Berlin hat einen neuen Ridesharing-Fahrdienst – aber kaum jemand fährt mit

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  • Muva: Berlin hat einen neuen Ridesharing-Fahrdienst – aber kaum jemand fährt mit
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    Einsteigen bitte: Ein Muva-Kleinbus von Mercedes Benz ist bereit für die Fahrt. Vitos und Sprinter gehören zur Flotte der Firma Via Van, die nach einer Ausschreibung bis 2025 beauftragt wurde.

    Es ist kaum nschvollziehbar, wieso für dieses Projekt ein privater Fahrdienst Millionen abkassieren darf, auch wenn er nicht benötigt wird. Einfacher, schneller, zuverlässiger und vor allem preiswerter hätte das Muva-Angebot in Kooperation mit Taxiverbänden und -vermittlung realisiert werden können. Wer ist Schuld daran, dass sich die zwei großen Akteure des Berliner ÖPNV nicht zusammentun?

    3.7.2023 von Peter Neumann - Anderswo werden Ridesharing-Fahrdienste gut genutzt. Doch bei der BVG hält sich die Nachfrage in Grenzen. Nun gibt es Erklärungen, warum das so ist.

    Es gibt ihn, so viel steht fest. Doch kaum jemand scheint ihn zu kennen, den neuen Fahrdienst der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) im Osten der Stadt. Seit dem vergangenen September kann man die schwarzen Mercedes-Benz-Kleinbusse unter dem Namen Muva buchen, aber nur wenige nutzen das jüngste Angebot im Berliner Mobilitätsmix. Die Zahlen, die der Senat jetzt bekannt gegeben hat, sind jedenfalls niederschmetternd. „Zu kompliziert, zu wenig Marketing, falsche Zielgruppe, falsches Bediengebiet“, sagt der Mobilitätsforscher Andreas Knie. Wie kann Muva durchstarten?

    Muva – über den Namen kann man streiten. Doch das Ganze hört sich nach einer guten Idee an. Per App oder Telefon eine Fahrt anmelden – und etwas später hält nicht weit entfernt ein Van, um den Fahrgast im Auftrag der BVG zum nächsten Bahnhof oder woandershin zu bringen. Zum Arzt, zum Einkaufen, zur Arbeit: Das ist mit Muva rund um die Uhr im 62 Quadratkilometer großen Bediengebiet möglich, das sich östlich der Ringbahn in Teilen der Bezirke Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf, Treptow-Köpenick und Friedrichshain-Kreuzberg erstreckt. Um Taxis nicht noch mehr Konkurrenz zu bereiten, stoppt Muva nur an Bushaltestellen und fast 4000 virtuellen Haltepunkten.

    BVG Muva Flexible Fahrt - so heißt das Angebot intern. Das Mittelding aus Sammeltaxi uns Rufbus fährt seit dem 15. September 2022 nach Bedarf. Falls der Computer feststellt, dass mehrere Fahrgäste in dieselbe Richtung wollen, versucht er, sie in einem Fahrzeug zusammenzufassen. Damit sind on demand und Ridesharing Stichworte für diese Form der neuen Mobilität, die es vielerorts auf der Welt gibt. Doch in Berlin hält sich die Nachfrage in Grenzen – um es höflich zu sagen. Dabei fließt Steuergeld: Dem Vernehmen nach werden sich die Zahlungen an den Auftragnehmer Via Van, dessen Vertrag mit der BVG bis Ende 2025 gilt, auf knapp zehn Millionen Euro summieren. Er ist auch noch für den anderen Muva-Zweig zuständig: Der BVG Muva Aufzugersatz kommt kostenlos, wenn in bestimmten Bahnhöfen der Fahrstuhl ausfallen ist. In beiden Zweigen sind täglich bis zu 30 Fahrzeuge im Einsatz, davon rund ein Dutzend bei der flexiblen Fahrt.

    Am größten ist die Nachfrage am Tierpark und am Elsterwerdaer Platz

    Die tägliche Auslastung liege zwischen „unter hundert und über dreihundert Fahrgästen pro Tag“, teilte die Staatssekretärin Claudia Elif Stutz (CDU) auf eine Anfrage des Linke-Abgeordneten Kristian Ronneburg hin mit. Die App sei 34.000-mal heruntergeladen worden, 19.000 Menschen hätten sich registriert. Wie oft das Callcenter unter der Berliner Telefonnummer 256 23 3 33 angerufen wurde, ist in der Drucksache kein Thema. In dicht bewohnten Gebieten wie am Tierpark und am U-Bahnhof Elsterwerdaer Platz sei die Nachfrage groß, in Schöneweide und Köpenick nicht so sehr, erläuterte Stutz.

    „Die vorgelegten Zahlen sind nicht erfreulich. Und sie liegen weit unter den Erwartungen der BVG und des Senats“, kommentierte Kristian Ronneburg. Zwar hat die BVG mehr Marketing angekündigt, doch bislang vermisst der Abgeordnete Werbeanstrengungen, die in den Außenbezirken spürbar sind. „Ich nehme wenig Ambitionen wahr, aus den Anfängen von Muva ein Modell für alle Berliner Randgebiete zu machen“, sagte der Linke-Politiker. Er bezog dies auch auf die große Koalition. Stattdessen habe der Spandauer CDU-Abgeordnete Heiko Melzer vor kurzem öffentlich gelobt, dass der Fahrdienstvermittler Uber in den Außenbezirken und im Umland expandieren will.

    „Der BVG Muva ist aus Sicht der BVG erfolgreich gestartet, sagte BVG-Sprecher Jannes Schwentu am Freitag. „Das Angebot etabliert sich Schritt für Schritt in den bedienten Gebieten im Osten der Stadt. Die Zahl der Downloads und Registrierungen sowie der Fahrten steigt kontinuierlich.“ Beliebt seien vor allem die Fahrten, die an Bahnhöfen beginnen oder dorthin führen. „Aber natürlich sehen wir weiteres Potenzial und wollen die Anzahl der Nutzer*innen in Zukunft steigern“, so Schwentu. Und zwar mit Werbung und Aktionen „Kunden werben Kunden“. Bei den Mobilitätstrainings, die das Landesunternehmen anbietet, soll auf Muva hingewiesen werden.

    Wenn die Nutzungszahlen nicht deutlich steigen, bestünde die Gefahr, dass das neue BVG-Angebot in der zunehmend angespannten Berliner Haushaltslage auf die Streichliste kommt, entgegnete Kristian Ronneburg. Muva müsse klarer positioniert und offensiv beworben werden, forderte der Abgeordnete. Sonst könnte die Frage laut werden: „Braucht Berlin diesen Fahrdienst wirklich?“

    Jeder Muva-Fahrgast braucht ein gültiges Ticket für den jeweiligen Tarifbereich – entweder einen Einzelfahrschein, eine Zeit- oder Tageskarte. Wer eine Fahrt zum nächsten Bahnhof bucht, zahlt zusätzlich einen Euro, Mitfahrer reisen zuschlagfrei mit. Wer eine Tour zu einem anderen Ziel bestellt, zahlt zusätzlich einen Euro pro Kilometer.

    „Wer klein denkt, bleibt klein“, hatte der Mobilitätsforscher Andreas Knie vor dem Muva-Start bemängelt. So soll es seinen Informationen zufolge keine Möglichkeit geben, mit den Tarifen zu „spielen“ – wie zum Beispiel in Tel Aviv, wo die Fahrpreise zu verkehrsschwachen Zeiten oder morgens stadtauswärts ermäßigt werden. Am Freitag erneuerte Knie seine Kritik.
    „Das Marketing muss die Autofahrer in den Blick nehmen“

    „Das Angebot wirkt so, als wäre es in Wirklichkeit nicht gewollt“, sagt er. Der Forscher vom Wissenschaftszentrum vermisst vor allem ein sinnvolles Marketing. Bisher richte sich die Werbung viel zu sehr an Menschen, die den Nahverkehr bereits nutzen. „Das ist die falsche Zielgruppe. Das Marketing muss die Autofahrer in den Blick nehmen“, sagt Andreas Knie. „Außerdem ist die ganze Erscheinung unattraktiv“ – zumal für junge Leute, von denen einige den Berlkönig noch kennen.

    Der frühere BVG-Fahrdienst, der in der östlichen Innenstadt auf 58 Quadratkilometern unterwegs war, habe „deutlich hipper“ gewirkt als Muva, gab der Mobilitätsforscher zu bedenken. Dieser On-demand-Ridesharing-Dienst, bei dem ebenfalls Via Van Vertragspartner der BVG war, konnte vom 7. September 2018 bis zum 21. Juli 2022 gebucht werden. Dann wurde das Angebot, dessen Rechtsgrundlage die Experimentierklausel des Personenbeförderungsgesetzes war, nach mehreren Verlängerungen eingestellt. Laut BVG hatten 1,85 Millionen Fahrgäste die schwarzen Kleinbusse mit dem Wimmelmuster genutzt. Die App wurde 333.000-mal geladen.

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