Das sind die schlimmsten Neubauten in Berlin – und wir reißen sie ab

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  • Das sind die schlimmsten Neubauten in Berlin – und wir reißen sie ab
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    Ja !

    25.3.2023 von Tomasz Kurianowicz, Marcus Weingärtner, Anne Vorbringer, Manuel Almeida Vergara, Franz Becchi, Justus Bonde

    Berlin rühmt sich seiner Weltoffenheit und Diversität, wenn man aber wissen will, wie die deutsche Hauptstadt in vielen Teilen wirklich tickt, muss man sich nur einmal die Gebäude ansehen, die hier in den vergangenen 20 Jahren aus dem Boden gestampft wurden.

    Da ist viel Übles dabei, von teflonartigen Mehrzweckhallen über grottenhässliche Einkaufstempel bis hin zu Luxuswohnhäusern, deren Architekten wohl dauerhaft durch eine Mischung aus zu dicken Eiern und zu viel Geld angetrieben wurden. Das Ergebnis: Berliner Hass-Architektur. Die Lösung: unser fröhliches Abrissbirnen-Team.

    1. Was Geld anrichten kann: Die Häuser am Werderschen Markt

    Berlin möchte vor allen Dingen eines sein: eine Weltstadt. Dabei müht sich die Metropole ab und strampelt und will unbedingt aufschließen zu Städten wie London, Paris, New York oder Tokio.

    Da in Berlin aber von jeher das preußische Kleinbürger- und Beamtentum das Geschehen prägt, kommt nicht viel dabei raus, außer architektonisches Duckmäusertum in Form scheußlicher Hochhäuser oder eben Gebäude, die aussehen wie überall in der westlichen Hemisphäre.

    Bild: In der Mitte die Friedrichswerdersche Kirche, erbaut im Stil der Neogotik von Karl Friedrich Schinkel zwischen 1824 und 1831. Drumherum: architektonische Zumutungen und Verfehlungen der Gegenwart.Sabine Gudath

    Das Ergebnis sieht dann so aus wie die Gebäude links und rechts der Friedrichswerderschen Kirche, jenes Schinkel-Kleinods, das nun förmlich erdrückt wird von protziger, pseudoschicker, aber im Grunde zutiefst biederer und auch irgendwie ängstlicher Wohn- und Arbeitsarchitektur im gehobenen Segment.

    Damit nicht genug: Der Bau der angrenzenden Häuser hätte die filigrane Kirche fast zum Einsturz gebracht, das kleine Gotteshaus musste mehrere Jahre geschlossen und zwangssaniert werden. Bis heute sind die protzig-blöden Luxusapartments ein Dauerärgernis, und wenn man denkt, es könnte nicht mehr scheußlicher werden, dann muss man nur ein paar Meter weitergehen und steht vor dem Berliner Stadtschloss, also quasi der steingewordenen Summe deutscher Piefigkeit.

    Marcus Weingärtner

    2. Begrabt den CityCube! Charlottenburg vermisst die Deutschlandhalle

    Ist man in Berlin auf der Suche nach Guter-Laune-Architektur, ist man rund um das Messegelände in Charlottenburg sicher nicht richtig. Weder das raumschiffartige, dystopisch anmutende Raupengebilde ICC, noch die anderen Messegebäude wirken sonderlich lebensbejahend. Doch umgibt sie immerhin ein gewisser architektonischer Charme der Ewigkeit.

    Bild: Grau, eintönig, einfallslos: der CityCube, der nicht mal ein richtiger Würfel ist.Sabine Gudath

    Das galt einst auch für die Deutschlandhalle, die nachts stets zur „Dutschlandhalle“ wurde, als alle Buchstaben an ihrer Fassade hell erstrahlten, außer das E. Doch dann wurde diese zu alte, zu graue und schön-schmuddelige Halle ersetzt durch ein gezwungen modernes und plattes Konstrukt: den CityCube.

    Seit 2014 steht er da und wirkt fehl am Platz auf dem Messegelände. Die anthrazitfarbene semidurchsichtige obere Hälfte ist lieblos auf die untere Glasfassade gesetzt. Das sieht aus wie unvorteilhafte Bauchfett-Rettungsringe, wie sie bei zu eng sitzender Bademode in deutschen Freibädern zu finden sind. Obendrein stellt man sich die Frage, wer sich auf den „Cube“ eigentlich draufgesetzt hat, dass er so plattgedrückt daherkommt und somit noch nicht mal mehr ein Würfel ist. Er sieht also hässlich aus und ist zu allem Überfluss auch noch falsch tituliert. Weg damit!

    Justus Bonde

    3. Würfel des Wirrwarrs: Alea 101 am Alexanderplatz

    Nichts ist blumiger als die Sprache von Menschen aus der Architektur-Bubble, die ihre Immobilienprojekte anpreisen. Ein Beispiel aus Berlin: „Auf das heterogene Umfeld reagiert das Gebäude mit einer Komposition aus drei leicht zueinander verdrehten, gestapelten Baukörpern, die in ihrer Staffelung, ihren Richtungen, ihrer Farbe und Materialität auf vielfältige Weise Bezüge zum Umfeld schaffen und das Palimpsest der Stadt verkörpern. Das transparente Erdgeschoss mit seiner leicht konkav und konvex geformten Schaufensterfassade wird auf allen Seiten von Fußgängerströmen umflossen.“

    Bild: Ein Würfel ist gelandet: Das Shoppingerlebnis bleibt rund um den Alex eher zwiespältig, auch mit dem Alea 101.Sabine Gudath

    Nur echte Berlin-Kenner werden erahnen, welches Gebäude hier beschrieben wird: das Alea 101, ein Wohn- und Geschäftshaus am Bahnhof Alexanderplatz. Im Schatten des Fernsehturms fristet es seit der Eröffnung im Jahr 2014 ein weitgehend unbeachtetes Dasein. Das allerdings ist reine Glückssache, denn der ebenfalls sehr scheußliche Shoppingtempel Alexa ist noch größer und bekannter und frisst daher alle Aufmerksamkeit im hauptstädtischen Abrissbirnen-Wunschdenken.

    Doch ganz ehrlich: Wenn die Abbrucharbeiter am rosa Alexa-Ungetüm schon mal dabei sind, können sie beim Alea 101 gleich weitermachen. Dessen Architektur und seine Schwünge erschließen sich allenfalls im Luftbild, nicht aber für den Passanten. Der wird spätestens im Inneren, beim Ladenbummel, wahnsinnig. Eine ramschige Kaufhauskette, wo man zwischen Osternippes, Badelatschen, Taschen und Damenoberbekleidung den Rolltreppentod sterben möchte, ein bisschen angestaubte Systemgastronomie und ein willkürlich zusammengestückelter Souvenirshop sorgen jedenfalls sicher nicht dafür, dass die „Fußgängerströme hineinfließen“ in diesen Würfel des Wirrwarrs, der immerhin auf einem einkaufshistorisch betrachtet bedeutenden Areal steht.

    1911 wurde hier die erste deutsche C&A-Filiale eröffnet. Man ist geneigt, sich die alten Zeiten zurückzuwünschen. Spätestens wenn man vor dem traurigen Trabi am Souvenirshop steht, in dem eine männliche Schaufensterpuppe mit OP-Maske und Berlin-Mütze sitzt. Da hilft auch das daneben angebrachte Schild nicht mehr: „Bier zwei Euro!“

    Anne Vorbringer

    4. Hoffnungslos: East Side Mall an der Warschauer Straße

    Anscheinend waren 68 Einkaufszentren in der Hauptstadt nicht genug, deswegen begannen 2016 die Bauarbeiten für ein neues Einkaufszentrum an der Warschauer Brücke in Friedrichshain. Schon bei ihrer Eröffnung zwei Jahre später runzelte die Öffentlichkeit über das Konzept der East Side Mall die Stirn. Man bezeichnete das Einkaufszentrum als einen „Ort urbaner Hoffnungslosigkeit“. Im Stadtmagazin Zitty antizipierte man die Idee unserer Redaktion: „Kann man’s bitte wieder abreißen?“, lautete der Titel einer Kolumne. Der Bau sei ein „nach außen abgeschotteter Betonriegel im Ufo-Stil ohne Gesicht in einer klinisch toten Gegend“, hieß es in der Zeitschrift.

    Bild: Die East Side Mall sei ein „nach außen abgeschotteter Betonriegel im Ufo-Stil ohne Gesicht in einer klinisch toten Gegend“, ätzte die Zitty. Wir sagen: stimmt!Sabine Gudath

    Rund 200 Millionen Euro wurden für die Errichtung des Einkaufsklotzes ausgegeben. Das Gebäude bietet auf drei Ebenen 38.000 Quadratmeter Mietfläche und 110 Geschäfte. Heute kommt man wenigstens leicht rein, was vor Kurzem noch ganz anders war. Ein ganzes Jahr lang konnte man den Haupteingang der Mall nicht passieren. Der Grund: Er war verschlossen, da der Autoverkehr eine Gefahr für die Fußgänger darstellte, die die Mall betreten wollten. Bitte weg damit.

    Franz Becchi

    5. Die totale Verwirrung: Mercedes-Benz Arena in Friedrichshain

    Zur Mercedes-Benz Arena habe ich ein gespaltenes Verhältnis, weil ich manchmal gerne den Mercedes-Benz-Platz und die dort ansässigen Industrie-Restaurants und Burger-Ketten besuche, um mich ein bisschen wie ein Mensch in einer Provinzstadt zu fühlen, der sich gerne wie in einer Großstadt fühlen würde. So wie Menschen in Bremen bei Starbucks Café Latte bestellen, schockverliebt auf die Milchschaumkrone gucken und sich dabei so verhalten, als wären sie ein Protagonist in der Serie „Friends“ in New York. Der Mercedes-Benz-Platz zieht solche Menschen an. Dabei ist man ja eigentlich in einer Metropole, in Berlin, in der Großstadt. Der Platz bringt dieses Verständnis ins Wanken, es ist wie ein Simulakrum, die totale Verwirrung.

    Bild: Alles, was großstädtische Architektur anrichten kann, wurde hier realisiert. Provinzialität und Großmannsgehabe in einem.Sabine Gudath

    Die Mercedes-Benz Arena ist das architektonische Symbol für dieses durcheinandergewirbelte Großstadt-Provinz-Gefühl, das sich beißt und schneidet und gegenseitig negiert. Gerne esse ich einen Burger, natürlich bei der Kette Five Guys, oder trinke einen Cocktail mit Schirmchen bei Sausalitos. Danach gehe ich ins Imax-Kino nebenan, bestelle Popcorn und eine Coca-Cola, die ich mir an Automaten selbst befüllen kann und dazu Eiswürfel nehmen. Danach schaue ich mir einen James-Bond- oder Batman- oder Spiderman-Film an, so wie die Menschen in Bremen. Nach dem Film verbringe ich auf dem Mercedes-Benz-Platz ein paar Minuten, schaue umher, auf den Springbrunnen und auf das Ungetüm namens Arena und denke mir: „Schiffbruch mit Zuschauer“.

    Tomasz Kurianowicz

    6. Leblose Retorten-Stadt: Vom Hauptbahnhof ins Niemandsland

    Wer nicht erst seit gestern in Berlin lebt, wird sich noch lebhaft an das alte Areal im Dreiländereck zwischen Mitte, Moabit und Wedding erinnern. Das, auf dem heute der klotzige Hauptbahnhof sitzt wie ein grimmiges Ungetüm aus Glas und Metall. Früher stand an seiner Stelle noch der Lehrter Bahnhof, dieser mittelgroße Backsteinbau, durch dessen Bauch sich zuletzt nur ein paar S-Bahnen schoben mit einem kurzen Halt im Niemandsland.

    Denn das war es ja, das Areal rund um den Lehrter Bahnhof: eine Einöde aus viel freier Fläche, ein paar versprengte Altbauhäuser und alte Industriebauten darauf, in denen zum Beispiel der mittelcoole Elektroclub Tape ansässig war. Früher dachte man sich selbst als Passant ohne jegliche städtebauliche Ambition: Hier muss was passieren, irgendwas – alles ist doch besser als Brache! Heute würde man diese einfältige Sichtweise womöglich revidieren.

    Bild: Fun, fun, fun: In den Miniatur-Hochhäusern kümmert man sich um spannende Geschäftsfelder wie Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung.Sabine Gudath

    Denn was rund um den jetzigen Hauptbahnhof in den vergangenen Jahren alles so gebaut wurde, entbehrt jedes ästhetische Feingefühl. Es sind die gleichen gott- und gesichtslosen Neubauten, wie man sie in Berlin mittlerweile zu Hunderten findet – überall da nämlich, wo früher nichts als Freiraum war. Direkt am Hauptbahnhof zeigen sie sich als vereinzelte Miniatur-Hochhäuser, in denen preiswerte Hotels oder Büroräume für so spannende Geschäftsfelder wie Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung zu Hause sind. Schlimmer geht nimmer? Es geht! Und um das festzustellen, braucht man nur ein paar Meter weiterzugehen.

    Denn hinter den fatal langweiligen Türmchen am Hauptbahnhof, weiter Richtung Wedding, tut sich ja erst das echte Ärgernis des zeitgenössischen Berliner Städtebaus auf: Europacity, so der gleichermaßen einfallslose wie euphemistische Name des Bauareals, das hier zum belebten Wohn- und Arbeitsquartier werden soll.

    Dass das so schnell nicht passieren wird, lässt schon die katastrophale Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr vermuten: Bis jetzt juckeln nur ein paar traurige Busse durch das kontinental benannte Viertel; wer eine Bahn nehmen will, muss erst mal 15 Minuten laufen. Auch die gräuliche Retorten-Architektur ist ein Indiz, dass es lebhaft, lustig, lässig hier auch in zehn Jahren noch nicht ist. Es hilft einfach alles nicht: Sprengen und Abreißen, sofort – zurück zur Berliner Brache, bitte!

    Manuel Almeida Vergara

    #Berlin #Stadtentwicklung #Achitektur #Grentrifizierung