betracht gezogen“ wird. Die bezirksinterne Vorgabe, bei Umbenennungen zunächst nur noch Frauen zu würdigen, konnte mit Reisers Homosexualität umgangen werden.

    CDU und Rio Reiser hatten schon in den 70ern ein angespanntes Verhältnis
    Aktuell läuft im Bezirk eine Anwohnerbefragung zur Frage der angemessenen Ehrung von Rio Reiser. Sie ist nicht bindend und soll lediglich ein Stimmungsbild einholen, versichert Martin Richter. Neben den Plänen zur Umbenennung eines Teils des Mariannenplatzes gab es auch Überlegungen, ersatzweise den Heinrichplatz zum Rio-Reiser-Platz zu machen.

    Tatsächlich gibt es einige Anknüpfungspunkte zwischen dem Mariannenplatz und dem künstlerischen Schaffen des „Ton Steine Scherben“-Sängers: Der bis heute zum Standardrepertoire der linken Hausbesetzerszene gehörende „Rauch-Haus-Song“ thematisiert die Besetzung des ehemaligen Bethanien-Krankenhauses am Mariannenplatz am 8. Dezember 1971, dessen Schwesternwohnheim die Besetzer „Georg-von-Rauch-Haus“ nannten. Ob der 1996 verstorbene Reiser den Song tatsächlich während der Besetzung schrieb, ist nicht sicher belegt.

    Klar ist, und da schließt sich der Kreis zu Kurt Wansner: Reiser und die CDU hatten bereits in den 70er Jahren ein mindestens angespanntes Verhältnis zueinander. Im „Rauch-Haus-Song“ sang Reiser: „Der Senator war stinksauer, die CDU war schwer empört, dass die Typen sich jetzt nehmen, was ihnen sowieso gehört.“

    #Berlin #Kreuzberg #Mariannenplatz #Gechichte #Hausbesetzungen #Politik #Musik

  • Kreuzberg 1981

    Hier irrt die Berliner Zeitung: Diese Polizisten machen Spelukanten den Weg frei und zwar am Fraenkelufer in Kreuzberg. Die Zeitung beschert uns in der Bildbeschreibung eine neue Straße namens Franklinufer. Wer nachschaut findet die Franklinstraße in Charlottenburg, aber auf das Franklinufer müssen wir immer noch warten.
    Fazit: Dem Volontär war mal wieder nichts zu schwer, aber hier hat er sich dann doch verhoben an der anspruchsvollen Aufgabe, Bildunterzeilen abzuschreiben.

    #Berlin #Kreuzberg #Fraenkelufer #1981 #Hausbesetzung #Instandbesetzung #Fotografie

  • Liebigstraße 14 - als wir mal Häuserbesetzen ausprobierten
    https://www.openstreetmap.org/node/2824977924

    Liebigstraße 14 (Berlin) – Wikipedia
    https://de.wikipedia.org/wiki/Liebigstra%C3%9Fe_14_(Berlin)

    Im Haus an der Liebigstraße 14 im sogenannten Nordkiez des Berliner Ortsteils Friedrichshain befand sich ein aus einer illegalen Hausbesetzung entstandenes Wohnprojekt, dessen Räumung im Februar 2011 von gewalttätigen Ausschreitungen und öffentlicher Aufmerksamkeit begleitet wurde.

    Liebigstraße 14: Die Eigentümer bleiben im Hintergrund - Berlin - Tagesspiegel
    https://www.tagesspiegel.de/berlin/liebigstrasse-14-die-eigentuemer-bleiben-im-hintergrund/3788882.html

    31.01.2011, 22:50 Uhr

    Der Streit währt viele Jahre, doch die Eigentümer, die eine Räumung verlangen, kennt kaum jemand. TORSTEN HAMPEL

    Das Eckhaus Liebigstraße 14 – sowie das angrenzende Haus Rigaer Straße 96 – gehören seit 1999 der Lila GbR, einer Firma, die sich wiederum im Besitz zweier Männer befindet: dem Ingenieur Suitbert Beulker und dem Familientherapeuten Edwin Thöne. Beide wollen sich zur anstehenden Räumung nicht äußern.

    Überhaupt einen Kontakt zu Beulker herzustellen, dem in der Rigaer Straße weitere benachbarte Häuser gehören und dessen Eintrag beim Einwohnermeldeamt mit einem Sperrvermerk versehen ist, vermochte selbst das im jahrelangen Streit um die Häuser vermittelnde Bezirksamt oft nur über den Mitgesellschafter Thöne. Thöne ist Geschäftsführer beim Kinderschutzbund im nordrhein-westfälischen Unna. Am Telefon sagt er, dass er den eskalierten Streit um das Haus Liebigstraße 14 nicht durch eigene Äußerungen befeuern wolle und verweist darauf, dass er damit seit einigen Jahren auch nicht mehr befasst sei. Er habe die entsprechenden Befugnisse längst an Beulker abgetreten. In einer von ihm im Januar 2007 geschriebenen Vollmacht steht: „Hiermit bevollmächtige ich, Edwin Thöne, als Miteigentümer des Hausgrundstückes Liebigstr. 14, Rigaer Str. 96, 10247 Berlin, Herrn Dr. Suitbert Beulker, mich in allen mietrechtlichen Angelegenheiten in vollem Umfang … zu vertreten.“ Seit langem versuche er überdies, aus den Lila-GbR-Gesellschafterverträgen herauszukommen. Dies sei nicht einfach. Auch deswegen sei sein Verhältnis zu Beulker, wie man sich denken könne, nicht so gut, wie es einmal gewesen sei.

    Beulker wird von Beteiligten der mittlerweile ein Jahrzehnt andauernden Konflikte um die meisten seiner Friedrichshainer Häuser als Mensch beschrieben, der sich im Lauf der Auseinandersetzungen gewandelt habe. Mietrechtsanwälte und Mieterberater berichten, Beulker sei kurz nach dem Kauf der Häuser ein Hausbesitzer gewesen, wie man ihn sich als Mieter nur wünschen könne. Bei anstehenden Reparaturen sei er persönlich erschienen, habe Schäden begutachtet, defekte Warmwasserboiler gegen funktionierende getauscht. Bewohner schilderten ihn als „guten König“. Bis ihm eines Tages der Zugang zu seinen Häusern von den Mietern verwehrt worden war. Auch an den sich Anfang des zurückliegenden Jahrzehnts anschließenden Vermittlungsgesprächen im Abgeordnetenhaus hat Beulker noch teilgenommen, nicht aber an der abschließenden Sitzung. Nach den folgenden Besuchen in der Liebigstraße und Rigaer Straße fand Beulker die Reifen seines Autos zerstochen vor.

    Räumung Liebigstraße 14 in Berlin: Das Ende der Besetzung - taz.de
    http://www.taz.de/!5127477

    2.500 Polizisten räumten das von Alternativen verbarrikadierte Haus innerhalb von vier Stunden. Die Bilanz bis zum Abend: über dreißig Festnahmen und acht verletzte Polizisten.

    BERLIN taz | Franz Schulz ist ein Bürgermeister, der meist ernst dreinblickt. Am Mittwoch aber scheint sein Blick noch etwas ernster. Der Grünen-Politiker und Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg steht vor dem Haus Liebigstraße 14, die schwarze Wollmütze tief im Gesicht, Hände in den Manteltaschen. Ein schwerer Verlust sei das, was hier passiere, sagt der 62-Jährige. „Die Angst ist da, dass jetzt ein Dominoeffekt eintritt.“ Ein Effekt, der die alternative Wohnstruktur im Bezirk wegbrechen lässt. Nicht nur in diesem Bezirk.

    Seit sieben Uhr früh steht Schulz in der kleinen Kopfsteinpflasterstraße im Alternativ-Bezirk Friedrichshain. Die vielen Polizisten, die neben dem Bürgermeister patrouillieren, sind noch etwas früher angekommen. Ab 4 Uhr haben sie den Kiez abgeriegelt und die Dächer um das orangefarben angestrichene Haus mit den vielen Antifa-Postern und Graffitis besetzt. Um 8 Uhr rückte der Gerichtsvollzieher an. Er wird heute dieses Wohnprojekt beenden: Das Haus Liebigstraße 14 wurde 1990 besetzt und zwei Jahre später legalisiert. Nun wird es geräumt.

    Jahrelang hatten sich die 25 Bewohner dagegen vor Gericht gewehrt, an runden Tischen um Lösungen gerungen. Vergebens. Die Eigentümer waren zu keinen Gesprächen bereit, der Senat regte sich nicht, ein Alternativhaus zu finden. Im November 2009 wurde den zumeist jungen Bewohnern, darunter Italiener, Spanier und Engländer, gekündigt. Anfang Januar 2011 erreichte sie der Räumungsbescheid.

    Szene mobilisiert seit Wochen

    Seit Wochen mobilisierte die autonome Szene - mit Erfolg: Hunderte, vielleicht Tausende, auch aus anderen Städten und Nachbarländern, kommen am Mittwoch, um gegen die Räumung zu protestieren. Und um noch einmal den eigentlich seit Jahren erledigten Widerstand der Berliner Hausbesetzerszene aufleben zu lassen.

    Schon in den frühen Morgenstunden muss die Polizei Sympathisanten vorm Haus vertreiben. Zuvor hatten bis in die Nacht die Bewohner ihr Haus noch verbarrikadiert, die Fenster vernagelt, die Balkone vergittert. Als sich die Polizei ins Haus hämmert, steht sie vor einem großen Sperrmüllhaufen, Wasser läuft die Stufen hinab - das Treppenhaus ist blockiert.

    Mehr als vier Stunden brauchen die Beamten, um am Mittag über einen Mauerdurchbruch im Dach bis in die dritte Etage vorzudringen. Sechs junge Männer und drei Frauen, die letzten Bewohner, haben sich hier eingeschlossen. Sie wehren sich mit Feuerlöschern, dann werden sie abgeführt.

    Unterdessen ziehen Schwarzgekleidete in Kleingruppen durch die Nachbarschaft und zetteln „dezentrale Aktionen“ an. Mülltonnen werden umgeworfen, Kreuzungen blockiert, Straßenbahnen gestoppt, Steine fliegen in eine Bank, Farbbeutel an Fassaden. So schnell sich die Akteure zusammenfinden, so schnell stieben sie wieder auseinander.

    Insgesamt 32 Festnahmen, unter anderem wegen Landfriedensbruchs und Körperverletzung, und acht verletzte Beamte meldet die Polizei bis zum frühen Abend. Ein Polizist musste im Krankenhaus behandelt werden. Bei einer Spontandemonstration auf der Frankfurter Allee mit rund 500 Teilnehmern wurden Flaschen und Steine in Richtung von Polizeibeamten geworfen, sagte ein Polizeisprecher. Die Polizei habe zeitweise rund 1.000 Demonstranten beobachtet.

    Doch es sind nicht wie einst die großen Straßenschlachten, die diese Räumung begleiten, es sind kurze, beständige Unruhestiftungen, dazu kommt die Verbarrikadierung des Hauses. Mehr war nicht drin. Und doch ist es mehr, als viele Politiker der Hausbewegung noch zugetraut hätten.

    Über 200 besetzte Häuser

    Mehr als 200 Häuser waren nach 1990 in Berlin besetzt. Erfolgreiche Neubesetzungen hat es seit Jahren nicht gegeben. In der Innenstadt schwinde der Platz für Freiräume, hatten die Liebig-Bewohner immer wieder öffentlich kritisiert. Sie sind mit dieser Einschätzung nicht allein. Längst ist Gentrifizierung für viele Berliner kein Fremdwort mehr. Die Forderung nach sozialverträglichen Mieten, so versprechen fast alle Parteien, werde ein Hauptthema vor und nach der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im Herbst.

    Den einst besetzten Alternativhäusern aber zeigt die Politik die kalte Schulter. Für die Liebig 14 gibt es am Mittwoch keine Solidaritätsnote der rot-roten Regierung. Auch die an die Macht strebende Landesspitze der Grünen fordert die Bewohner auf, „friedlich das Haus zu verlassen“.

    In Friedrichshain-Kreuzberg sieht man das anders. Außer Bezirksbürgermeister Schulz fährt von den Grünen/Bündnis 90 auch Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele mit dem Fahrrad vor. Aus vielen einst besetzten Häusern sei heute „etwas Vorzeigbares“ geworden, sagt Ströbele. „Deshalb ist es absurd, dass die Liebig nicht weitermachen durfte. Wir verlieren immer mehr alternative Flecken.“

    Ein Autonomer mit schwarzer Kapuze drückt das später kaum anders aus: Immer mehr linke Freiräume gingen heute verloren. Eigens aus Leipzig sei er mit vier Bekannten angereist, erzählt der 30-Jährige, um „Widerstand zu leisten“. Weil die Liebig 14 kein Einzelfall sei.

    Auch in der Nachbarschaft regt sich offen Unmut. „Eine Niederlage für alle“ sei der heutige Tag, sagt ein junges Pärchen. Mit Brötchenbeutel stehen sie vor der Polizeikette. „Ich könnte heulen, wenn ich diese Bilder sehe“, sagt die Frau. Es sei ein Armutszeugnis, dass es dem Senat nicht gelungen sei, die Eigentümer an den Tisch zu holen, um zu verhandeln. Auch beim Bäcker nebenan ist man betrübt. „Die Linken waren immer nett und freundlich“, sagt die Verkäuferin. Sie würden ihr fehlen.

    Doch nicht alle sehen das so. Ein 70-Jähriger beugt sich in einer Nebenstraße aus dem Fenster. „Wird Zeit, dass diese Dreckecke aufgeräumt wird“, grummelt er. Später parkt er sicherheitshalber seinen Skoda um. Auch die Kitas haben vorsorglich geschlossen. Zumindest äußerlich steht die Nachbarschaft hinter den Alternativen. „Solidarität mit Liebig 14“, flattern Banner an den Balkonen. Und die Bäckersfrau schmeißt Polizisten aus dem Laden.

    Noch ein paar Tage Ärger

    2.500 Polizisten waren im Einsatz. Heftige Ausschreitungen erwartet die Polizei jedoch erst für den Abend. Dann, wenn sich die vielen in einer „Wut“-Demonstration zusammenfinden sollen. Eine Demonstration am Samstag hat so krawallig geendet wie seit Jahren nicht mehr. Steine verletzten 40 Polizisten.

    Noch ein paar Tage lang dürfte es nachts Ärger geben. Farbbeutelwürfe auf Senatsgebäude, Polizeidirektionen oder Immobilienbüros. Wie schon in den Tagen zuvor. Danach dürfte wieder Ruhe einkehren, auch in Friedrichshain. Etwas weiter nördlich dominieren bereits rote Townhouses mit grünen Gärten. Dem aktuellen Berliner Sozialbericht nach gibt es hier die geringste Arbeitslosigkeit der Stadt.

    Bürgermeister Schulz findet das nicht schlecht. Doch es müsse auch Platz für Alternatives geben, sagt der studierte Physiker. Bis zum Nachmittag bleibt er und stellt sich als Vermittler zur Verfügung, „falls sich doch noch ein Ersatzhaus findet“. Immerhin hätten viele am Mittwoch ihren Unmut gezeigt, sagt Schulz. „Ich hatte schon befürchtet, dass kaum einer kommt.“

    Ein Jahr danach: Liebig 14 - Die Nachbarn aus dem schwarzen Block - Seite 0 - Berlin - Tagesspiegel
    https://www.tagesspiegel.de/berlin/ein-jahr-danach-liebig-14-die-nachbarn-aus-dem-schwarzen-block/6134488.html

    01.02.2012, 15:41 Uhr RALF SCHÖNBALL

    Unmittelbar nach der Räumung des linken Wohnprojekts Liebig 14 im Februar 2011 kam es in Friedrichshain zu schweren Krawallen.FOTO: DPA
    Diese Adresse ist aus Berlins Straßenkarte verschwunden – die Liebigstraße 14 gibt es nicht mehr. Kein Eingang. Kein Klingelschild. Kein Briefkasten. Die Haustür des Altbaus ist mit Planken zugenagelt. Aber die Rechnung des Grundbesitzers ging nicht auf. Das vor einem Jahr geräumte linksalternative Wohnprojekt ist auch heute kein gewöhnliches Mietshaus. „Liebig 14 bleibt – haut ab“ hat jemand mit schwarzer Farbe an die Fassade im Erdgeschoss gesprüht. Protestplakate, Aufrufe zu Demonstrationen und „Erklärungen“ sind mit Tapetenkleister an Wände und Eingang geklebt. Wer in dem sanierten Altbau wohnt, muss mutig sein.

    Denn durch die Räumung hat die Liebig 14 an Symbolkraft für die linksalternative Szene sogar gewonnen. Auf den Internetseiten rufen Aktivisten zu einer „Zombieparade“ auf: Die „von der Gentrifizierung und in die Höhe schnellenden Mieten verjagten Untoten“ versammeln sich am kommenden Sonnabend auf dem Bersarinplatz. Am Jahrestag der Räumung, dem 2. Februar, kommt es zu einer „Mahnwache“ vor der umkämpften „Liebig 14“ selbst. Die Polizei ist nach den Ausschreitungen vom vergangenen Wochenende alarmiert. Die Proteste der linken Szene zeigen: Sie will nicht hinnehmen, dass der Markt alternative Wohn-, Club- und Kulturstätten zerstört. Und dass sie auch sehr nachtragend sein kann.

    Die Schlacht um ihr Wohnprojekt hat sie vor einem Jahr verloren. Gegen 2500 Polizisten, die mit Wasserwerfern, Hubschraubern und Räumfahrzeugen angerückt waren. Bis in die frühen Morgenstunden hatten sich die Krawalle hingezogen und waren auf verschiedene Quartiere in Friedrichshain übergesprungen. Die Bilanz: 61 verletzte Polizeibeamte, 82 Festnahmen, 22 der Festgesetzten wurden dem Haftrichter vorgeführt.

    Die Liebig 14 ist heute saniert und neue Bewohner sind eingezogen. Aber sie teilen sich den Hauseingang mit den Nachbarn aus der Rigaer Straße 96. Der gemeinsame Flur führt über den Hof zur Rückseite des einst besetzten Hauses. „Hau ab“ hat jemand in einen leeren Blechkasten neben der Haustür gesprüht. Das blieb übrig von dem neuen Klingelschild der Liebig 14. Auch die Briefkästen der neuen Mieter haben Unbekannte aufgerissen und demoliert. An der weiß getünchten Fassade des Innenhofs ziehen sich die Spuren von roten und schwarzen Farbbeuteln herunter, die vom Dach an die Hauswand geschleudert wurden. Dreimal rückte die Polizei in den letzten Monaten an, zweimal wegen „Sachbeschädigungen“, einmal wegen „Störung des öffentlichen Friedens“, heißt es.

    Das neue Klingelschild ist neben dem Hofausgang montiert. Namen stehen hier nicht, auch nicht an den Wohnungstüren. Aufgemalte Blümchen dienen stattdessen als Erkennungszeichen im Vierten, die Buchstaben „tT“ im Dritten. Auch die sieben Briefkästen, die notdürftig an eine Holzplanke im Hausflur des früheren Wohnprojektes geschraubt sind, hätten die Mieter wohl am liebsten unbeschriftet gelassen. Aber wer will schon auf Postsendungen vollständig verzichten?

    Die frühere Eingangstür zur Liebigstraße ist auch von innen zugenagelt, Holzbohlen wurden rechts und links sowie oben und unten an den Rahmen genagelt. Ein Kleiderschrank steht davor. Weil man ihn notfalls zum Schutz gegen die verriegelte Haustür schieben kann? Fremden begegnen die Neuen misstrauisch, nur einer öffnet überhaupt die Tür. Und der will seinen Namen auch nicht nennen: Nein, sagt der Endzwanziger, der im Türrahmen steht, über seine Geburtsstadt wolle er auch nichts in der Zeitung lesen. „Die haben ein großes Netzwerk“, sagt er. Trotzdem denke er nicht an Wegzug. Es sei ja ruhiger geworden. Ja doch, auch bei ihm sei mal eine Scheibe gesplittert. „Aber die kümmern sich“, sagt er und meint den Vermieter. Der spendierte einem Pärchen im Haus sogar einen Platz in der Tiefgarage, nachdem es von einem Brandanschlag auf einen Opel Corsa aufgeschreckt worden war. Der alte Mercedes eines Mieters wurde auch verwüstet: Scheiben eingeschlagen, Reifen zerstochen, und auf dem Blechkleid hinterließen die Anhänger des Netzwerks den Schlachtruf, der hier überall prangt: „Liebig 14 bleibt, hau ab“. Der Mercedes-Besitzer gab auf. Aber nicht alle ziehen weg. Andere sagen, man dürfe die Straße nicht „denen“ überlassen. Auch wenn sie vom Dach aus Wasser ins Haus fließen lassen. Oder mit der Zwille Murmeln in die Scheiben schießen.

    Der Brandanschlag spaltet die Szene. In einer „Erklärung“, die an der Hauswand klebt, ist zu lesen: „Wir finden es immer super, wenn irgendetwas von Beulkers ,Eigentum’ kaputtgeht.“ Beulkers ist der Hauseigentümer. Doch das Feuer hätte „ehemalige Nachbarn“ gefährden können. „Genau dieses Restrisiko halten wir politisch wie menschlich für fatal.“ Andere wie die „AntiYuppieFront“ rufen weiter zur Gewalt auf. „Steine, Metallkugeln, Brandsätze, Plakate, Postwurfsendungen, Mieter, Innenversammlungen und vieles mehr, der Kampf gegen die Gentrification ist im vollem Gange (...) hier Einzuziehen zahlt keine Versicherung.“ Wer daran denke, die Polizei zu rufen, solle besser „schnell den Wohnort wechseln“.

    Von der immer wieder aufflackernden Gewalt distanziert sich der Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz (Grüne), deutlich. Aber er sagt auch: „Es ist sehr bedauerlich, dass alle Versuche, sich zu einigen, an den hohen Mauern des Hauseigentümers gescheitert sind und die Situation eskaliert ist.“ Schulz setzte sich persönlich für das linksalternative Wohnprojekt ein, tat sogar eine Stiftung auf, die das Haus kaufen wollte. Denn für Schulz hat sich dieses „Lebensmodell nicht überholt“: Der Anspruch nach Selbstbestimmung, der Versuch, bürgerlichen Normen etwas entgegenzusetzen, seien „unheimlich wichtig“. Deshalb „müssen Orte bleiben, wo sich junge Leute ausprobieren können“.

    Der 63-jährige Kommunalpolitiker sieht einen großen Veränderungsdruck am Werk, erklärt das mit „Strukturproblematik des Wohnungsmarktes“, redet von der dort herrschenden „sozialpolitisch paradoxen Situation“. Schulz war der erste Politiker, der sich an den runden Tisch mit Initiativen setzte, die gegen steigende Mieten protestieren, setzte sich eineinhalb Jahre Wut, Frust und Angst der Betroffenen aus. Das erträgt wohl nur, wer sich in die Lage anderer versetzen kann, weil er selbst Existenzangst kennt. Schulz, gelernter Physiker und dritter Sohn eines Malerverputzers, holte sein Abitur am Abendgymnasium nach und sparte sich das spätere Studium vom kargen Lohn als Fotolithograf ab.

    Mit wenig Geld müssen auch viele Wähler in seinem Bezirk auskommen. Und „bei der Neuvermietung von Wohnungen gibt es gewaltige Sprünge“, sagt Schulz. Die Zusammensetzung der Bevölkerung verändere sich. In Kreuzberg am Chamissoplatz, in der Bergmannstraße-Nord und im Graefekiez sei die Gentrifizierung statistisch an den überdurchschnittlichen Einkommen abzulesen. Nicht aber im Zentrum der Hausbesetzerbewegung der achtziger Jahre – SO36 und Wrangelkiez. Aber auch da steigen die Mieten.

    Schuld daran ist ausgerechnet eine Lebensform, die Hausbesetzer erfanden: die Wohngemeinschaft. Studenten-WG’s zahlen Mieten, „die sich Familien oder Haushalte nicht leisten können“. Denn jedes WG-Mitglied trägt bei zur Mietzahlung – und nicht nur ein Elternteil für eine ganze Familie. So treiben sie die Gentrifizierung voran, bis sie selbst Opfer dieser Entwicklung werden. Wenn sie nach dem Abschluss des Studiums keinen Platz auf dem schwierigen Arbeitsmarkt finden oder eine Familie gründen – und die Mieten im Kiez nicht zahlen können.

    Dem Schokoladen in der Ackerstraße, dem Tacheles an der Oranienburger, auch ihnen droht die Räumung in diesem Jahr. Die Liebig 14 wird als ein Schritt zur Auslöschung sozialer und städtebaulicher Freiräume für alternative Lebensentwürfe angesehen und hat Symbolkraft in linken Netzwerken wegen der kommenden Räumungen. Dass die Lage eskalieren könnte, erklärt der Stadtsoziologe Andrej Holm so: „Mit der Liebigstraße wurde der Befriedungsvertrag aufgekündigt, der bei vielen besetzten Häusern Anfang der neunziger Jahre abgeschlossen wurde.“ Politiker und linke Szene hatten die Lehre aus den Schlachten in der Mainzer Straße gezogen, aus zwei Tagen Gewalt, nahe am Bürgerkrieg. Doch nun werden die damals abgeschlossenen Mietverträge angegriffen. Und mit jeder Räumung werde die an den Häuserwänden „sichtbare Subkultur“ aus der Innenstadt verdrängt und damit „der Traum von der Mischung aus Leben, Arbeit und Wohnen“ an einem Ort, sagt Holm. Viele dieser Orte gibt es nicht mehr: den „Umsonstladen“ in der Kastanienallee, Knaack-Club, Klub der Republik und Icon. Andere sind bedroht: das Tuntenhaus oder das Tacheles.

    Der Konflikt gewinnt auch deshalb an Schärfe, weil das Recht nicht immer auf der Seite der Hauseigentümer lag – den Besetzern das aber trotzdem nicht half. Das zeigte sich vor kurzem bei den Prozessen gegen acht Personen, die bei der Räumung der Liebig 14 im Haus angetroffen wurden. „Hausfriedensbruch“ wurde ihnen vorgeworfen. Zu Unrecht. Der Eigentümer hatte einzelne Bewohner auf Räumung verklagt, aber nicht den rechtmäßigen Mieter: einen Verein. Bekannt war das bereits ein Monat vor der Räumung, weil der Anwalt des Vereins gegen diese Rechtsschutz beantragt hatte. Den Zwangsvollstrecker konnte das nicht stoppen. „Die Räumung war illegal“, behaupten Aktivisten deshalb im Internet.

    Vielleicht wäre es aber nur eine Frage der Zeit gewesen, bis auch gegen den Verein ein Räumungstitel vorgelegen hätte. Stadtsoziologe Holm meint, dass viele Verträge, die nach der großen Welle von Hausbesetzungen Anfang der neunziger Jahre an Runden Tischen vereinbart wurden, der Befriedung dienten und nicht bis ins Detail das Mietrecht beachtet haben.

    Allerdings haben auch frühere Besetzer den Spielraum des liberalen Rechtssystems entdeckt und nutzen ihn als Kampfzone. Deshalb zieht sich die Räumung des Tacheles hin. „Im Grunde genommen wird der Staat an der Nase herumgeführt“, sagt Zwangsverwalter Holger Schwemer. Ständig würden neue Künstler auftreten und Ansprüche auf Teile des Areals stellen. Gegen jeden von ihnen muss Schwemer dann einen eigenen Räumungstitel beantragen. Auch die Besetzer haben dazugelernt.

    Vier Stunden brauchte die Polizei, um ins Innere des Hauses zu gelangen und die Liebig 14 zu räumen. Die Besetzer hatten Türen von innen mit Holzplanken vernagelt und Öfen und Mobiliar davor geschoben. Die Beamten drangen über den Dachboden des Nachbarhauses ein und mussten Vorschlaghammer und Bolzenschneider einsetzen, um das Treppenhaus der Liebig 14 zu erreichen. Neun Menschen wurden im Haus angetroffen und festgenommen. Das Amtsgericht sprach sie später frei vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs.

    Räumung Liebigstraße 14: Zombies vs. Yuppies | Berliner Zeitung
    https://www.berliner-zeitung.de/berlin/raeumung-liebigstrasse-14-zombies-vs--yuppies-5819952

    04.02.13,
    Es war ein bizarres Bild: Auf der Rigaer Straße in Friedrichshain warfen junge Menschen in Anzügen und Pelzjacken mit Spielgeld um sich und prosteten einander mit Sekt zu. Dazu riefen sie „Hoch mit der Miete, mehr Rendite!“ und „No justice, no peace, wir kaufen euren Kiez!“ Die „Yuppies“, wie sich die auffallend gut Gekleideten selbst bezeichneten, waren am Sonnabendabend Teil einer Demonstration durch den Samariterkiez.

    Anlass der Aktion war die Räumung des Hausprojektes Liebigstraße 14 vor zwei Jahren. Etwa 500 Menschen beteiligten sich an der Demo. Neben den „Yuppies“ waren dazu auch zahlreiche „Zombies“ gekommen – Untote mit weiß geschminkten Gesichtern. Man wolle zeigen, dass alle noch da sind und dass nichts von damals vergessen ist, hieß es.

    Linkes Hausprojekt

    Die Liebigstraße 14 galt über Jahre als sogenanntes linkes Hausprojekt. 1990 war der Altbau besetzt worden, 1992 erhielten die Besetzer Mietverträge. 1999 wurde das Haus verkauft, der neue Eigentümer kündigte die Verträge und klagte alle Bewohner raus. Bei der Räumung am 2. Februar 2011 waren 2500 Polizisten im Einsatz. Es gab etliche Verletzte, 82 Festnahmen und Schäden in Millionenhöhe. Bei einer Demonstration vor einem Jahr war es erneut zu Tumulten und Straßenschlachten gekommen.

    Entsprechend gut vorbereitet präsentierte sich die Polizei am Sonnabend. 400 Beamte waren im Einsatz. Das Haus Liebigstraße 14, das inzwischen die Adresse Rigaer Straße 96 trägt, war weiträumig abgesperrt und durch Polizisten gesichert. Objektschutz erhielten auch mehrere umliegende Häuser. Entlang der Rigaer und der Liebigstraße galten Halteverbote, die Beamten kontrollierten Taschen und Rucksäcken von jungen Passanten.

    Krawalle blieben diesmal aus, die Demonstration und weitere Aktionen wie ein „demonstratives Weihnachtsbaumverbrennen“ in der Wagenburg Convoi an der Rigaer Straße verliefen friedlich. Die Demonstranten wollten diesmal offensichtlich keine „Rache“, sondern hatten ein ernsthaftes Anliegen, wie Peter Müller, einer der Organisatoren, sagte: „Wir wollen zeigen, dass in dieser Stadt etwas schief läuft, wenn sich immer weniger Menschen ihre Wohnungen leisten können.“

    Kritik an „Goldgräberstimmung“

    Wohnen müsse dauerhaft bezahlbar bleiben, und dafür müssten die Bewohner sorgen, sagte er. Von der Politik sei keine Hilfe zu erwarten. Allein im Samariterviertel, so teilten die Veranstalter mit, seien die Mieten im vorigen Jahr um fast 30 Prozent gestiegen. Die „Goldgräberstimmung“ halte an. Allein an der Rigaer Straße würden an zwei Stellen Luxuswohnungen gebaut, so wie auch an der Dolziger Straße. „Sozial Schwache und Arme sind in der Innenstadt nicht mehr gewollt“, sagte ein Demonstrant.

    Deshalb auch der Auftritt der „Yuppies“, die als „Friedrichshainer Patriotische Demokraten“ (FPD) ein gelbes Banner mit der blauen Aufschrift „Mehr Rendite mit der Miete!“ trugen. Etliche Passanten verstanden die Satire. Von Balkonen schallte Applaus, und eine junge Frau mit Kinderwagen sagte, die Miete ihrer Wohnung an der Dolziger Straße sei im letzten Jahr zweimal erhöht worden. "Dagegen muss was getan werden.“

    Die Demonstration endete an einem bedrohten Hausprojekt an der Köpenicker Straße in Mitte.

    Der Stadtsoziologe Andrej Holm über „Liebig 14“ - tip berlin
    https://www.tip-berlin.de/der-stadtsoziologe-andrej-holm-uber-liebig-14

    Nach der von einem Polizeigroßaufgebot durchgesetzten Räumung des linken Projektes: Der Stadtsoziologe Andrej Holm über die Krawalle, Kiezkonservatismus-Vorwürfe und neue Wohnungsmarktkonflikte.

    tip: Herr Holm, warum ist die Räumung der Liebigstraße 14 in der linken Szene so ein Kampfsymbol geworden?
    Andrej Holm: Weil es um eine Räumung geht. Und weil genau das eine Gefahr ist, der sich auch andere Hausprojekte ausgesetzt sehen. Im Prinzip wird da eine Abmachung, die knapp 20 Jahre alt ist, in Frage gestellt: die Legalisierung in Form der Verträge zwischen Ex-Be­setzern und den damals kommunalen Wohnungsbaugesellschaften.

    tip: In Ihrem „Gentrification Blog“ wies ein Kommentator darauf hin, dass die Szene es seit Jahren nicht schaffe, ihre Anliegen über den Unterstützerkreis hinaus öffentlich zu vermitteln.

    Holm: Das ist bei subkulturellen alternativen Szenen oder Protestkulturen kein Wunder. Die Distinktion zum Mainstream und ein starker Selbstbezug sind doch die prägenden Merkmale einer jeden Szene. Die Liebig 14 ist dabei eher ein Sonderfall. Begleitend zu den jahrelangen Gerichtsverfahren gegen die Kündigung wurde bereits im Vorfeld versucht, Öffentlichkeit herzustellen: über Internet, Demos, auch Gespräche mit der Presse. Damit ist es der Liebigstraße partiell gelungen, ein originär szenespezifisches Problem in eine breitere Diskussion zu bringen.

    tip: Nach der Räumung wurden von linken Gruppen bei Banken, dem Liegenschaftsfonds, der O2-World oder Kaufhäusern die Schaufenster demoliert. Motiviert das etwa die breite Öffentlichkeit?
    Holm: Solche Reaktionen sind sicher nicht geeignet, eine breitere gesellschaftliche Verankerung zu bewirken. Wie man auf den einschlägigen Blogs lesen konnte, ging es aber darum auch gar nicht. Das Kalkül war relativ simpel: Wenn Räumung, dann großer Sachschaden und hohe Kosten. Solche Wenn-Dann-Sanktionen sollen die Hemmschwelle für Räumungen hochsetzen und sind ein seit den 70er-Jahren bekanntes und teilweise auch erfolgreiches Ritual in der Geschichte der Berliner Hausbesetzerbewegungen.

    tip: Im Gegensatz dazu scheint die Strahlwirkung der Liebig 14 auf den umliegenden Kiez aber sehr begrenzt gewesen zu sein.
    Holm: Unstrittig ist, dass es in Friedrichshain und Kreuzberg ein großes Spektrum an Angeboten und Einrichtungen der Alternativkultur gibt. Die Liebig 14 war da vielleicht nicht das leuchtende Schiff. Aber darum geht es ja bei der Räumung auch nicht. Sie reiht sich ein in eine längere Geschichte von Auseinandersetzungen um die 1990 entstandenen Projekte: wie beim Tacheles oder beim Schokoladen. Es geht hier, wie oft, um die ökonomisch motivierte Verdrängung bestehender Nutzungen.

    tip: Angeblich haben die Liebig-14-Bewohner ein Ersatzangebot für ein Haus in Weißensee abgelehnt. Haben sie da die Chance auf eine Wirkungsstätte in einem neuen Aufwertungs-Hot-Spot verpasst?
    Holm: Aus Friedrichshainer Perspektive ist das vielleicht ein bisschen zu weit weg. Die Leute aus der Liebigstraße verpassen dort auch nichts. Was wir in Weißensee beobachten, ist eher ein Wanderungsstrom von jungen Familien aus den Aufwertungsgebieten in Prenzlauer Berg. Ein Beispiel ist das Komponistenviertel. Dort gibt es die erste Konzentration von Baugruppen außerhalb des S-Bahn-Rings. Die Aufwertung dort ist also gar nicht auf eine klassische Pionierphase mit Clubs, studentischen Cafйs und Lesebühnen angewiesen. Die Liebigstraße 14 verstand sich als Teil eines spezifischen Alternativmilieus in Friedrichshain-Kreuzberg. Ein Umzug nach Weißensee hätte die weitgehende Entkopplung von ihren lokalen und sozialen Bezugspunkten bedeutet.

    tip: Von den ursprünglichen Liebigstraßenbewohnern, die 1992 die Mietverträge bekommen haben, ist aber auch keiner mehr dort.
    Holm: Das ist wie in allen sozialen Bereichen: Insbesondere junge Menschen sind hochmobil und ziehen oft um. Bei der Kritik an den sozialen und kulturellen Strukturveränderungen in der Nachbarschaft geht es auch gar nicht so sehr darum, eine Personenkontinuität zu wahren. Vielmehr stellt sich die Frage: Können auch weiterhin verschiedene Sozial- und Lebensstilmilieus in der Innenstadt wohnen? Ein Stadtteil sollte auch langfristig für alle jene durchlässig sein, die vom Markt nicht bevorzugt werden: also für ökonomisch Benachteiligte, für ältere Menschen und eben auch für Alternativkulturen.

    tip: Wieviel Kiezkonservatismus steckt in der Gentrifizierungsdebatte? Frei nach dem Motto: Alles soll so bleiben, wie es war.
    Holm: Der Vorwurf wird gern vorgetragen, wenn es darum geht, Anti-Gentrifizierungsproteste zu delegitimieren. Dabei geht doch gar nicht um das Einfrieren einer Situation, sondern vielmehr um die Aufrechterhaltung einer Offenheit für unterschiedliche Aneignungsformen in der Stadt. Konservativ, langweilig und unbeweglich wird eine Stadt doch erst, wenn es diese Spielräume nicht mehr gibt. In Eigentumswohnungsprojekten beispielsweise werden allein über den ökonomischen Hebel unglaublich viele denkbare Möglichkeiten, sich die Stadt anzueignen und sie zu gestalten, von vornherein ausgeschlossen. Wenn Sie so wollen, ist es die Gentrification selbst, die eine Konservierung und ein Einfrieren von Stadt durch den Ausschluss von Alternativen hervorbringt.

    tip: Kann die Räumung der Liebigstraße 14 für diese Debatte in absehbarer Zeit noch eine größere Breitenwirkung entfalten?
    Holm: An dem konkreten Beispiel wird sich keine breite öffentliche Diskussion mehr entzünden. Aber der Fall ist eingebettet in eine größere und auch jenseits der Szenestrukturen geführte Debatte um steigende Mieten und Verdrängungsdynamiken in Berlin. In Häusern des ehemaligen sozialen Wohnungsbaus wehren sich inzwischen Mietergruppen kollektiv gegen die steigenden Mieten, in Kreuzberg organisieren sich ganze Hausgemeinschaften um die Umwandlung ihrer Miet- in Eigentumswohnungen zu verhindern, selbst in Zehlendorf versuchen Bewohnerinitiativen, der nächsten Mieterhöhung zu trotzen. Es gibt einen deutlichen Anstieg von wohnungspolitischen Kleinkonflikten. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich diese einen gemeinsamen Ausdruck verschaffen.

    Interview: Erik Heier

    de.indymedia.org | Kinderschutzbund Unna kriminalisiert Liebig14
    https://web.archive.org/web/20110205085753/http://de.indymedia.org/2009/09/260096.shtml

    L14-Sympathisant 07.09.2009 20:13 Themen: Freiräume Soziale Kämpfe
    Erstmals veröffentlichte der Unnaer Kinderschutzbund eine Stellungnahme zur geplanten Räumung des Berlin-Friedrichshainer Wohn- und Kulturprojekts Liebigstr. 14 durch seinen Geschäftsführer Edwin Thöne. Dabei schlägt er sich auf die Seite der Eigentümer-Gesellschaft Lila GbR, der neben Thöne auch Suitbert Beulker angehört. Zur entwürdigenden Entmietungspraxis der Lila GbR, von der neben der Liebigstr. 14 auch die Eckkneipe „Zimt & Zunder“ (Rigaer Str. 96) betroffen ist, schweigt sich der Kinderschutzbund aus. Dagegen wirft er den Bewohner_innen „kriminelle Methoden“ vor.

    Bereits am vergangenen Donnerstag beklagte sich der Kinderschutzbund – in Person von Bundesgeschäftsführerin Paula Honkanen-Schoberth – bei den Bewohner_innen der Liebigstr. 14 über deren „aggressiven Pressearbeit“. Jetzt schreibt der Unnaer Kreisverband, es würde „ein enormer Druck auf unseren Mitarbeiter Herrn Thöne als auch auf uns als Verband mit unlauteren und zum Teil kriminellen Methoden ausgeübt.“

    Dass jener Herr Thöne es fertig bringt, eine ganze Hausgemeinschaft auf die Straße zu setzen, erwähnt das Papier nicht. Der Kinderschutzbund stellt lediglich fest, „dass unser Mitarbeiter Edwin Thöne als Privatperson, Mitgesellschafter der Lila GbR ist.“ Dass er in dieser Funktion im Januar 2007 seinem Partner Suitbert Beulker eine Vollmacht ausstellte, mit der dieser die Räumungsprozesse gegen das exbesetzte Haus überhaupt erst führen kann, erwähnt der Kinderschutzbund nicht. Auch nicht, dass Thöne diese Vollmacht jederzeit widerrufen könnte. Dadurch würden die Prozesse gestoppt und die Räumung wäre vorerst verhindert. Laut der Erklärung ist dies „aber Herrn Thönes Privatangelegenheit und berührt in keiner Weise seinen Aufgabenbereich als Mitarbeiter des Kinderschutzbundes.“

    Wenn ein Mitarbeiter des Kindeschutzbundes „als Privatperson“ 28 Menschen mitsamt dreier Kleinkinder aus Profitinteressen ihr Zuhause nimmt, ist dies also eine „Privatangelegenheit“.

    Der Kinderschutzbund macht sich als gemeinnützige Organisation, die vorgibt, sich für das Kindeswohl einzusetzen, in höchstem Maße unglaubwürdig, wenn er sich hinter einen Immobilienspekulanten stellt und sein rücksichtsloses Handeln auch noch versucht zu decken. Wenn er zudem noch die Diffamierungsstrategie der Lila GbR übernimmt, in dem er den Bewohner_innen „kriminelle Methoden“ nachsagt, macht er sich zum Helfer einer menschen- und kinderfeindlichen Entmietungspraxis.

    Der Bundesverband, der sich am vergangenen Donnerstag – mit Verweis auf die „föderalen Strukturen“ des Kinderschutzbundes – versuchte, der Verantwortung zu entziehen, untersagte in einem internen Schreiben allen Orts-, Kreis- und Landesverbänden, sich zur Angelegenheit zu äußern. Der Bundesverband werde sich der Sache weiter annehmen. Ja, was denn nun, Frau Honkanen-Schoberth?

    Inzwischen haben auch einige Medien das Thema aufgegriffen. So berichteten die Tageszeitung „Neues Deutschland“, die „junge Welt“ und der Berliner „Tagesspiegel“ über das Räumungsvorhaben der Lila GbR. Anders der Unnaer Regionalteil der Westfälischen Rundschau. In der Manier eines Hofberichterstatters erläutert Redakteur Jens Schopp, wie viel der arme Edwin Thöne erleiden muss. Es werde „von Seiten der Mieter ein enormer Druck“ auf ihn aufgebaut. Dabei habe er immer wieder versucht im Streit zwischen den Bewohner_innen und Beulker zu vermitteln.

    Sein letztes „Vermittlungsangebot“ machte Thöne („Ich bin kein Immobilienspekulant!“) am vergangenen Freitag. Wenn die Bewohner_innen die Räumung wirklich verhindern wollten, erklärte er, könnten sie doch „einfach ausziehen“.

     http://liebig14.blogsport.de

    #Berlin #Friedrichshain #Liebigstraße #Hausbesetzung