Wiglaf Droste (1961–2019) Hier war ich ja noch nie …!
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Autobiographie
Ich war nie ein Jünger des Verzichts
und gab, wie ich es nahm und wie es kam,
im Fall des Falles immer alles,
und eines Morgens kommt das große Nichts.
Wiglaf Droste weilt nicht mehr unter den Sterblichen, wie er selbst bei solchen Anlässen sagte, wenn es ihm nicht die Sprache verschlug wie zuletzt beim Tod von F.W. Bernstein. Am Mittwoch nachmittag ist Droste im Haus seiner Liebsten, Andrea Jungkunz, an den Folgen einer Leberzirrhose gestorben. »Bis ganz zuletzt hatte er einen Witz auf den Lippen«, sagte die Buchhändlerin gegenüber jW. In ihrem Haus in Pottenstein in der oberfränkischen Provinz hat der Schriftsteller, Satiriker und Sänger seine letzten anderthalb Jahre verbracht. Er habe sich »wohl gefühlt, nicht mehr rumgedöbert, niemanden mehr angepöbelt«, meinte Jungkunz am Donnerstag. »Er hat gesagt, er geht den Leuten jetzt auf den Keks, weil er immer sagt: Sei glücklich!« Man solle ihn als »Schelm« in Erinnerung behalten, »sprachgewaltig«.
Mix
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Wiglaf Droste kam am 27.6.1961 in Herford zur Welt und 1994 zur jungen Welt, seit Januar 2011 hatte er eine tägliche Kolumne. Dem Tod schon mehr als einmal von der Schippe gesprungen, schickte er uns vor etwa einem Jahr drei »Epitaphe«, die wir hier nun zum ersten Mal veröffentlichen:
(1)
Der ist auch ruhiger geworden.
(2)
Das Leben ist sicherlich endlich
Liebe und Werk sind es ganz sicher nich’.
(3)
Hier war ich ja noch nie … !
Letzteres, meinte er damals, könnte gut auf seinem Grabstein stehen. Das war Galgenhumor, es zog ihn nicht runter. Im Gegenteil. In den vergangenen Monaten strotzte er nur so vor Tatendrang, war »glücklich und guten Mutes«, wie es in einer seiner letzten Mails heißt, »mein Luxus ist die Liebe und die Arbeit«. Im Frühjahr 2020 werde bei Antje Kunstmann sein neuer Gedichtband »Wie ein Pfeil im Flitzebogen« erscheinen, der schwelle »auf Lutherbibelstärke an. Aber streichen kann man immer«.
Apropos Frühjahr: Ende Januar war er Feuer und Flamme für eine jW-Beilage »Frühling, Freiheit, Liebe, Leben!« Er wollte dafür ausschließlich Autorinnen anfragen. Uschi Brüning, Karin Gregorek, Marion Brasch, Rahel Valdiviéso-Fieramonte, Ulla Rowohlt und einige andere standen auf seiner Wunschliste, und für die Grafik Heike Ollertz. Er wollte die Beiträge besorgen, redigieren und komponieren, wie er das zuvor für die achtseitige jW-Weihnachtsbeilage gemacht hatte, auf die er Ende Januar »immer noch angesprochen« wurde, wie er schrieb. Was immer die jW für dieses Extrablatt ausgeben könnte, er würde das komplette Geld mit den beteiligten Frauen »verfressen«, meinte er. Leider überstieg das Vorhaben bei aller Sympathie unsere Produktionsmöglichkeiten.
Lausige Zeiten
Mitte April verkündete er den Plan, die Zeitschrift Häuptling eigener Herd wiederzubeleben, die er mit Sternekoch Vincent Klink herausgegeben hatte. Nach 15 Jahren und 55 Ausgaben war dieses einzigartige »Hetzblatt« für guten Geschmack eingestellt worden. Nun hatte Klink ihm die Rechte am Titel übertragen und er eine Mannschaft zusammen, mit der »man glatt Meister werden« könnte, nur eben keinen Verlag: »Alle haben Bammel. It’s a shame, und es sind lausige Zeiten«. An der Notwendigkeit, die Zeitschrift wiederzubeleben, änderte das nichts: »Ich möchte das wieder machen; die ›Medienlandschaft‹ genannte Wüstenei ist so fade wie trist (Ausnahmen gibt es, aber zu wenige)«.
Der Häuptling stand auch für sein Wirken insgesamt, den Kampf gegen die Unempfindlichkeit der Sinne, gegen deutsche Dumpfheit und Geschmacklosigkeit. Dass er damit bei Flachköpfen aller Richtungen aneckte, versteht sich, aber genau dafür liebten ihn seine Fans.
In den 80ern war Droste als Redakteur der Taz unter anderem dafür verantwortlich, epische TV-Kritiken von Dr. Seltsam, »auf die Länge eines Haiku« zu bringen. Als sein Autor bei einer Redaktionskonferenz zur unerwünschten Person erklärt werden sollte, meinte Droste einfach: »Jeder Redakteur ist autonom, und bei mir darf Dr. Seltsam schreiben.« Das war auch mutig, weil Seltsam so ziemlich jeden Artikel mit dem heftigen Schwenken der roten Fahne beendete. Einige Monate später wurde Droste mit anderen »zu Linken« aus der Taz herausgedrängt.
Das hatte auch eine ästhetische Dimension: Wiglaf Droste beurteilte literarische Texte vor allem danach, ob sie eine Geschichte vollständig erzählten. Das konnten Zweizeiler sein, Gedichte, Lieder, Erzählungen oder Romane. Das bedeutet auch: Ohne gute Ästhetik keine gute politische Aussage. Schlechte Politik schlägt regelmäßig um in schlechte Lyrik, Kitsch. Das gilt auch oder besonders für schlechte linke Politik.
Man möchte ergänzen: Eine Gesellschaft, die Menschen kleinmachen oder vernichten will und die – mit Peter Hacks gesagt – z. B. »Medien« hat, kann und will Kunst nicht mehr hervorbringen. Eine vollständige Erzählung über den Imperialismus – was sollte das sein?
Die aus der Taz Gedrängten wollten weiter schöne Texte verbreiten, hatte aber keine Lust auf den Aufbau eines ganzen Zeitungsapparats. So kam Droste zusammen mit dem Hausbesetzer Cluse Krings auf die Idee, eine regelmäßige Vorleseshow zu veranstalten, »Die höhnende Wochenschau«, eine der ersten Lesebühnen. 30 Jahre ist das her. Wenig später wurde der Mauerfall dort höhnisch kommentiert: »DDR = der vorerst letzte Versuch, aus Deutschen Menschen zu machen.« Droste wurde dann Redakteur bei der Titanic, aber seine Idee führte zur Gründung vieler weiterer Leseshows, bis heute der einzige originelle Beitrag Kreuzbergs zur kulturellen Moderne. Auch Drostes »Benno-Ohnesorg-Theater« gastierte Anfang, Mitte der 90er noch nicht in der Berliner Volksbühne, sondern in Kinos oder Kneipen in Kreuzberg.
Zur jW kam Droste 1994 mit dem damaligen Kurzzeitherausgeber Hermann L. Gremliza. Damals erhielt die Zeitung ihr neues Profil, verzichtete auf SPD-Lyrik und Grünen-Kitsch. Auch das Layout wurde überarbeitet. Dazu gab es eine Abokampagne mit dem Slogan: »Ich gebe mein letztes Hemd«. Wiglaf Droste machte mit.
Im Gegensatz zu vielen anderen blieb er der Zeitung treu. Nicht wenige seiner Wegbegleiter waren überrascht, als er sich 1997 im Zuge der Jungle World-Abspaltung auf die Seite der verbliebenen Rumpfredaktion stellte. In der vierseitigen Notausgabe vom 23. Mai 1997 findet sich neben einer Erklärung von Verlag und Redaktion nur ein Text von ihm, in dem er den suizidalen Spaltungstrieb der Linken geißelt. Der blieb ihm weiterhin verhasst, auch wenn er selbst nicht eben zimperlich mit denjenigen umsprang, die er im Verdacht hatte, aufklärungsfeindlichen Abfall in die Welt zu kübeln. »Moralisches Gespreize« war ihm ebenso verhasst wie »linkstypischer Muff«, womit er sich keine Freunde machte.
Als Droste im vergangenen Jahr den »Göttinger Elch« für sein satirisches Lebenswerk erhielt, sagte sein Freund Friedrich Küppersbusch in der Laudatio: »Wo andere zaghaft ein Fenster spaltbreit öffnen, springt er hindurch, und was dann hinterher blutet, ist nicht selten er selbst. Warum er das tut – Gewalt wittert, wo andere noch schunkeln; gewaltig austeilt, wo der sanfte Ordnungsruf als Hochliteratur gilt – das wurzelt in Wiglafs Wissen um Verletzung. Droste mag, wie die Süddeutsche schrieb, ›der Tucholsky unserer Tage‹ sein – ganz sicher beherrscht er die Zärtlichkeit des Holzhammers, ist ein Hooligan der Inbrunst, und manchmal leider untröstlich und selbstzerstörerisch im falschen Trost. Sehen Sie Wiglaf Droste in seiner Lebensrolle: ›Der Unumarmbare‹.«
Doch umarmen wen oder was er liebte, das konnte Droste. Er sei »unglaublich großzügig« gewesen, sagt sein Verleger Klaus Bittermann. Menschlich, aber auch finanziell. »Er war immer auf der Überholspur, ohne Rücksicht für alles, was die Menschen so umtreibt, ihre Rente oder sonstwas. Er hat viel Geld verdient und alles wieder rausgeschmissen.«
Die sprechende Kuh
Seine letzte Fortsetzungsgeschichte in dieser Zeitung erzählte von einem Aufstand sprechender Tiere auf einem Biobauernhof und zog sich etwas. Wir kamen überein, dass sie noch 2018 abgeschlossen werden müsse. Als der für den 29. Dezember in der Zeitung bereits angekündigte, 69. und letzte Teil auf sich warten ließ, telefonierten wir, und es ging ihm überhaupt nicht gut. Er war nicht zu verstehen, und es schien völlig ausgeschlossen, dass er eine E-Mail senden, geschweige denn formulieren könnte. Wenige Minuten später kam die Mail mit dem Schluss der Serie, in der die Kuh Melissa den Bauern anstupst, um ihm »warm, klar und gerade ins Gesicht« zu sagen: »›Was wir im Feuer verlieren, finden wir in der Asche wieder.‹ – Idiot, der er war, begriff er.«
Droste schrieb noch im tiefsten Delirium wahrhaftiger als die auflagenstarken Betriebsliteraten, das lag auch an seiner Ungeschütztheit. Die machte Auftritte für ihn so riskant. Die Angst, eines jüngsten Tages vor einer gleichgültigen Masse von Kulturkonsumenten auf der Bühne zu stehen, wird mehr als einmal lebensbedrohlich gewesen sein. Dass es nie auch nur annähernd soweit kam, dafür sorgte er jedesmal selbst. Mit maximaler Verausgabung. Exemplarisch war eine Veranstaltung vor einigen Jahren in einer linken Buchhandlung in Berlin-Moabit um die Ecke des Krankenhauses, in dem er auf Alkoholentzug war. Er nahm bei solchen Klinikaufenthalten immer rapide ab. Sein Körper wirkte schmächtig, sein Kopf dadurch riesengroß, was ihn störte, wenn auch nicht sehr. An jenem Abend in Moabit stand er in einer Art Krankenhaushemd in der völlig überfüllten Buchhandlung, mindestens 100 Leute waren erschienen. Das vielleicht größte Elend des Alkoholikers sei das ständige Klirren der unzähligen in der Wohnung herumliegenden Flaschen, erklärte er, trällerte einen Agitprop-Song von Piet Janssens (»Du kleine Löterin Halle sechs Platz sieben / was hast du alles schon gelötet / was ist von dem Mehrwert deiner Arbeit übrig geblieben / in deiner gottserbärmlich schmalen Lohntüte – du meine Güte!«), um am Ende des Abends in die Mitte des überfüllten Saales zu treten und mit geschlossenen Augen und einer warmen, festen, unglaublich vollen Stimme a cappella einen Klassiker von Tom Petty vorzutragen: »No I won’t back down / You can stand me up at the gates of hell / But I won’t back down / No I’ll stand my ground / Won’t be turned around«. Einigen wird beim Anblick dieses schwer gezeichneten Mannes, der tatsächlich bis zuletzt nie auch nur ein Schrittchen zurückweichen würde, ganz anders geworden sein.
Herzensbildung
In der jW vom vergangenen 1. Mai erinnerte sich Droste an die Folgen eines Textes, in dem er sich Anfang der 90er gegen die verbreitete Ansicht wandte, man müsse mit Nazis reden. »Muss man an jeder Mülltonne schnuppern? Niemand wählt Nazis oder wird einer, weil er sich über deren Ziele täuscht«, hatte er damals erklärt. Ihm seien diese Typen »komplett gleichgültig; ob sie hungern, frieren, bettnässen, schlecht träumen usw. geht mich nichts an. Was mich an ihnen interessiert, ist nur eins: dass man sie hindert, das zu tun, was sie eben tun«. Einige Wochen später zeigte ihm ein Polizeikommissar in Berlin eine Todesliste von Nazis, auf der er recht weit oben stand, und schlug ihm vor, einen Waffenschein zu machen. Er lehnte das ab. »Mein alter Freund Till Meyer von der Bewegung 2. Juni hatte mir einmal gesagt: ›Mit einer Knarre unterm Kopfkissen schläfst du nicht gut, vor allem nicht mit deiner Frau.‹« Was da nicht stand, einfach, weil kein Platz mehr war: Er sicherte die Tür seiner Berliner Mietwohnung in jener Zeit mit einem massiven Balken, den er beim Öffnen immer erst mal beiseite wuchten musste. Ein Vierteljahrhundert später seien die Nazis »phantomdemokratisch und medial eingemeindet«, endete die Erinnerung. »Sie haben Kampfgruppen bilden können und beste Verbindungen zur Bundeswehr, zur Polizei und zu den Geheimdiensten.« Bei solcher Gefahr im Verzug sei es um so wichtiger »zu wissen, wogegen man kämpft; wenn man auch noch weiß, wofür, rundet es sich. La vita è bella.«
Es ging ihm um einen »Antifaschismus im Stil von Charlie Chaplin oder Ernst Lubitsch«. Der schien ihm »jedenfalls vielversprechender als die Fixierung auf Hitler als Jahrhundertbestie. Ein treffender Witz kann eine schärfere Waffe sein als der Knüppel über den Dääz, und wer mit Waffen kämpft, die seinem Feind nicht zur Verfügung stehen, läuft nicht Gefahr, ihm ähnlich zu werden.«
Bei einem der letzten längeren Telefonate erzählte Droste Ende April von sich, von seiner Freude am Leben in Oberfranken und von Zurückliegendem, das ihm nicht gut getan habe, von einem Leseabend mit Gesang in der Buchhandlung seiner Frau und vom bevorstehenden Auftritt bei der SDAJ, die ihn zu ihrem »Festival der Jugend« zu Pfingsten nach Köln eingeladen hatte. Er sei sehr stolz darauf. Und dann, sinngemäß: »Weißt Du, ich bin Kommunist geworden. Anders ist das alles nicht auszuhalten.« Er sprach von denen, die ständig anderen Unsägliches bereiten und das auch noch rechtfertigen, von ihrer Indolenz, also Schmerzfreiheit und völligen Gleichgültigkeit. Er zähle sich zu denen, die Vernunft und Verstand folgen und, das sei wichtig, das mit »Herzensbildung« verbinden.
Kämpfen wir also in seinem Sinne weiter gegen Bigotterie und Geiz, gegen das Sich-selbst-in-die-Tasche-Lügen, gegen Nazis und für das schöne Leben.
Nach Angaben von Andrea Jungkunz ist eine Seebestattung geplant. Droste habe sich bei Trauerfeiern immer unwohl gefühlt, sagt sie, und deshalb keine für sich gewollt.
12.04.2011: Grönemeyer kann nicht tanzen (Tageszeitung junge Welt)
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▻https://www.youtube.com/watch?v=PI0P4KbyHxY
Ein Konzertbesuch im April 1986
Wiglaf Droste
(laut stammeln und nuscheln):
Herbert war hier. In Berlin. Tempodrom. Total ausverkauft. Aber billig. Feiner Zug. Könnte mehr nehmen. Ist populär genug.
Herbert hackt Sätze. Nuschelt. Klingt lustig. Auch irgendwie kaputt.
LP heißt Sprünge. Was meint er: Große Sprünge? Bochum– Hollywood? Sprung in der Schüssel? Weiß nicht.
Kann nichts sagen. Angst. Kindheit: Vater Pils, Mutter ...