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  • Linke will Dönerpreisbremse und Gutscheine für alle – das soll Milliarden kosten
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/kein-witz-die-linke-fordert-doenerpreisbremse-und-doenergutscheine-

    Après le départ de Sarah Wagenknecht le parti Die Linke se mue en parti satirique. Sa dernière revendication est le plafonnement du prix du döner kebab, la distribution de subventions aux vendeurs et de tickets-resto-döner à tous. Le problème : on a déja le parti satirique Die Partei qui monopolise les suffrages dans ce secteur électoral.

    4.5.2024 von Maximilian Beer - In Deutschland liegt der Preis für Döner derzeit bei über sieben Euro. Das treibt auch die Linkspartei um. In einem Vorstandspapier fordert sie die Regierung zum Handeln auf.

    Die stark gestiegenen Dönerpreise scheinen vor allem junge Menschen zu bewegen: „Olaf-Abi, mach Döner drei Euro!“, wurde bereits Kanzler Olaf Scholz zugerufen, in sozialen Medien wie TikTok wird eine „Dönerpreisbremse“ gefordert. Die Inflation hat den Preis in Deutschland auf durchschnittlich über sieben Euro getrieben. In Berlin waren es laut dem Lieferdienst Lieferando im Januar 7,30 Euro.

    Nun hat sich die Linke das Thema zu eigen gemacht: In einem Papier aus dem Parteivorstand wird tatsächlich eine „Dönerpreisbremse“ gefordert. Zuerst hatte der Stern darüber berichtet.

    Das Papier liegt auch der Berliner Zeitung vor. Der Preis für Döner solle auf 4,90 Euro begrenzt werden, heißt es darin. Die Mehrkosten sollten vom Staat übernommen werden.

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    Hohe Preise: Linke fordert Dönergutscheine

    Da in Deutschland pro Jahr 1,3 Milliarden Döner verzehrt würden, beliefen sich die staatlichen Kosten bei einem Zuschuss von jeweils drei Euro auf knapp vier Milliarden Euro, rechnet die Linke vor. Der Vorschlag wurde von der jugendpolitischen Sprecherin im Vorstand, Kathi Hebel, eingebracht.

    „Dönerpreisbremse“: Das fordert die Linke

    Dönergutscheine für alle!

    „Alle kriegen Dönergutscheine zugeschickt, einen pro Woche“, steht außerdem in dem Papier. Mit dem Gutschein könne man einen Döner für fünf Euro kaufen. Schüler sollten lediglich 2,50 Euro zahlen müssen. „Die Dönerbuden können die Gutscheine einlösen und sich den Überschussbetrag über den normalen Preis vom Staat zurückholen.“
    Die Hauptkosten für Dönerläden würden durch hohe Miete, Energie und Lebensmittel verursacht. Würden diese Preise sinken, „dann sinken auch die Dönerpreise“, heißt es in dem Papier.
    Ein Fünftel der Menschen in Deutschland lebe in Armut. Sie müssten kalkulieren, ob sie sich in der laufenden Woche noch etwas zu essen leisten können. „Die Lebensmittelkonzerne haben ihre Profite auf unsere Kosten gesteigert“, meint die Linke. Die großen Ketten müssten garantieren, dass ein Warenkorb aus Grundnahrungsmitteln und Hygieneartikeln zu bezahlbaren Preisen angeboten wird. Dafür müsse sich am Bürgergeld-Regelsatz für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke orientiert werden.

    Auch die Grüne-Jugend – die sich in vielen Forderungen mit der Linken überschneidet – spricht sich für eine „Dönerpreisbremse“ aus. In ihrer Geschäftsstelle können die Landes- und Kreisverbände 200 entsprechende Flyer erwerben. Sie sind Teil eines „Aktionspakets Döner Europawahl 2024“ für 45 Euro, das für die Kampagne „Kein Bock auf Krise“ zusammengestellt wurde.
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    Dass die „Dönerpreisbremse“ vorerst ein frommer Wunsch bleiben dürfte, ist aber zumindest der Linken klar.

    „Es ist kaum zu erwarten, dass die Lebensmittelindustrie und Supermärkte die Preise jetzt absenken“, sagte die jugendpolitischer Sprecherin Hebel dem Stern. Der Dönerpreis werde hoch bleiben, wenn die Regierung nichts ändere.

    #Allemagne #gauche #wtf

  • Denkfabrik DGAP blamiert sich mit proarmenischer Veranstaltung – Debakel mit Ansage
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/geopolitik/denkfabrik-dgap-blamiert-sich-mit-proarmenischer-veranstaltung-deba

    16.3.2024 von Thomas Fasbender - Schon die Einladung erzeugt Protest in Aserbaidschan. Die Diskussion soll wegen einer „Bedrohungslage“ nur virtuell stattfinden. Bleibt Deutschland im Südkaukasus Vermittler?

    Es war ein Debakel mit Ansage: Die ehrwürdige Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), laut ihrem Selbstverständnis Produzentin „nachfrageorientierter Politikberatung“, lud vergangene Woche zu der Veranstaltung „Der Schutz des bedrohten Kulturgutes von Bergkarabach“. Angekündigt war eine Buchvorstellung: „Das kulturelle Erbe von Arzach“.

    Am Tag davor erhielten die Teilnehmer eine Mail: „Aufgrund einer massiven Kampagne gegen die Durchführung“ und um die „Sicherheit der Gäste und Teilnehmenden“ zu gewährleisten, habe die DGAP entschieden, die Diskussion „rein virtuell“ durchzuführen. Angeblich hat die Polizei dazu geraten.

    Was war geschehen? Auf Nachfrage berichtet die DGAP von „E-Mails, Nachrichten in sozialen Medien, einem Schreiben sowie Anrufe vom aserbaidschanischen Botschafter und einem offenen Brief“. Diese „Kommunikationen enthielten Beschuldigungen von Propaganda, Islamophobie, Rassismus“. So habe man behauptet, die Nutzung von Begriffen wie „bedrohtes Kulturgut, Arzach, Bergkarabach oder Republik Bergkarabach“ sei „armenische Propaganda“ – was die DGAP wiederum „entschieden zurückweist“. Auch Behauptungen, wonach die Veranstaltung politisch intendiert sei und „den Friedensprozess behindern“ wolle, seien „haltlos“.

    Ein „großer Teil“ der „aggressiven Nachrichten“ stamme von „Personen, die entweder aserbaidschanische Gongos (Government-operated non-governmental organization) vertreten oder sich als Bürger bezeichnen“. Die Aktion sei „offensichtlich von der Botschaft orchestriert“.

    Fallstricke im armenisch-aserbaidschanischen Konflikt

    Der Sturm der Entrüstung begann also nicht nach der Veranstaltung, sondern bereits mit der Einladung. Das war vorhersehbar; wer mit den Fallstricken der armenisch-aserbaidschanischen „Erbfeindschaft“ vertraut ist, wird bei dem Wort „Arzach“ stutzen – ein armenisches Königreich, das im 13. Jahrhundert der Mongolenherrschaft und den einwandernden Turkvölkern aus den Steppen Asiens weichen musste. Seitdem war der in seinem Zentrum (bis 2023) armenisch besiedelte Höhenzug Karabach, zu deutsch schwarzer Garten, nur ein Fragment einstiger Größe, eine armenisch-christliche Enklave in mehrheitlich muslimischen Landen.

    Eine Renaissance erfuhr Arzach nach 1990 als Kampfbegriff der Karabach-Armenier im Konflikt mit dem aserbaidschanischen Staat, ab 2017 dann im Namen der selbsternannten, von keinem Staat der Welt – nicht einmal von Armenien – völkerrechtlich anerkannten „Republik Arzach“ auf aserbaidschanischem Territorium. Es ist angezeigt, daran zu erinnern: Völkerrechtlich gehörte und gehört Bergkarabach so sehr zu Aserbaidschan wie der Donbass zur Ukraine.

    Nun geht es bei der Diskussion zwischen Armeniern und Aserbaidschanern nicht sachlich um Geschichte und internationales Recht. Das Verhältnis erinnert eher an katholische und protestantische Iren nach dem dritten Guinness. Als Außenstehender tut man gut daran, Neutralität zu wahren. Das allein ist konstruktiv; nicht umsonst ist es dem Bundeskanzler gelungen, den aserbaidschanischen Präsidenten und den armenischen Premierminister im Februar in München zum gemeinsamen Gespräch zu bewegen – gefolgt von einem Treffen der Außenminister in der Villa Borsig in Berlin.

    Vor dem Hintergrund ist die Frage legitim: Was reitet die DGAP, zu solch einer Veranstaltung einzuladen? Ausgerechnet in dem Moment, da Deutschland als Verhandlungsplattform für den Südkaukasus einen diplomatischen Coup landet.

    Identische Narrative auf beiden Seiten

    Wie sich herausstellte, war das Arzach im Veranstaltungstitel kein lässlicher Irrtum – mitnichten, es war Programm. Das vorzustellende Buch „Das kulturelle Erbe von Arzach“ vereint die Ergebnisse einer Konferenz in Armenien im Juli 2022, organisiert unter anderem vom Konfessionskundlichen Institut der Evangelischen Kirche Deutschlands und der Amerikanischen Universität in Jerewan. Deren Vertreter, die Orthodoxiereferentin Dagmar Heller und der Jerewaner Professor Harutyun Harutyunyan, waren bei der virtuellen DGAP-Veranstaltung die zentralen Köpfe, als Moderatoren wirkten der letzte DDR-Außenminister Markus Meckel und der DGAP-Osteuropachef Stefan Meister.

    Den Online-Chat und öffentlich sichtbare Fragen oder Kommentare hatte man vorsorglich ausgeschaltet. Mit gutem Grund. Sowohl Heller als auch Harutyunyan referierten das armenische Narrativ – um nicht das P-Wort zu benutzen –, und zwar lupenrein und mit der Emphase tiefer Glaubensüberzeugung. Es lohnt nicht, ins Detail zu gehen. Das Fatale an dem Konflikt ist nämlich, dass beide Seiten, Armenier und Aserbaidschaner, das gleiche Narrativ vortragen. Nur hat der Gegner einen anderen Namen; die Massaker geschahen zu anderen Zeiten und an anderen Orten; die geschändeten Kulturgüter heißen auf der einen Seite Moscheen und auf der anderen Kirchen und Klöster.

    Und beide Seiten haben recht. Es ist auch jede Seite überzeugt, das weitaus größere Leid zu tragen. Das kann tausend Jahre so weitergehen – bis einmal eine Generation ermüdet und Frieden schließt.

    Der Zeitpunkt ist im Grunde geeignet. Nach drei Kriegen und Bergen von Unrecht zwischen 1992 und 2023 sind immerhin die völkerrechtlichen Grenzen wiederhergestellt. Deutschland kann eine aktive, konstruktive Rolle spielen, ist beidseits als Vermittler akzeptiert.
    Vermittlerrolle: Deutschland hat die Nase vorn

    Warum dann eine solche Veranstaltung? Im Gespräch mit dem DGAP-Experten Stefan Meister ist zu spüren, dass er selbst nicht glücklich ist. Aber – der Druck seitens der Aserbaidschaner sei inakzeptabel gewesen und Deutschland nicht das Land, wo solche Methoden ziehen. Eine Botschaft könne nicht einfach fordern, eine Veranstaltung abzusagen.

    Der Brief des aserbaidschanischen Botschafters an Meister liegt der Berliner Zeitung vor. Vielleicht gab es noch weitere Kontakte, doch in dem Schreiben steht „schlage ich Folgendes vor: Die genannte einseitige und proarmenische Propagandaveranstaltung abzusagen.“ Eine Forderung ist das nicht. Im Weiteren referiert auch der Botschafter sein Narrativ. Nur müsste man ihn und den Professor aus Jerewan nebeneinander setzen – auch wenn man damit einen wenig zielführenden Schlagabtausch riskiert.

    Sinnvoller als das Repetieren altbekannter Narrative ist die konkrete Vermittlerarbeit. Deutschland hat einen Fuß in der Tür, man kann sagen: die Nase vorn. Die EU gilt den Aserbaidschanern wegen des französisch-armenischen Näheverhältnisses als voreingenommen, Russland hat in Armenien an Ansehen eingebüßt, die USA haben andere Sorgen, und China ist noch nicht so weit.

    Zankapfel armenische Verfassung

    Der Berliner Zeitung gegenüber äußerte sich der für Außenpolitik zuständige aserbaidschanische Präsidentenberater Hikmet Hadschijew vor wenigen Tagen verhalten optimistisch. Die bisherigen Verhandlungen hätten Vertrauen geschaffen, doch der Weg bleibe steinig. Ein Zankapfel ist die armenische Verfassung. Deren Präambel beruft sich auf die Unabhängigkeitserklärung von 1990; dort ist die Rede vom gemeinsamen Schicksal Armeniens und Bergkarabachs. Aserbaidschan liest das als Territorialanspruch. Ein Friedensvertrag ohne Anpassung der armenischen Verfassung scheint kaum vorstellbar.

    Ein weiterer Stein des Anstoßes ist der sogenannte Sangesur-Korridor, eine von Aserbaidschan geforderte (und von Armenien 2020 zugesagte) Straßen- und Bahnverbindung zwischen Aserbaidschan und seiner Exklave Nachitschewan. Der Knackpunkt: Insoweit es sich um Transporte zwischen Hauptland und Exklave handelt, beharrt die Regierung in Baku auf zoll- und dokumentenfreier Abwicklung.

    Beide Punkte sind im Grundsatz lösbar; talentierte Diplomatie hat in der Vergangenheit ganz andere Nüsse geknackt. Hinzu kommt, dass Deutschland (nicht die EU) die Reputation und die Ressourcen besitzt, um wirksam zwischen den Parteien zu vermitteln. Wenn die politikberatenden Institutionen, beispielsweise die DGAP, ihr Scherflein Detailwissen und Fingerspitzengefühl beitragen, könnte im Südkaukasus eine Win-win-Situation näherrücken.

    #Allemagne #Arménie #Azerbaïdjan #politique

  • Ostwähler prüfen Wagenknecht-Partei BSW: „Was macht die Sahra da?“
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/ostwaehler-pruefen-wagenknecht-partei-bsw-was-macht-die-sahra-da-li


    „Sie ist gereift“, sagen langjährige Weggenossen. Sahra Wagenknecht, geboren 1969 in Jena, promovierte Volkswirtschaftlerin, ist auf ihrem Weg von der Kommunistischen Plattform in der PDS jetzt im Linkskonservativen angekommen.

    10.3.2024 von Maritta Adam-Tkalec - Soziales und Frieden, Vernunft und Gerechtigkeit, rechts oder links? Ein Stimmungsbild aus dem Ost-Berliner Alt-Links-Milieu und das Leiden an der Spaltung.

    Die Partei Rest-Linke macht weiter, was sie am besten kann: Grabenkämpfe ausfechten. Sahra Wagenknecht, Co-Vorsitzende ihrer Partei BSW, wird bei der Arbeit gesehen, häufig in ihrer alten Heimat Thüringen, wo im Herbst die heikelsten aller Landtagswahlen anstehen. In Sachsen ist ein Landesverband von Bündnis Sahra Wagenknecht gegründet, man will bei den Kommunalwahlen am 9. Juni antreten.

    Auch in den anderen Ostländern läuft der Parteiaufbau. Jeder Übertritt von prominenten Linken findet starke Beachtung. Als Katja Wolf, die beliebte Bürgermeisterin von Eisenach, von der Linken zum BSW wechselte, jauchzten sie dort; Bodo Ramelow, der linke Ministerpräsident von Thüringen, war am Boden zerstört. Für die Europawahl sind die Aussichten für BSW gar nicht so schlecht.

    Ortsbestimmung linkskonservativ

    Eine mutmaßlich große Zahl von Leuten will irgendetwas anderes als bisher wählen und schaut sich nach einer Alternative zur Alternative für Deutschland (AfD) um. BSW besetzt mit der Mischung aus Großzügig-Sozialem und Streng-Ordnungspolitischem (vor allem hinsichtlich der Migrationskontrolle) eine Lücke. Man sei „linkskonservativ“ sagte Wagenknecht; auf dem Gründungsparteitag war klassen-, partei- und ost-west-übergreifend von „Vernunft und Gerechtigkeit“ die Rede.

    Eine große Gruppe beobachtet die Entwicklung mit speziellem Interesse und wartet auf das Parteiprogramm. Bisher gibt es erst eines für die Europawahl, mit Ansagen wie: „Die EU in ihrer aktuellen Verfassung schadet der europäischen Idee.“ BSW will weniger „Regelungswut“ und „EU-Technokratie“. Das BSW-Angebot sammelt links und rechts das jeweils Populärste ein. Da fragen sich aus Erfahrung skeptische Wähler: „Was soll das werden?“

    Zudem lastet das Trauma Spaltung auf dem Linksmilieu Ost: Jeder in der DDR lernte, dass die fehlende Einheit der Arbeiterparteien den Aufstieg der Nationalsozialisten ermöglichte – ein Fehler historischer Dimension. Auch dafür galt ein „Nie wieder“. Wagenknecht und Mitstreiter haben das Unerhörte getan. Zu den Gründen gehört die Vernachlässigung des Ostens nach der Fusion 2004 von PDS (Partei des Demokratischen Sozialismus) und den Westlinken der WASG (Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit). Geeint einzig in vagen Vorstellungen, was „links“ sei, sollte zusammenwachsen, was von Mentalität und Politikvorstellung nicht recht zusammengehörte.

    „Wir leiden wie die Hunde“, so hört man, wenn sich ältere DDR-Sozialisierte begegnen. Man trifft sie zum Beispiel dienstags im Seniorenclub im Liebknecht-Haus oder wenn sie in großer Zahl zu Egon Krenz strömen, der bei der Vorstellung seines jüngsten Buches die Lage analysiert. Über die Chancen von BSW reden sie überall. „Es gibt kaum ein anderes Thema“, berichtet eine der auffallend vielen Akademikerinnen der Szene zum Beispiel von den Proben des Ernst-Busch-Chors. Mehrere Dutzend eingesammelte Meinungen fügen sich zu einem Stimmungsbild.

    Manche der Befragten gehören noch der Linken an – weil man dem Projekt noch eine Chance gibt, oder weil man im fortgeschrittenen Alter die politische Heimat nicht mehr wechseln mag. Manche sind seit der Wende parteilos, haben aber meist links gewählt. Kaum einer ist zu finden, den die Spaltung nicht enttäuscht und frustriert hat.

    „Ohne Frieden ist alles nichts“

    Eine Mehrheit der Befragten meint, der Bruch mit der Linken sei unvermeidlich gewesen, als sich deren Parteispitze nicht entschließen konnte, die von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer veranstaltete Demonstration „Aufstand für den Frieden“ am 25. November 2023 zu unterstützen. Ein an Kanzler Scholz gerichtetes Manifest zur Beendigung des Krieges in der Ukraine verlangt Verhandlungen und Kompromisse auf beiden Seiten. Die Online-Petition zählt 909.708 Unterstützer (Stand: 6. März 2024).

    Das sind fast eine Million Menschen, Wähler (m/w/d), die sich um den Frieden in der Nachbarschaft und in der Welt sorgen, denen Friedenspolitik wichtiger ist als alles andere. „Ohne Frieden ist alles nichts.“ Dieser Satz fiel bei der Erforschung des Stimmungsbildes am häufigsten. Wer so denkt, fand bis zur Gründung des BSW im deutschen Parteienspektrum diese Position einzig im Angebot der AfD wieder.

    Die rechtsextreme, völkische Partei brachte vor einem Jahr einen Antrag in den Bundestag ein, die Bundesregierung möge eine Friedensinitiative mit Sicherheitsgarantien für die Ukraine und Russland ergreifen. Nun also blickt die bislang ungehörte Masse der Friedensfreunde mit Spannung und Hoffnung auf die Entwicklung von BSW.

    Hartmut König, parteilos, Schöpfer des wohl bekanntesten DDR-Songs „Sag mir, wo du stehst“, treibt die Angst um, der Trennungsschmerz der links Liegengelassenen könne zum unversöhnlichen Hass werden. Er hat ein Gedicht geschrieben an „Meine getrennten Freunde!“. Ausdrucke kursieren und statt einer Antwort auf die Frage nach ihrer Stimmung, bekommt die Reporterin von vielen ein Blatt zugesteckt, mit der Bemerkung: „Lesen Sie erst mal das. Der König hat es auf den Punkt gebracht.“ Er fleht geradezu: „Man kann ein Haus verlassen / und bleibt sich nah im Streit.“ Und: „Im Streit die Hoffnung hissen, / kann ein Beginnen sein.“ Schließlich: „Wer wollte denn erleben / in blindgeschossner Zeit, / dass die Vernunft vor Gräben / umsonst nach Brücken schreit?“

    Meine getrennten Freunde!

    Ihr dürft euch jetzt nicht hassen / in eiseskalter Zeit.
    Man kann ein Haus verlassen / und bleibt sich nah im Streit.

    Im Streit die Hoffnung hissen, / kann ein Beginnen sein.
    Die Welt ist aufgerissen. / Macht eure Gräben klein.

    Wer wollte denn erleben / in blindgeschossner Zeit,
    dass die Vernunft vor Gräben / umsonst nach Brücken schreit?

    Hartmut König, 28. Januar 2024

    Viele derjenige, die der Linkspartei noch eine Chance geben, kämpften dafür, dass Brücken erhalten bleiben. Für sie steht zum Beispiel Gesine Lötzsch, die betont: „Die Gruppe um Sahra Wagenknecht ist nicht mein Hauptfeind.“ Die Schriftstellerin Daniela Dahn, parteilos, riet auf dem BSW-Gründungsparteitag, man solle kooperationsfähig bleiben, wo sich inhaltliche Gemeinsamkeiten ergeben.

    Geschichtslügen über Russland

    Emotional werden die Gespräche im linken Milieu des Ostens, wenn es um die Sowjetunion beziehungsweise Russland geht: Wie konnte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Holocaust-Gedenktag allen Ernstes behaupten, „die Alliierten“ hätten Auschwitz befreit! Nein, das war die Rote Armee. Diese Lüge wird als exemplarisch gesehen für ein absichtsvolles Ausblenden von Geschichte – gerade auch die Vorgeschichte des Ukraine-Krieges, vom Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion bis zum Vorschieben von Nato-Positionen an die Grenzen des heutigen Russland.

    Niemand in diesen Kreisen will und kann die Befreiungstat der Sowjetunion vergessen. Man erinnert daran, dass DDR-Bürger Brieffreundschaften pflegten, die Sowjetunion bereisten. Wie elektrisiert man Perestroika und Glasnost beobachtet habe! Wie groß waren die Hoffnungen! Und wie groß die Enttäuschung, als der vom Westen heiß geliebte Säufer Jelzin die Restsowjetunion zerbröseln und in Oligarchenhände übergehen ließ. Wie riesig schließlich das Entsetzen, als Russland die Ukraine überfiel. Eine ältere Genossin sagt nun: „Nach der Wende hat man uns Ossis vorgeworfen, wir hätten keine Ahnung von der Welt, weil wir nicht reisen durften – und heute ignoriert man unser Sowjetunion-Wissen oder belächelt es sogar.“
    Und wie steht es mit dem DDR-Bezug?

    BSW nimmt nicht explizit Bezug auf mögliche DDR-Vorbilder, nicht einmal hinsichtlich der Friedensorientierung oder der Chancengleichheit, die das DDR-Bildungssystem für Kinder kleiner Leute bot. Warum? Als Mutmaßung taucht in den Gesprächen auf: Die wollen sich nicht angreifbar machen. Außerdem gebe es in der Parteiführung – außer die Jenenserin Sahra Wagenknecht – keine Ossis mit einschlägigen Lebenserfahrungen.

    Auch die Frage, ob „die Sahra“ eigentlich noch kommunistisch sei, bewegt ihre langjährigen Beobachter. Immerhin war sie in den 1990er-Jahren die eloquenteste Sprecherin der Kommunistischen Plattform innerhalb der PDS. Ungewöhnlich talentiert sei sie schon immer gewesen, nun heißt es: „Sie ist gereift, hat viel gelernt. Womöglich hat sie wirklich umgedacht. Aber die kennt ihre Klassiker, auch wenn sie Marx nicht in jedem Satz zitiert.“

    Auch der Hinweis auf die hohe Bildung und Belesenheit der mit „magna cum laude“ promovierten Wirtschaftswissenschaftlerin bleibt nicht aus: „Sehen Sie den Unterschied zu den ahnungslosen Studienabbrechern, die in anderen Parteien das Wort führen?“ Das umfangreiche Wissen, so sagen die Wagenknecht-Bewunderer, befähige sie dazu, komplizierteste gesellschaftliche Sachverhalte in einfachen klaren Sätzen auszudrücken.

    Manche glauben noch an die Rote Sahra: Sie könne es jetzt nicht herausposaunen, aber eigentlich sei sie doch ganz die Alte. Andere sehen sie als Politikerin, die in neue Richtungen denkt, statt entlang ausgetretener Pfade zu pilgern. Man schaut nach Stil, Umgang, Ton und ist zur Auffassung gekommen, das passe zur Absicht, sich den normalen, arbeitenden Leuten zuzuwenden. Die Umfragen sagen: Im Osten kommt das BSW besser an als im Westen.

    Das bisher sichtbare BSW-Personal unterscheidet sich schon rein äußerlich von den meist grauhäuptigen Befragten. Im Berliner Kosmos-Saal saßen während des Gründungsparteitags überwiegend 40- bis 60-Jährige, also weder die alten Kämpen aus SED-Zeiten noch die grellbunten Jungen. Es ist genau die Altersgruppe, die in der Linkspartei vor allem auf der kommunalen Ebene fast vollständig fehlte. Auffällig: die vielen Frauen. Sie hielten die wichtigsten Reden: Sahra Wagenknecht, Co-Vorsitzende Amira Mohamed Ali, Daniela Dahn. Ihre Auftritte kamen ohne feministisches Trara aus, man spürte eine selbstbewusste, selbstverständliche Beiläufigkeit der Frauenpräsenz.

    Genauso verhielt es sich mit der vielfältigen Herkunftsmischung – niemand machte deswegen ein Aufhebens. Ost, Migrant, Frau, queer, PoC? Man verzichtet auch auf identitäres Dröhnen. Da ist ein Querschnitt Deutschlands am Werk. Die Texte sind in Normalsprache gehalten, frei von Genderakrobatik (also anders als bei der Linken). Und eine weitere Stilfrage findet Lob: Der Gründungsparteitag lief gut organisiert und geordnet; die einstige Schwäche der „Aufstehen“-Bewegung, 2018 von Sahra Wagenknecht initiiert und schnell zusammengebrochen, scheint mithilfe fähiger Kräfte überwunden.

    Das Bündnis Sahra Wagenknecht bietet eine bisher im politischen Spektrum nicht existente Mischung. Das erscheint interessant, irritiert aber auch. Nicht jeder, der BSW wegen der klaren Haltung zu Krieg und Frieden, wegen der Betonung des Sozialen oder der Sachlichkeit mit Sympathie beobachtet, wird mit dem Gesamtpaket zurechtkommen, sich zum Beispiel an der restriktiveren Migrationspolitik stören – andere werden den Pazifismus angesichts der russischen Aggression gegenüber der Ukraine für illusorisch halten.

    Großzügig betrachtet, kann man in der Erscheinung BSW durchaus einen DDR-Widerschein erkennen. Die DDR war links, wenn das heißt, sozialistische Ideale zu verfolgen oder Antifaschismus als Staatsdoktrin zu betonen. Sie war konservativ hinsichtlich der Nationalkultur, die zuletzt sogar das Preußische pflegte und Heimatliches hochhielt. Im Rückblick erscheint vielen auch der Aspekt „Ordnung und Sicherheit“ als achtenswert.

    Solche Gedanken werden womöglich eine Rolle spielen bei der Bildung von Basisgruppen in der Fläche der ostdeutschen Bundesländer. Bis zum Beginn des Wahlkampfes zur Bundestagswahl im Herbst 2025 bleibt kaum mehr als ein Jahr Zeit. Für vorgezogene Bundestagswahlen wären die Neuen noch nicht gerüstet.

    #Allemagne #politique #gauche #BSW

  • Werner Herzog im Interview: „Jeder einzelne von uns ist zur Wachsamkeit aufgerufen“
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/werner-herzog-im-interview-jeder-einzelne-von-uns-ist-zur-wachsamke

    9.3.2024 von Michael Maier - Der Regisseur Werner Herzog warnt vor Manipulationen und Potemkinschen Dörfern. Misstrauen sei angebracht, auch gegenüber der eigenen Regierung.

    Wir erreichen den Regisseur Werner Herzog via Videokonferenz in seinem Haus in Los Angeles. Er ist konzentriert und gibt geduldig Antworten – auch auf die Frage aller Fragen: Was ist Wahrheit? Der Filmemacher, der in seinem Leben immer an die Grenzen ging, will wissen: Wo werden wir manipuliert, wo erliegen wir Illusionen?

    In einer Welt von virtueller Realität und künstlicher Intelligenz rät er zu Misstrauen gegenüber allen Geschichten, die uns von Politik und Medien aufgetischt werden. Schon die Sammler in der Frühzeit hätten gewusst, welche Beeren und Pilze giftig sind. Werner Herzog glaubt an die Klugheit des Menschen. Doch wenn der Mensch nicht aufhört, Kriege zu führen und die Natur zu zerstören, werde die Menschheit verschwinden, so wie einst die Dinosaurier.

    Herr Herzog, Sie haben soeben ein Buch vorgelegt mit dem Titel „Die Zukunft der Wahrheit“. Warum haben Sie das Buch geschrieben?Das Buch ist eine Art Quersumme aus meiner Arbeit, wo ich im Kino immer mit der Frage konfrontiert war: Was ist Wahrheit, was ist Erfindung, wie können wir uns auf die Suche nach Wahrheit machen? Das war eine lebenslange Beschäftigung in meinem Metier, dem Film, gewesen.

    Nach der Lektüre des Buches muss man zu dem Fazit kommen: Es gibt „die Wahrheit“ nicht.

    Es hat jüngst eine Umfrage unter zweitausend Philosophen gegeben. Kein einziger kann Ihnen sagen, was Wahrheit ist. Es gibt seit der Antike, seit darüber nachgedacht wird, keine vollkommene Einsicht. Das Merkwürdige ist: Wir scheinen es in uns zu haben, dass wir uns auf die Suche nach der Wahrheit machen. Das tue ich in meiner Arbeit, seitdem ich Filme mache.

    Die Suche nach der Wahrheit auf der individuellen Ebene ist das eine. Es gibt aber auch im Gesellschaftlichen den Zwang, alle anderen von der eigenen Wahrheit überzeugen zu wollen, mitunter ganz stark, sodass alle glauben müssen, das ist jetzt wahr. Wo ist die Grenze zwischen der existenziellen Wahrheitssuche und der politischen Indoktrination?

    Das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Was mich beschäftigt, ist eine Suche, das Sich-auf-den-Weg-machen, auszuloten, wo könnte das sein. Wir scheinen ja in uns eine Ahnung zu haben, in welcher Richtung vage die Wahrheit liegt. Selbst wenn wir sie nicht genau benennen können: Es geht um das Suchen, dass wir nie aufhören. Der letzte Satz in meinem Buch heißt: Die Wahrheit hat keine Zukunft, aber Wahrheit hat auch keine Vergangenheit. Wir wollen, wir können, wir werden, wir dürfen die Suche danach aber nicht aufgeben.

    Aber gibt es so etwas wie eine allgemein gültige Wahrheit?

    Nein, nein, die gibt es nicht! Es gibt diese Wahrheit nur im bestimmten sozialen Kontext: Wenn Sie einer religiösen Sekte angehören, dann ist dort Wahrheit definiert. Es ist dann eine Glaubensfrage. Und wenn Sie im Politischen genauer hinsehen, dann sehen Sie: Alles, was im Politischen an Berichterstattung vor sich geht, folgt einem bestimmten Narrativ. Und in der Regel hat das Narrativ auch mit Propaganda zu tun. Deswegen rate ich dringend, wenn es um wichtige politische Sachen geht: Schauen Sie auf der Stelle parallele Quellen an.

    Das wird allerdings immer schwieriger: Es gibt unter den Wahrheitsverkäufern, also den Journalisten, immer mehr den Drang zu sagen: Hier ist die Orthodoxie, und alles, was davon abweicht, ist die Propaganda des Feindes. In Ihrem Buch ist sehr interessant, dass Sie ja mit den Mächtigen beginnen und deren Illusionen, die diese erzeugen wollen. Sie schreiben ja nicht über die verirrten Internetseelen, sondern über die Fake News der Mächtigen – wie etwa Kaiser Nero.

    Ich berichte mit Inbrunst über die letzte Nacht Neros, mit allen Details. Wir wissen heute ja viel darüber. Es hat falsche Neros gegeben nach dem Selbstmord, und das ist interessant im heutigen Kontext. Das Bewusstsein des „Selbst“ hat sich heute sehr stark verändert. Sie können heute im Internet einen Pornofilm mit Taylor Swift finden, der digital gefälscht ist. Ihr Gesicht wird auf den Körper einer Pornodarstellerin aufgepfropft. Sie können eine Rede von Donald Trump anhören, die vollkommen gefälscht ist. Das Bewusstsein von „Selbst“ ist heute sehr viel gefährdeter, als es früher war.

    Führt das zwangsläufig ins Totalitäre?

    Nicht unbedingt. Es kann auch zwangsläufig in massenhafte Selbstdarstellung auf YouTube und Facebook hinwirken. Heute sehen wir, wie Menschen sich weltweit selbst darstellen. Es sind fast immer beschönigte, frisierte, getürkte Selbstdarstellungen. Da ist im Grunde nichts verkehrt dabei. Es gehört zu uns, dass wir uns schönmachen, dass wir zum Friseur gehen, dass wir uns schminken.

    Interessant wird es natürlich, wenn das Schminken im politischen Bereich stattfindet. Sie bringen im Buch das schöne Beispiel mit den Potemkinschen Dörfern. Neigen wir im Politischen dazu, solche Dörfer aufzubauen, oder Gesslerhüte, die wir dann alle grüßen müssen?

    Die Potemkinschen Dörfer sind nur eine große Metapher für etwas, was ununterbrochen in den Medien geschieht.

    Wie kann man diese Dörfer enttarnen oder ihren Bau verhindern?

    Wachsamkeit. Jeder einzelne von uns ist zur Wachsamkeit aufgerufen. Heute sind unsere Instrumente sehr viel einfacher geworden. Wir können heute im Internet schnell vieles herausfinden durch divergierende Meinungen, durch Medien anderer Länder. Natürlich müssen Sie davon ausgehen, dass auch Medien wie zum Beispiel Al Jazeera sehr stark verzerrte Bilder in die Öffentlichkeit stellen. Aber wenn Sie wachsam sind und sich im Internet andere Beschreibungen holen, dann pendelt sich das rasch ein. Das heißt: Misstrauen, Misstrauen allen gegenüber, viel mehr als früher.

    Auch der eigenen Regierung?

    Allen, ohne Ausnahme. Misstrauen gegenüber allen, auch den Medien, Mainstream oder nicht. Jede E-Mail, die Sie bekommen, wenn Sie von der Bank die Aufforderung erhalten, 14,99 Euro zu überweisen, sonst wird Ihr Konto gesperrt. Jeder Annäherungsversuch von Pädophilen im Netz ist im Grunde erkennbar, wenn Sie wachsam bleiben.

    Es gibt bei den Medien einen enormen Konformitätsdruck, alle wollen dasselbe schreiben. Was kann man dagegen machen?

    Das ist nicht mein Problem, das ist Ihr Problem als Journalist. Es ist schön, wenn es Journalisten gibt, die sich nicht einem Anpassungszwang ergeben wollen.

    Es ist schon auch Ihr Problem, weil Sie als Medienkonsument ja dann die oft gleichlautenden Berichte bekommen.

    Es gehört zu meinem Alltagsgebrauch, dass ich hinterfrage. Bei wirklich wichtigen Sachen schaue ich ganz schnell in parallele Narrative. Das geht ganz einfach.

    Und Sie verspüren nicht manchmal so eine innere Selbstzensur, wo Sie sagen, na, das sind aber jetzt „die Bösen“?

    Nein, ich sage nur immer: Vorsicht, Vorsicht, Vorsicht. Man hat mir gesagt, wenn Sie aber niemandem mehr trauen, dann müssen Sie die Welt ja hassen! Das stimmt nicht, ich liebe die Welt und die Intensität, in ihr zu leben. Aber gleichzeitig sehe ich das wie früher die Sammler und Jäger in der Vorgeschichte. Die haben Pilze gesammelt und gegessen, und bei denen ist automatisch ein Reflex eingetreten, dass sie, durch Erfahrung klug geworden, keine giftigen Pilze oder Beeren gegessen haben. Das Misstrauen war zweite Natur, und ich bin mir sicher, dass frühgeschichtliche Menschen die Natur nicht gehasst haben. Ganz im Gegenteil. Und wir müssen auch unsere Welt nicht hassen, wenn wir grundsätzlich misstrauisch sind. Ich hatte neulich einen Zwölfjährigen bei mir im Haus, und der deutet auf eine E-Mail und sagte: Nein, nicht beantworten. Es war ein Versuch, an Informationen über mein Bankkonto heranzukommen. Das sehen die automatisch, es gibt inzwischen eine gewisse Leichtigkeit, damit umzugehen.

    Glauben Sie, dass das auch im Politischen so ist, dass die Jugendlichen sehen: Nicht alles, was mir Google so vor die Füße spielt, ist faktisch richtig?

    Es sind bei den Jungen genauso viele Esel, die im Internet herumirren, wie bei anderen Generationen, bei den älteren.

    Man kann die Esel politisch steuern: Neulich haben Sie in einem Interview vor der Gefahr der Dämonisierung gewarnt. Kommt dieses Stilmittel aktuell wieder stärker zur Anwendung?

    Das ist ein Instrument der Narrative. Es führt sehr, sehr oft zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Ich sorge mich darüber, wie wir jetzt zum Beispiel China mehr und mehr ins Narrativ der Dämonen schieben. Das ist sicherlich nicht gut.

    Sie sind unglaublich viel in der Welt herumgekommen, haben unzählige Länder sinnlich erfahren. Wenn Sie aus der Vogelperspektive draufschauen: Werden wir irgendwann diesen Reflex der Dämonisierung aufgeben, das gegenseitige Umbringen überwinden und uns sagen: Wir sind als Menschheit besser dran, wenn wir die Vielfalt bestehen lassen, statt uns dauernd zu bekriegen?

    Die Geschichte zeigt uns, dass es sehr schwierig ist, bestimmten Zwängen zu entgehen. Kein mit Vernunft begabter oder mit Gefühlen ausgestatteter einzelner Mensch will je einen Krieg haben. Und trotzdem haben die Kriege nie aufgehört. Wir sollten sehr darauf achten, was vermeidbar ist. Sind bestimmte bewaffnete Auseinandersetzungen vielleicht vermeidbar gewesen? In den vergangenen Jahrzehnten gab es vieles, was vermeidbar gewesen wäre.

    Sie behandeln in Ihrem Buch auch die Themen Künstliche Intelligenz und Virtuelle Welten (VR). Ist es heute nicht viel leichter zu töten, weil der Schütze weit weg am Joystick sitzt und jemanden per Computer und Drohne umbringt, irgendwo in einer Hochzeitsgesellschaft im Jemen, und gar keinen Bezug zu seiner Gewalttat mehr hat?

    Das ist eine furchtbare Seite der Digitalisierung der Kriegsführung. Sehen Sie: Sie reden mit jemandem, der im Krieg geboren ist. Ich bin jemand, der ausgebombt war, der fliehen musste. Ich bin jemand, der Hunger hatte, der die Ruinen gesehen hat. Es ist schrecklich, dass Krieg sich jetzt entmenschlicht, dass Krieg mit Joystick führbar wird. Vieles, was passiert, passiert übrigens nicht weit von Los Angeles entfernt. In der Mojave-Wüste gibt es eine Kommandozentrale. Da sitzen intelligente junge Soldaten, und wie in einem Videogame machen sie irgendwo in einer Wüste ein Fahrzeug aus, und jagen es mit einer ferngelenkten Drohne in die Luft.

    Anders als bei Vietnam gibt es dagegen wenig zivilgesellschaftlichen Protest.

    Vietnam war eine andere Zeit. Es war der erste Krieg, der von Journalisten, die mit am Boden waren, direkt dokumentiert wurde. Die Journalisten waren mit in den Schützengräben, im Dschungel. Heute sind die Journalisten „embedded“, also eingebettet in einen Truppenverband und natürlich auch eingebettet in deren Narrativ. Wirklich unabhängige Journalisten, die für sich allein unterwegs sind, gibt es heute kaum noch. Es gab sie in großer Zahl zur Zeit des Vietnamkriegs.

    Welche Rolle spielt das Kino bei den Kriegen? Auch Hollywood ist doch embedded.

    Das Mainstream-Kino bedient nur kollektive Träume der Welt. Wenn Sie auf den Philippinen ins Kino gehen, sehen Sie einen amerikanischen Actionfilm. Wenn Sie in Uruguay ins Kino gehen, sehen Sie einen Super-Hero-Film oder einen Fantasyfilm. Hollywood bedient sehr gut die kollektiven Träume großer Mehrheiten auf der Welt.

    Den großen Antikriegsfilm gibt es allerdings kaum noch.

    Das stimmt, da ist kaum noch etwas da. Meine Frau ist visuelle Künstlerin, sie hat eine VR über das atomare Ende gemacht, eine Vision vom Ende der Welt. Auch in der New York Times war von einem Künstler etwas über das atomare Ende. Ich frage mich: Sind es auf einmal die Künstler, die vorwegschauen und denken und warnen? Es ist nicht verschwunden, ich sehe es in meinem eigenen Haus.

    Damit die Leute in den Krieg ziehen, wird die Wahrheit in der Regel immer weiter ausgesetzt – es beginnt bei der Illusion, dann kommt die Propaganda und schließlich die Lüge. Wie kann man die politische Lüge unterbinden?

    Ich würde nicht gleich von Lüge sprechen. Es gibt eine Verzerrung der Wahrheit durch Weglassen. Als Papst Benedikt im Bundestag gesprochen hat, haben einige Grüne und Linke den Saal verlassen. Ich fand das damals ungeheuerlich. Seine Rede ist dann in vielen Medien niedergemacht und gehässig kommentiert worden. Über das Internet können Sie ganz schnell die volle Rede sehen. Die war sehr tief und ungewöhnlich. Auch was Benedikt in Auschwitz gesagt hat, das war unerhört. In zweitausend Jahren hat kein Papst so unerhörte Sachen gesagt wie Benedikt. Dreimal hintereinander fragt er: Wo war Gott, als das alles passiert ist. Aber es gibt auch aktuell die Verzerrung der Wahrheit durch Weglassen. Nehmen Sie die Gaza-Berichterstattung: Vieles, was dort geschieht, findet nicht den Weg in die Nachrichten. Es wird einfach ausgelassen.

    Aber die Massenvernichtungswaffen oder die grünen Männchen waren glatte Lügen. Was soll man da machen?

    Nehmen Sie mich nicht als Weltenrichter. Wir können hier immer nur versuchen, durch andere Quellen die Lügen der einen Seite als Lügen zu entlarven.

    Sie haben auch Michail Gorbatschow interviewt und sich mit Russland beschäftigt. War er das Opfer einer großen Illusion?

    Wichtig an meinem Gespräch mit Gorbatschow war, dass er auf die Versäumnisse hingewiesen hat zwischen Ost und West – so viele große Versäumnisse. So viel wäre verhinderbar gewesen. Vielleicht war er zu wenig misstrauisch. Er hat ja einseitig 400.000 Soldaten aus Polen abgezogen und 5000 Panzer und hat schriftlich keine Gegenleistung verlangt. Er war im Glauben, dass dieser Akt selbst schon eine so große Geste des Kompromisses und der Friedensbereitschaft ist. Das ist aber nicht anerkannt worden. Das nächste, was passiert ist, ist, dass Nato-Truppen in Polen vorgerückt sind. Die Versäumnisse, die er beschreibt und beklagt, die haben noch heute eine sehr starke Resonanz in mir.

    Fühlen Sie sich noch als Deutscher?

    Ja natürlich.

    Man weiß ja nie, und da Sie jetzt schon so lange in Los Angeles leben ...

    Meine Staatsbürgerschaft werde ich nie aufgeben, und meinen Akzent, bayerisch gefärbt, auch nicht.

    Das ist ja wieder etwas anderes, Deutschland und Bayern.

    (lacht) Lassen Sie uns bitte darauf jetzt nicht eingehen, da gibt es Unterschiede, ja.

    Ich frage, weil Deutschland die Wahrheitssuche immer betrieben hat, und die Aufklärung. Ist die deutsche Kultur heute noch ein Faktor im Diskurs der Welt? Die Chinesen übersetzen immerhin den ganzen Goethe.

    Deutschland hat wichtige Beiträge für die Kultur der Welt geliefert. Gleichzeitig darf man nicht vergessen, dass dasselbe Land in vollkommene Barbarei hinübergewechselt ist. China hat nicht nur Goethe übersetzt. Die haben auch ungeheures Interesse an intellektuellen Strömungen in der Geschichte. Es gibt Altphilologen in China, die außerordentlich tiefschürfende Arbeit machen.

    Hat der deutsche Idealismus auch in den USA noch einen Platz?

    Amerika ist mit sich selbst beschäftigt, das war immer so. Die werden sich auch nicht tief in französische Kultur hineindenken. Amerika ist noch ein in der Pubertät befindlicher Rohling.

    In Ihrem Film „Fitzcarraldo“ zeigen Sie, dass Naturerfahrung körperlich ist. Sie haben selbst dem Tod mehrfach ins Auge geschaut. Glauben Sie, dass die reale Welt stärker ist als die virtuelle, als alle Illusionen, denen wir uns hingeben?

    Ich glaube ja. Wir müssen vorsichtig sein, dass wir nicht ein Leben nur aus zweiter Hand führen, dass wir ein Leben aus dem Internet leben, statt in der Realität zu sein. Ich finde es nach wie vor gut, dass man Kinder ein Loch im Boden im Garten graben und ein Baumhaus bauen lässt. Und ich finde es nach wie vor gut, dass jemand, der Filme machen will, mal ein paar tausend Kilometer zu Fuß geht. Diese direkte Berührung mit der Wirklichkeit gibt uns tiefere Einsichten. Die Welt öffnet sich dem, der zu Fuß unterwegs ist. Ich sage das zu jungen Filmleuten, aber ich rede da zu tauben Ohren. Und ich sage jungen Filmleuten auch: Lest, lest, lest, lest, lest! Das fördert kritisches Denken, weil es größere Narrative verstehbar macht, weil es einen Sinn für Poesie schafft, weil es Sinn für Sprache schafft. Das sind ganz altmodische Sachen, die hochaktuell geblieben sind.

    Wird die wirkliche Welt die virtuelle überleben?

    Die wird parallel überleben, aber sie ist sehr verwundbar. Wenn Sie heute Sonnenprotuberanzen haben, dann gibt es einen elektrischen Sturm auf der Welt, dann sind plötzlich alle Satelliten ausgeschaltet und Sie haben kein Internet mehr und keinen Strom und keine Wasserversorgung. Es ist nichts mehr da. Es ist gut, dass wir die Welt auch mit den Füßen und mit den Händen erfahren, und nicht nur virtuell.

    Die Natur holt sich ihr Recht zurück?

    Das tut sie, ohne dass sie sich je gekümmert hätte, was die Menschen so treiben. Wir sind biologisch verwundbar, und wir haben es offensichtlich in uns, selbstdestruktiv zu sein. Das wird Konsequenzen haben, die uns verschwinden werden lassen, wie die Dinosaurier verschwunden sind.

    Sie sind also eher pessimistisch?

    Nein, wir können es verändern. Aber wir müssen klug sein.

    #cinéma #philosophie #it_has_begun

  • Deutschland und die Taurus-Affäre : Warum Olaf Scholz nicht die ganze Wahrheit sagt
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/geopolitik/deutschland-und-die-taurus-affaere-warum-olaf-scholz-nicht-die-ganz

    L’Allemagne et la France sont en guerre contre la Russie. Il faudrait enfin le faire comprendre à tout le monde. On l’évite car les conséquences seraient désastreuses pour les politiciens du gouvernement et les autres va-t-en guerre.

    8.3.2024 von Klaus Bachmann - Der Abhörskandal ist für den Bundeskanzler unangenehm. Dabei wäre es an der Zeit, den Deutschen reinen Wein einzuschenken, mit Blick auf den Ukraine-Krieg. Ein Gastbeitrag.

    Diese Geschichte endet, bevor sie überhaupt richtig begonnen hat. Sie fand statt im Sommer 2017, während des Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich, kurz nachdem massive, zum Teil von Russland gesteuerte Hackerangriffe und Schmähkampagnen in den USA Hillary Clintons Wahlkampf durcheinandergebracht und Donald Trump geholfen haben, an die Macht zu kommen.

    Macrons Wahlkampfteam ist gewarnt – im fernen Osten sind tausende falscher Twitter- und Facebook-Konten entstanden, es gab Phishing-Angriffe auf das Wahlkampfteam und Fake-News Kampagnen über Macrons angebliche Offshore-Konten.

    Macrons Wahlkämpfer entschließen sich zu einem ungewöhnlichen Schritt – sie füttern das Monster, das dabei ist, sie anzugreifen. Sie füttern es mit vergiftetem Futter, mit gefälschten Dokumenten, erfundenen Nachrichten über sich selbst. Gefälschte Dokumente und Nachrichten über Dritte zu verbreiten, ist gefährlich – man riskiert dann Zivilklagen wegen Verleumdung und Schadenersatz. Aber über sich selbst die Unwahrheit zu verbreiten, ist legal, solange man damit niemanden betrügt. Kurz vor dem Wahltermin platzt die Bombe – russische Hacker leaken tausende Geheimdokumente, die sie angeblich von Macrons Wahlkampfteam erbeutet haben. Eine Katastrophe von geradezu Clintonschen Ausmaßen: statt die Wahl zu gewinnen, werden sich Macron und sein Team nun wochenlang gegen diese Kampagne verteidigen müssen.

    Denn statt sich zu wehren, zu dementieren und neun Gigabyte an Datenleaks zu kommentieren, gibt Macrons Wahlkampfchef Mounir Mahjoubi nur bekannt, die Leaks enthielten echte und falsche Infos, darunter solche, die sein Team den Hackern selbst geliefert hätten. Die französische Wahlbehörde warnt Medien, die Weiterverbreitung dieser Daten könne erhebliche straf- und zivilrechtliche Konsequenzen haben. Niemand weiß jetzt mehr, was von dem Material, das auch Wikileaks ins Netz wirft und das von Rechtsradikalen in Frankreich und den USA weiterverbreitet wird, tatsächlich echt und glaubwürdig ist. Der russische Angriff, der darauf zielt, die Rechtsradikale Marianne Le Pen ins Amt zu hieven, scheitert grandios. Macron gewinnt die Wahl und wird Präsident.

    Wie Macron die Wahl gewann

    Sie werden als die Betrogenen dastehen, als unfähig, ratlos und hilflos gegenüber den Beschuldigungen, die ihre Wahlkampfgegner und die Medien aus den geleakten Dokumenten konstruieren können. So war es in den USA gewesen. In den USA sind manche Clinton-Anhänger bis heute damit beschäftigt, ihre Kandidatin gegen den (erfundenen und damals verbreiteten) Vorwurf zu verteidigen, sie habe in einer Pizzeria kleine Kinder an Pädophile verkauft. Aber dieses Mal kommt alles ganz anders.

    Von Macron mit Leaks umgehen lernen

    Und jetzt stellen wir uns einmal einen Moment lang vor, Verteidigungsminister Boris Pistorius, Bundeskanzler Olaf Scholz und die bei der jüngsten russischen Abhöraktion über die Taurus-Besprechung Anwesenden hätten Macrons Kaltblütigkeit besessen und wären Stunden nach der Veröffentlichung des Mitschnitts vor die Presse getreten, um eiskalt lächelnd zu lügen, es habe eine solche Besprechung nie gegeben.

    Stellen wir uns weiter vor, sie hätten auch nie versucht, den Mitschnitt aus dem Internet zu entfernen, sondern sich stattdessen darüber lustig gemacht. Ohne hochsensible Details über das Zustandekommen des Mitschnitts öffentlich zu machen, wären Außenminister Lawrow und seine TV-Chefpropagandistin nicht in der Lage, das Gegenteil zu beweisen. Was Juristen die Beweislast nennen, würde dann von der Bundesregierung auf die russische Regierung verlagert: Sie wäre wochenlang damit beschäftigt gewesen, die Authenzität des Mitschnitts zu beweisen, ohne dabei offenzulegen, wie sie darangekommen ist. Und dann müsste sie noch hoffen, dass man ihr auch glaubt. Es war ja nicht das Verhalten der Russen, das der deutschen Öffentlichkeit zeigte, dass das Gespräch der Generäle so stattgefunden hat, sondern das Verhalten derer, die daran teilnahmen.

    Man könnte sogar noch einen Schritt weiter gehen und sich vorstellen, Pistorius hätte nicht behauptet, die mitgeschnittene Besprechung habe gar nicht stattgefunden, sondern sie sei absichtlich aufgezeichnet und geleakt worden, um Lawrow eine Falle zu stellen oder einen Maulwurf in der Bundeswehr aufzudecken. Dann wären die besten IT-Spezialisten der Welt nicht mehr in der Lage gewesen, nachzuweisen, ob die Moskauer Aufzeichnung echt oder falsch ist.

    Denn das, was solche Informationen glaubwürdig oder unglaubwürdig macht, sind nicht die Metadaten in der Videodatei, sondern das, was sich im Kopf derer abspielt, die sie sehen. In Hillary Clintons Wahlkampf war das Signal, das die Öffentlichkeit erreichte: „Hillary war unvorsichtig und wurde von Hackern reingelegt.“ Und jeder wollte die geleakten Nachrichten unbedingt lesen. Als Macrons Wahlkampfstab den russischen Hackern eine lange Nase drehte, lautete das Signal an die französische Öffentlichkeit: „Da ist nichts dran. Macron hat die Hacker reingelegt.“ Und niemand interessierte sich mehr für das Gehackte selbst.

    Die Deutschen wissen nicht, dass sie im Krieg sind

    Man kann die Regeln, die daraus folgen, sogar auf das gesamte Geheimdienstwesen übertragen. Sie lauten dann: Erstens, es spielt keine große Rolle, was die russischen Geheimdienste alles über die Bundesrepublik erfahren. Im Grunde genommen können wir ihnen alles auf dem Servierteller präsentieren – Hauptsache, wir sorgen gleichzeitig dafür, dass sie es nicht glauben.

    Zweitens, wir haben bisher viel zu viel darüber geredet, wie man Leaks verhindert. Das geht ohnehin nur begrenzt, denn es beruht auf einem ständigen Wettlauf mit den Hackern, der dem Rüstungswettlauf nicht unähnlich ist. Wir haben überhaupt nicht darüber geredet, wie man mit sicherheitsrelevanten Datenleaks umgeht und Schaden begrenzt – oder sie gegen die Täter einsetzt. Das ist eigentlich auch mehr ein Job für Psychologen als für IT-Spezialisten.

    Für solche Manöver braucht man starke Nerven, viel Kaltblütigkeit und eine eiserne Disziplin. Es ist schwer, eine entsprechende Absprache unter hundert Menschen zu treffen, die an einem Geheimtreffen teilgenommen haben. Werden die von Medienvertretern abgefragt, bricht so eine Schweige- oder Lügenfront schnell auf. Nur: An der Taurus-Affäre waren gerade einmal vier Generäle beteiligt – aber das Verteidigungsministerium ließ sich trotzdem ins Bockshorn jagen.

    Es gibt da noch ein Problem, das viel wichtiger ist als die Logistik von überzeugenden Dementis. Für so eine Aktion muss man ungefähr so überzeugend lügen, wie jemand, für den es dabei um Tod oder Leben geht. Menschen im Krieg verhalten sich so. Aber Deutschland ist nicht im Krieg. Oder besser gesagt: Es weiß nicht, dass es im Krieg ist und will es auch gar nicht wahrhaben. Das gilt sogar für die vier Generäle, die diesen Krieg führen.

    Die Bundesrepublik ist im Krieg

    Wie wenig die Bundesrepublik, ihre Politiker, Medien und Bürger das wahr haben will, konnte man in den vergangenen Tagen beobachten. Als Erstes trat Bundeskanzler Olaf Scholz vor die Presse, vor dem geradezu majestätischen Hintergrund der Vatikanstadt und obwohl man auf Auslandsreisen (und bei Privataudienzen beim Papst) ja normalerweise keine Innenpolitik kommentiert. Er fand die Sache „sehr ernst“. Pistorius schwieg erst einmal, bis die Spekulationen zu sehr ins Kraut schossen: Darüber, ob bei der Besprechung Geheimnisse über andere Bündnispartner ausgeplaudert worden waren, darüber, ob man nun Taurus mit oder ohne Bundeswehrsoldaten in die Ukraine liefern kann und soll. Darüber, ob Scholz vielleicht die Opposition und das Parlament an der Nase herumgeführt hat und die Generäle am Parlament vorbei Soldaten in die Ukraine schicken wollten oder sogar den Kriegseintritt Deutschlands vorbereitet hatten.

    Alle reagierten genauso, wie die Demokraten nach den Clinton-Leaks – und sorgten so dafür, dass alle den Mitschnitt für authentisch hielten. Schließlich trat Pistorius dann doch vor die Medien und sagte: „Die Offiziere haben das getan, wofür sie da sind.“ Sie seien sich „zu jedem Moment der Besprechung“ im Klaren gewesen, dass „die Linie einer Kriegsbeteiligung nicht überschritten wird“. Spätestens da war klar: Der Mitschnitt ist echt.

    Inhaltlich kann ich Pistorius da nur recht geben: Weder die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern noch die Entsendung von Soldaten in die Ukraine machen Deutschland zu einer Kriegspartei. Das ist Deutschland nämlich schon seit zwei Jahren. Wer daran zweifelt, möge die Urteile des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag zu Nicaragua gegen die USA und Uganda gegen die Demokratische Republik Kongo nachlesen. Das ist keine leichte Lektüre, die Richter in Den Haag machen es ihren Lesern selten leicht. Sie reden auch nicht von Kriegsparteien, denn so etwas gibt’s nicht im Völkerrecht. Sie reden stattdessen von Gewaltanwendung gegen andere Staaten.

    Die ist nach der UN-Charta grundsätzlich verboten – einzige Ausnahme: individuelle und kollektive Verteidigung bei einem Angriff. Die Latte, die die Richter gelegt haben, um zu definieren, ab wann eine solche Gewaltanwendung stattfindet, liegt viel, viel niedriger als unsere öffentliche Debatte, unsere Medien und unsere Politiker uns glauben machen wollen. Sie beginnt nicht erst beim Entsenden von Soldaten, sondern bereits bei der Ausbildung fremder Kämpfer an Waffen auf eigenem Territorium, bei der Lieferung von Waffen und der Finanzierung von Waffenkäufen einer Kriegspartei.

    Das alles taten die USA in Nikaragua, indem sie dort Guerillas ausbildeten, ausrüsteten und zurück über die Grenze schickten. Auch Uganda tat das (und tut es bis heute) in der Demokratischen Republik Kongo. Weder die USA noch Uganda haben dabei eigene Soldaten über die Grenze geschickt. Und trotzdem wurden beide wegen „Gewaltanwendung gegen einen anderen Staat“ verurteilt. Aber keine Sorge: Deutschland würde dafür nicht verurteilt. Uganda und die USA taten das nämlich gegen den Willen einer international anerkannten Regierung, die weder gegen Washington noch gegen Kampala Gewalt angewendet hatte.

    Deutschland und die anderen westlichen Staaten tun das auf ausdrücklichen Wunsch der international anerkannten ukrainischen Regierung. Sie könnten nach geltendem Völkerrecht auch viel weiter gehen, oder, wie das hierzulande immer heißt: eskalieren. Sie dürfen auf Wunsch der ukrainischen Regierung auch Soldaten in die Ukraine schicken – das wäre dann als kollektive Verteidigung eines Angegriffenen von der UN-Charta gedeckt. Diese Soldaten sollten möglichst nicht in Zivil kommen, sondern offen Waffen und Uniformen tragen – denn nur dann kommen sie als Kombattanten in den Genuss der Genfer Konventionen, falls sie verwundet und gefangen genommen werden oder sich ergeben.

    Vor diesem Hintergrund erscheint Präsident Macrons Vorschlag, die Entsendung von Nato-Truppen in die Ukraine nicht von vorneherein auszuschließen, vielleicht etwas weniger haarsträubend. Den vielen X- und Facebook-Usern, die in dem von Moskau geleakten Mitschnitt den Beweis dafür sehen, dass Pistorius und seine Generäle einen illegalen Angriffskrieg planen und dem Berliner AfD-Abgeordneten Gunnar Lindemann, der deshalb Strafanzeige stellte, kann ich nur raten, ins Badezimmer zu gehen und sich einer kurzen Ice-Bucket-Challenge zu unterziehen. Denn völkerrechtlich wäre es vollkommen legal, wenn die Bundesrepublik aus der Ukraine heraus und mit Zustimmung der ukrainischen Regierung mit einigen Taurus-Marschflugkörpern die Krim-Brücke, den Kreml und das Hauptquartier der Schwarzmeerflotte dem Erdboden gleichmachte.

    Das sind nach humanitärem Völkerrecht und internationalem Völkerstrafrecht vollkommen legitime militärische Ziele, weil sie eine militärische Bedeutung haben, etwa so wie Kasernen, Kommandozentralen und Waffenfabriken. Boris Pistorius und seine Generäle dürfen keine russischen Wohnblocks, Krankenhäuser und Menschenansammlungen aufs Korn nehmen. Das wäre immer noch kein illegaler Angriffskrieg, sondern ein Kriegsverbrechen im Rahmen kollektiver Verteidigung.

    Kriegsverbrechen kann man nämlich auch begehen, wenn man sich nur verteidigt; nichts zeigt das besser als Israels Kriegsführung im Gaza-Streifen. Durch einen solchen Angriff würde Deutschland auch nicht zur Kriegspartei, denn das ist es, wie erwähnt, schon lange. Etwas anderes würde wahrscheinlich passieren: Deutschland würde zum Schlachtfeld, denn Russland würde uns das mit Sicherheit heimzahlen.

    Das ist der wahre Einsatz, um den Scholz, Pistorius, aber auch Biden und Macron eigentlich spielen: Sie wollen, dass sich der Krieg nur in der Ukraine abspielt und nicht ausufert auf Nato-Gebiet. Das, so scheint es, will Russland vorerst auch. Aber das ist Geopolitik und Kriegsstrategie, mit dem Völkerrecht hat das nichts zu tun. Vieles, was völkerrechtlich erlaubt ist, ist politisch nicht sinnvoll und nicht alles, was politisch sinnvoll wäre, ist völkerrechtlich auch erlaubt.

    Die Bundesrepublik will aber nicht im Krieg sein

    Vor diesem Hintergrund sind wir seit über zwei Jahren Versuchskaninchen bei einem sozialpsychologischen Experiment, dessen Ziel es ist, uns zu überzeugen, dass wir, obwohl wir gegen Russland völkerrechtlich Gewalt anwenden und am Krieg direkt beteiligt sind, wir doch eigentlich mit diesem Krieg nicht das Geringste zu tun haben. Wir verhalten uns auch überhaupt nicht wie ein Land, das Krieg führt oder im Krieg ist. Unsere kritische Infrastruktur wird nicht bewacht, linksradikale Amateure können unsere Stromversorgung lahmlegen und Saboteure können – und das passiert ungefähr 2000 Mal pro Jahr – Bahngleise und Oberleitungen beschädigen. Das ist in Ordnung in Friedenszeiten; da kann man nicht an jedem Strommast eine Bürgermiliz postieren. In Kriegszeiten ist solcher Leichtsinn eine Einladung für Saboteure, die so dafür sorgen, dass weniger deutsche Truppen ins Ausland verlegt werden können, weil sie zum Schutz der Infrastruktur im Land benötigt werden.

    Wie tief der deutsche Vogel Strauß mit dem Kopf im Friedenssand steckt, kann jeder selbst relativ einfach herausfinden: Wissen Sie, wo der für ihre Wohnung und ihren Arbeitsplatz am schnellsten erreichbare Luftschutzraum ist? Wissen Sie etwas über seinen Zustand? Wissen Sie, was Sie tun müssen, wenn Sie ihn nicht erreichen oder er bereits voll ist? Die einzige Notfall-App, die bisher entwickelt wurde, war eine Reaktion auf die Überschwemmung im Ahr-Tal, nicht auf den Krieg in der Ukraine. Sie warnt jetzt anstelle der Sirenen und Kirchenglocken, die das früher taten (wenn sie funktionierten) vor Katastrophen – vor Luftangriffen warnt sie nicht.

    Sogar der freiwillige Heimatschutz, über den jährlich gerade mal ein Tausend Soldaten angeworben werden sollen, stammt aus dem Jahr 2011 und ist keine Reaktion auf den Krieg. Statt der erhofften 1000 Rekruten pro Jahr sind es bisher aber nur ein paar Hundert gewesen.

    Die polnische Regierung führte 2017 eine Territorialverteidigung ein, die jetzt knapp 40.000 Bewaffnete umfasst, zusätzlich zur Armee. Gedacht war sie ursprünglich als eine Art Parteiarmee zur Bekämpfung innerer Unruhen (damals regierte noch die PiS-Partei), aber heute könnte Polen sie auch als Bürgermiliz zur Bewachung kritischer Infrastruktur einsetzen.

    Es gibt Leute, die glauben, das sogenannte Sondervermögen für die Bundeswehr sei gewissermaßen die fleischgewordene Zeitenwende und der Beweis für den Ernst der Lage. Weit gefehlt. Dieser Sonderschuldenfonds entstand anstelle der Zeitenwende und damit Otto-Normalverbraucher weiter so normal verbrauchen kann, als sei er gar nicht im Krieg. Nichts soll sich verändern. Ein Land, das wegen eines Gebäudeenergiegesetzes und einem Streit über die Details von Bezahlkarten für Asylsuchende in Wallung gerät, kann man unmöglich mit der Nachricht schockieren, es sei im Krieg. Und so läuft seit zwei Jahren die Operation Wiegelied: Unser Kanzler, unsere Verteidigungsminister, unsere Innenministerin und sogar unsere Generäle singen uns in den Schlaf mit einer Melodie, der zufolge der Krieg ganz, ganz weit weg ist, ganz, ganz sicher nie zu uns kommt und nach der sie alles vollkommen im Griff haben und alles, aber auch ganz und gar alles tun, was in ihrer Macht steht (also nicht besonders viel), damit der Krieg da bleibt, wo er ist.
    Vom Hindukusch an die Krim

    Das Erstaunlichste an der ganzen Geschichte ist, dass sie uns nun schon zum wiederholten Male widerfährt. Die Bundesrepublik hat schon einmal einen Krieg geführt, den sie nicht wahrhaben wollte und als „Stabilisierungs- und Demokratisierungskampagne“ verniedlicht hat. Das war in Afghanistan. Damals machten uns die aufeinanderfolgenden Regierungen des Friedenskanzlers Gerhard Schröder und Angela Merkels weis, die Bundeswehr würde da nur Brunnen und Schulen bauen und Mädchen auf dem Schulweg bewachen, während sie in Wirklichkeit Krieg gegen die Taliban (und den sie unterstützenden Teil der afghanischen Bevölkerung) führte, Tanklaster bombardierte und eine hochkorrupte, instabile und bei weiten Teilen der Bevölkerung verhasste Regierung stützte.

    Es kam, wie es kommen musste: Nach 20 Jahren verlor die Bundeswehr einen Krieg, den sie angeblich nie geführt hatte und mit dem zuhause niemand etwas zu tun haben wollte. So läuft es jetzt schon seit zwei Jahren, oder, wie manche meinen, auch schon seit zehn Jahren, denn so lange ist Russland ja im Krieg mit der Ukraine. Muss es so weitergehen?

    Der Bevölkerung den Krieg erklären

    Es gibt keinen Grund, warum Olaf Scholz, die Bundesregierung oder der Bundestag Russland den Krieg erklären sollten. Russland hat der Ukraine bis heute keinen Krieg erklärt; die Zeiten, als man Diplomaten abzog, sich den Fehdehandschuh hinwarf und die Truppen in Bewegung setzte, sind vorbei. Darum geht es nicht mehr. Jetzt geht es darum, der bundesdeutschen Bevölkerung den Krieg zu erklären – ihr zu erklären, dass sie im Krieg ist, warum sie im Krieg ist und vor allem: was das bedeutet.

    Es bedeutet eine Umstellung der gesamten Wirtschaft auf Rüstungsproduktion, damit wir die Munition, die wir der Ukraine versprochen haben, auch liefern können. Es bedeutet die Wiedereinführung der Wehrpflicht und eine Erhöhung des Verteidigungshaushalts. Es bedeutet, um es in der Sprache von Linker, AfD und Sahra Wagenknecht auszudrücken, mehr Kriegswarnungen im öffentlichen Raum und ein gesundes Maß an Vorsicht beim Schutz von kritischer Infrastruktur, der Einführung von flächendeckenden Erste-Hilfe-Kursen und eines Zivilschutzkonzepts. Das Problem dabei: Das tut weh. Es verursacht mehr Schmerzen als Robert Habecks Gebäudeenergiegesetz, ein Tempolimit auf der Autobahn und die Einführung eines fleischfreien Freitags zusammengenommen.

    Deshalb gilt auch in diesem Fall das alte Gesetz politischen Nicht-Handelns: Wenn die Kosten und die Anstrengungen zur Abwendung einer Gefahr zu hoch sind, wird die Gefahr einfach heruntergespielt. Jeder tut das, nicht nur unsere Politiker, obwohl wir die dann für die Folgen verantwortlich machen. Jetzt sind es aber zum großen Teil sie selbst, die das tun. Angefangen von denen, die behaupten, Deutschland sei gar keine Kriegspartei, bis zu denen, die einfach behaupten, Russland führe gar keinen Krieg gegen die Ukraine, sondern verteidige sich selbst gegen die Nato (was ja erst recht bedeutet, dass die Nato Kriegspartei ist) oder werde ganz bestimmt die Nato und die Bundesrepublik nie und nimmer angreifen.

    In diesem speziellen Fall sollte das unsere Politiker nicht davon abhalten, uns reinen Wein einzuschenken und sich selbst zu wappnen, zum Beispiel durch einen permanenten Krisenstab im Kanzleramt, der im Krisenfall alle Beteiligte auf eine gemeinsame Haltung einschwört, mit der sich der Schaden begrenzen oder die Affäre zum eigenen Nutzen drehen lässt. Was geschieht, wenn man das nicht tut, hat uns Hillary Clintons Präsidentschaftskandidatur vor Augen geführt: Man verliert die Wahlen und die Macht.

    Natürlich heißt das auch, dass unsere Politiker uns dann in manchen Fällen öffentlich und kaltblütig belügen müssten. Einerseits ist das natürlich in einer Demokratie ganz und gar undenkbar. Zumindest in Friedenszeiten. Andererseits hat das Emmanuel Macron 2017 ja auch getan – noch vor der russischen Invasion in der Ukraine. Wobei ich mir jetzt gar nicht so sicher bin, ob und wann genau er damals gelogen hat. Vielleicht hat sein Team die Hacker ja gar nicht mit falschen Informationen gefüttert, sondern hat das hinterher nur behauptet. Nach der gewonnenen Wahl hat das ohnehin niemanden mehr interessiert.

  • Berlin: Taxifahrer veranstalten Anti-Berlinale – Protest gegen Uber mit eigenem Filmfestival
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/berlin-taxifahrer-veranstalten-anti-berlinale-protest-gegen-uber-mi


    Klaus Meier ist ehemaliger Taxifahrer und Veranstalter des Protest-Festivals bei der Berlinale. Foto Gerd Engelsmann

    16.2.2024 von José-Luis Amsler - Erneut wird die Berlinale vom US-Mietwagenkonzern Uber gesponsert. Berliner Taxifahrer protestieren dagegen – mit einem eigenen Filmfestival.

    Während Filmstars im Blitzlichtgewitter über den roten Teppich schreiten, geht für Klaus Meier ein Stück Berlin verloren. Unweit des Berlinale-Palasts steht der 63-Jährige mit seinem Großraumtaxi. An diesem Donnerstag beginnt mit der Eröffnungsgala am Potsdamer Platz die 74. Berlinale. Hauptsponsor ist, wie schon im letzten Jahr, das US-Mietwagenunternehmen Uber. Für Meier ist das ein Skandal.
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    #pawall

    #Taxi #Kultur #Film #Kino #Berlin #Mitte #Potsdamer_Straße #Eichhornstraße #TaxiFilmFest #Berlinale #Boulevard_der_Stars #Journalismus #Presse #TaxiFilmFest #Medienecho

    • :-) @monolecte

      Taxifahrer veranstalten Anti-Berlinale: Protest gegen Uber mit eigenem Filmfestival

      Erneut wird die Berlinale vom US-Mietwagenkonzern Uber gesponsert. Berliner Taxifahrer protestieren dagegen – mit einem eigenen Filmfestival.

      Während Filmstars im Blitzlichtgewitter über den roten Teppich schreiten, geht für Klaus Meier ein Stück Berlin verloren. Unweit des Berlinale-Palasts steht der 63-Jährige mit seinem Großraumtaxi. An diesem Donnerstag beginnt mit der Eröffnungsgala am Potsdamer Platz die 74. Berlinale. Hauptsponsor ist, wie schon im letzten Jahr, das US-Mietwagenunternehmen Uber. Für Meier ist das ein Skandal.

      „Uber steht für die Zerstörung einer Branche, für Ausbeutung, Lohndumping und das systematische Brechen von Gesetzen“, sagt er der Berliner Zeitung am Telefon. Um auf den drohenden Niedergang des Taxigewerbes aufmerksam zu machen, will Meier während des gesamten Festivals in Sichtweite des roten Teppichs protestieren – mit einem eigenen Filmfestival.
      Taxi-Protest bei der Berlinale: „Uber zerstört Existenzen“

      Meier hatte schon im vergangenen Jahr eine kleine Demonstration gegen das Uber-Sponsoring organisiert. Mit der Partnerschaft habe sich das Festival auf die Seite eines „Zerstörers von Existenzen“ gestellt. „Das darf sich nicht wiederholen“, sagte Meier damals der Berliner Zeitung. Die Demo habe die Festivalleitung ignoriert. Anfang Dezember habe er dann erfahren, dass Uber erneut als Hauptsponsor bei der Berlinale eingeladen wird.

      Statt nun erneut mit Schildern und Parolen für das Anliegen der Taxifahrer zu streiten, setzt der 63-Jährige in diesem Jahr selbst auf die Kunst der bewegten Bilder. Das „TaxiFilmFest“ soll ein eigenständiges Festival auf vier Rädern sein, eine Gegen-Berlinale im Großraumtaxi.

      Die Idee für das Filmfest hatte Meier bei der Mitarbeit an einem Nachbarschaftsprojekt. Mit Filmen habe der gebürtige Berliner bereits seit seiner Kindheit zu tun. „Mein Vater hat während des Zweiten Weltkrieges beim Trickfilm in Babelsberg gearbeitet“, erzählt Meier am Telefon. „Ich bin quasi im Filmstudio großgeworden“. Auch mit Veranstaltungen kennt sich der ehemalige Taxifahrer aus. Mitte der Neunzigerjahre arbeitete Meier als Freischaffender für Film- und Fernsehproduktionen, organisierte das Berliner „VideoFest“ und später die „Transmediale“ mit.
      Draußen Demo, drinnen Filmfest

      Mit seinem mobilen Festival will Meier nicht nur auf die prekären Arbeitsbedingungen der Berliner Taxifahrer aufmerksam machen. Ebenso gehe es darum, ein positives Bild des Gewerbes zu vermitteln. Den Menschen „auch mal was anderes zu zeigen, als den griesgrämigen Taxifahrer, der immerzu wütend ist, weil er kein Geld mehr verdient.“ Formal handelt es sich bei dem Festival trotzdem um eine Demonstration, die auch bei der Berliner Versammlungsbehörde angemeldet ist.

      „Wir sind zwei in einem, Protest und Filmfest“, erklärt Meier. „Das Taxi hat eine harte Schale und einen weichen Kern – so wie wir Berliner halt. Draußen ist die Kundgebung mit Forderungen an die Politik. Drinnen findet das Festival unter Freunden statt.“ Auf dem Programm stehen dabei ausschließlich Filme, in denen Taxis eine wichtige Rolle spielen: „Hallo Taxi“, „Das fünfte Element“ und – natürlich – Martin Scorseses New-Hollywood-Klassiker „Taxi Driver“.

      Damit soll auch die kulturelle Bedeutung des Taxis für die Stadt hervorgehoben werden. „Das Taxi war immer schon Seismograf für die gesellschaftliche Entwicklung in Berlin“, sagt Meier. „Das ging schon in der Nachkriegszeit los. Dann gab es die Studentenbewegung und das studentische Taxi, später dann das migrantische Taxi.“ Letztlich leiste die Branche weit mehr, als nur das Fahren von Gästen von A nach B. „Taxifahrer kennen ihre Stadt, wissen in welchen Lebenssitutationen die Menschen stecken und haben immer ein offenes Ohr“, sagt Meier. All das werde durch Unternehmen wie Uber bedroht.
      Kritik gegen Uber: „Organisierte Schwarzarbeit“

      Die Liste der Vorwürfe gegen den US-Konzern ist lang. Anfang der 2010er-Jahre wurde die Mietwagen-App noch als vielversprechendes Start-Up gefeiert, dass den Personenverkehr revolutionieren sollte. Schnell häuften sich Berichte über schlechte Arbeitsbedingungen und eine aggressive Unternehmenskultur, sogar von Gewalt gegenüber Mitarbeitern war die Rede. 2022 veröffentliche die britischen Zeitung The Guardian eine Auswertung von 124.000 internen Dokumenten, laut der Uber im Zuge seiner weltweiten Expansion gezielt Gesetze gebrochen, Behörden getäuscht und Regierungen beeinflusst haben soll.

      In Deutschland gelten für den Mietwagenkonzern zwar strengere Regeln, doch auch hier steht Uber in der Kritik. In einer Recherche des RBB wird das Geschäftsmodell des Unternehmens als „organisierte Schwarzarbeit“ beschrieben. Uber selbst tritt dabei nur als Vermittler auf. Aufträge, die über die App ankommen, werden an kleinere Mietwagenfirmen weitergeleitet, die wiederum die Fahrer beschäftigen. Werden dort gesetzliche Standards missachtet, fällt das nicht auf Uber zurück.

      Kristian Ronneburg, verkehrspolitischer Sprecher der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus, begleitet die Situation seit längerem kritisch. „Das Taxigewerbe ist durch die Öffnung des Marktes und Deregulierung seit Jahren durch unlautere Konkurrenz mit Mietwagenvermittlern wie Uber enorm unter Druck geraten“, sagte Ronneburg der Berliner Zeitung. Auch in Deutschland sei immer wieder deutlich geworden, „wie Uber offen und verdeckt Rechtsbrüche begeht“.
      „Die Menschen werden von Uber bewusst in eine Falle gelockt“

      TaxiFilmFest-Veranstalter Klaus Meier erzählt, dass es sich bei den Fahrern oft um Bürgergeldempfänger oder Geflüchtete handele, die für einen Stundenlohn von vier oder fünf Euro angestellt werden. Was für angehende Fahrer zunächst wie ein unkomplizierter Weg aussehe, unter der Hand etwas dazuzuverdienen, führe schnell in eine Sackgasse: Lange Schichten, fehlender Arbeitsschutz, keine Weiterbildungsmöglichkeiten. „Diese Menschen werden von Uber bewusst in eine Falle gelockt“, sagt Meier.

      Gerade in Berlin sollen Partnerfirmen von Uber konsequent den gesetzlichen Mindestlohn missachten. Die Fahrpreise für Kunden variieren, werden je nach Tageszeit und Nachfrage in der App bestimmt – sind aber fast immer billiger, als dieselbe Fahrt mit dem Taxi gekostet hätte. Meier ist sich sicher: „Rein rechnerisch ist es nicht möglich, dass Uber zu diesen Fahrpreisen den Mindestlohn zahlt.“

      Das bestätigt auch Kristian Ronneburg von den Linken. „Es sind bereits viele Fälle dokumentiert, bei denen Fahrerinnen und Fahrer Umsatzprovisionen bekommen, die umgerechnet auf geleistete Arbeitsstunden, unterhalb des Mindestlohns liegen“, so der Verkehrsexperte. „Dumping-Löhne führen dann wiederum zu einem Dumping-Wettbewerb und der hat ganz reale strukturelle Folgen für das Gewerbe – er macht es kaputt.“
      Uber reagiert auf Kritik: Gesetzliches Handeln hat „oberste Priorität“

      Ein Sprecher des Uber-Konzerns erklärt auf Anfrage der Berliner Zeitung, gesetzeskonformes Handeln habe für das Unternehmen „oberste Priorität“. Auch die Partnerunternehmen seien vertraglich dazu verpflichtet, sich an alle rechtlichen Vorgaben zu halten. „Sofern sie sich nicht an die Regeln halten und wir davon Kenntnis erlangen, ziehen wir entsprechende Konsequenzen, bis hin zu einer Sperrung auf unserer Plattform“, versichert der Sprecher.

      Nach Ansicht des Unternehmens hätten die Probleme der Taxibranche nicht nur mit dem gestiegenen Wettbewerb zu tun. Auch in Städten, in denen Uber gar nicht vertreten sei, leide das Taxi-Gewerbe.

      Zugleich bemühe man sich um ein partnerschaftliches Verhältnis mit der Branche. Tatsächlich arbeiten einige Taxi-Unternehmen angesichts schwindender Umsätze inzwischen mit Uber zusammen, lassen sich Aufträge über die App vermitteln. Allein in Berlin betreffe dies mehr als 1000 Fahrzeuge, erklärt der Uber-Sprecher. Durch eine Partnerschaft könnten sich Taxifahrer „zusätzliche Erlösquellen erschließen und von der hohen Nachfrage der internationalen Uber-Community profitieren“.

      Klaus Meier kritisiert diese Zusammenarbeit. Dass sich Taxifahrer aus Angst vor dem Existenzverlust mit Uber zusammentun – sich dem Unternehmen unterordnen – sei zwar nachvollziehbar, beschleunige aber nur die Übernahme des Marktes durch den Konzern. „Die begreifen nicht, dass es eine Solidarität innerhalb des Gewerbes braucht, wenn man überleben will“, so Meier.
      Mehr Wettbewerb, weniger Regeln

      Bis 2019 war der 63-Jährige noch selbst auf den Straßen Berlins unterwegs. Seit einigen Jahren kümmert sich Meier als „Taxi-Soziallotse“ um die Sorgen und Nöte seiner Kollegen. Er berät Taxifahrer in prekären Arbeitsverhältnissen, hilft bei Behördengängen, vermittelt Rechtsbeistände. „Ich helfe den Fahrern, Orientierung in schwierigen Lebenslagen zu finden“, beschreibt Meier seinen Beruf.

      Immer öfter gehe es dabei um die Folgen der Verdrängung durch Uber – die von der Bundespolitik maßgeblich vorangetrieben wurde. Tatsächlich ist der Konzern erst seit einigen Jahren in Deutschland aktiv, lange verhinderten gesetzliche Bestimmungen den Markteintritt. 2021 lockerte dann der damalige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) das Personenbeförderungsgesetz. „Mehr Wettbewerb, weniger Regeln“, war die Devise. Erst dadurch konnten sich Uber und Co. mit ihrem Geschäftsmodell in Deutschland etablieren, sagt Meier. „Für die Taxifahrer war das eine Katastrophe“.

      Was für die Berliner Taxibranche zum existentiellen Problem wird, trifft bei den Verbrauchern bislang auf überwiegend positive Resonanz. Seit Jahren wächst die Zahl der Uber-Kunden, 2022 hatten weltweit über 130 Millionen Menschen die App installiert. Das dürfte vor allem daran liegen, dass die Fahrten mit dem Mietwagenservice deutlich günstiger sind, als die Konkurrenz – laut Angaben des Unternehmens zwischen 30 und 40 Prozent pro Fahrt. Gerade jüngere Menschen und Menschen mit geringem Einkommen wählen immer öfter die App, auch als Alternative zum ÖPNV.
      Mindestpreise für Uber-Fahrten? „Das Problem ist ein anderes“

      Aufgrund der immensen Preisunterschiede wurde 2021 die Möglichkeit einer Mindestbepreisung gesetzlich verankert. Demnach wäre es auch in Berlin möglich, eine Untergrenze für Uber- und Taxifahrten festzulegen. Dass der Senat von dieser Regelung Gebrauch machen könnte, gilt jedoch als unwahrscheinlich. „Leider gibt es bei den Genehmigungsbehörden bisher noch Unsicherheiten bezüglich der rechtssicheren Durchführung“, erklärt Linken-Politiker Kristian Ronneburg. Der Vorschlag werde vom Senat geprüft.

      Klaus Meier steht einer Mindestbepreisung kritisch gegenüber. Letztlich seien es nicht die Gesetze, die für die Verarmung des Gewerbes sorgten, sondern deren mangelhafte Durchsetzung. „Wo die Behörden darauf achten, dass Gesetze eingehalten werden, kriegt Uber keinen Fuß auf den Boden“, sagt Meier. „In Hamburg gibt es praktisch keine Uber-Fahrzeuge. Wer die Bedingungen nicht erfüllt, bekommt keine Zulassung.“ In Berlin sei das anders. Hier interessierten sich die Behörden schlichtweg nicht für die Arbeitsbedingungen der Fahrer, vermutet Meier. „In dem Moment wo der Mindestlohn in Berlin konsequent durchgesetzt werden würde, könnte Uber sein Lohndumping nicht mehr aufrechterhalten.“

      Infolge der gestiegenen Konkurrenz müssten derweil auch viele Taxifahrer unter Mindestlohn arbeiten, um mithalten zu können. „Als ich 1985 angefangen habe, konnten Taxifahrer noch gut von ihrem Beruf leben“, sagt Meier. „Heute ist das ein Armutsjob.“ Die Betriebe, die faire Löhne zahlen, würden wiederum ihre Aufträge verlieren. Meier: „Alle Taxibetriebe, die ehrlich arbeiten, stehen gerade kurz vor der Insolvenz.“
      Linken-Politiker: Kooperation mit Uber „politisch höchst fragwürdig“

      Dass die Berlinale als kulturelles Aushängeschild der Hauptstadt mit Uber zusammenarbeitet, trifft auch bei Politikern auf Kritik. Die Linke-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus fordert in einer Beschlussempfehlung von Ende Januar die Landesregierung auf, der Kooperation einen Riegel vorzuschieben.

      Kristian Ronneburg hat den Antrag mit ausgearbeitet. Dass die Berlinale als öffentlich bezuschusstes Festival ausgerechnet dem „größten und finanzstärksten Gegenspieler der Taxen“ den Vorzug gibt, sei „politisch höchst fragwürdig“, sagt Ronneburg. Laut dem Antrag seiner Fraktion soll bei der nächsten Berlinale im Jahr 2025 der Transport der Gäste „ausschließlich mit dem Berliner Taxigewerbe“ erfolgen. Dadurch entgangene Sponsorengelder sollen entweder durch andere Partner kompensiert, oder aus dem Berliner Haushalt bezahlt werden.

      Der Sprecher des Uber-Konzerns erklärt auf Nachfrage, man könne die Forderungen der Linke-Fraktion nicht nachvollziehen. „Mit unserem Engagement bei der Berlinale unterstützen wir die Kultur- und Filmszene in der Hauptstadt“, so der Sprecher.
      Berlinale sieht mögliche Partnerschaft mit Taxifahrern skeptisch

      Auch die Festivalleitung reagiert auf Nachfrage eher zurückhaltend auf den Vorschlag der Linken. „Die Berlinale arbeitet seit vielen Jahren mit unterschiedlichen Partnern beim Fahrdienst zusammen“, erklärt eine Berlinale-Sprecherin der Berliner Zeitung. Diese Partner würden nicht nicht nur die Kosten und Organisation des Fahrdienstes übernehmen, sondern auch die Fahrzeuge selbst stellen.

      Dass die Berliner Taxifahrer diese Aufgabe stemmen könnten, sei bislang nicht ersichtlich. „Eine Partnerschaft mit Taxiunternehmen würde Fahrzeuge, Lohnkosten der Fahrer, sowie alle Betriebsmittel (inkl. Sponsoring) beinhalten“, so die Sprecherin. „Ein entsprechendes tragfähiges Angebot aus dem Umfeld der Taxi-Unternehmen liegt uns nicht vor.“ Dennoch arbeite man im Hintergrund an einer Lösung, sei seit längerem mit Taxivertretern im Austausch.

      Die scharfe Kritik an den Geschäftspraktiken ihres Hauptsponsors weist die Berlinale zurück. „Wir wählen unsere Partner im Vorfeld sorgfältig aus und unterziehen sie einer Prüfung mit umfangreichen Recherchen“, so die Sprecherin. Laut geltender Rechtslage dürfe Uber in Berlin legal operieren, danach richte man sich. Zudem habe Uber der Festivalleitung „glaubwürdig versichert, dass die Geschäftspraktiken ihrer Anfangsjahre nicht mehr existieren und sie sich klar davon distanziert haben.“ Informationen verschiedener Medien, sowie der Berliner Linken, zeichnen ein anderes Bild.
      „Mit Martin Scorsese würden wir gerne mal einen Kaffee trinken“

      Wenn Klaus Meier ab Donnerstag an jedem Berlinale-Abend mit seinem Großraumtaxi in Berlin-Mitte steht, will er von all dem erstmal nichts mehr hören. Ihm gehe bei seinem „TaxiFilmFest“ darum, die Freude an dem Beruf nach außen zu tragen, trotz des ernsten Hintergrundes. Auch gegen die Berlinale hege man grundsätzlich keinen Groll. „Niemand von uns hat etwas gegen das Festival“, sagt Meier. „Ohne die Berlinale wäre unsere Stadt um einiges Ärmer. Aber dieses Sponsoring von Uber haben die wirklich nicht nötig.“

      Kommende Woche wird es dann doch nochmal politisch: Am 21. Februar soll Meier bei einer Sitzung des Mobilitätsausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus die Interessen der Taxifahrer vertreten. Auch ein Abgesandter von Uber wird dort für das Unternehmen vorsprechen. „Das wird ein Spaß“, sagt Meier lachend.

      Bevor es an diesem Abend zur Eröffnung seines Festivals geht – auf dem Programm steht ein Überraschungsfilm – muss der 63-Jährige noch einen wichtigen Anruf tätigen. „Ich wollte mich noch bei der Berlinale-Leitung melden, damit die dem Martin Scorsese mal einen netten Gruß von uns ausrichten“, sagt Meier. „Mit dem würden wir gerne mal einen Kaffee trinken und uns für seinen tollen Film bedanken. Am liebsten hier bei uns im Taxi.“

  • AfD bei Berlinale: Parteichefin Brinker will Eröffnung nach Protest besuchen
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/afd-bei-berlinale-parteichefin-brinker-will-eroeffnung-nach-protest

    5.2.2024 von Maximilian Beer, Susanne Lenz, Elmar Schütze - In einem offenen Brief haben Hunderte Künstler gegen die Teilnahme der AfD an der Berlinale-Eröffnung protestiert. Jetzt äußert sich die Partei.

    Nach dem Protest gegen ihre Einladung zur Berlinale-Eröffnung will die AfD weiterhin an der Veranstaltung teilnehmen. „Wie jedes Jahr besuchen wir die Berlinale“, sagt die Partei- und Fraktionschefin Kristin Brinker der Berliner Zeitung. Man nehme die Aufregung „weniger Aktivisten“ gelassen, die AfD sei längst Teil der Stadtgesellschaft.

    „Als Vertreter der einzigen konservativen Oppositionspartei im Abgeordnetenhaus ist der Besuch eines für Berlin wichtigen Ereignisses wie der Berlinale für uns selbstverständlich“, erklärt Brinker weiter. Man freue sich auf einen unterhaltsamen Abend. Eingeladen ist neben Brinker auch der medienpolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Ronald Gläser.

    Zuerst berichteten am Sonntag amerikanische Medien über den Protest internationaler Künstler und Filmschaffender gegen die Einladung der beiden AfD-Politiker zur Berlinale-Eröffnung am 15. Februar. Rund 200 Menschen vor allem aus Deutschland hatten einen offenen Brief unterzeichnet, darunter die Künstlerin Candice Breitz und die Autorin Jasmina Kuhnke.

    Die Berlinale lädt zwei Berliner AfD-Politiker zur Eröffnung ein – Protest

    Die Einladungen seien ein weiteres Beispiel für das kunst- und kulturfeindliche sowie heuchlerische Umfeld in Berlin und Deutschland, heißt es in dem Schreiben, aus dem das Onlineportal Deadline zitiert. Die Unterzeichner bezweifeln, dass die Eröffnungsfeier unter diesen Umständen ein Safe Space für Juden, Frauen, Mitglieder der Bipoc-, LGBTI+-, Behinderten-, Roma- und Sinti-Gemeinschaft oder der Zeugen Jehovas betrachtet werden könne.

    Die Berlinale veröffentlichte dazu am Sonntag auf Instagram ein von ihrer Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek unterzeichnetes Statement. Darin heißt es: „Mitglieder der AfD vertreten Positionen, die zutiefst antidemokratisch sind und den Werten der Berlinale und ihrer Mitarbeiter widersprechen. Dennoch wurden AfD-Mitglieder in den Bundestag und das Berliner Abgeordnetenhaus gewählt. Sowohl die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien als auch der Berliner Senat erhalten Einladungskontingente für die Berlinale-Eröffnung, die an die gewählten Mitglieder aller Parteien im Parlament vergeben werden.“

    Rissenbeek fügte hinzu: „Menschen – auch gewählte Abgeordnete –, die gegen demokratische Werte agieren, sind auf der Berlinale nicht willkommen.“ Dies wolle die Berlinale in einem persönlichen Schreiben an die AfD-Abgeordneten sowie bei anderen Gelegenheiten klar und mit Nachdruck zum Ausdruck bringen.

    Aus der Berliner AfD heißt es, dass man bislang kein Schreiben erhalten habe, weder eine Mail noch einen Brief.

    Doch wie kam es überhaupt zu der Einladung? Zuständig ist in Berlin die Senatskanzlei. Nach deren Angaben konnten „in diesem Jahr 100 Plätze bei der Eröffnungsfeier über das Kontingent des Landes Berlin belegt werden“, wie es in einer Antwort auf eine Anfrage der Berliner Zeitung heißt.

    Ein Großteil der Einladungen erfolge nach protokollarischen Gepflogenheiten. „Bei Veranstaltungen, die mit öffentlichen Geldern unterstützt werden, wird das Parlament als Haushaltsgesetzgeber stets mit eingeladen.“ Die Berlinale finanziert sich zu je etwa einem Drittel aus öffentlichem Geld, Ticketverkauf und Sponsorenakquise.

    Aus dem Abgeordnetenhaus werden nach Angaben der Senatskanzlei stets die Präsidentin, die Vizepräsidenten, die Fraktionsvorsitzenden sowie die medien- und kulturpolitischen Sprecher der Fraktionen eingeladen. „Hierbei findet der Gleichbehandlungsgrundsatz Anwendung: Es sind alle Fraktionen mit ihren jeweiligen Sprechern eingeladen. Dies ist eine langjährige und geübte Praxis“, heißt es weiter. Nach diesen Angaben wurden auch in den Vorjahren die Fraktionsvorsitzende der AfD sowie deren kultur- und medienpolitische Sprecher im Abgeordnetenhaus eingeladen.

    Zudem seien der Regierende Bürgermeister, alle Senatorinnen und Senatoren sowie der Bevollmächtigte und der Chef der Senatskanzlei eingeladen. Weiterhin wurden Personen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft sowie der Medienbranche eingeladen, so die Senatskanzlei.

    #Berlinale #Politik #AfD

  • Die Methode Böhmermann: Wieso führte Correctiv die Recherche als szenische Lesung auf?
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/die-methode-boehmermann-wieso-fuehrte-correctiv-die-recherche-als-s

    Politik als Spektakel in der Gesellschaft des Spektakels.
    So geht’s offenbar.

    6.4.2024 von Nathan Giwerzew - Theateraufführungen sind von der Kunstfreiheit gedeckt. Hat Correctiv den „Geheimplan gegen Deutschland“ deshalb auf die Bühne gebracht? Jetzt kommen neue Details ans Licht.

    Der Saal ist bis auf den letzten Platz besetzt. Schauspieler des Berliner Ensembles und des Wiener Volkstheaters führen den „Geheimplan gegen Deutschland“ als szenische Lesung auf.

    Teilnehmer des Treffens in Potsdam Ende November – darunter Politiker von AfD, CDU sowie der rechtsextreme Aktivist Martin Sellner – werden zu Bühnenfiguren verfremdet. Die Schauspieler lesen ihren Text vom Blatt ab, auf Zuschauer wirkt die Inszenierung wie kurzfristig auf die Beine gestellt.

    Den zugrunde liegenden Recherchetext hatte Correctiv erst eine Woche zuvor veröffentlicht. Kernthema des Artikels: Martin Sellner, der Kopf der Identitären Bewegung, hält im Potsdamer Landhaus Adlon einen Vortrag. Es soll ihm und seinen Zuhörern um die „Remigration“ von Menschen mit Migrationshintergrund gegangen sein – Correctiv übersetzt dieses Konzept mit „millionenfacher Vertreibung“.

    Nur wenige Stunden nach Erscheinen der Recherche am 10. Januar gibt das Berliner Ensemble auf dem Kurznachrichtendienst X bekannt: Der „Geheimplan“ soll in einer Koproduktion des Berliner Ensembles und des Volkstheaters Wien am 17. Januar als szenische Lesung aufgeführt werden.

    Correctiv-Recherche im Berliner Ensemble: Investigativ-Journalismus, der sich blamiert

    Sprecherin: Aufführungsdatum hatte „logistische Gründe“

    Jetzt kommt heraus: Der künstlerische Direktor des Wiener Volkstheaters, Kay Voges, wusste seit Ende Dezember von der Correctiv-Recherche. Das teilte eine Sprecherin des Volkstheaters der Berliner Zeitung auf Anfrage mit. Er habe „bereits während seiner Zeit in Dortmund und auch am Volkstheater“ mit Correctiv zusammengearbeitet, so die Sprecherin weiter. Der Kontakt zum Berliner Ensemble sei „vor dem Hintergrund der Geschichte, geografischen Lage und Tradition des Hauses“ ebenfalls über Voges gelaufen. Dieser inszeniere „seit einiger Zeit regelmäßig“ beim Berliner Ensemble.

    Auffällig: Laut Sprecherin hatten die Schauspieler nur einen Tag, um das Skript einzustudieren. „Die Proben begannen am 16. Januar“, heißt es auf Anfrage. Für den zeitlichen Abstand zwischen der Veröffentlichung der Correctiv-Recherche und der szenischen Lesung führt die Sprecherin „logistische Gründe“ an. Man habe erst Anfang Januar mit der Ausarbeitung des Theaterskripts begonnen, teilt sie mit, das Skript habe erst zu Probenbeginn gestanden. Darin will sie jedoch nichts Ungewöhnliches erkennen: Dass die Schauspieler nur einen Tag zum Proben hatten, entspreche „theaterüblichen Abläufen“ für Lesungen „dieser Art, Größe und Tagesaktualität“. Insgesamt habe man drei Proben angesetzt.

    Mitautor Jean Peters: „Wir riefen zu Straftaten auf“

    Eine Person ist im Kontext der szenischen Lesung besonders pikant: Jean Peters, nach eigenen Angaben seit 2022 für Correctiv tätig. Er wird sowohl in der Autorenliste der Correctiv-Recherche als auch des Skripts für die szenische Lesung am Berliner Ensemble aufgeführt.

    Zuletzt hatte ihn das ARD-Magazin „Kontraste“ interviewt. „Wir hatten einen Reporter vor Ort. Der hat dort übernachtet und der hat beobachten können, wer reinkam, wer rausging“, so Peters in der „Kontraste“-Sendung. Weiter heißt es über die Teilnehmer des Potsdamer Treffens: „Die waren verunsichert und haben gefragt: Was macht denn da der Fremde im Raum?“ Was auffällt, ist der Detailreichtum seiner Schilderungen. Zur Identität des Correctiv-Reporters macht er jedoch keine Angaben.

    Bis 2021 war Jean Peters als Aktionskünstler im Künstlerkollektiv Peng aktiv. Er habe mit seinen Aktionen „in das politische und ökonomische Geschehen“ interveniert, schreibt er auf seiner Website. Es sei dem Kollektiv darum gegangen, „Strategien zu entwickeln, um Aufmerksamkeit zu erregen und dadurch den gesellschaftlichen Diskurs anzuregen und so zum Wandel beizutragen“.

    So habe das Kollektiv unter anderem zu „Straftaten“ aufgerufen, „die zu sozialer Gerechtigkeit beitragen sollten“ – wie etwa zu „Diebstahl in Supermärkten“ oder zu „innereuropäischer Fluchthilfe“. Und Peters erklärt weiter, diese Aktionen habe man meistens mit Kooperationspartnern „wie Theatern, NGOs oder Kunstbiennalen“ entwickelt, „finanziert durch Spenden oder Stiftungen“.

    Torte auf Beatrix von Storch und Arbeit für Böhmermann

    Eine Aktion findet jedoch auf seiner Website keine Erwähnung: „Tortaler Krieg“. So nannte das Peng-Kollektiv den Tortenanschlag auf die AfD-Politikerin Beatrix von Storch, den Jean Peters 2016 im Clownskostüm ausgeführt hatte. Die Aktion sei sicher nicht „der ästhetischste Moment“ in seiner künstlerischen Karriere gewesen, sagte Peters damals der Berliner Zeitung.

    Vor seiner Zeit bei Correctiv arbeitete Peters für mehrere Jahre bei Jan Böhmermanns „ZDF Magazin Royale“. Böhmermann kombiniert in seiner Sendung unterhaltende Elemente mit Recherchen, die mitunter politisch heikel sein können. Und er ist dafür bekannt, dass er jegliche Kritik an seinen Methoden ablehnt, indem er auf die Freiheit der Kunst verweist: Seine Sendung begreift er nicht als politisches Format, sondern als Satire.

    Während seiner Tätigkeit für Böhmermann stellte Peters 2019 den Kontakt zum Privatdetektiv Julian Hessenthaler her, der ein kompromittierendes Video des FPÖ-Politikers Hans-Christian Strache angefertigt und an mehrere Medien durchgestochen hatte. Für Strache war dies das Ende seiner politischen Karriere.

    Die Berliner Zeitung wollte jetzt vom Wiener Volkstheater wissen, inwiefern Jean Peters dem Regisseur Kay Voges bei der Abfassung des Theaterskripts geholfen hatte. Es habe sich um ein „gleichberechtigtes Autorenkollektiv“ gehandelt, antwortet die Sprecherin vage, „das den Text gemeinsam verfasst hat und verantwortet“. Die „finale Textfassung, die zum Download bereitsteht“, sei „während des Probenprozesses mit den Schauspielern“ entstanden. Zu Jean Peters’ konkreter Rolle machte sie keine Angaben.

    Rechercheergebnisse wollte man „breit vermitteln“

    Doch auch ein anderes Detail springt ins Auge. Aufmerksamen Lesern wie dem rechten Blogger Alexander Wallasch war schon früh aufgefallen, dass die Correctiv-Recherche selbst wie ein Theaterstück strukturiert ist. „Der Artikel ist aufgemacht wie ein Theaterstück“, schrieb er kurz nach der Veröffentlichung der Recherche.

    Tatsächlich leitet ein Prolog den Text ein, drei nach Szenen unterteilte Akte führen durch die Recherche und ein Epilog schließt sie ab. Correctiv rechtfertigt diese Erzählweise damit, dass man sich dadurch eine stärkere Wirkung auf die Leser erhofft habe – so zumindest die stellvertretende Correctiv-Chefredakteurin Anette Dowideit in einem Podcast von Übermedien.

    Warum man aus der ohnehin schon theatralisch strukturierten Recherche zusätzlich eine szenische Lesung gemacht hat? Auf Anfrage der Berliner Zeitung teilt das Wiener Volkstheater mit: Ziel der szenischen Lesung sei gewesen, die Debatte über die Rechercheergebnisse von Correctiv „nicht auf Presse, Politik oder soziale Medien zu begrenzen und möglichst breit gesellschaftlich zu vermitteln“.

    Correctiv hat inzwischen eigene FAQ zum Theaterstück eingerichtet, auf welche das Rechercheportal auch auf Anfrage verweist. Dort ist als Begründung lediglich zu lesen: „Theater ist Debatte. Kunst ist politisch. In Deutschland hat politisches Theater eine lange Tradition.“

    Auf Vorwürfe, wonach Correctiv vor allem aus juristischen Gründen auf das Medium Theater zurückgegriffen habe – für die Äußerungen fiktiver Figuren gilt Kunstfreiheit – wird im FAQ-Katalog von Correctiv schlichtweg nicht eingegangen. Inzwischen haben nach Informationen der Rechtszeitschrift juve zwei Teilnehmer des Potsdamer Treffens Correctiv abmahnen lassen.

    Kritik an szenischer Lesung? Berliner Ensemble sagt dazu nichts

    Auch andere Theater im deutschsprachigen Raum haben derweil den „Geheimplan gegen Deutschland“ inszeniert oder eine Aufführung angekündigt. Laut Berliner Ensemble stieß das Theaterstück in verschiedenen Schauspielhäusern auf reges Interesse: „Der Text ist seit dem 17. Januar öffentlich verfügbar, auch wir haben über unsere Kanäle darauf hingewiesen und bieten ihn zum Download an“, teilt eine Sprecherin mit.

    Neben begeisterten Theaterrezensionen wurde nach der Aufführung des „Geheimplans gegen Deutschland“ jedoch auch Kritik laut. Welt-Journalist Deniz Yücel etwa sprach auf dem Kurznachrichtendienst X von einer „kulturindustriellen Verramschung des Politischen plus der narzisstischen Selbstüberhöhung von Journalisten“. Was das Berliner Ensemble dazu sagt? „Nichts“, so die Sprecherin.

    #Berlin #Wien #Politik #Theater #Rechtsextremismus

  • Israel : Soldaten stürmen als Ärzte verkleidet in Krankenhaus, töten Hamas-Leute
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/nahost-krieg-israel-soldaten-stuermen-als-aerzte-verkleidet-in-kran

    Business as usual. On se demandait pouquoi les vietcong tuaient systématiquement les toubibs américains. Tout s’éclaire.

    Michael Maier - Bei einem Einsatz in einem Krankenhaus in Dschenin töteten israelische Spezialkräfte drei islamistische Kämpfer. Juristen sehen den Einsatz kritisch.

    Als Ärzte, Frauen und Sanitäter verkleidete israelische Spezialkräfte haben am Dienstag ein Krankenhaus im besetzten Westjordanland gestürmt und im Zug der Aktion nach eigenen Angaben drei palästinensische Hamas-Kämpfer und Kämpfer des Islamischen Dschihad getötet. Das berichten mehrere internationale Medien und Nachrichtenagenturen, unter anderem die New York Times, CNN und die AP. Das palästinensische Gesundheitsministerium sagte, israelische Streitkräfte hätten das Feuer im Ibn-Sina-Krankenhaus in der Stadt Dschenin im Westjordanland eröffnet. Ein Sprecher des Krankenhauses sagte, es habe keinen Schusswechsel gegeben, was darauf hindeutet, dass es sich um eine gezielte Tötung gehandelt habe. Das israelische Militär sagte, die Kämpfer nutzten das Krankenhaus als Versteck, ohne jedoch Belege für diese Aussage vorzulegen.

    Das Krankenhaus sagte laut CNN, die drei Männer hätten zum Zeitpunkt des Angriffs geschlafen. Einer der Getöteten wurde von der Hamas als Mitglied identifiziert. Die anderen beiden sollen vom Islamischen Dschihad als Mitglieder bezeichnet worden sein. Hamas sagte, alle drei seien Kämpfer der Dschenin-Brigade, einer Gruppe bewaffneter palästinensischer Einheiten in der Stadt im Westjordanland.

    Die getarnten Spezialeinheiten der israelischen Armee (IDF) seien „einzeln in das Krankenhaus eingedrungen, seien in den dritten Stock vorgedrungen und hätten die jungen Männer ermordet“, berichtete die staatliche palästinensische Nachrichtenagentur WAFA unter Berufung auf Quellen aus dem Krankenhaus.

    Während Israels Krieg seit fast vier Monaten im Gazastreifen tobt, hat sich der Konflikt auch auf das besetzte Westjordanland ausgeweitet. Seit den Hamas-Angriffen in Israel am 7. Oktober wurden dort mindestens 381 Palästinenser getötet, wobei die Bewohner zunehmenden Beschränkungen und Siedlergewalt ausgesetzt sind. CNN schreibt: „Doch die Morde am Dienstag stellen einen der kühnsten israelischen Angriffe seit Kriegsbeginn dar. Experten warnen, dass der Angriff der IDF möglicherweise gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen hat.“ Der TV-Sender zitiert Jura-Professor Aurel Sari, von der University Exeter in Großbritannien, der sagte, die Ermordung könne im Rahmen des Völkerrechts zulässig sein, wenn sich die Männer als Terroristen dort wirklich nur versteckt hätten. Wären sie als Verletzte im Krankenhaus in Behandlung, könnte ihre Tötung ein Kriegsverbrechen darstellen. Der Aufenthalt in einem Krankenhaus garantiere Patienten das Recht auf Schutz und Unversehrtheit.

    Die IDF sagte, sie habe den Hamas-Kämpfer Mohammed Jalamneh ins Visier genommen, der „kürzlich an der Förderung erheblicher terroristischer Aktivitäten beteiligt war“ und sich im Ibn-Sina-Krankenhaus „versteckte“. Darin hieß es, er plane einen bevorstehenden Terroranschlag „inspiriert durch das Massaker vom 7. Oktober“ und man habe ihn mit einer Pistole gefunden.

    Nach Angaben der IDF wurden auch zwei Brüder getötet, die mit dem Islamischen Dschihad in Verbindung stehen, Mohammed und Basel Al-Ghazawi.

    Die IDF sagte, die drei Männer hätten sich „in Krankenhäusern versteckt und sie als Basis für die Planung terroristischer Aktivitäten und die Durchführung von Terroranschlägen genutzt“ und Krankenhäuser zynischerweise als Zufluchtsorte und „menschliche Schutzschilde“ genutzt. Hamas hat solche Vorwürfe zuvor zurückgewiesen.

    Überwachungskameraaufnahmen aus dem Krankenhaus zeigen etwa ein Dutzend Personen, die meisten davon bewaffnet. Sie tragen muslimische Kopftücher, Krankenhauskittel oder weiße Arztkittel. Einer trug ein Gewehr in einem Arm und einen zusammengeklappten Rollstuhl im anderen. Ein anderer hält einen Kinder-Autositz, in dem sich Waffen befinden. Den Medienberichten zufolge sagte die israelische Armee, die Kämpfer hätten sich ihrer Festnahme zu entziehen versucht und seien daher an Ort und Stelle erschossen worden.

    Israels extrem-religiöser nationaler Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir teilte die Aufnahmen der Überwachungskameras in den sozialen Medien und lobte die Razzia: „Ich gratuliere den Marinekommandokräften der israelischen Polizei zu ihrer beeindruckenden Operation gestern Abend in Zusammenarbeit mit der IDF und dem Shin Bet im Flüchtlingslager Dschenin, die zur Eliminierung von drei Terroristen führte“, sagte Ben Gvir neben dem Video auf X.

    Das palästinensische Gesundheitsministerium verurteilte den Angriff und forderte die Generalversammlung der Vereinten Nationen auf, den notwendigen Schutz für medizinische Behandlungszentren und Notfallteams zu gewährleisten. Das Völkerrecht sehe „allgemeinen und besonderen Schutz für zivile Standorte, einschließlich Krankenhäuser, vor“, sagte das Ministerium in einer Erklärung am Dienstag.

    Der Generalstabschef der IDF, Herzi Halevi, kommentierte die Razzia am Dienstag und sagte laut CNN, die angegriffenen Männer seien Teil einer Terrorzelle, die einen „schweren Angriff“ auf israelische Zivilisten geplant hätten. Die Armee würde nicht zulassen, dass Krankenhäuser zu einem „Schutz für Terrorismus“ würden. „Wir wollen Krankenhäuser nicht in Schlachtfelder verwandeln“, sagte Halevi. Aber es dürfe nicht zugelassen werden, dass Krankenhäuser in Gaza, Judäa und Samaria und im Libanon oberirdisch oder in Tunnelschächten und Tunneln unter Krankenhäusern zu einem Orten würden, der es Terroristen ermögliche, Waffen zu verstecken, sich auszuruhen und loszuziehen, um einen Angriff zu verüben.

  • Uiguren in China – Sinologin Mareike Ohlberg : „Peking will sich Ressourcen Xinjiangs aneignen“
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/sinologin-mareike-ohlberg-ueber-lage-der-uiguren-in-china-peking-wi

    Voilà la position officielle de la fondation transatlantiste German Marshall Fund sur la situation au Xinjiang. Je suis un peu deçu car la sinologue de sevice ne fait que répéter les opinions et partis pris connus sans apporter de nouvelles informations ou analyses.

    Les accusations de génocide et d’élimination d’une culture sont en train de faire place à des jugements négatifs de la politique d’éducation et de formation professionnelle chinoise. On dénonce comme entrave à la liberté religieuse la politique du gouvernement chinois qui cherche à limiter l’impact des états et organisations religieuses étrangers comme le vatican, les frères muselmans er le salafisme des pays du golfe.

    Après la fin de la campagne de réeducation massive qui était sans doute critiquable, l’argumentaire états-uniens semble manquer d’éléments suffisamment crédibles pour maintenir les accusations les plus graves du passé.

    27.1.2024 von Simon Zeise - Mareike Ohlberg vom German Marshall Fund wirft Peking eine „quasikoloniale“ Politik in Xinjiang vor. Ziel der Regierung sei es, den Uiguren die Identität zu nehmen, sagt sie im Interview.

    Über die nordwestliche chinesische Region Xinjiang gibt es regelmäßig Berichte, in denen der Umgang mit den ethnischen Minderheiten, wie den Uiguren, angeprangert wird. Die Berliner Zeitung konnte vor kurzem nach Xinjiang reisen. Vor Ort hat sich die Situation anders dargestellt. Wir wollten von der Sinologin Mareike Ohlberg vom German Marshall Fund wissen, wie sie die Situation einschätzt.

    Frau Ohlberg, in zahlreichen westlichen Medienberichten ist zu lesen, dass in der chinesischen Provinz Xinjiang systematisch die Bevölkerungsminderheit der Uiguren unterdrückt wird. Die chinesische Regierung weist die Anschuldigungen von sich und erklärt, sie schütze und unterstütze die Minderheiten. Wer hat recht?

    Die Regierung in Beijing startet gerade wieder eine Kampagne, um unser Bild über die Region durch gemanagte Besuche ausländischer Forscher und Medien zum Positiven zu beeinflussen. Fakt ist jedoch, in Xinjiang herrschen bereits seit der Eroberung 1949 durch die chinesische Volksbefreiungsarmee quasikoloniale Zustände. So wurde das Xinjiang-Produktions-und-Aufbau-Korps, Bingtuan, gegründet, um sich Xinjiangs Ressourcen anzueignen und Han-Chinesen dort anzusiedeln. Seit Chen Quanguo dort 2016 an die Macht gekommen ist, haben die Repressionen gegen Minderheiten in der Region drastisch zugenommen. Die Regierung begründet das Vorgehen offiziell damit, Terrorismus und Extremismus zu bekämpfen.

    Xinjiang wurde von schweren Terroranschlägen erschüttert. Denken Sie nicht, dass China das Recht hat, sich gegen Attentäter zu wehren?

    Es gab vereinzelte Terrorangriffe, das ist richtig. Wer sich jedoch anschaut, was die chinesische Regierung in der Praxis als „Terrorismus“ und „Extremismus“ bewertet, stellt schnell fest, dass es sich dabei um ganz normalen Ausdruck religiöser, ethnischer und sprachlicher Identität handelt: Der Bart ist zu lang, eine Frau hat zu viele Kinder oder man pflegt Kontakt zur Familie im Ausland.

    Die chinesische Regierung verfolgt und bestraft, was eine alternative Identität zur staatlichen Volksrepublik darstellen könnte. Sie will Minderheiten assimilieren, und zwar mit allen Mitteln. Ab 2017 gab es erste Berichte über Umerziehungslager. Immer mehr Uiguren im Ausland haben damals den Kontakt zu ihren Angehörigen in China verloren. Die chinesische Regierung stellte die Lager als Erziehungsmaßnahme dar, aber Forscher konnten unter anderem über Satellitenbilder, Fotos, Ausschreibungsdokumente und Augenzeugenberichte dokumentieren, welches Ausmaß die Lager haben und dass es sich eben nicht um Weiterbildungszentren handelt, sondern um außerrechtliche Internierung ethnischer Minderheiten.

    Aufgrund der internationalen Aufmerksamkeit hat die chinesische Regierung ihr Verhalten angepasst: Einige Lagerinsassen wurden freigelassen, viele leben jedoch weiterhin unter starker Überwachung und Kontrolle. Andere wurden offiziell verurteilt, wenn jedoch auch häufig für vermeintliche „Vergehen“, die andernorts keine wären. So wurden mehrere Personen zu lebenslanger Haft für angebliche Fehler in Schulbüchern verurteilt.

    Die chinesische Regierung stellt die Integration der Uiguren und anderer Minderheiten in Xinjiang als Erfolgsmodell dar. Was sagen Sie dazu?

    Die Regierung hatte lange bestritten, dass Lager existieren. Erst 2018 hat Peking als Reaktion auf steigenden Druck, unter anderem durch die Vereinten Nationen, die Existenz der Lager eingeräumt und erklärt, dass dort Weiterbildungsmaßnahmen durchgeführt würden. Die Insassen könnten die chinesische Sprache und andere Qualifikationen erlernen, die ihnen den Eintritt in den Arbeitsmarkt erleichtern würden, sagten Regierungsvertreter.

    Diese Stellungnahmen widersprechen aber den Erklärungen ehemaliger Inhaftierter. Auch haben wir Berichte, dass Personen damit gedroht wurde, in ein Umerziehungslager geschickt zu werden. Eine weitere Unterdrückungsmaßnahme war, dass die Regierung Han-Chinesen in Familien nach Xinjiang geschickt hatte. Sogenannte Ersatzverwandte wurden in Familien geschickt, in denen Mitglieder in Lagerhaft waren. Wir wissen davon, weil in chinesischen Medien und sozialen Medien regelrecht damit geprahlt wurde.

    Es wurde als erfolgreiche Maßnahme dargestellt, wie die Bevölkerung stärker in den gemeinsamen Austausch kommen kann. Aber stellen Sie sich das einmal vor: Ein Verwandter verschwindet, stattdessen kommt ein Regierungsbeamter, der fortan im Familienbett schläft und darauf achtet, dass muslimische Familien Schweinefleisch essen und Alkohol trinken. Für die Betroffenen muss das der absolute Horror gewesen sein.

    Das heißt, in der Bevölkerung wird der Austausch unter den verschiedenen Kulturen durchaus begrüßt. Sie sagen, es sollen Identitäten ausgelöscht werden. Können Sie dafür Beispiele nennen?

    Es geht letztlich um alles, was eine eigene sprachliche, ethnische oder religiöse Identität darstellen könnte, die der Staat nicht kontrollieren kann. Uigurisch wird nur noch als ein Unterrichtsfach unter vielen in Schulen angeboten und nicht mehr als Sprache für den gesamten Unterricht. Kinder werden teilweise von ihren Familien getrennt, um die Weitergabe kulturellen Erbes zu verhindern und die kulturellen Wurzeln abzuschneiden, wie es der Staat selber formuliert. Und es gab Bestrebungen, Moscheen in Kulturzentren umzuwandeln, damit in den Gebetshäusern keine eigene religiöse Identität entstehen kann.

    China betont, dass die Religionsfreiheit im Land gewährleistet wird. In Ürümqi kann man in jedem Viertel zahlreiche Moscheen sehen, Koranschulen werden vom Staat finanziert. Erklären Sie mir, wie die muslimische Bevölkerung unterdrückt wird?

    Die Koranschulen, die Ausländern auf offiziellen Besuchen in der Region vorgeführt werden, sind aus meiner Sicht Potemkinsche Dörfer. Religion wird dort, wenn überhaupt, unter strengster staatlicher Kontrolle praktiziert. Das gilt übrigens, wenn auch in geringerem Maße, genauso für das Christentum in China. Der Staat will in die Kirchen reinregieren und kontrollieren, was dort gepredigt wird und was die Leute glauben. Dementsprechend ist es extrem schwierig für Personen, ihren religiösen Ritualen nachzugehen. Wer sich in Xinjiang religiös trauen lässt oder eine religiöse Beerdigung durchführt, riskiert, dafür bestraft zu werden.

    Laut Berichten des deutschen Anthropologen Adrian Zenz sollen in Xinjiang etwa eine Million Uiguren inhaftiert sein. Für wie glaubhaft halten Sie diese Berichte und die Quellen, auf denen sie basieren?

    Wie viele Menschen tatsächlich insgesamt interniert sind oder waren, weiß nur die chinesische Regierung – und die verrät es nicht. Es gibt aber verschiedene Quellen, die man heranziehen kann. Es gab Leaks chinesischer Regierungsdokumente. Es hat an einzelnen Orten Interviews mit Freigekommenen oder den Angehörigen Inhaftierter gegeben. Außerdem kann man auf Satellitenbilder, Ausschreibungsdokumente und Berichte in chinesischen Medien zurückgreifen. Die Quellenbasis ist alles andere als perfekt. Aber insgesamt bin ich ziemlich beeindruckt von dem, was Forscher mit den Quellen, die zur Verfügung stehen, gemacht haben.

    Zwischenzeitlich gingen Schätzungen von bis zu 1,8 Millionen Uiguren aus, die in Lagern inhaftiert waren. Bei den Zahlen, auf die Sie sich beziehen, handelte es sich um zwei unabhängig voneinander erstellte Hochrechnungen basierend auf Zahlen für einen Teil der Region, wo über zehn Prozent der Bevölkerung inhaftiert waren. Solche Schätzungen vorzunehmen ist auch deshalb sinnvoll, weil das chinesische System auf Quoten basiert. Lokalen Beamten werden Vorgaben gemacht, gegen wie viel Prozent sogenannter problematischer Elemente sie in ihrer Region vorgehen sollen.

    Die chinesische Regierung wirft dem Westen vor, die angespannte soziale Lage in Xinjiang als Propaganda zur Destabilisierung Chinas zu nutzen. Die USA hätten ein geostrategisches Interesse an der Region, weil sich dort unter anderem der Hauptumschlagplatz der Neue-Seidenstraße-Initiative befindet. Was sagen Sie dazu?

    Das sind die klassischen Narrative, die man immer wieder hört von der KP: Wer mit der Politik der Partei unzufrieden ist, kann nur vom Ausland angestiftet sein. In Peking kann man sich nicht vorstellen, dass Menschen ihre eigenen Gründe haben, um mit der Politik der Partei unzufrieden zu sein. Für die chinesische Regierung gibt es nur Großmächte und deren Interessen. Wir sehen dieses Narrativ auch in Drittländern in der Region, wo hinter jeglichen Protesten gegen die Neue-Seidenstraße-Initiative, ob in Myanmar, Kambodscha oder Nepal, ausländische Kräfte am Werk sein müssen. Auch die Proteste in Hongkong 2019, als Millionen gegen potenzielle Auslieferungen nach Festlandchina auf die Straße gingen, konnten nur von Amerika angezettelt sein. Ich glaube tatsächlich, es war für die chinesische KP unvorstellbar, dass Menschen unter chinesischer Herrschaft unzufrieden sein könnten und sich dagegen zur Wehr setzen.

    Es fällt auf, dass das Uiguren-Thema immer vor wichtigen politischen Entscheidungen prominent in den Medien auftaucht. Zum Beispiel wurde das EU-China-Handelsabkommen im Dezember 2020 nach Medienberichten über die Unterdrückung der Uiguren auf Eis gelegt. Auch während des Besuchs der UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet in China im Mai 2022 wurden große Berichte lanciert. Ist das Zufall oder Kampagnenjournalismus?

    Es sind nur wenige Forscher und Aktivisten, die sich der Unterdrückung der Uiguren annehmen. Sie leisten sehr viel und investieren wahnsinnig viel Arbeit, unabhängig davon, welche politischen Großereignisse gerade stattfinden. Ich bin aber auch der Meinung, dass es absolut legitim ist, zum Beispiel die Publikation von Forschungsergebnissen an größere Events zu koppeln. So war es auch 2008 bei den Olympischen Spielen von Peking. Natürlich nutzt man Veranstaltungen wie die Olympischen Spiele, um Aufmerksamkeit auf Menschenrechtsverletzungen in China zu ziehen. Man hat die Aufmerksamkeit der Welt und will der chinesischen Regierung zeigen, dass es Kosten hat, die eigene Bevölkerung massiv zu unterdrücken. Bei den Beispielen, die Sie genannt haben, kann ich ehrlich gesagt nicht sagen, ob der Zeitpunkt abgestimmt war, da ich nicht involviert war. Aber als Strategie ist das grundsätzlich völlig legitim.

    Vielen Dank für das Gespräch.

    Zur Interviewpartnerin

    Mareike Ohlberg ist Sinologin. Sie arbeitet als Senior Fellow im Indo-Pacific Program und leitet das Stockholm China Forum des German Marshall Fund. Zuvor war sie als Analystin am Mercator Institute for China Studies tätig, wo sie sich auf Chinas Medien- und Digitalpolitik sowie auf die Einflusskampagnen der Kommunistischen Partei Chinas in Europa konzentrierte. Sie ist Mitautorin des Buches „Hidden Hand: How the Communist Party of China is Reshaping the World“ (2020).

    #Chine #Xinjiang #politique #fondamentalisme_religieux

  • DDR-Geschichte : Abenteuer mit der Freundschaftsbrigade in Afrika
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/ddr-geschichte-abenteuer-mit-der-freundschaftsbrigade-in-afrika-li.

    L’état socialiste allemand poursuivait une politique d’aide au développement solidaire. Des milliers de jeunes diplomés y participaient et construisaient des logements et d’autres infrastructures. A la fin d’un projet les partenaires locaux en prenaient la gestion autonome. L’auteure raconte son expérience personnelle .


    Fast 13.000 Lastwagen W50 lieferte die DDR nach Angola, manche rollen noch heute. Hier zwei Exemplare im Jahr 2020 in der Stadt Calulu.

    14.1.2024 von - Maritta Adam-Tkalec - Ein Weg in die Welt führte für etliche Tausend junge Leute nach Asien, Afrika und Lateinamerika – für viele Monate zur Entwicklungshilfe. Was für eine Erfahrung!

    Die Freie Deutsche Jugend musste ran, sobald die DDR Außerordentliches anging – ob der Bau einer Erdgastrasse in der Sowjetunion, des Zentralflughafens Berlin-Schönefeld, des Kernkraftwerks Lubmin oder der Umbau der alten Berliner Mitte zur repräsentativen DDR-Hauptstadt.

    Zentrale Jugendobjekte profitierten von der Allgegenwart der FDJ, die über straffe Strukturen für solche klar definierte und zeitlich begrenzte Projekte verfügte.

    Solche Großvorhaben setzten natürlich auch auf die Begeisterungsfähigkeit junger Leute, in der Anfangszeit der DDR mit Riesenerfolg. Dem Aufruf zur Aktion „Max braucht Wasser“ 1949 folgten 2400 Jugendliche und bauten eine Wasserleitung von der Saale zum Stahlwerk Maxhütte in Unterwellenborn. Die Schüler und Studenten schliefen in Güterwagen mit Kanonenöfen und legten die fünf Kilometer lange Leitung binnen 90 Tagen.

    Im Geiste dieses legendären Vorbilds zogen 1964, vor 60 Jahren, die ersten FDJ-Freundschaftsbrigaden in junge Nationalstaaten. Sie sollten Dörfer aufbauen, aber auch von der Solidarität der DDR mit den ehemals kolonial unterdrückten Völkern künden – als Botschafter im Blauhemd. Entsandt wurden keineswegs allein von Idealismus getriebene Laien, sondern qualifizierte und nach persönlicher Eignung ausgewählte Leute – SED-Mitgliedschaft erwünscht, aber es ging auch ohne.
    Freundschaftsbrigaden aus der DDR in 26 Staaten

    Die ersten reisten als Agrarberater ins 1960 unabhängig gewordene Mali, kurz darauf begann eine Brigade in Algerien mit dem Wiederaufbau eines im Unabhängigkeitskampf gegen Frankreich zerstörten Ortes. 1966 ging eine Brigade an den Aufbau eines Musterdorfes in Sansibar, samt einer Berufsschule für Schlosser, Klempner sowie Tischler und einer Moschee.

    „Über ein Vierteljahrhundert lang arbeiteten wir in 26 Staaten an mehr als 40 Standorten und halfen mit, dort aus der Jugend Tausende eigene Fachleute für die Wirtschaft auszubilden“, schreibt eine Gruppe ehemaliger Brigadisten zu Beginn des Jahres 2024 zum 60. Jahrestag an einstige Mitaktivisten.


    Straße mit DDR-Plattenbauten in Sansibar – Ergebnis der Arbeit einer FDJ-Freundschaftsbrigade imago

    Diese Einsätze in Asien, Afrika und Lateinamerika sind heute wenig bekannt. Die nach der Wende verfassten, dürftigen Studien fallen hoffnungslos einseitig aus. Zumeist fußen sie auf bürokratischen Arbeitsberichten oder auf den in der Regel als ideologischer Kulissenzauber produzierten „Brigadetagebüchern“.

    Die ehemals Beteiligten erinnern sich an Schönes und Schwieriges: „Im engen freundschaftlichen Kontakt – oft weit entfernt von den Zentren der Einsatzländer und unter komplizierten Bedingungen mit einfachen Mitteln – gaben wir mit großem persönlichem Einsatz unsere beruflichen Erfahrungen und Fähigkeiten aus dem Bauwesen, dem Handwerk, dem Gesundheitswesen und der Landwirtschaft an unsere jungen, wissbegierigen Freunde vor Ort weiter.“ Einsatzbereitschaft auch über die Aufgabe hinaus und Bescheidenheit verschafften den Brigaden hohes Ansehen – zumindest hört man das noch heute aus den Gastländern.

    In Angola arbeiteten mehr als 20 Jahre lang Hunderte Kfz-Schlosser, -Elektriker, -Klempner, Fahrschullehrer, auch einige Ärzte und Krankenschwestern. Die Autorin dieses Textes war als Dolmetscherin von Juli 1978 bis März 1979 dabei, davon fünf Monate in der südlichen Basis Lobito, eindrucksvoll gelegen zwischen Gebirge, Wüste und Atlantik. Das größte denkbare Abenteuer ihrer bis dahin 22 DDR-Lebensjahre.

    Abenteuerlust, Neugier auf die ganz andere Welt da draußen und die Aussicht, dauerhaft Reisekader zu werden – das nennt auch Roland Scholz, von 1978 bis 1988 (mit Unterbrechung) Leiter der Zentralen Einsatzleitung der Brigaden in Angola, als Hauptmotive für die Entscheidung, sich für viele Monate, ohne Familie in unkomfortable Lebensumstände zu begeben, in Mehrbettzimmer, große Hitze, meist ohne Klimaanlage, mit instabiler Wasser- und Stromversorgung – und Myriaden von Malariamücken.


    Auch nach dem Ende der DDR arbeitete das Krankenhaus Carlos Marx in Managua weiter. Es war 1985 als eines der größten Solidaritätsprojekte der DDR gegründet worden. 2008 reiste Margot Honecker aus ihrem Exil in Chile zum Besuch an.Esteban Felix/AP

    Angola wuchs zu einem der größten Einsätze von Freundschaftsbrigaden. Doch die Zuständigkeit lag bis 1986 gar nicht beim Zentralrat der FDJ, sondern in den Händen von Fachministerien (Verkehr und Maschinenbau). Auch rührte der Einsatz nicht allein aus dem Motiv, Angola nach dem Ende der portugiesischen Kolonialmacht 1975 zu helfen.

    Die DDR hatte handfeste Interessen: politische, weil sich die neue Führung Angolas für einen sozialistischen Weg offen zeigte, und wirtschaftliche. Die Kaffeepreise auf dem Weltmarkt waren 1977 extrem gestiegen, die devisenschwache DDR litt und das Volk murrte, weil es nicht genug „guten Bohnenkaffee“ gab. Angola verfügte über erstklassige Kaffeeanbaugebiete. Statt „Max braucht Wasser“ galt nun „Heinz und Erika brauchen Kaffee“.

    Als der Kaffee in der DDR plötzlich eine teure Mangelware wurde

    Reiseweltmeister DDR: Von wegen Urlaub im Zwangskollektiv

    1977 fädelte Werner Lamberz, Mitglied des SED-Politbüros, den Deal Kaffee gegen Lastwagen aus Ludwigsfelde ein, was einer Direktumwandlung von DDR-Mark in Dollar gleichkam. Allradgetriebene W50, geeignet für den Einsatz in gebirgigen Kaffeeplantagen, hatte man auf Lager – Restbestände von Militärlieferungen, ursprünglich für Verbündete in der arabischen Welt produziert, daher die saharagelbe Lackierung. Seinerzeit munkelte man, sie seien für den Einsatz im Jom-Kippur-Krieg 1973 gedacht gewesen. Das hieße: im Aggressionskrieg gegen Israel.

    Den Lkw-Service in Angola sollten die Freundschaftsbrigaden etablieren und obendrein Kaffeeschälmaschinen reparieren – alles schnell, improvisierend, kostengünstig. Wer als Brigadist nach Angola wollte, sollte neben der Fachqualifikation auch Grundwehrdienst geleistet haben, tropentauglich, verheiratet und Parteimitglied sein. In meiner Brigade erfüllten die wenigsten die letzten beiden Punkte. Auch ich nicht – ledig, parteilos.

    Westgeld für zu Hause

    Das Gehalt (plus Tropenzuschlag) wurde zu Hause gezahlt, Unterkunft und Verpflegung hatte laut Vertrag der angolanische Staat zu stellen, dazu ein Taschengeld in der Landeswährung Kwanza im Gegenwert von 90 US-Dollar pro Monat. Wer das nicht verbrauchte, konnte es als Devisengutschein nach Hause transferieren. Das machten alle. Für die Privatkasse betrieb jeder je nach Talent einen (DDR-offiziell streng verbotenen) Tauschhandel. Billige Ruhla-Armbanduhren waren der Renner.

    Zum Vorteil für alle geriet die in der „ersten Heimwerkerdiktatur auf deutschem Boden“ (so ein namhafter Historiker) antrainierte Fähigkeit zum Improvisieren. Also: mit wenig oder nur halb passendem Material kreativ umgehen und das fehlende zu „organisieren“. Für Schlosser einer Autowerkstatt in Angola waren Schrottplätze und Unfallstellen solche Quellen. Dort lagen Ersatzteile – leider auch in kurz nach der Lieferung verunfallten W50.

    Bildstrecke


    _Völkerfreundschaft live: Der kubanische Koch (Mitte) aus der Nachbarschaft hat gefüllte Tintenfische serviert. Dolmetscherin Maritta hats geschmeckt. Maritta Tkalec


    Brigadist vor FDJ-Fahne im Gemeinschaftsraum der Basis Lobito. Maritta Tkalec


    Unterkunft der FDJ-Brigade Lobito, vom Atlantikstrand aus gesehen, ehemals Wohnungen portugiesischer Postbeamter. Maritta Tkalec


    Weihnachten 1978/79 am Atlantikstrand, eine eher traurige Versammlung Maritta Tkalec


    Der Schriftsteller Jürgen Leskien, der die Arbeit der Brigade einige Monate lang begleitete, schenkt Hochprozentiges aus. Maritta Tkalec

    Ansonsten floss viel Energie in den Alltag: Sauberes Wasser herbeischaffen, Moskitonetze und Stromgenerator erzwingen, Bananenkisten durch ein paar Möbelstücke ersetzen, Kontakt zur Brauerei pflegen, denn Bier hebt die Laune in jedem Schützengraben und diente in Angola als Tauschwährung. Der Bauer des Ananasfeldes mit köstlichen Riesenfrüchten nahm gerne Bier, während der deutsche Farmer, seit Jahrzehnten ansässig im Hochland von Gabela, sich über ein Neues Deutschland freute.

    Vom Mut des jeweiligen Basisleiters hing ab, wie viel Abenteuer möglich war: Ausflüge ins Umland, in atemberaubende Landschaften, in abgelegene Dörfer, mit dem kubanischen Krabbenfischer auf den Atlantik, zur nächtlichen Festa mit Trommeln unter Palmen, der Besuch in der Zaubermittel-Apotheke eines Heilers. Wer zu Hause von solchen Erlebnissen berichten konnte, war der beneidete Star der Familienfeier.

    Für die Partei- und Jugendarbeit gab es in Luanda zwei Verantwortliche, aber Lobito lag Hunderte Kilometer weit weg. Als sie uns besuchten, hing natürlich im „Wohnzimmer“ die gebügelte FDJ-Fahne. Das Verbot, über die Arbeitskontakte hinaus keine Beziehungen in die Bevölkerung hinein zu pflegen, unterhöhlte die propagierte Grundidee von der Freundschaft der Völker, ließ sich aber umgehen.

    Roland Scholz erinnert sich an die politische Stimmung der Brigadisten: „Der Solidaritätsgedanke war nicht motivierend. Und von FDJ war da anfangs noch gar nichts.“ Dennoch: Die Bereitschaft, den angolanischen Nachbarn zu helfen, den Werkstattkollegen etwas beizubringen war groß – Ehrensache ebenso wie der reparierte Motor, auch wenn es mal über den Feierabend hinausging.


    W50 als Busersatz im kubanischen Baracoa. Auch in Kuba arbeitete eine Freundschaftsbrigade. Sarang/CC0 1.0 Universal

    Immer wieder rückten wir camaradas alemães aus zu Sonderaktionen am Wochenende oder wenn die örtliche Verwaltung ein besonders großes Problem hatte. Zu offiziellen Anlässen wie Kundgebungen an Feiertagen oder Kulturereignissen erschienen wir im Blauhemd. Man war froh über jede Abwechslung.

    Heimweh und Seelenkasper

    Und nicht jeder blieb in den langen Monaten fern von zu Hause – ohne Telefon und nur alle vier Wochen Postlieferung – psychisch stabil. Da konnten die Palmen noch so rauschen und der Atlantik in der Sonne blitzen: Zu Weihnachten kam zum Heimweh der Seelenkasper, nach reichlich Bier flossen auch die vom Vater oder Opa gehörten Landsersprüche. Ansonsten erlebten wir eine Region im Krieg. Die Rebellenorganisation der Unità überfiel Transporte, zündete Bomben vor Krankenhaus und Volksladen. Es galt nächtliche Ausgangssperre. Kubanische Militärs wohnten in der Nachbarschaft.

    In den DDR-Zeitungen, die über die Freundschaftsbrigaden berichteten, fehlte das Wort „Solidarität“ niemals – dennoch blieben die Texte überwiegend in offiziösem und emotional trockenem Tonfall. Unkontrollierte Begeisterung für Abenteuer in Afghanistan, Somalia, Guinea-Conakry oder Kuba zu wecken, lag offenbar nicht in der Absicht. Dafür bekamen wir den vermessenen Anspruch zu hören, man stehe als Brigadista gemeinsam mit den natürlichen Verbündeten in den Entwicklungsländern an „vorderster Front im Kampf für den weltweiten Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus/Kommunismus“.

    Gleichwohl: Die Männer der DDR-Führung meinten es mit der Botschaft der Brigaden – Internationalismus und Solidarität – ernst. Bei Begegnungen mit Vertretern junger Nationalstaaten gingen ihnen die Herzen auf. Auch die Taschen. Als Dolmetscherin habe ich das erlebt: Wenn DDR-Offizielle Afrika besuchten, brach sich sentimentale Erinnerung an die Träume der eigenen Jugend Bahn. Wirtschaftlich ertragreich arbeiteten die Freundschaftsbrigaden nicht. Doch sie brachten Renommee – wichtig in den Jahren, als die DDR um staatliche Anerkennung kämpfte, dann bei Abstimmungen in der Uno und schließlich bei der Suche nach Wirtschaftspartnern.

    Die DDR kannte sich aus im Metier Berufsausbildung; und jeder hielt das für nützlich und sinnvoll. Die Partner wussten, dass die DDR-Brigaden mit Plan und Auftrag auch in entlegenen Gegenden arbeiteten, koordiniert und nicht nach dem Gießkannenprinzip.

    Der Berliner Afrikaspezialist Professor Ulrich van der Heyden hat in seiner Studie „Freundschaftsbrigaden, Peace Corps des Ostens“ die Strategie der Berufsausbildung beschrieben: die Besten aus den Berufsausbildungszentren zur Lehrmeisterausbildung in die DDR schicken, nach deren Rückkehr Übernahme der Projekte in lokale Hände.

    Das Ziel bestand von vornherein darin, sich wieder aus dem Projekt herausziehen, statt dauerhafte Abhängigkeiten zu erzeugen. Vorbildlich im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe. In den wenigen Projekten, die nach der Wiedervereinigung vom DED (Deutscher Entwicklungsdienst) übernommen wurden, verloren die Ortskräfte die Verantwortung. Dies erfuhr Ulrich van der Heyden von einer DED-Mitarbeiterin. Die DDR-Erfahrung interessierte nicht mehr.

    #histoire #DDR #RDA #Angola #FDJ #tier_monde #Afrique #solidarité_internationale

  • Rosa-Luxemburg-Kongress in Berlin : Buhrufe für Abgeordnete vom Bündnis Sahra Wagenknecht
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/rosa-luxemburg-kongress-abgeordnete-vom-buendnis-sahra-wagenknecht-

    Voilà le reportage le moins polémique qu’un journaliste petit bourgeois peut écrire sur le congrès Rosa Luxemburg annuel. Il ne remarque que les personnages et positions qu’il connaît déjà. Si on partage son opinion on devrait s’abstenir de tout engagement politique à gauche car il présente le congrès comme une rencontre de has been et perdants. Une publication qui tente l"analyse des relations internationales sur base de la théorie de l’impérialisme de Lénine n’est que de l’anti-américanisme.

    Le Berliner Zeitung publie cet article pour montrer à ses lecteurs de gauche que leur causes et convictions sont aujourd’hui dépassées et ne comptent plus.

    14.1.2024 von Thomas Fasbender - Hardcore-Momente prorussischer und propalästinensischer Sympathie. Antikolonialismus dominiert die linke Weltsicht. Renaissance des Klassenkampfs.

    Für die haltungskorrekten Medien war er eine Provokation, ein Skandal: der 29. Rosa-Luxemburg-Kongress, der am Samstag im Tempodrom, dem steinernen Veranstaltungszelt der deutschen Hauptstadt, abgehalten wurde.

    Geradezu entgeistert reiht die Kollegin vom Tagesspiegel Zitat an Zitat, von Teilnehmern und Vortragenden, zu Themen wie Gaza und Hamas, Ukraine, Israel und DDR. Der zionistische Staat Israel gehöre aufgelöst, am 7. Oktober seien keine Babys enthauptet worden, die Grenztruppen hätten zuerst auf die Beine geschossen. Was auf der Konferenz zur Sprache kam, hatte mit den Narrativen der staatsnahen Öffentlichkeit nichts mehr zu tun. Das war nicht deutsche Staatsraison, das waren auch nicht die glatten Formeln à la „aus der Geschichte gelernt“, „kein Platz für“ und „nie wieder“.

    Die Konferenz bot Hardcore-Momente prorussischer und propalästinensischer Sympathie. Dass der britische Parlamentsabgeordnete und ehemalige Labour-Führer Jeremy Corbyn, der per Video zugeschaltet war, kein Israel-Fan ist, ist bekannt. Dasselbe gilt für Wieland Hoban, den Vorsitzenden des Vereins Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost. Beide ließen keinen Zweifel daran, dass der israelische Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen für sie den schieren Völkermord darstellt. Sie waren bei weitem nicht die einzigen, die das sagten, und alle erhielten Applaus.

    Ein Lehrstück in Sachen Linkssein in Deutschland heute

    Wofür die Veranstalter gesorgt hatten, war der Respekt vor strafrechtlich roten Linien. Da ertönte kein einziges „From the river to the sea“ – brav blieben die Sprechchöre bei „Viva viva Palästina“ und „Free free Palestine“. Oder auch: „Hoch die internationale Solidarität.“ Dem Staat Israel und seinen fast zehn Millionen Einwohnern gilt sie nicht.

    Doch auch wenn die 1300 Opfer des Hamas-Massakers am 7. Oktober 2023 nicht einmal mit einem Halbsatz Erwähnung fanden – unter der Kuppel des zu rund zwei Dritteln besetzten Tempodroms waberte an diesem Samstag kein Judenhass nach Bürgerbräu-Art. Vielmehr bot die Konferenz ungeachtet der Fakes und „falschen“ Meinungen – aber wahrscheinlich gerade ihretwegen – ein Lehrstück in Sachen Linkssein in Deutschland heute.

    Blauhemden mit FDJ-Symbol

    Mit zahllosen Ständen präsentierte sich eine Subkultur, die der breiten Öffentlichkeit nur noch in Gestalt der allmählich abschmierenden Partei Die Linke und ihres (noch) embryonalen Spaltprodukts BSW, Bündnis Sahra Wagenknecht, bekannt ist. Doch die Linke war im Programm gar nicht und im Foyer nur mit einem unscheinbaren Stand vertreten. Wagenknechts Bündnis hatte es mit der Bundestagsabgeordneten Żaklin Nastić (Buhrufe!) immerhin in die abschließende Podiumsdiskussion geschafft; im Foyer suchte man das BWS umsonst.

    Wer dominierte, waren die Splitter der Splitter. Oder hat die breite Leserschaft schon von der Perspektive Kommunismus gehört? In einem Seitenflügel standen vier Blauhemden um einen FDJ-Tisch, das gelbe Symbol auf dem linken Ärmel. Wann die Revolution denn wohl kommen wird? Ein Blonder, höchstens um die 20, lacht. Er werde das wohl nicht mehr erleben, aber nötig sei sie. Der Kapitalismus müsse jedenfalls weg.

    Die jungen Besucher wirkten in der Mehrheit intelligent, gut gelaunt und sympathisch. Man sah ihnen an: Sie glauben an die Möglichkeit einer besseren Welt. Es gab auch die Grimmen mit dem harten Blick und der Aura von schwarzem Block, aber die Entspannten waren in der Überzahl. Trotz der sicher 2000 Gäste kam es über viele Stunden hinweg zu keinem lauten Streit, keinem Zwischenfall.

    Dann gab es noch die Alten, teils auch ganz Alten, eine eigene Familie. Sie erschienen früh; bis zum Abend blieben die wenigsten. Man kennt sich, man grüßt sich. Links hinter dem Eingang, auf dem Tisch der Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung e.V., lag Informationsmaterial bereit: „Die Bilanz der politischen Strafverfolgung in Deutschland nach 1990“ und eine 116-seitige Broschüre „Ehre den ermordeten Grenzern und verstorbenen Aktivisten“.

    Diplomaten aus Russland, China, Belarus

    Moderatorin des Tages war Gina Pietsch, in der DDR einst Mitglied des Oktober-Klubs, im neuen Deutschland antifaschistisch engagiert. Sie begrüßte die anwesenden Diplomaten: Gesandte der russischen Botschaft, der chinesischen Botschaft und der belarussischen Botschaft, außerdem die kubanische Botschafterin. Nun mag man sich wundern, warum die dezidiert antikapitalistische Pietsch sich über russischen Diplomatenbesuch freut. Während China immerhin so tut, als ob es kommunistisch sei, herrscht in Russland ein autoritärer Kapitalismus oder eine kapitalistische Diktatur, der Selbstbeschreibung zufolge eine gelenkte Demokratie – jedenfalls nichts, was auch nur entfernt an Sozialismus oder Kommunismus erinnert.

    Die Erklärung leitet über zu der Frage: Was macht linkes Denken heute aus? Die angeblich so dominante Identitätspolitik ist es nicht, nicht auf dieser Konferenz jedenfalls. Die Flaggen waren rot statt regenbogenfarben, queer war kein Thema, und es wurde auch nicht durchgängig gegendert. Die Abgrenzung gegen Grün und die Ablehnung des Begriffs linksgrün waren unverkennbar, in den Buhrufen und im Applaus unüberhörbar.

    Was eine große Rolle spielt, sind Antiimperialismus, Antikolonialismus und Frieden. Sogar der Klassenkampf, lange Zeit stiefmütterlich behandelt, wurde thematisiert. Am deutlichsten übrigens, das ist bezeichnend, durch einen Gast aus dem Ausland. Wenn jemand an diesem Tag so etwas wie orthodoxe Positionen vertrat, dann war es die stellvertretende Vorsitzende der türkischen Partei der Arbeit, Sevda Karaca.

    Keine Begrenzung der Migration

    Und noch etwas: Migration. Die Buhrufe, die der abtrünnigen Linken Nastić galten, waren die Quittung für Sahra Wagenknechts Äußerungen zu Migrationsbegrenzung und Migrationssteuerung. Allenfalls über die Beseitigung der Fluchtursachen darf geredet werden. Alles andere ist in der Subkultur der linken Splittergruppen ein absolutes No-Go; Solidarität geht dort (jedenfalls in der Theorie) mindestens so weit wie der heilige Martin, der seinen Mantel teilt.

    Aus dem antiimperialen und antikolonialen Kampf heraus erklären sich auch die prorussischen und propalästinensischen Positionen. Dahinter steckt ein tiefer Antiamerikanismus; am Urgrund allen Übels sitzt der Moloch USA, ein imperialer Sauron in Gestalt allesfressender Konzerne. Auch im 21. Jahrhundert lassen die Rechtgläubigen nicht von den Offenbarungen ihrer Propheten. In der Konferenzbeilage der Veranstalterin, der einstigen FDJ-Zeitung Junge Welt, erklärt ein zweiseitiger Beitrag die postkolonialen Entwicklungen der Gegenwart mit Lenins Theorie von den Gesetzmäßigkeiten des Kapitals.

    Wähler sind damit nachweislich nicht zu gewinnen. Ob man auf die Weise wenigstens Kriege besser verstehen kann, beispielsweise die in Palästina und in der Ukraine? Wieland Hoban vom Verein Jüdischen Stimme sprach von Israel (gefolgt von Applaus) als „imperialem Siedlerprojekt“. Selbstredend, dass die Erklärung für den Ukraine-Krieg ebenfalls im amerikanischen Expansionismus wurzelt. Russland wehrt sich nur. Wenn es unter Liberal-Konservativen die Achse des Bösen gibt – Russland, China, Iran, Hamas –, voilà, hier ist der linke Gegenentwurf.

    #Allemagne #gauche

  • Bündnis Sahra Wagenknecht : Diether Dehm schickt Protestbrief an neue Parteispitze
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/buendnis-sahra-wagenknecht-diether-dehm-schreibt-protestbrief-an-ne
    Le nouveau parti de Sahra Wagenknecht évite de se situer trop à gauche en empêchant plusieurs personnes connues de gauche à participer au premier congrès du parti.

    13.1.2024 von Maximilian Beer, Harald Neuber - https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/buendnis-sahra-wagenknecht-diether-dehm-schreibt-protestbrief-an-ne

    Es gibt Sätze, die in den vergangenen Monaten oft sagte, in Interviews, auf Pressekonferenzen oder in Talkshows. Die meisten betreffen ihre neue Partei, das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Einer dieser Sätze lautet: Das BSW dürfe nicht „von Spinnern“ gekapert werden.

    Das sagte Wagenknecht auch in einem Interview mit der Berliner Zeitung. Und: „Gerade junge Parteien ziehen leider oft auch Glücksritter, Narzissten oder Extremisten an.“

    Die Vermutung liegt nahe, dass Wagenknecht und ihre Mitstreiter damit vor allem radikale Rechte meinen, zum Beispiel Überläufer aus der AfD. Oder eben gänzlich unpolitische Menschen, die Aufmerksamkeit suchen. Doch das greift zu kurz. Auch einstige Weggefährten fühlen sich ausgegrenzt, darunter langjährige Mitglieder der Linken. Mittlerweile ist mindestens ein Protestbrief in Wagenknechts Bundestagsbüro eingegangen.

    Wagenknecht-Anhänger: „Kränkung ist auch keine ganz unpolitische Kategorie“

    Der Berliner Zeitung und dem Online-Magazin Telepolis liegt das Schreiben vor, eine E-Mail mit dem Betreff: „Sind wir etwa Glücksritter?“. Sie ist adressiert an „liebe Sahra“ und „liebe Amira“, also Sahra Wagenknecht und Amira Mohamed Ali, die beiden Frauen an der Spitze des BSW.

    Datiert ist die Mail auf den 3. Januar. Fünf Tage später, am vergangenen Montag, wurden Wagenknecht und Ali zu den Vorsitzenden der gerade gegründeten Partei gewählt.

    Bemerkenswert ist vor allem der Absender der Mail. Dabei handelt es sich um Diether Dehm, also um den 73-jährigen Liedermacher, Musikproduzenten und ehemaligen Bundestagsabgeordneten, den eine lange gemeinsame Vergangenheit mit Wagenknecht verbindet, politisch wie persönlich. Doch mit dem Neuanfang hat Wagenknecht die engen Bande offenbar gekappt.

    Dehm hat die Mail gemeinsam mit der früheren Linke-Abgeordneten Pia Zimmermann verfasst, nach eigenen Angaben im Namen von „27 Genossinnen und Genossen“. Sie schrieben aus „Angst, unter die Räder Eures Top-Down-Prozesses zu kommen, den Ihr eigentlich gegen ‚Glücksritter und Extremisten‘ ausgerufen hattet“. Ihre Kritik: Dieser Prozess werde nun „willkürlich gegen seit Jahrzehnten zuverlässige Mitstreiterinnen“ gewendet. „Gerade dann, wenn diesen von Medien ‚zuviel (sic!) Angriffsfläche‘ vorgeworfen“ werde.

    Ob im Bündnis Sahra Wagenknecht nun „Querfront, Kontaktschuld und Verschwörungstheorie“ zu „Ausgrenzungsmodi“ geworden seien, fragen die Autoren. Das kommt nicht von ungefähr, denn zumindest Dehm eckt immer wieder an. Er hat sich bereits selbst als „Verschwörungstheoretiker“ bezeichnet, brachte einige Medien mit Geheimdiensten in Verbindung. Manche seiner Positionen sind auch in linken Kreisen umstritten. Doch er ist gut vernetzt.

    „Nun sagt Ihr: Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Und wir wären ja bloß gekränkt“, heißt es in der Mail. „Das mag sein“, so Dehm und Zimmermann. „Aber Kränkung (das sehen wir beim deutschen Umgang mit Russland in den letzten 20 Jahren) ist auch keine ganz unpolitische Kategorie.“ Ihr Fazit: Alte Mitstreiter „begehren Einlass in die neue Partei, die auch ohne uns nie zustande gekommen wäre. Bei aller Anerkennung der großen Leistungen von Sahra und Amira.“

    Großes Interesse für die Parteigründer: Sahra Wagenknecht und ihre Mitstreiter im Haus der Bundespressekonferenz.

    Großes Interesse für die Parteigründer: Sahra Wagenknecht und ihre Mitstreiter im Haus der Bundespressekonferenz.Jens Schicke/imago
    Hält Wagenknecht frühere Gefährten auf Abstand – oder riskiert sie „Angriffsfläche“?

    Für wen die beiden Autoren diese Kritik noch formuliert haben, geht aus der Mail nicht hervor. Doch Unmut war in den zurückliegenden Monaten durchaus zu vernehmen. Aktivisten aus dem Umfeld von Wagenknecht schimpften im vergangenen Jahr über den aus ihrer Sicht schleppenden Parteigründungsprozess. Akteure aus der ehemaligen Linke-Fraktion, darunter mindestens zwei frühere Abgeordnete, beklagten, nicht in den inneren Kreis der Neugründer aufgenommen worden zu sein.

    Basisaktivisten aus dem Umfeld des Wagenknecht-Bündnisses hatten daher im vergangenen Jahr vor überzogenen Erwartungen gewarnt. „Neuformierungen, Umgruppierungen, Spaltungen sind (...) nie etwas Abruptes, das von heute auf morgen passiert“, hieß es in einem Diskussionspapier der Bündnisses „Was tun?“, das sich im Mai in Hannover konstituiert hatte und vor allem friedenspolitische Ziele verfolgt. Neue Formationen, so hieß es aus dieser Richtung, müssten erst ihre Stabilität unter Beweis stellen.

    Das BSW startet also mit Wachstumsschmerzen. Was auch erwartbar war, immerhin hatte Wagenknecht selbst vor dem Schicksal anderer Parteien gewarnt, die gekapert und umgekrempelt worden seien. So habe etwa die AfD heute nichts mehr mit der Idee ihrer Gründerväter Lucke und Henkel zu tun, sagte Wagenknecht der Berliner Zeitung. Die Linke wiederum habe sich von der einstigen Partei der sozialen Gerechtigkeit entfernt. Grundsätzlich will das BSW deshalb langsam und kontrolliert wachsen.

    Die Frage ist aber, was auf lange Sicht verträglicher wäre: Hält man ehemalige Gefährten wie Diether Dehm fern vom BSW oder bindet man sie ein? Riskiert man andauernde Kritik aus den eigenen Kreisen oder nimmt man eine potenzielle „Angriffsfläche“ in Kauf – gegenüber den Medien, der parteipolitischen Konkurrenz?

    Sahra Wagenknecht: Erster Parteitag findet im DDR-Kino Kosmos in Berlin statt

    Ex-Abgeordnete Zimmermann: mit zweiter Welle nicht zufrieden

    Viele stehen durch die Parteigründung im Licht der Öffentlichkeit. Wagenknecht und ihre Mitstreiter genießen das große Interesse, sie vermitteln Aufbruch, Geschlossenheit. Doch der Gründungsprozess wurde auch von Ärger begleitet, denn andere begehren auf: Sie wollen beim neuen Projekt dabei sein, einige am liebsten schon am 27. Januar.

    Dann wird das Bündnis Sahra Wagenknecht seinen Gründungsparteitag in Berlin veranstalten. Im früheren DDR-Kino Kosmos sollen rund 450 Erstmitglieder zusammenkommen. Sie verabschieden das Programm für die Europawahl, stellen die Wahlliste auf. Es ist das erste große Partei-Event des BSW. Ein historischer Tag, zumindest in den Augen von Wagenknechts Anhängern.

    Pia Zimmermann war Bundestagsabgeordnete und Landesvorsitzende der Linken in Niedersachsen. Sie habe „viel für die Linke gegeben und hätte gerne zu den Erstmitgliedern des BSW gehört“, sagt Zimmermann auf Anfrage. „Ich persönlich wäre überhaupt nicht zufrieden damit, erst in der zweiten oder dritten Welle aufgenommen zu werden.“

    Sie habe über Jahre für linke Politik gekämpft, immer an der Seite von Wagenknecht. „Sahra selbst hätte wohl kaum ein Problem damit, wenn Diether Dehm und ich der neuen Partei beitreten würden“, sagt Zimmermann. Hinter der Entscheidung vermutet sie vielmehr die Co-Vorsitzende an der Seite Wagenknechts. „Offenbar führt Amira Mohamed Ali eine Liste, auf der Personen stehen, die keine Mitglieder werden sollen.“

    Das Bündnis Sahra Wagenknecht hat bis Redaktionsschluss nicht auf eine Anfrage zu dieser angeblichen Liste geantwortet. Anders als das Bundestagsbüro von Amira Mohamed Ali. Auf die Frage, ob es eine solche Liste gebe, reagierte Ali kurz und knapp mit: „Nein.“ Diether Dehm wollte sich nicht öffentlich äußern.

    Nach Informationen der Berliner Zeitung und von Telepolis hatte das BSW am 30. Dezember einem kleinen Kreis von künftigen Parteimitgliedern beziehungsweise Parteitagsdelegierten eine Mail gesendet – also wenige Tage, bevor das Schreiben von Dehm und Zimmermann an das Bündnis ging. In der Rundmail heißt es: „Du bist bitte am 8. Januar um 13 Uhr an deinem Laptop.“ Also am Gründungstag des BSW. Dann würde, wie mittlerweile geschehen, der Mitgliedsantrag per eigens eingerichteter Adresse versendet.

    #Allemagne #politique #gauche #BSW

  • Absurdität und Arroganz: Was Wolfgang Schäubles Wirken im Einigungsprozess den DDR-Bürgern brachte
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/absurditaet-und-arroganz-was-wolfgang-schaeubles-wirken-im-einigung


    Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (l.) und DDR-Staatssekretär Günther Krause bei der Unterzeichnung der Urkunden zum Einigungsvertrag am 31.08.1990. In der Mitte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière. Im Palais Unter den Linden in Berlin wurde der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik per 3. Oktober 1990 besiegelt.

    1.1.2024 von Hans Modrow, mtk| - Hans Modrow beschrieb in einer Rede in Zürich die Haltung der westdeutschen Eliten in den Jahren nach 1990 und die offiziöse Geschichtsschreibung: Sind wir inzwischen „ein Volk“?

    Der am Dienstag im Alter von 81 Jahren verstorbene CDU-Politiker Wolfgang Schäuble hat in den vergangenen Tagen vielfache Würdigung erfahren. In frischer Erinnerung sind seine Jahre als Minister in der Regierung Merkel und als Präsident des Deutschen Bundestages – als energischer Verteidiger der Demokratie. Sein Anteil als von Bundeskanzler Helmut Kohl beauftragter Verhandlungsführer am Zustandekommen des Vertrages über die deutsche Einheit im Jahr 1990 fand in den Nachrufen allenfalls kurze Erwähnung. Das mag einerseits an dem Gebot des Anstandes und der Pietät liegen, einem jüngst Verstorbenen nichts Schlechtes nachzureden, andererseits daran, dass der Inhalt dieses Vertrages das Leben der Bürger der alten Bundesrepublik wenig beeinflusste – und damit auch das der Nachrufautorinnen und -autoren.

    In einem von der ARD ausgestrahlten Nachruf erinnerte Richard Schröder, seinerzeit Vorsitzender der SPD-Fraktion in der letzten DDR-Volkskammer, dass die Seite mit dem Geld den Lauf der Verhandlungen bestimmt habe. Der Mann mit dem Geld war Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble gewesen. Er trat im Mai 1990 mit einem Entwurf des Einigungsvertrages an, dem DDR-Verhandlungsführer Günther Krause mit einem Fünf-Seiten-Papier begegnete.

    Etliche der im Vertrag festgelegten Regeln sollten in den kommenden Jahren das Leben der DDR-Bürger über den Haufen werfen – man denke nur an das Prinzip Rückgabe vor Entschädigung von Eigentum in der DDR, (Richard Schröder hatte sich für Entschädigung vor Rückgabe starkgemacht.), die von der Treuhand zu erledigende Komplettabwicklung des Volkseigentums und die Privatisierung in „pragmatischer Eile“ oder die Frage der Berufsabschlüsse. DDR-Bürgern wurde in Kapitel VII des Vertrages die Gnade eingeräumt, auf Antrag eine „Gleichwertigkeitsfeststellung“ zu erlangen.

    Wolfgang Schäuble, in den Nachrufen politisch auch als „harter Knochen“ bezeichnet, hat bis zum Schluss keinen Hinweis gegeben, ob er Teile des Vertragswerkes später als unglücklich und der inneren Einheit nicht dienlich empfand. Zwei Jahre nach Unterzeichnung des Vertrages durch Schäuble und seinen im Westen viel verspotteten DDR-Partner Günther Krause schrieb der Spiegel: „Das Dogma Eigentumsrecht, die Ideologie, dass der Grundbesitz des Einzelnen über allem steht, erweist sich immer stärker und bedrohlicher als schwerster Fehler bei der Gestaltung der Einheit.“ Als Folgen diagnostizierte das Blatt: „Der Hass auf die Raffkes aus dem Westen wächst.“ Das Vertrauen in den Rechtsstaat schmelze dahin. Über den Vereinigungsvertrag, das Werk des Juristen Schäuble, heißt es: „Ein juristisches Glanzstück war das nicht.“

    Im März 1990 hatte die DDR-Regierung unter Hans Modrow noch ein Gesetz erlassen, demgemäß Bürger die volkseigenen Grundstücke, auf denen ihr Eigenheim stand, noch günstig kaufen und so vor dem West-Zugriff schützen konnten. Das war eine der Maßnahmen, mit denen Hans Modrow, letzter Ministerpräsident der DDR mit Parteibuch der PDS, vormals SED, die Einheit vorbereitete. Er hatte die erste freie Wahl am 18. März 1990 vorbereitet, in der eine klare Mehrheit unmissverständlich den Wunsch nach rascher Wiedervereinigung ausdrückte. Die Machtübergabe an seinen CDU-Nachfolger Lothar de Maizière verlief ruhig und geordnet.

    Am 16. April 2019 hielt der kürzlich verstorbene Hans Modrow einen Vortrag an der international hoch anerkannten Schweizer Eidgenössischen Technischen Hochschule, ETH, in Zürich, in dem er ohne Bitterkeit die Absurdität und auch Arroganz der westdeutschen Eliten aufzeigt, die gegenüber ostdeutscher Lebenswirklichkeit bis heute durchgehalten wird. Eine Einladung einer deutschen Hochschule hatte er nie erhalten. Die Schweizer gaben ihm die Möglichkeit, eine solche Rede zu halten, die im eigenen Land keiner hören wollte. Wolfgang Schäuble wird in dem Text nicht namentlich genannt. Sein Wirken aber liegt an der Wurzel von Modrows Lebensbilanz.
    Maritta Tkalec

    Hier die Rede mit dem Titel „30 Jahre nach dem Fall der Mauer – Europa damals und heute“ im Wortlaut:

    In den frühen Siebzigerjahren erschien ein Roman des deutschjüdischen Schriftstellers Stefan Heym mit dem Titel „Der König David Bericht“. In diesem ging es im Wesentlichen darum, dass im Nachgang historische Vorgänge umgeschrieben wurden, damit diese die Gegenwart und vor allem den Auftraggeber rühmten. Die damalige Literaturkritik in West und Ost, nicht frei vom Zeitgeist, interpretierte diesen Vorgang auf unterschiedliche Weise. Heute, wo es nur noch Westen gibt, ist sie sich einig: Heym attackierte damit den Stalinismus, den Machtmissbrauch, die Zensur und auch den Antisemitismus.

    Dabei sind jene, die dies postulieren, sich nicht einmal bewusst, dass sie selbst eigentlich nicht frei sind von jenen Verhaltensmustern, die der DDR-Autor Heym kritisierte.

    Mit dem Herbst ’89, der DDR im Allgemeinen und ihrem Ende im Besonderen ist es nicht anders.

    Seit dreißig Jahren wird ein Bild vornehmlich von jenen gezeichnet, die entweder nicht dabei waren, oder aber von Menschen, die sich als Opfer der DDR verstehen. Nun stelle ich keineswegs in Zweifel, dass etliche Ostdeutsche aus unterschiedlichen Gründen in der DDR nicht heimisch wurden und lieber gingen als blieben. Aber in keinem Staat leben nur glückliche Menschen. Allenfalls im biblischen Paradies – doch auch dort wurde das Machtmonopol repressiv eingesetzt. Bekanntlich wurden die Bürger Adam und Eva ausgewiesen.

    In der offiziösen Geschichtsschreibung über die DDR dominiert die sogenannte Opferperspektive. Weil sie die These von der Befreiung stützt und dem vermeintlichen Sieger Lob und Legitimation für sein Tun verschafft. Eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Sicht findet allenfalls an der Peripherie und selten im akademischen Raum statt. Die vorherrschende Meinung war und ist die Meinung der in Politik, Medien und Wissenschaft Herrschenden. Widersprechende Zeitzeugen, so sie aus der politischen Klasse der DDR stammen, bekommen entweder einen Maulkorb oder das Etikett „Täter“ verpasst. Wer ein gutes Haar an dieser untergegangenen DDR lässt, gilt als ewiggestrig, als unbelehrbar, als dogmatisch und – was ja der Sinn dieser denunziatorischen Übung war und ist – als unglaubwürdig.

    Da hilft es auch nicht, wenn man die deutsche Frage in einen internationalen Kontext stellt, wenn man vom Kalten Krieg spricht und beide Seiten zu gleichen Teilen für diesen unfriedlichen Zustand verantwortlich macht. Schuld haben nur die einen: die Verlierer.

    Noch weniger hinnehmbar ist, dass man von der „zweiten deutschen Diktatur“ spricht und ein Gleichheitszeichen setzt zwischen dem verbrecherischen Nazi-Reich und der zweiten deutschen Republik, der DDR. Einige behaupteten sogar, der Strich auf dem Bahnhof Friedrichstraße in Berlin gliche dem auf der Rampe in Auschwitz. Und da es keine vergleichbaren Leichenberge gab, sprach man ersatzweise vom „Auschwitz der Seelen“. Dass dies nicht nur die Menschen empörte, die die Nazibarbarei in Konzentrationslager und im Exil überlebt hatten und zur Gründergeneration der DDR gehörten, muss ich nicht betonen.

    Erfahrung von Krieg und Gefangenschaft

    Ich selbst kam 1949 – in jenem Jahr, als die Bundesrepublik und die DDR gegründet wurden – aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Nicht nach Hause, denn das lag in Pommern und nunmehr in Polen. Die Nazis hatten mich 17-jährig in ihr letztes Aufgebot gesteckt, und ohne jemals einen Schuss abgegeben zu haben, durfte ich vier Jahre lang in den Weiten Russlands Holz schlagen. Aber, und deshalb setze ich dies an den Beginn meines Vortrags: Ich war damals auch mit jener Unwissenheit geschlagen, die die Herrschenden – damals also die Nazi-Clique – brauchen, um Menschen in den Krieg zu schicken. Gegen diese Unwissenheit setzten damals die Sowjets die Aufklärung. In den sogenannten Antifa-Schulen klärten sie deutsche Ex-Soldaten darüber auf, wer diesen Krieg gemacht hatte, warum er geführt wurde, wer davon profitierte und wer dafür bezahlen musste. Auch ich hörte dort zum ersten Male davon.

    Kriege werden immer um Territorien, um Rohstoffe und Absatzmärkte, um Macht und Einfluss geführt. Die Ideen, um deren Verbreitung angeblich immer gekämpft würde, und die vermeintliche Befreiung von in Knechtschaft gehaltenen Menschen, sind reine Propaganda. Die angebliche „Rettung des Vaterlandes“ und die „Beseitigung des jüdischen Bolschewismus“ kostete zwischen 1933 und 1945 mehr als fünfzig Millionen Menschen das Leben.

    Europa war nach dem 8. Mai 1945 – die Schweiz ausgenommen – ein Leichen- und Trümmerfeld. Und die Siegermächte der Antihitlerkoalition beschlossen in Potsdam die Nachkriegsordnung für den Kontinent. Am 30. Januar 1933 hatte das deutsche Großkapital die Nazis an die Macht gebracht, weil es sich von ihnen höhere Rendite erwartete. Ohne diesen 30. Januar 1933 wären zwölf Jahre später in Berlin nicht die Kapitulation besiegelt und Deutschland nicht militärisch besetzt worden. Unmittelbar danach brachen die Interessengegensätze zwischen den einstigen Verbündeten auf, es begann ein Kalter Krieg, der zur Spaltung nicht nur Deutschlands, sondern Europas führte. Die Teilung Deutschlands, die ich bei meiner Rückkehr vorfand, empfand ich stets als Quittung für den von Deutschland 1939 begonnenen Eroberungskrieg. Ich war damals elf Jahre alt und daran unschuldig. Doch ich war jetzt nicht nur um eine Erfahrung reicher, sondern nunmehr auch verantwortlich dafür, dass Faschismus und Krieg nie, nie wieder stattfinden durften. Ich hatte meine Lektion in der Kriegsgefangenschaft gelernt.
    „Lass uns dir zum guten dienen, Deutschland einig Vaterland“

    Die Teilung Deutschlands hielten wir im Osten für einen temporären Vorgang – zumal die Bildung der DDR im Nachgang zur Gründung eines Separatstaates in den drei westlichen Besatzungszonen erfolgt war. Zwangsläufig. Denn wenn es auf der einen Seite eine Bundesrepublik Deutschland gab, durfte auf der anderen Seite das sowjetisch besetzte Territorium nicht weiter eine Zone bleiben. Auch wenn absichtsvoll bis in die 1960er-Jahre Bundeskanzler Adenauer nur von der „Sowjetzone“ sprach und später das Kürzel DDR in Anführungszeichen gesetzt wurde.

    Erst als 1973 beide deutsche Staaten gleichberechtigte Mitglieder der Uno wurden, zog mit der Entspannungspolitik auch ein wenig Normalität in die deutsch-deutschen Beziehungen ein. Eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch die BRD, eine Respektierung ihrer Bürger als Staatsbürger eines anderen Landes erfolgte bis zum Ende 1990 jedoch nie. Aber noch einmal: Die DDR verstand sich mindestens in ihrer Anfangszeit als Provisorium, ihr Parlament hieß „Provisorische Volkskammer“, und in der Nationalhymne sangen wir (erstmals am 6. Oktober 1949): „Auferstanden aus Ruinen / und der Zukunft zugewandt, / lass uns dir zum Guten dienen, / Deutschland, einig Vaterland.“

    Meine Partei, die SED, forderte „Deutsche an einen Tisch!“, unterbreitete Vorschläge, wie man zu einer Konföderation käme, und wollte den anormalen Zustand – denn die Teilung Deutschlands wurde als widernatürlich empfunden – überwinden. Diese Teilung wurde in der BRD jedoch zementiert. Man lehnte dort die Stalin-Noten von 1952 ab, mit denen Moskau u. a. freie Wahlen in ganz Deutschland und den Abzug aller Besatzungstruppen vorgeschlagen hatte. Die Adenauer-Regierung forcierte stattdessen die Westintegration der Bundesrepublik und die Wiederbewaffnung und grenzte sich vom Osten ab.

    Der Beitritt der BRD zur Nato 1955 verursachte auf der Gegenseite die Bildung eines Warschauer Paktes, dem sich die DDR anschloss. Damit wurde die Westgrenze der DDR – im westdeutschen Sprachgebrauch fälschlich immer als „innerdeutsche Grenze“ bezeichnet – zur Ostgrenze der Nato in Europa und zur Westgrenze des östlichen Bündnisses.

    Damit fiel die Oberhoheit an dieser Trennlinie der Systeme den jeweiligen Führungsmächten zu. Nicht die BRD und die DDR, sondern Washington und Moskau diktierten im Wesentlichen die Bedingungen. Wie das Grenzregime gestaltet wurde, wer wo was zu tun und zu unterlassen hatte.
    Heikler Sonderfall Berlin

    Berlin, auf dem Territorium der DDR gelegen, war ein heikler Sonderfall: Dort saßen die vier Mächte und achteten darauf, dass die Stadt – in der es keine Grenze zwischen den Sektoren gab – weder von der einen noch von der anderen Seite regiert werden durfte. Und nach West-Berlin durften auf drei Trassen nur die Flugzeuge der Siegermächte verkehren. Unkontrolliert von deutschen Behörden.

    Unproblematisch hingegen war es auf der Erde. Mit einem Ticket für 20 Pfennig gelangte man mit der S-Bahn von Ost- nach West-Berlin und umgekehrt. Als DDR-Bürger bekam man, so man es wünschte, im Westen sofort einen westdeutschen Pass, denn die BRD maßte sich an, für alle Deutschen zu sprechen. Auch für die in Polen, der ČSSR und in der Sowjetunion lebenden. Bonn überzog entsprechend seiner Hallstein-Doktrin sogar Drittstaaten mit Sanktionen, sofern diese – im Unterschied zur BRD – die DDR und die Pässe ihrer Bürger anerkannten.

    Das führte zu zusätzlichen Spannungen, die im Juni 1961 die Staatschefs der beiden Großmächte in Wien bei ihrem ersten Gipfeltreffen zu beheben hofften. Chruschtschow und Kennedy einigten sich jedoch nur darauf, dass die Rechte der Westmächte in West-Berlin nicht angetastet, ihr Zugang zur einstigen Reichshauptstadt nicht behindert und die Sicherheit der West-Berliner durch sie geschützt werden durften. Dadurch blieb das grundsätzliche Problem – das der offenen Grenze zwischen Ost- und West-Berlin – ungelöst, worauf Moskau Anfang August entschied, diese Grenze zu schließen und eine Mauer rund um West-Berlin zu errichten. Die am 13. August 1961 getroffenen Maßnahmen wurden als Bündnisentscheidung deklariert. Das waren sie auch, denn alle Staaten des Warschauer Vertrages stimmten zu. Auch die DDR.

    Aber es war eben nicht die DDR und schon gar nicht Walter Ulbricht, der den Mauerbau befahl.

    Und es waren eben nicht die Kommunisten allein, die Deutschland und Europa geteilt haben, was wahrheitswidrig seither behauptet wird. Der Mauerbau und seine Konsequenzen waren die Folge der Politik beider Seiten. Die Logik des Kalten Krieges erzwang Aktion und Reaktion, auf die Provokation der einen folgte die der anderen Seite. Ich gehörte damals der Leitung der Berliner SED-Organisation an und weiß, worüber ich rede. Nicht jeder Schritt war von Vernunft diktiert.

    Erst die Einsicht, dass zwischen den beiden Blöcken ein militärstrategisches Gleichgewicht bestünde, führte zur Entspannung. Beide Seiten wussten: Schieße ich als Erster, sterbe ich als Zweiter. Die Möglichkeit wechselseitiger Vernichtung führte zur Einsicht, dass man sich arrangieren müsse, um friedlich miteinander zu existieren. Das führte erstmals in der Geschichte zur Schaffung eines Systems kollektiver Sicherheit, geknüpft durch eine Vielzahl bilateraler und multilateraler Verträge.

    Die Krönung dieser globalen diplomatischen Anstrengungen war die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, deren Schlussdokument 1975 von Staats- und Regierungschefs der 33 Staaten des Kontinents sowie der USA und Kanadas in Helsinki unterzeichnet wurde.

    Dieses in Jahrzehnten entstandene Netzwerk vertrauensbildender Abkommen und Vereinbarungen überstand viele Belastungen – selbst den Untergang des Ostblocks. Der gegenwärtig in Washington herrschende Präsident und die ihn stützenden Kräfte vermochten es allerdings, dieses System binnen zweier Jahre zu liquidieren. Seither bestimmen wieder Argwohn und Misstrauen die Weltpolitik und es wird, wenn überhaupt, Jahrzehnte brauchen, um dieses Vertrauen wiederherzustellen.

    Wir lernten in der Folgezeit nicht nur mit der Bombe zu leben, sondern auch mit der Mauer. Beide aber sollten verschwinden. Das war nicht nur der Wunsch vieler Menschen im Westen, sondern auch im Osten. Honecker nannte die Raketen, die auf deutschem Territorium stationiert und mit Atomsprengköpfen bestückt waren, „Teufelszeug“ und verlangte ihren Abzug. In dieser Hinsicht war er sich mit Bundeskanzler Kohl einig. Sie erklärten am 12. März 1985 in Moskau gemeinsam, dass „die Unverletzlichkeit der Grenzen und die Achtung der territorialen Integrität und Souveränität der Staaten in Europa in ihren gegenwärtigen Grenzen“ (...) „grundlegende Bedingungen für den Frieden“ seien. Und: „Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg, von deutschem Boden muss Frieden ausgehen.“

    Honecker, der zwei Jahre später als Staatsgast die Bundesrepublik bereiste, wollte durchaus auch die Mauer durchlässiger machen. Er war zwar beim Abendessen mit Kohl in Bad Godesberg am 7. September 1987 der Auffassung, „dass Sozialismus und Kapitalismus sich ebenso wenig vereinigen lassen wie Feuer und Wasser“, womit er gewiss nicht Unrecht hatte. Doch in Neunkirchen im Saarland meinte er Tage später, dass man auf einen Zustand hinarbeiten wolle, dass die Verhältnisse an dieser Grenze so sein würden wie die an der Grenze zu Polen oder zur Tschechoslowakei.

    Nun will ich Honecker nicht zum Heiligen machen. Es gibt reichlich Gründe, ihn auch kritisch zu beurteilen. Aber was wahr ist, sollte auch als historische Wahrheit zur Kenntnis genommen werden. Wäre Honecker nicht am 29. Mai vor 25 Jahren in Chile verstorben, sondern vielleicht schon sechs, sieben Jahre früher und zwar im Amte, dann wäre halb Bonn nach Berlin geeilt, um dem ostdeutschen Staatsmann die letzte Ehre zu erweisen. Erst als er gestürzt und die DDR zu Grabe getragen war, wurde er zu jenem Schuft erklärt, als der er heute öffentlich geschmäht wird.

    Ganz nebenbei: Als der Wehrmacht-Leutnant Helmut Schmidt – dem wiederholt eine „einwandfreie nationalsozialistische Haltung“ von seinen Vorgesetzten attestiert wurde – Leningrad belagerte und in jener Zeit mit dem Eisernen Kreuz 2. Klasse ausgezeichnet wurde, saß Honecker im faschistischen Zuchthaus Brandenburg-Görden. Dort saß er ganze zehn Jahre für seine antifaschistische Gesinnung ein. Schmidt wurde später Bundeskanzler, Honecker Staats- und Parteichef. Schmidt ist heute ein Denkmal und sein Wohnhaus in Hamburg Museum, Honecker hat nicht einmal ein Grab in Deutschland. Wogegen ich im Übrigen auch bin. Denn ich fürchte, dass es nicht sicher wäre angesichts der üblen Nachrede, die er seit seinem Abgang von der politischen Bühne erfährt.

    Das alles gehört in Erinnerung gerufen, wenn wir über den 9. November 1989 reden. Denn der sogenannte Mauerfall hat eine Vor- und nicht nur eine Nachgeschichte. Außerdem fiel die Mauer erst 1990, als die Bagger und Mauerspechte kamen. An jenem 9. November öffnete die DDR Grenzübergangsstellen, und sie tat dies, weil a) einer aus der Führung auf einer Pressekonferenz fahrig und unkonzentriert die Sperrfrist übersah, die der Reiseverordnung beigegeben war, und weil b) diese Meldung übers Westfernsehen sogleich über die Mauer flog und viele DDR-Bürger an Grenzübergänge lockte. Sie wollten sehen, ob Schabowskis „sofort, unverzüglich“ auch zuträfe.

    Und nun tritt ein Moment hinzu, das für die Moral und den Anstand der DDR-Grenzer spricht. Nicht einer griff zur Waffe. Sie taten in dieser Minute das einzig Richtige, weil Vernünftige: Sie öffneten die Übergänge.

    Warum gab es in der DDR keine bürgerkriegsähnlichen Zustände wie etwa in anderen Staaten, in denen ebenfalls das sozialistische System sowjetischer Prägung implodierte? Warum blieb alles friedlich, floss kein Blut? Der Staat besaß das Gewaltmonopol, er hatte die Waffen – die Demonstranten Kerzen.

    Die sozialistische Staatsmacht kapitulierte nicht vor Kerzen und Friedensgebeten, sondern vor der Einsicht, dass man nicht auf das eigene Volk schießen darf. Solche Skrupel waren zum Beispiel der sozialdemokratischen Führung fremd, die die Novemberrevolution 1918 an die Macht gebracht hatte. Die schloss einen Pakt mit den kaiserlichen Militärs und ließen auf Menschen wie auf Hasen schießen. Nicht nur auf Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.

    Und später, als die Rechten marschierten, vermieden diese Sozialdemokraten den Schulterschluss mit den Linken. Auf ihre 94 Nein-Stimmen gegen das Ermächtigungsgesetz der Nazis am 24. März 1933 sind sie mit allem Recht stolz. Sie waren die Einzigen, die im Reichstag gegen die Entmündigung der Parlamentarier und des Parlaments, gegen die Abschaffung der Demokratie und die Errichtung der faschistischen Diktatur stimmten.

    Die 81 Abgeordneten der KPD, die gesamte Fraktion, konnten es nicht mehr: Diese Abgeordneten waren bereits verhaftet oder auf der Flucht wie eben auch 26 SPD-Parlamentarier.

    Der Bruderkrieg im linken Spektrum hatte die Nazidiktatur möglich gemacht, weshalb der Umkehrschluss lautete: Wir brauchen die Einheit, um Wiederholung zu verhindern! Sie wurde im Osten auf der Parteiebene vollzogen und im Westen aktiv verhindert. Die Sozialistische Einheitspartei sollte die Geschicke der DDR bis 1989 leiten. Ich war, wie es immer heißt, der letzte Ministerpräsident der SED. Mein Nachfolger Lothar de Maizière kam von der CDU und verantwortete den Beitritt.
    Kohls Fahrplan zur Einheit

    Die staatliche Vereinigung der beiden Staaten wurde weder in Bonn noch in Berlin beschlossen. Sie wurde auch nicht vom Volk der DDR erzwungen. Die Mehrheit jener, die im Herbst ’89 demonstrierten – darunter nicht wenige der etwa 2,3 Millionen Mitglieder der SED –, wollten eine andere, eine bessere, eine sozialistische DDR. Erst später wurde aus dem Ruf „Wir sind das Volk!“ die Parole „Wir sind ein Volk!“

    Mit dem Ruf „Wir sind das Volk!“ stellte der Souverän klar, wer laut Verfassung das Sagen im Lande hatte. Die andere Parole wurde gewissermaßen von außen hereingetragen. Aus der von mir angedachten Vertragsgemeinschaft mit der Bundesrepublik wurde nichts. Bundeskanzler Kohl präsentierte am 28. November 1989 einen Zehn-Punkte-Plan, mit dem er ein „Selbstbestimmungsrecht der Deutschen“ einforderte.

    Diesen Fahrplan hatte er mit US-Präsident Bush abgestimmt, sonst mit niemandem. Gorbatschow fühlte sich übergangen, die deutsche Teilung war für ihn ein Ergebnis der Geschichte. Aber Kohl hielt sich nicht an seine eigene Zusage, die er 1985 gemeinsam mit Honecker gemacht hatte: Die Unverletzlichkeit der Grenzen und die Achtung der territorialen Integrität und Souveränität der Staaten in Europa in ihren gegenwärtigen Grenzen sind eine grundlegende Bedingung für den Frieden. Damit war auch die Souveränität der DDR und ihre territoriale Integrität gemeint.

    Die Gefahr von Kohls Fahrplan wurde in Moskau sehr wohl erkannt. Der sowjetische Außenminister Schewardnadse ließ seinen Kollegen Genscher wissen: „Nicht einmal Hitler hat sich Derartiges erlaubt!“

    Ende Januar 1990 war ich bei Michail Gorbatschow und präsentierte ihm mein Konzept, das ich unter eine Zeile aus unserer Nationalhymne von 1949 gestellt hatte: Deutschland einig Vaterland. In einem Vierstufenplan sollte die Einheit über eine Vertragsgemeinschaft mit konföderativen Elementen, die Bildung einer Konföderation von DDR und BRD mit gemeinsamen Organen, die Übertragung von Souveränitätsrechten beider Staaten an Machtorgane der Konföderation und schließlich die Bildung eines einheitlichen deutschen Staates in Form einer Deutschen Föderation oder eines Deutschen Bundes durch Wahlen erfolgen. Diesen Plan stellte ich am 1. Februar 1990 auf einer Pressekonferenz in Berlin vor.

    Allerdings hatten Gorbatschow und Kohl andere Pläne. Kohl reiste mit „Bimbes“ nach Moskau, versprach der Sowjetunion Nahrungsmittelhilfen von 220 Millionen D-Mark, um die Moskau nachgesucht hatte, und bekam dort einen Freifahrtschein.

    Am 10. Februar erklärte der Bundeskanzler vor der Presse in der sowjetischen Hauptstadt: „Ich habe heute Abend an alle Deutschen eine einzige Botschaft zu übermitteln. Generalsekretär Gorbatschow und ich stimmen darin überein, dass es das alleinige Recht des deutschen Volkes ist, die Entscheidung zu treffen, ob es in einem Staat zusammenleben will.“
    Wo die Entscheidungen fielen

    Das deutsche Volk wurde nicht gefragt. Die Entscheidungen wurden in Bonn und in Washington getroffen, die Widerstände in London und Paris, wo man gegen eine Vereinigung war, wurden ausgeräumt. Moskau konnte und wollte sich nicht mehr widersetzen: Das Land lag wirtschaftlich danieder, die Strategie der USA, die UdSSR totzurüsten, war erfolgreich gewesen. Wie eben auch die Nachkriegsstrategie der USA in Europa aufgegangen ist. Sie bestand aus zwei Prämissen: Erstens wollten sie sich dauerhaft in Europa festsetzen, zweitens die Sowjets aus Zentraleuropa verdrängen. 1994 zogen die letzten russischen Soldaten aus Deutschland ab.

    Die Amerikaner sind noch immer da.

    Im Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz lagern noch immer Nuklearwaffen.

    Die Nato steht inzwischen an der russischen Grenze.

    Die USA haben wichtige Rüstungsbegrenzungsverträge mit den Russen aufgekündigt.

    Washington droht selbst Verbündeten mit Sanktionen, wenn diese die Boykottmaßnahmen gegen Russland unterlaufen.

    Die EU steht in Nibelungentreue fest zu den USA. Die Chance zu einer eigenständigen Politik, die eine Emanzipation von den USA zwingend voraussetzt, wurde bis dato nicht genutzt.

    Deutschland verhält sich so wenig souverän wie vor 1989 unter den Bedingungen der Zweistaatlichkeit.

    1999 beteiligte sich die Bundesrepublik erstmals seit 1945 an einem Angriffskrieg – den der Nato in Jugoslawien. Aktuell ist die Bundeswehr in dreizehn Staaten und Regionen in sogenannten Friedensmissionen unterwegs.

    Und innenpolitisch? Sind wir inzwischen „ein Volk“?

    Wir haben die staatliche, jedoch keine innere Einheit. In dreißig Jahren wurde es nicht geschafft, den inneren Frieden herzustellen. Die Lebensbedingungen in West und Ost sind verschieden. Nachdem man jahrelang dafür die SED und die „marode Wirtschaft“ der DDR verantwortlich machte, kommt man inzwischen nicht umhin einzugestehen, dass bei der Vereinigung Fehler gemacht worden seien. Das Wort von der Kolonisierung macht die Runde. Wichtige Funktionen in Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft werden unverändert von Westdeutschen besetzt, und diese ziehen wiederum ihresgleichen nach. Obgleich die Arbeitslosigkeit im Osten so niedrig ist wie seit 1990 nicht, es spürbare Bemühungen gibt, Renten und Gehälter dem Westniveau anzunähern, bleibt immer noch eine bemerkenswerte Differenz. Nach dreißig Jahren!

    Es ist auch weniger die soziale Ungerechtigkeit, die die Menschen im Osten bedrückt. Es ist die ungebrochene Vormundschaft, die über sie ausgeübt wird. Ihnen wird ihre Vergangenheit interpretiert, vorgeschrieben, gedeutet. In letzter Konsequenz ist es eine fortgesetzte Entmündigung. Der Vertrauensverlust in die Institutionen des Staates – Parteien eingeschlossen – ist so groß wie nie. Die Stunde der braunen Rattenfänger ist da. Faschisten saßen schon immer im Bundestag. Noch nie aber mit einer eigenen Fraktion ...

    Der Historiker in Heyms Roman „Der König David Bericht“, der mit der „richtigen“ Geschichtsschreibung beauftragt wurde, hieß Ethan ben Hoshaja. In Erinnerung an diesen Mann und seine Mission kann ich nur sagen: Solange die deutschen Ethans das Monopol auf die DDR-Geschichte, auf die Deutung von Mauerbau und Mauerfall besitzen, werden sich die Ostdeutschen bevormundet fühlen.

    Auch deshalb bin ich Ihnen dankbar, dass Sie mir Gelegenheit gaben, hier heute zu sprechen. In Zürich, in der Schweiz.

    Eine solche Einladung habe ich bisher von keiner deutschen Universität oder Fachhochschule erhalten. Und es gibt weit über dreihundert davon.

    Muss ich noch mehr sagen?

    #DDR #histoire

  • Neues Buch : Egon Krenz liefert in seinen Memoiren Innenansichten der DDR-Führung
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/neues-buch-egon-krenz-liefert-in-seinen-memoiren-innenansichten-der


    Egon Krenz, l’éminence grise derrière le chef d’état en RDA publie la deuxième partie de son autobiographie.

    18.12.2023 von Maritta Adam-Tkalec - Erich Honecker als Gefühlsdeutscher und Christa Wolfs Nobelpreis – das neue Buch von Egon Krenz überrascht mit Unbekanntem. Ein Dokument der Zeitgeschichte.

    Wenn einer Memoiren schreibt, zumal einer, der über Jahre im engsten Machtzirkel eines Landes saß, dann darf das Publikum erwarten, dass ein paar Geheimnisse gelüftet werden – einige Häppchen Privates, über Freund- und Feindschaften, Politkrimi-Episoden. Das gibt es alles auch im soeben erschienenen Band zwei der Erinnerungen von Egon Krenz. Nicht gerade marktschreierisch lautet der weitläufige Titel „Gestaltung und Veränderung“. Auf Extra-Spektakel legt es Egon Krenz offenbar nicht an.

    Das Buch beginnt mit seinem Aufstieg an die Spitze der Freien Deutschen Jugend (FDJ) 1974 und endet schon fast tumultuös zu Beginn des Wendejahres 1989. Man darf aus seiner Position als Politbüromitglied heraus vermuten, dass er viel zu erzählen hat – und Antworten bietet auf manche Fragen, die die eigene Biografie unmittelbar betreffen. Zum Beispiel: Wo liegen die Ursachen für das sang- und klanglose Implodieren der DDR?

    Wie war es möglich, dass ein starres System alter Männer bis zum Ende stabil blieb und den Niedergang nicht nur akzeptierte, sondern organisierte? Welche Rolle spielte Erich Honecker dabei? Auf 446 durchaus spannenden Seiten bietet der Autor, inzwischen 86, abgeklärt und auch einsichtsvoll-selbstkritisch für Zeitgenossen wie die Autorin (Jahrgang 1956) eine Art Zeitleiste für wichtige Phasen des eigenen Lebens.

    Zunächst seien einige spezielle Geheimnisse angeführt, die die Boulevardzeitungen immer wieder einmal mächtig bewegten. Zum Beispiel die aus Erich Honeckers Tafelrunde in der siebenten Etage des ZK-Gebäudes, wo sich um 13 Uhr die Politbüromitglieder, also auch Egon Krenz, an einem reservierten Tisch zum zwanglosen Mittagessen trafen: Der Generalsekretär und Staatsratsvorsitzende aß am liebsten Makkaroni mit Schinken. Häufig wählte er auch Bratwurst mit Kartoffelbrei, Rippchen und Kassler. Das Deftig-Bodenständige entsprach den Vorlieben des Jüngsten in der Runde – außer Kassler, das mochte der Pommer nicht. Jeder zahlte für sich die moderaten Preise. In der sechsten Etage, in der Mitarbeiterkantine, war es noch mal günstiger.
    Ein Schlaglicht auf Schabowski

    Bei der Tafelrunde wurde es gelegentlich privat, und Krenz berichtet, wie sich ein Teilnehmer Tag für Tag mithilfe eines „perfekt entwickelten Nachrichtensystems“ eine günstige Position sicherte: Sobald der Chef zum Essen schritt, informierten „instruierte Posten“ Günter Schabowski, Parteichef von Berlin, der dann „alles stehen und liegen ließ“, meist Honecker noch einholte, mit ihm zusammen den Speisesaal betrat und bei Tisch wissen ließ, „wie groß das Vertrauen der Berliner zum Generalsekretär“ sei und „wie schlecht sie über Gorbatschow dachten“. Honecker gefiel das.

    Noch etwas aus dieser Güteklasse? Man liest, wer mit wem Kaffee trank, wie Krenz den Devisen-Guru Alexander Schalck-Golodkowski kennenlernte und Zugang zu dessen geheimen, nicht einmal dem Politbüro bekannten Zahlen erhielt, wie die Nachbarschaft im geheimnisumwitterten Politbürodorf Wandlitz funktionierte (bzw. nicht) – Krenz hatte es in seiner Plattenbauwohnung in Köpenick „geräumiger“ gefunden. Zu erfahren ist, wie der Auftritt Udo Lindenbergs im Palast der Republik zustande kam. Dazu eine nette Anekdote: Krenz hatte auf Honeckers Frage, was das denn dieser Lindenberg für einer sei, geantwortet: „Er nennt dich ,Honni‘ und ,Oberindianer‘“. Worauf Honecker bemerkte: „Ach, das ist ja lustig. Deshalb sagt mein Enkel jetzt manchmal ,Honni‘ zu mir.“

    Egon Krenz legt Erinnerungen vor: Gedächtnisstütze für Diktatursozialisierte

    Zwei Beispiele aus dem Promi-Nähkästchen: 1985 vertraute Honecker Krenz an, das Nobelpreiskomitee habe angefragt, ob die DDR Christa Wolf zur Entgegennahme des Literaturnobelpreises ausreisen lassen würde. „Großartige Sache“, sagte Krenz, und Honecker sah es ebenso, jedoch: „Ich hätte Nein sagen sollen, dann wäre ihr der Preis wahrscheinlich sicher gewesen.“ Die Klärung der Frage, wie Katarina Witt eine Karriere als Profisportlerin möglich wurde, korrigiert manch fehlgeleiteten Eindruck.

    Nun aber zum Eigentlichen: Wenige standen Erich Honecker, dem fraglos mächtigsten Mann der DDR, jahrelang näher als Egon Krenz. Der Jüngere hat den Erfahrenen, den Kämpfer gegen den Nationalsozialismus, der wegen seiner Überzeugungen jahrelang im Zuchthaus gesessen hatte, verehrt und als Förderer erlebt. Kein Wunder, dass sich das Buch in weiten Teilen um Honecker dreht. Krenz war ihm bis fast zum Schluss in nahezu bedingungsloser Loyalität zugetan und ringt gerade deshalb mit seinem historischen Urteil über die Figur.

    Folgt man der Darstellung des Autors, wurde er selbst immer wieder an neue Aufgaben herangeführt. Beförderungen wie die zum Kandidaten und dann zum Vollmitglied des Politbüros kamen überraschend. Gefragt wurde man nicht. Gelegentlich zog Honecker den Nachwuchs während langer Gespräche ins Vertrauen; regelrecht zur Initiation geriet offenbar ein Gespräch im Dezember 1983, als Honecker dem Politbüro-Neuling seinen Panzerschrank mit den geheimsten Dokumenten öffnete – Notizen von Pieck und Ulbricht über deren Treffen mit Stalin, über Gespräche mit SPD-Funktionären zur Vereinigung der beiden Arbeiterparteien, über ein Gespräch zwischen Ulbricht und Stalin über die deutsche Wiedervereinigung, Kaderakten früherer Politbüromitglieder, einschließlich der Akte Wehner, handschriftliche Aufzeichnungen über Agenten des sowjetischen Geheimdienstchefs Berija in der DDR. Da lag die Geschichte hinter der Parteigeschichte – geheimes Gedächtnis über Vorgänge, über die alte Genossen nur raunten. Nun erfuhr ein Nachgeborener davon, einer ohne eigene Erfahrung aus den Kämpfen und Intrigen der Zwanzigerjahre und der NS-Zeit.

    Die Grundlage: 27 Hefte mit Notizen

    Schnell kristallisiert sich in dem Buch der Dreh- und Angelpunkt aller Politik der DDR heraus: das Verhältnis zur Sowjetunion – Existenzgrundlage und Existenzrisiko des Staates zugleich. Immer wieder geht es um die Machtverhältnisse in Moskau, um Wünsche der DDR nach günstigen Rohstoffen und Gegenwünsche nach hochwertigen Waren. Ein ewiges Spiel zwischen Abhängigkeit und Streben nach Souveränität.

    Egon Krenz präsentiert sich in seinem Buch als Zeitzeuge, der alles aus seiner Sicht Wichtige so hinterlassen möchte, wie er es als unmittelbar Beteiligter sieht. Häufig bietet er Informationen, über die nur er verfügt – zum Beispiel aus Vieraugengesprächen mit Weltpolitikern, darunter mit sämtlichen Sowjetführern von Breschnew bis Gorbatschow und mit der ersten und zweiten Garde der alten Bundesrepublik.

    Krenz schrieb seine politischen Memoiren nicht einfach aus der Erinnerung. Er stützte sich auf 27 Hefte mit genauen Notizen über politische Gespräche, Sitzungen im Politbüro, über Krisen und unvorhergesehene Situationen, die sonst nirgendwo festgehalten sind. Seine selbstverfassten Quellen stellen eine wesentliche Grundlage der Erinnerungen dar und sprechen für Authentizität. Zudem hat er seine Notizen in den 1990er-Jahren mit den im Bundesarchiv befindlichen Akten abgeglichen. Auf diesen Grundlagen sieht sich Krenz in der Lage, „Vorgänge und Bewertungen mit wörtlichen Zitaten zu belegen (oder zu widerlegen)“. Zudem verfügt er über seine Terminkalender, aus denen er seine „Verpflichtungen auch inhaltlich rekonstruieren“ konnte.

    Folgt man seinen Berichten, staunte der Politbüro-Neuling gehörig über die Arbeitsweise im Machtzentrum der DDR, das klar über der Regierung stand. Die Parteispitze steuerte das Geschehen. Offenbar handelte es sich aber nicht um ein kollektives Führungsorgan. Denn Honecker hatte die wöchentlichen Sitzungen sukzessive so umgestaltet, dass die Anwesenden ausgearbeitete Vorlagen erhielten und bestätigten. Stundenlange Debatten wie unter seinem Vorgänger Ulbricht gab es nicht mehr.

    Da staunt auch der Leser: Im Zentrum der Macht soll massives Unwissen über reale Vorgänge geherrscht haben? Tatsächlich erscheint das Politbüro bei Krenz als bloßer Abnickzirkel. Wirtschaftsfragen interessierten Honecker demnach wenig, die glaubte er bei Günter Mittag gut aufgehoben – ein fataler Fehler, der bis zum Ende der DDR zerstörerisch wirken sollte. Genossen nannten den Wirtschaftsmann Mittag einen „falschen Fuffziger“.

    Honecker ritt derweil sein Steckenpferd Außenpolitik – erst ging es um die staatliche Anerkennung der DDR, dann immer stärker um die Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik. Eine Geschichte, die ihn permanent in Kollision mit den verschiedenen Generalsekretären der KPdSU brachte. Geradezu obsessiv, diesen Eindruck kann man aus den Krenz-Berichten gewinnen, betrieb Honecker seine deutsch-deutsche Annäherung. Der Pommer Krenz bezeichnet sich als „von Gesamtdeutschem unbelastet“, während Honecker zunehmend sentimentaler auf den Westen, auf seine saarländische Heimat und seine Jugendfreunde (wie Herbert Wehner) blickte.

    Krenz pflegt andere, seine eigenen Sentimentalitäten: Wenn es seinem Buch um die Pioniere und die FDJ geht, fließt ihm das Herz über, und es wird selbst für die voll Pionier- und FDJ-sozialisierte Autorin zu heftig. Begeistert erinnert sich Egon Krenz an die „unvergessliche Einführung der roten Halstücher“ für ältere Pioniere als „wichtiges politisches Ereignis“. Diese Symbolik (ein Relikt der Zwanzigerjahre) mit Tüchern, Wimpeln, Blusen, Appellen, Fackelzügen war damals schon schwer zu ertragen und mutet bei aller Gelassenheit heute skurril an (meine Mutter, Jahrgang 1932, nannte mein Blauhemd ganz unschuldig „BDM-Bluse“). Den meisten war das äußerliche Brimborium wurscht und sie freuten sich an den sonstigen Angeboten für Kinder und Jugendliche. Sie erinnern sich noch heute an schöne Kindertage und sagen: „Wir waren gut aufgehoben.“

    Krenz beschreibt seinen früheren Chef Honecker als Gemisch aus starkem Eigenwillen plus Eitelkeit plus ökonomischem Unverstand. Er analysiert wichtige Entwicklungen, bewertet sie, auch mit Blick auf die eigene Verantwortung, die letztlich auf diese Frage zuläuft: Warum haben die Jüngeren, also vor allem er selbst, nichts gegen die offenkundige Erstarrung getan? Man sah den wirtschaftlichen Niedergang, den wachsenden technologischen Rückstand im Vergleich zum Westen, die schwache Arbeitsproduktivität – und tat nichts. Bis es zu spät war. Die Chancen eigenständigen Handelns beschreibt Krenz als eingeschränkt angesichts der Blockkonfrontation und der Vormacht der Sowjetunion, die auch zu Zeiten von Perestroika und Glasnost eifersüchtig über das Treiben in der DDR wachte.

    Warum aber konnte das Politbüro als Block der Alten dem wachsenden Druck standhalten? Eine kleine Geschichte erklärt vieles: Da wollte ein verdienter Genosse in Rente gehen. Man bedeutete ihm: Du bist doch zwei Jahre jünger als der Erich – soll der das als Rücktrittsaufforderung verstehen? Keiner konnte beiseitetreten, bevor es nicht der Chef, der vermeintliche Stabilitätsgarant, tat.

    „Es brodelte an der Basis. Die Zeichen stehen auf Sturm“

    Interessant ist auch, worüber Krenz, ZK-Sekretär für Sicherheitsfragen, nichts schreibt: über das Pilzgeflecht der Überwachung, mit dem Erich Mielke als Minister für Staatssicherheit die DDR-Gesellschaft durchziehen ließ. Auch stellt er sich nicht die Frage, warum das Politbüro ein geschlossener Männerklub blieb, der auch in dieser Hinsicht nicht die DDR-Gesellschaft repräsentierte – in der Frauen, ganz anders als im Westen, auf allen sonstigen Ebenen zeigten, was sie mit aller Selbstverständlichkeit zu leisten vermochten.

    Das Buch endet am Anfang des Schicksalsjahres 1989 mit dem Satz: „Es brodelte an der Basis. Die Zeichen standen auf Sturm.“ Band drei soll dann hineinführen, mitten in den Sturm.

    Das Buch

    Titel: „Gestaltung und Veränderung. Erinnerungen“
    Autor: Egon Krenz
    Verlag: edition ost, Berlin, 18. Dezember 2023
    Sonstiges: 352 Seiten, gebundene Ausgabe, 26 Euro

    Der erste Band der Memoiren, „Aufbruch und Aufstieg“, erschien 2022.

    #DDR #histoire #politbureau

  • Marxismus-Konferenz: Treffen der modernen Marxisten in China
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/marxismus-konferenz-marx-reloaded-treffen-der-modernen-marxisten-in

    7.12.2023 von Holger Friedrich - Alexey Vinogradov, Leiter des Instituts für Fernöstliche Studien an der Moskauer Lomonossow-Universität, ist ein Vordenker bei vielen außenpolitischen Diskursen mit maßgeblichen Politikern östlich der Elbe. Er ist des Englischen genauso fließend mächtig wie des Chinesischen, ein Wissenschaftler, unverdächtig des Populismus.

    Für die nächste Ausgabe der unter seiner Leitung herausgegebenen außenpolitischen Fachzeitschrift Far Eastern Affairs hat er ein grundsätzliches Thema gefunden: „Marxismus 2.0“. Was er damit meint, erläuterte er in einer Pause auf der 13. Konferenz des Welt-Sozialisten-Forums. Der Tagungsort: Peking. Zeitpunk: eine Woche vor den EU-Konsultationen unter der Leitung der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Chinas Staatschef Xi Jinping.

    Es ging um die „Globalisierung 2.0“

    Die chinesische Administration hatte zu dieser außergewöhnlichen Konferenz geladen. Das Vorhaben bestand darin, über Stand und Ausblick sozialistischer Konzepte zu diskutieren. Veranstaltet und organisiert wurde die Tagung vom Institut für Marxistische Studien, dem Thinktank der Kommunistischen Partei Chinas. Vom 28. bis 30. November fanden sich in Peking 80 Vertreter aus 34 Ländern ein. Die größten Gruppen stellten mit jeweils sechs Teilnehmern Argentinien und Russland. Die USA, Italien und die Türkei waren mit jeweils vier Teilnehmern die zweitgrößte Gruppe. Vertreter aus Ländern wie dem Vereinigten Königreich, Spanien sowie weitere 50 Teilnehmer aus den BRICS-Staaten Afrikas, Asiens und Südamerikas waren ebenso gekommen.

    Die chinesische Seite war mit beachtlichen 120 Teilnehmern vertreten, darunter führende chinesische Soziologen und Gesellschaftswissenschaftler. Drei Tage lang wurden innenpolitische und außenpolitische Perspektiven ausgetauscht. Vorträge im klassischen Stil kommunistischer Organisationen und offene Debatten prägten das Bild. Hervorzuheben sind Vertreter wie Wang Wen, Professor an der Renmin University of China und Dean des Chongyang Institute for Financial Studies oder Wang Zhongbai, ordentlicher Professor sowie Managing Editor des World Review of Political Economy, ebenso führende Vertreter der Parteiorganisationen aus dem administrativen Apparat wie Xin Xiangyang, Dean of Academy of Marxism, CASS. Die Teilnahme von Vertretern des Zentralkomitees stellte eine deutliche Aufwertung der Veranstaltung im Vergleich zu den Vorjahren dar.

    Übergeordnet ging es um einen ergebnisoffenen Austausch unterschiedlicher Perspektiven zur Entwicklung der weltweiten Zusammenarbeit, um die „Globalisierung 2.0“.

    Erste und zweite Welle der Globalisierung

    Die erste Welle, die „Globalisierung 1.0“, war – so der einhellige Konsens bei den Teilnehmern – durch frei fließendes Kapital des Westens stimuliert. Um Profite zu maximieren, verfolgte der Westen das Ziel, möglichst kostengünstig Produktionen zu verlagern. So entstanden in ärmeren Ländern partiell moderne Infrastrukturen sowie Arbeitsplätze. Die Profite wanderten jedoch nicht in die lokalen Sozialsicherungssysteme, sondern in die Bilanzen der westlichen Unternehmen und kamen den reicheren Bevölkerungsschichten des Westens zugute.

    Gleichzeitig geriet die ärmere Bevölkerung in diesen Ländern durch dieses weltweite Lohn-Dumping stärker unter Druck, was sich unübersehbar in den Zahlen im Wachstum des Niedriglohnsektors sowie dem stagnierenden Reallohn-Wachstum erkennen ließ. Die Teilnehmer der Konferenz in Peking beobachten als politischen Fallout einen politischen Rechtsruck in Ländern wie den Niederlanden, Italien oder in Deutschland. Auch die als instabil eingeschätzte Situation in den USA mit der anstehenden Wahl 2024 wird als Folge dieser ersten Welle der Globalisierung gesehen.

    Die „Globalisierung 2.0“ würde sich dagegen durch eine administrativ gestaltete, ausgleichende Entwicklung auszeichnen, die auf drei Prinzipien beruhe: Der wirtschaftlichen Entwicklung zu wechselseitigem Nutzen, der Gewährleistung von Sicherheit, weswegen die Missionen strikt friedlich organsiert würden; sowie der Unterstützung lokaler Zivilisationen, was den Verzicht auf hegemonialen Anspruch bei Kulturen oder Gesellschaften bedeute, beispielsweise in Form des vom Westen immer wieder praktizierten Versuchs des „Demokratieexports“.
    Die wirtschaftliche Basis Deutschlands erodiert

    In mehreren Redebeiträgen spielte außerdem das erkennbare Bemühen eine große Rolle, sich von westlichen Ländern wie dem Vereinigten Königreich, Belgien, Frankreich oder den USA im Zuge der De-Kolonialisierung zu emanzipieren. Protagonisten dieser Debatte waren die Vertreter Kenias, Argentiniens und Spaniens. Die US-Vertreterin Rossana Cambron, Co-Chefin der Kommunistischen Partei der USA, thematisierte Rassismus-Erfahrungen.

    Für einen europäischen, zumal deutschen Beobachter interessant war die aufkeimende Diskussion über die „moralische Kontamination“ – ein in China eingeführter Begriff für die Unglaubwürdigkeit westlicher Positionen und deren politischer sowie medialer Elitenvertreter.

    Im Vortrag von Wang Wen wurde respektvoll (doch in der Sache für asiatische Verhältnisse deutlich) darauf hingewiesen, dass Unverständnis herrsche über die geringe Komplexität deutscher Argumentationen, wie sie im Auswärtigen Amt artikuliert würden. Die grüne politische Kraft in Deutschland wäre aus der Friedens- und Umweltpolitik erwachsen. Heute sei diese Partei maßgeblich dafür verantwortlich, dass Deutschland nach den USA über die größten externen Militärausgaben verfüge und dass sich die deutsche Umweltbilanz durch stärkere Kohleverstromung, LNG-Importe sowie durch übermäßige Regulation drastisch verschlechtere und weiterhin verschlechtern werde. Zudem erodiere die wirtschaftliche Basis Deutschlands.

    Die grüne Revolution findet nicht in Deutschland statt

    Nachdem China vor wenigen Wochen mitgeteilt hat, sechs Jahre früher als international zugesagt den Co2-Peak-Point zu erreichen und ab 2024 schrittweise frei von fossilen Trägern zu sein, stellte Wang Wen die Frage, was die grüne politische Kraft in Deutschland der Welt außer schlechten Ergebnissen für die deutsche Bevölkerung eigentlich mitzuteilen hätte.

    Dass diese Äußerungen nicht als Propaganda abzutun sind, kann auf Chinas Straßen beobachtet werden. Der Großteil neuer Fahrzeuge wird elektrisch betrieben. Deutsche Hersteller, bisher Marktführer in China und ihre Profitabilität für den deutschen Steuerhaushalt weitgehend in China begründend, fristen auf Chinas Straßen bei elektrischen Modellen nur noch ein Nischendasein. Sofern die wenigen deutschen E-Autos verkauft werden, gelingt dies oft nur mit massiven Rabatten. Die Wettbewerbsfähigkeit unserer Angebote scheint nicht mehr gegeben zu sein.

    Gleiches gilt für den chinesischen Markterfolg von Technologien für regenerative Energien. Die oftmals von den Grünen in Deutschland beschworene grüne industrielle Revolution findet statt – nur eben in und aus China heraus.

    Westliche Vorwürfe gegenüber China

    Die „moralische Kontamination“ wird aus Sicht Chinas und des globalen Südens unter anderem an zivilen Kriegstoten gemessen, sowie an der Vielzahl lokaler kriegerischer Konflikte als auch am massiven Einsatz von Sanktionen, welche im Widerspruch zur Idee des freien Handels als Grundkonstrukt freier Gesellschaften stehen.

    Auch die durch den Vorwurf von Menschenrechtsverstößen belastete Kontroverse zur uigurischen Minderheit fand Eingang in den Diskurs. So wurde dargelegt, wie der deutsche Aktivist Adrian Zenz von westlichen Institutionen aufgebaut wurde, um das Uiguren-Thema weltweit in einer Diskreditierungsmechanik zu positionieren.

    Die chinesische Seite erklärte die Ereignisse anders als der Westen und verwies darauf, wie islamischer Fundamentalismus schrittweise eingehegt und die innerchinesische Terrorwelle vor vielen Jahren gestoppt worden sei. Auch hier wurden Vergleiche zum Vorgehen der USA (mit Beteiligung der Bundeswehr) in Afghanistan, Irak, Libyen sowie die aktuelle Entwicklung in Gaza herangezogen und offen im Plenum gefragt, was im Kern durch die westlichen Vorwürfe an China erreicht werden solle.
    Politisches Versagen

    Die aus chinesischer Sicht rein westlichen Referenzpunkte für einen Krieg gegen den Terror – die Anschläge in Paris, Madrid und London, 09/11 in New York und die eskalierten Kriege in Afghanistan oder im Irak mit unzähligen Ziviltoten sowie nachgewiesenen, aber nie international gesühnten Kriegsverbrechen – würden als moralischer Kompass kaum taugen.

    Auch das als eskalativ beschriebene Vorgehen Israels in Gaza wurde als politisch ineffektiv im Kampf gegen islamistischen Fundamentalismus bezeichnet; zumal sich zeige, dass die Geiselbefreiung in keinem nachvollziehbaren Zusammenhang mit den kriegerischen Maßnahmen gegen die Zivilbevölkerung stünde. Die steigende Wahrscheinlichkeit, dass diese eskalative Gewalterfahrung der israelischen wie der palästinensischen Zivilbevölkerung in nächsten Generationen fortgeschrieben werde, müsse gleichermaßen als politisches Versagen eingeordnet werden.

    Der Westen müsste konstruktive Schlüsse ziehen

    Dies zeigte sich in einer Randdiskussion über „West-Asien“, wie die Region des Nahen Ostens in China bezeichnet wird. Auch die Entwicklungen in Osteuropa werden unter diesem Gesichtspunkt beurteilt: „A war is a fault“, dies scheint gegenwärtig das Credo der Kommunistischen Parteien in allen Ländern zu sein. Die aktuelle Situation in der Ukraine wie auch in Israel sahen die Vortragenden als ein Versagen westlicher Außenpolitik: Man sei nicht in der Lage gewesen, die seit langem bekannten Gegensätze der Konfliktparteien auszubalancieren.

    Folgerichtig seien die Konflikte in der Ukraine sowie in Israel eskaliert und drohten nun, sich auf lange Zeit zu verfestigen. Die Vortragenden interpretieren es als große Schwäche der russischen, der US- und der israelischen Administration, sich in diese Situationen manövriert zu haben.

    Dem interessierten Beobachter drängte sich der Eindruck auf, dass die chinesischen Vertreter die innere Mechanik westlicher Hegemonialpolitik seit Richard Nixon und Henry Kissinger verstanden haben und nun schon seit längerem darauf warten, dass der Westen eigene und konstruktivere Schlüsse zieht.

    Die Suche nach einem Ausweg

    Auf Nachfrage wurden die Diskussionen des Westens über „De-Risking“ und „De-Coupling“ als Angst vor fairem wirtschaftlichem Wettbewerb eingeordnet. Hier wurde auf die fachlich nach wie vor nicht belegten Vorwürfe gegen den Telekommunikationskonzern Huawei hingewiesen, dessen Produktangebot schon länger europäischen Anbietern wie Ericsson oder Nokia überlegen sei und der sich anschicke, US-Marktführer wie Cisco oder den bisher erfolgreichen südkoreanischen Anbieter Samsung zu attackieren.

    Das wechselseitige Misstrauen zwischen der US- und der chinesischen Administration ist nach den flächendeckenden Abschaltungen von US-Netzwerktechnologien in Russland und ehemaligen CIS-Staaten in Zentralasien in den Tagen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine weiter gestiegen. Die Suche nach einem Ausweg aus diesem nicht nur technologischen Dilemma hat gerade erst begonnen, da eine vollständige Entkopplung in der weltweiten Kommunikation unrealistisch zu sein scheint.

    Ein Versionsupdate des „Marxismus 2.0“

    Einig waren sich die Teilnehmer, dass der Kuchenanteil am Welthandel für die G7 zwangsläufig kleiner wird – begründet wird dies mit demografischen Faktoren, mit einer gerechteren Verteilung von Wohlstand und mangelnder Leistungsbereitschaft des Westens im nunmehr dynamischeren globalen Wettbewerb.

    Den politisch restriktiven Reaktionsmustern des Westens würde man abseits der militärischen Absicherung in drei zivilen Segmenten entgegengetreten: dem Aufbau sanktionsunabhängiger kritischer Infrastruktur mit eigenständiger Chip-Industrie, Netz- und Cloud-Infrastruktur; im Zahlungsverkehr mit eigenständigen grenzüberschreitenden Zahlungssystemen; sowie mit unabhängigen Logistikstrecken, die in der mittlerweile etablierten Belt-and-Road-Initiative gebündelt werden.

    Als politisches Ziel, so ist aus der Konferenz der Sozialisten zu schlussfolgern, verfolgt eine sich entwickelnde „Globalisierung 2.0“ den wechselseitigen nationalen Interessenausgleich in einer multipolaren Weltordnung. Dahinter schimmerte in den Beiträgen der Redner das Zielbild einer klassenlosen Gesellschaft mit globaler Perspektive. Ein Zielbild, welches 1848 in einem programmatischen Text der Deutschen Karl Marx und Friedrich Engels umrissen wurde, dem Kommunistischen Manifest, das mit den Worten begann: „Ein Gespenst geht um in Europa …“.

    Auf die Ausführungen des Moskauer Wissenschaftlers Alexey Vinogradov in Peking zurückkommend: Ein Versionsupdate des „Marxismus 2.0“ könnte demnächst verfügbar sein.

    Holger Friedrich ist Verleger der Berliner Zeitung. Er war als Referent auf dem Kongress anwesend.

  • Antisemitismus an Berliner Schulen – Lehrer schlägt Alarm : „Jüdische Schüler fühlen sich eingeschüchtert“
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/antisemitismus-an-berliner-schulen-juedische-schueler-fuehlen-sich-

    Le carnage de Gaza éloigne les jeunes allemands de leur propre histoire. Le meurtre d’innocents par l’armée du suprémacisme juif provoque la haine de toute expression juive et des juifs en général. L’état d’Israel a préparé ce changement de paradigme par sa revendication de représenter tous les juifs du monde.

    L’école berlinoise et ses enseignants ne comprennent plus la génération qu’ils sont censés préparer à l’avenir. Ce phénomène historique à répétition est en train d’atteindre une ampleur et et un degré d’irréconciliabilité inouïe.

    27.11.2023 von Nathan Giwerzew - Eine Lehrkraft des Anne-Frank-Gymnasiums schlägt Alarm: Die Empathie vieler Schüler für Terror-Opfer aus Israel nehme ab, die Lehrer drohen den Draht zur Jugend zu verlieren.

    Die Anne-Frank-Schule in Altglienicke, 9. November 2023 – das Gymnasium gedenkt der Reichspogromnacht vor 85 Jahren, als Nazi-Schlägerbanden Juden jagten, Synagogen anzündeten und jüdische Geschäfte verwüsteten. An diesem Tag besucht Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD) die Schule.

    Das Thema der Diskussionsveranstaltung mit Hikel: Antisemitismus an Schulen. Denn jetzt ist jüdisches Leben wieder in Gefahr. Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel wurden Molotowcocktails auf eine Berliner Synagoge geworfen, Häuser wurden mit Davidsternen markiert.

    Der Eindruck: Schüler ignorieren israelisches Leid

    Der Berliner Zeitung liegt eine Audioaufzeichnung der Diskussionsveranstaltung vor. Darin zu hören: zustimmendes Pfeifen, Jubel und Applaus, sobald ein Schüler Israel Kriegsverbrechen unterstellt. Ein Schüler fragt, weshalb Israel das Angebot Palästinas abgelehnt habe, eine Zweistaatenlösung umzusetzen. Wenn man so will: eine unterkomplexe Sicht auf den Nahost-Konflikt. Es entsteht der Eindruck, als wäre den Schülern die historische Bedeutung des 9. November nicht bewusst.

    Eine Auseinandersetzung mit Antisemitismus an Schulen findet hier offenbar bei vielen der anwesenden Schüler nicht statt, zumindest nicht auf dieser Veranstaltung. Die Lehrer und Martin Hikel halten dagegen. So fragt Hikel die Schüler: „Wenn im Namen der palästinensischen Flagge Terror gegenüber Israel ausgeübt wird, warum soll ich einen Tag später mit einer Palästina-Flagge rumlaufen? Mit welcher Motivation?“ Hikel erinnert im Gespräch mit den Schülern auch daran, dass es bei Solidaritätsbekundungen mit Palästina häufig zu Ausrufen wie „Tod den Juden“ kam.

    Bei der Veranstaltung sind auch Journalisten des Nachrichtenportals Apollo News anwesend. Sie berichten von einer Gruppe von etwa 25 Schülern, die ein einheitliches Vorgehen abgesprochen hätten: etwa indem sie bei Wortmeldungen, die auf vermeintliche Gräueltaten Israels hinwiesen, lautstark jubelten – und beim Thema Hamas-Terror auffällig ruhig blieben. Sie haben sich auch an den Solidaritätsbekundungen einiger Lehrer mit Israel gestört, berichtet Apollo News. Laut dem Nachrichtenportal kommt ein großer Teil der Schüler der Anne-Frank-Schule aus dem angrenzenden Neukölln.

    Berliner Lehrkraft: Jüdische Schüler fühlen sich eingeschüchtert

    Eine Lehrkraft, die am 9. November ebenfalls anwesend war, stellt die Lage an ihrer Schule im Gespräch mit der Berliner Zeitung als dramatisch dar. Es habe eine „klar antiisraelische Stimmung“ während der Diskussionsveranstaltung gegeben. Die Lehrkraft bittet um Anonymität. „Es ging sofort los mit Fragen, die nur auf die angeblichen Verbrechen der israelischen Armee abzielten“, so die Lehrkraft. „Da hat sich eine kleine Gruppe aus Schülern eindeutig vorgenommen, gezielt die palästinensische Seite vorzutragen. Das hat mich erschrocken.“

    An der Anne-Frank-Schule, heißt es vonseiten der Lehrkraft, habe es im Vorfeld der Veranstaltung einen deutlichen Stimmungswechsel gegeben: Nach einer kurzen Welle der Solidarität „standen plötzlich nicht mehr der Terrorangriff auf Israel und das Leid der Geiseln im Fokus, sondern die Kritik an Israel“. Es sei immer wieder die Forderung erhoben worden, „auch über die zivilen Opfer im Gazastreifen zu reden“. Über die Terrorangriffe der Hamas habe kaum einer sprechen wollen, berichtet die Lehrkraft resigniert.

    Diesen Stimmungswechsel hätten ihr zufolge auch die jüdischen Schüler der Anne-Frank-Schule wahrgenommen. Die Lehrkraft berichtet, dass in den folgenden Wochen nach dem Terrorangriff immer häufiger jüdische Schüler auf sie zugekommen seien und berichtet hätten, dass sie Angst haben. „Sie fühlen sich alleingelassen. Vor allem, wenn sie sehen, was in Berlin vor sich geht: jüdische Geschäfte schließen, Brandsätze werden auf Synagogen geworfen.“

    Da sei für das Lehrerkollegium klar gewesen: „Wir müssen etwas machen! Wir sind schließlich die Anne-Frank-Schule.“ Der Name verpflichte. „Vor allem in Neukölln“, sagt die Lehrkraft, „aber auch an anderen Orten sehen wir überall Palästina-Fahnen. Doch seien wir mal ehrlich: Wer würde sich gerade freiwillig eine Israel-Fahne offen ins Auto hängen?“

    Wie Martin Hikel die Diskussionsveranstaltung erlebt hat? Er bestätigt im Gespräch mit der Berliner Zeitung, Schüler hätten pro-palästinensische „Propaganda aus den sozialen Medien reproduziert, ohne sie zu überprüfen oder zu hinterfragen“. In einem Punkt widerspricht er aber den Journalisten von Apollo News: Störversuche von Schülern habe er nicht wahrgenommen. Er sah die Fragen der Schüler eher als Anregung, um „über diese Propaganda ins Gespräch zu kommen“. Sein Fazit? Positiv. „Ich fand es gut, dass sich die Anne-Frank-Schule dieser Thematik stellt“, sagt Hikel. „Dass da auch schulintern eine Auseinandersetzung stattfindet, war sehr beeindruckend.“

    Auf Anfrage der Berliner Zeitung weigert sich die Schulleitung, zum mutmaßlichen Verhalten ihrer Schüler Stellung zu nehmen. Sie verweist lediglich auf einen Brief von Schülern des Politik-Leistungskurses an die Redaktion von Apollo News. Darin nehmen diese zu der Berichterstattung des Nachrichtenportals Stellung.

    Die israelfeindlichen Zwischenrufe, das ist in dem Brief zu lesen, haben so nicht stattgefunden. Ein weiterer Vorwurf: Das Medium habe den Mitschnitt eines Schüler-Zwischenrufs auf X (vormals Twitter) veröffentlicht, ohne die Schülerin um ihre Zustimmung gefragt zu haben und außerdem ihr Statement aus dem Kontext gerissen. Es habe zudem tuschelnden Schülern unterstellt, sie würden eine pro-palästinensische Meinung vertreten, ohne dafür Beweise vorzulegen, so der Politikleistungskurs.

    Welche Meinung die Schüler zum Krieg in Gaza vertreten? Dazu bleibt der Leistungskurs vage. Es heißt, die Schüler würden sich nicht gegen Israel positionieren, sondern gegen „Krieg und Gewalt“. Aufgrund der Berichterstattung mache man sich nun Sorgen „um das Klima und die Sicherheit“ an der Schule. Eine explizite Verurteilung des Antisemitismus der Hamas sucht man im Schreiben vergeblich.
    Senatorin verbietet Schülern terrorunterstützende Meinungsäußerungen

    Die Einschätzungen zur Veranstaltung am 9. November an der Anne-Frank-Schule gehen auseinander, doch eines dürfte feststehen: Die Berliner Schulen stehen infolge des Kriegs in Gaza unter Druck. Das zeigt auch ein Brief von Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch, den die Senatorin am 13. Oktober an Berliner Schulleitungen verschickt hat.

    Sie teilte der Senatsverwaltung mit, dass „jede demonstrative Handlungsweise oder Meinungsäußerung, die als Befürwortung oder Billigung der Angriffe gegen Israel oder Unterstützung der diese durchführenden Terrororganisationen wie Hamas oder Hisbollah verstanden werden kann“, eine Gefährdung des Schulfriedens darstelle und untersagt werde. Einige Schulen interpretierten dies als generelles Verbot von Palästina-Flaggen und Tüchern an Berliner Schulen. Der Brief liegt der Berliner Zeitung vor.

    Die Senatorin setzte den Brief auf, nachdem es zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen einem 61-jährigen Lehrer und einem 15-jährigen Schüler des Ernst-Abbe-Gymnasiums in der Neuköllner Sonnenallee gekommen war: Ein 14-jähriger Schüler war am 9. Oktober mit Palästina-Flagge als Umhang und einem Palästinensertuch um den Kopf in der Schule erschienen. Der Lehrer forderte ihn auf, das zu unterlassen.

    Nach Polizeiangaben griff daraufhin ein 15-jähriger Schüler ein, stellte sich vor den Lehrer und versetzte ihm einen Kopfstoß. In sozialen Medien ist zu sehen, wie sich der Lehrer mit einer Ohrfeige wehrt – und dann nach einem Tritt durch den Teenager zu Boden geht. Beide Schüler wurden nach dem Vorfall suspendiert. Der Staatsschutz ermittelte gegen den Teenager und den 61-Jährigen wegen wechselseitiger Körperverletzung.

    Und das ist kein Einzelfall. Auf Anfrage der Berliner Zeitung gab die Berliner Polizei an, man habe dem Angriff der Hamas auf Israel an Berliner Schulen 97 Vorfälle mit dem Bezug zum Nahost-Konflikt gezählt. Und auch außerhalb der Schulen kocht die Stimmung hoch. In demselben Zeitraum hat die Polizei laut Sprecherin berlinweit 199 Strafverfahren im Zusammenhang mit Straftaten eingeleitet, die einen antisemitischen Hintergrund haben.

    Wie antisemitische Weltbilder unter Schülern zustande kommen? Die Schüler seien umgeben von Falschinformationen, mit denen sie täglich in den sozialen Medien konfrontiert würden, so die Lehrkraft. Hinzu komme eine Unbedarftheit der Schüler im Umgang mit dieser Informationsflut: Sie könnten zwischen glaubwürdigen Informationen und Propaganda nur selten unterscheiden. Die Lehrkraft kritisiert, dass man das Antisemitismusproblem an deutschen Schulen viel zu lange ignoriert habe – „um den Schulfrieden nicht zu stören“.

    Ist Antisemitismus vor allem ein Problem von Schülern mit Migrationshintergrund? Sie verneint mit Nachdruck. Das Elternhaus spiele selten eine Rolle, entscheidend sei der Medienkonsum der Schüler. Viele Schüler hätten vorgefertigte Meinungen zum Nahost-Konflikt, sagt die Lehrkraft. „Für sie stellt sich die Geschichte in Israel so dar: David kämpft gegen Goliath.“

    Israel nehme für viele Schüler die Rolle Goliaths ein, des biblischen Unterdrückers der Israeliten. Die Palästinenser stellen sie sich als David vor: der Unterdrückte, der sich wehrt. Viele Schüler würden zudem die Opferzahlen von Israelis und Palästinenser gegeneinander abwägen. Was dabei herauskommt? Israel sei für viele Schüler der alleinige Aggressor im Nahost-Konflikt – ungeachtet dessen, dass Israel mehr Wert auf den Schutz seiner Zivilisten lege als die Machthaber in den palästinensischen Gebieten. Sie spricht von einer „Täter-Opfer-Umkehr“, die jetzt, nach dem Terrorangriff der Hamas und Israels Militäroperation im Gazastreifen, bei vielen Schülern stattfinde.

    Einer solchen Täter-Opfer-Umkehr könne man nur mit der richtigen Vermittlung der politischen Fakten begegnen, glaubt die Lehrkraft. Doch Lehrern, die Falschinformationen aus sozialen Medien begegnen wollen, fehle dazu das nötige Rüstzeug. Der aktuelle Lehrplan, diesen Eindruck gewinnt die Berliner Zeitung im Gespräch, ist weder mit der Realität einer Einwanderungsgesellschaft kompatibel noch gibt er den Lehrern die nötige didaktische Unterstützung an die Hand, um Falschinformationen aus sozialen Medien wirksam widerlegen zu können.

    Die Lehrkraft kritisiert, es dürfe zudem nicht sein, dass jüdisches Leben immer nur im Kontext des Holocaust behandelt werde. So sehr die Schüler Deutschlands historische Verantwortung gegenüber Israel verstehen müssten: Auch das Leben sowohl in jüdischen Gemeinden als auch in Israel müssten sie aus erster Hand kennenlernen. „Es reicht nicht, nur ein KZ zu besuchen“, sagt sie. So könne die Verstärkung von bereits bestehenden Schüleraustausch-Programmen mit Schulen in Israel viel zur Völkerverständigung beitragen.
    Martin Hikel ist für weitere Auftritte offen

    Die Veranstaltung am 9. November solle keine Ausnahme bleiben, sagt die Schulleitung der Anne-Frank-Schule auf Anfrage der Berliner Zeitung. Für die Zukunft seien weitere Veranstaltungen geplant – unter anderem mit einem prominenten Historiker. Die Lehrkraft appelliert an ihre Kollegen in und außerhalb ihrer Schule, „unseren Bildungsauftrag ernst zu nehmen“. Ihr Plädoyer: „Wir können nicht zulassen, dass sich Juden in Deutschland jetzt alleingelassen fühlen.“

    Und Martin Hikel? Er sagt, er sei für weitere Auftritte an Berliner Schulen offen: „Wenn es Bedarf gibt, komme ich gerne.“ Auch im Vorfeld des 9. November habe er mehreren Schulen vorgeschlagen, an Veranstaltungen zu dem Thema teilzunehmen. Keine der Schulen habe sein Angebot angenommen, sagt er – bis sich die Anne-Frank-Schule gemeldet habe.

  • China : Totale Kontrolle ? Die Wahrheit über das Sozialkreditpunktesystem
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/china-totale-kontrolle-die-wahrheit-ueber-das-sozialkreditpunktesys
    Cet article décrit pouquoi le système de crédit social n’est pas très différent de la surveillance des entreprises et citoyens qui se pratique en France et en Allemagne.

    Sa critique systématique devrait commencer par sa description et l’élaboration d’éléments de critique de tout système de surveillance. Cet article propose quelques éléments pour y arriver.

    D’un point de vue anarchiste les sociétés capitalistes modernes (dont la Chine) ont établi un système de corruption morale totalitaire défendu par ses sbires humains et robots. Ils agissent dans le cadre d’un système d’exploitation stable garantissant la domination et les richesses des classes au pouvoir.

    Leurs efforts ne sauront prévenir des événements comme la Commune de Paris de 1871, la révolution d’octobre, la chute de la dynastie Pahlavi en 1979 ou la dissolution de la république allemande DDR en 1989/1890. Chaque révolution est le résultat des antagonismes propres à la la société en place. Les révolutions populaire ne sont jamais l’oeuvre des révolutionnaires surveillés et persécutés mais le résultat de catastrophes nationales et de mouvement politiques.

    Le succès des communistes chinois était possible à cause de l’absence d’état chinois et de l’affaiblissement des leur ennemis pricipaux le Japon et le Guomindang corrompu jusqu’à la moelle. Cette expérience historique est une des raisons pour les idées sur la relation entre l’état, le parti communiste et les citoyens.

    Le plus important danger pour les révolutions naissantes n’est pas la surveillance par des institutionnes impuissantes face aux mouvements populaires mais la communication militaire permettant aux élites de commander des interventions armées contre le peuple. La surveillance individuelle n’occupe qu’un rôle tactique soumis aux stratégies. Au centre des stratégies se trouvent le contrôle des ressources matérielles, des armes, de l’idéologie et de la communicationet.

    L’obsession de la surveillance est un dada des classes moyennes qui ont besoin d’une explication simple pour le sentiment de danger et de menace qui ne les quitte jamais. Leur positions sont constamment mises en question et par le prolétariat qu"ils exploitent et par les grands capitalistes qui les écrasent par leur puissance économique.

    Les petits bourgeois sont favorables à la surveillance des pauvres et défendent leur propre exemption de la surveillance générale sous prétexte du droit à la vie privée et au secret d’affaires. La surveillance chinoise leur fait peur car elle vise leur propre classe.

    11.11.2023 von Frank Sieren| 05:02 Uhr - Im Westen missverstanden, in China zur Kontrolle geschätzt. Experten sagen: Das Social-Scoring-System existiert nicht so, wie sich der Westen dies vorstellt.

    Wenn vom Sozialkreditsystem in China die Rede ist, schrillen im Westen sofort die Alarmglocken. George Orwell steht in der Tür und beflügelt Fantasien. Doch die chinesische Realität ist komplizierter. In China ist Überwachung allgegenwärtig, und dennoch ist das Sozialkreditsystem nicht das, was viele westliche Beobachter fürchten.

    Auch westliche Studien belegen inzwischen: Bei Chinas Sozialkreditsystem geht es größtenteils um die Bewertung der Transparenz von Firmen (70 Prozent), also um eine Art Schufa, kaum jedoch um die politische Kontrolle von Individuen (zehn Prozent). Nun kann man mit großer Berechtigung feststellen, dass auch diese zehn Prozent schon zu viel sind. Richtig ist allerdings auch, dass erstens diese Form der Überwachung eine Ausnahme und nicht die Regel ist, und zweitens, dass auch in Deutschland Individuen unter bestimmten Voraussetzungen überwacht werden, wie im Verfassungsschutzbericht nachzulesen. Allerdings haben die Überwachten sehr viel mehr Rechte als in China.

    „Der Westen hat das Sozialpunktesystem falsch verstanden“, fasst die amerikanische MIT Technology Revue, eine der führenden wissenschaftlich basierten Tech-Zeitschriften, die Untersuchungen zusammen. „Das entsetzliche System existiert nicht, und die Zentralregierung scheint auch kein großes Interesse zu haben, es einzuführen.“ Das kann sich jederzeit ändern, dennoch ist es sinnvoll, sich zunächst anzuschauen, was gegenwärtig da ist.

    Schamwand an der Ampel? Nicht durchgesetzt

    Das Sozialpunktesystem ist im Versuchsstadium stecken geblieben. Es wurde 2014 eingeführt und sollte innerhalb von sechs Jahren aufgebaut sein. Es sollte die Datenspuren, die Menschen und Firmen hinterlassen, daraufhin untersuchen, ob sie verlässlich sind und sich an die Gesetze halten. In Ansätzen wurde auch überlegt, ob man „korrektes“ politisches Verhalten mit Punkten belohnt und Fehlverhalten entsprechend bestraft. Allerdings stand die Regelung der wirtschaftlichen Beziehungen immer im Vordergrund.

    So will die chinesische Regierung Wildwüchse in den Bereichen der boomenden Marktwirtschaft bekämpfen, die in Richtung Manchester-Kapitalismus driften. Sie will Unternehmen, Banken und Bürgern damit ein Instrument an die Hand geben, mit dem sich beurteilen lässt, ob der Wirtschaftspartner verlässlich ist. Bevor man ein Geschäft mit einem Unternehmen macht, soll es möglich sein, herauszufinden, ob die Partner seriös sind. Aber auch Konsumenten, die eine Reise buchen, können so überprüfen, ob die Reiseplattform verlässlich ist. Das ist der Vorteil.

    Die Nachteile liegen aber auch auf der Hand. Das System, das Transparenz schaffen soll, kann benutzt werden, um herauszufinden, ob jemand politisch konform ist oder nicht. Ein negatives Ranking kann Einschränkungen in allen möglichen Bereichen nach sich ziehen, zum Beispiel Reisemöglichkeiten einschränken. Ein positives die Karriere fördern oder auch nur für eine schnellere Kreditvergabe sorgen. Die Übergänge sind leider fließend.

    Über 70 Kleinversuche gab es bisher, bestimmte Aspekte eines solchen Punktesystems im Alltag zu testen, die teils im Sande verlaufen sind. Es wurde an Ampeln eine „Schamwand“ errichtet, für jene, die bei Rot über die Ampel gelaufen sind: Sie wurden über Gesichtserkennung erfasst und ihre Gesichter und Namen groß auf einer Leinwand gezeigt. Durchgesetzt hat sich das nicht.

    WeChat-Daten? Ja, zum Geldverdienen

    Auch Privatunternehmen unterstützen die Ziele des Staates. Das Sesame-Credit-System von Ant Financial, einer Tochterfirma des von Jack Ma gegründeten Onlinekonzerns Alibaba, ist das bekannteste. Dort wird allerdings – ähnlich wie bei der deutschen Schufa – vor allem die jeweilige Kreditwürdigkeit bewertet. Ein ähnliches System nutzt Tencent Credit, ein Tochterunternehmen von Tencent, dem Gaming- und Social-Media-Konzern aus dem südchinesischen Shenzhen, der WeChat erfunden hat, die umfassendste Social-Media-App weltweit. Auch WeChat ist eine sehr ambivalente Innovation. Die App managt praktisch den gesamten Alltag, aber sie sammelt auch alle Daten, die Menschen dabei erzeugen. Die wiederum können missbraucht werden.

    Allerdings interessiert sich Tencent nicht für die politische Überwachung, sondern vor allem dafür, wie man mit den Daten mehr Geld verdienen kann. Und das wiederum stößt dem Staat auf. Er möchte, weil er andere Ziele hat, diese Form der Kontrolle nicht der Privatwirtschaft überlassen.
    Riesige Datenmenge von 1,4 Milliarden Menschen

    Die Kommunistische Partei möchte nicht nur über diese Daten verfügen. In dem Fall wäre es einfach (und zum Teil geschieht dies ja schon) die Unternehmen zu zwingen, ihre Daten dem Staat zu überlassen. Der Staat will jedoch weitergehen: Er möchte mitentscheiden, wie die Daten erfasst werden und welche Daten das sind. Deshalb sollte ein zentralisiertes System aufgebaut werden.

    Doch zunächst passierte wenig. Das lag nicht nur am politischen Willen, sondern auch an technischen Hürden. Die Covid-Apps haben gezeigt, wie schwierig die Umsetzung eines zentralen Überwachungssystems ist. Die Datenmengen sind einfach zu groß. Es wimmelte in China nur so vor regionalen Apps, die meisten davon hielten Belastungen nicht stand. Und die Apps schaffen es nicht, sich zu koordinieren. Das heillose Durcheinander führte dazu, dass man immer wieder auch grundlegende Daten wie Passnummer oder Telefonnummer neu eingeben musste. Was man nie vergessen darf, sobald es um China geht: Die Daten von 1,4 Milliarden Menschen lassen sich nicht so einfach messen und nur sehr aufwendig und teuer verwalten.

    Zudem: Auch in China regelt ein der europäischen Datenschutzgrundverordnung sehr ähnliches sogenanntes Datenschutzgesetz, wer wann und wo darauf zugreifen darf. Die Chinesen haben das Gesetz von den Europäern übernommen. Und in Deutschland wiederum finden sich wesentliche Grunddaten über die Bürger im Steuersystem.

    Sozialkreditsystem: Ziele falsch eingeschätzt

    Im Dezember vergangenen Jahres wurde der The National Social Credit Information Basic Catalog aktualisiert. Doch darin geht es nur um Maßnahmen zur Förderung des Konsums und der wirtschaftlichen Aktivität. Je mehr die Marktteilnehmer sich gegenseitig trauen könnten, desto aktiver sind sie, so die zentrale These, und desto besser für die chinesische Wirtschaft. „Es hat sich nicht viel geändert“, sagt Jeremy Daum, der an der Yale University chinesisches Recht lehrt. Es gehe vor allem um Kreditwürdigkeit und Sozialverhalten, um Umweltschutz, Korruptionsabwehr, irreführende Werbung, Produktpiraterie oder um Krankenhäuser, die die Versicherung betrogen haben. Davon betroffen seien also vornehmlich Institutionen und Unternehmen.

    Zu elf Themen sollen Daten gesammelt werden, darunter grundlegende Personaldaten wie die Passnummer, die in China ein ganzes Leben gleich bleibt und um die sich alles dreht, dann die Strafregistereinträge, verwaltungstechnische Einträge, Lizenzen, Bußgelder, Auszeichnungen, Inspektionsergebnisse. Aber auch professionelle Informationen wie akademische oder technische Titel, Qualifikationen, Informationen, ob die Unternehmen vertrauenswürdig sind und nicht schon auf schwarzen Listen stehen.

    Die britische Beratungsfirma Dezan Shira & Associates – sie gehört der Devonshire-Ellis-Industriellenfamilie, die im Schiffsbau (Queen Mary, Britannica) groß geworden ist – hat 20 Büros in Asien, darunter auch in China. Sie stellt fest: „Das Social Credit System wird von ausländischen Beobachtern missverstanden. Seine Ziele werden falsch eingeschätzt, seine Möglichkeiten überschätzt.“ Die Systeme, die benutzt würden, seien sehr unübersichtlich, weil sie nicht einheitlich geregelt sind, sondern „nicht nur von Provinz zu Provinz, sondern sogar von Stadt zu Stadt variieren“.

    Die chinesische Regierung ist zwar dabei, die Systeme zu vereinheitlichen. Dennoch fasst auch die MIT Technology Revue zusammen: „Es gibt kein zentrales Kreditpunktesystem für Individuen“ und „die chinesische Regierung hat nie davon gesprochen, dass sie ein solches System anstrebt“. Das Ergebnis der sonstigen Datenerfassung sei im Übrigen für jeden Chinesen transparent auf der Plattform Credit China einzusehen.

    Im Frühjahr dieses Jahres hat die Regierung das Sozialkreditsystem auch auf den akademischen Bereich ausgeweitet. Wer abschreibt, Wissen klaut oder sich sonst mit fremden Federn schmückt, muss mit Strafpunkten rechnen.

    Dass die Etablierung eines nationalen Social-Credit-Systems nicht vorankommt, liegt nicht etwa daran, dass es von der Bevölkerung nicht gewollt wäre. Eine repräsentative Studie der Freien Universität Berlin zeigt: 80 Prozent von 2000 überregional befragten Chinesen sind bereit, ihre privaten Daten preiszugeben, damit das soziale und wirtschaftliche Leben stabiler, verlässlicher und risikoärmer wird. Ein erstaunliches Ergebnis: Je gebildeter, desto größer die Zustimmung. Die Nachteile waren den Befragten nicht so wichtig.

    Woran liegt das? Die Älteren haben noch das Chaos der Kulturrevolution erlebt, die Jüngeren die Korruption und die Intransparenz während des historisch einmaligen Wirtschaftsbooms. Stabilität ist ihnen derzeit wichtiger als Datenschutz. Aber das muss nicht immer so bleiben. Das Datenschutzbewusstsein wächst, Peking muss sich also mit der Umsetzung beeilen. Gerade weil der Schritt von einer zentralisierten, KI-basierten Schufa zum Orwell’schen Konsumenten ohne politischen Spielraum nur ein kleiner ist, wird die Toleranz der chinesischen Bevölkerung dafür mit den Jahren sicherlich nicht größer. Die Einstellung zum Datenschutz hat also auch mit zeitgeschichtlichen Erfahrungen zu tun. Das gilt nicht nur im Verhältnis Europas zu China, sondern ist auch innerhalb Europas so.

    Unter den zehn Städten mit den meisten Überwachungskameras weltweit sind neun chinesische Städte und eine europäische Stadt: London. Die Menschen dort haben nach den vielen Erfahrungen mit dem Terror der IRA und islamistischer Gewalttäter so große Angst vor Terroranschlägen, dass ihnen die Kameras als das kleinere Übel erscheinen. In Berlin wäre das undenkbar. Dort überwiegt die historische Erfahrung der Überwachung im Dritten Reich und in der DDR. Das bedeutet jedoch: Wie die Balance zwischen Überwachung und Datenschutz aussieht, lässt sich nicht für alle Länder oder Großstädte gleich entscheiden.

    „Beim Datenschutz in China geht es zunächst einmal nicht so sehr um den generellen Schutz der Privatsphäre, sondern darum, den Konsum sicherer zu machen“, stellt Mathias Schroeder von der Pekinger Kanzlei Ding, Schroeder & Partner fest, die auf Mergers & Acquisitions und Investitionsrecht spezialisiert ist. Schroeder wurde in den 1970er-Jahren als Drilling in Peking geboren, seine Eltern waren zu der Zeit dort ostdeutsche Diplomaten. Der Datenschutz werde von Konsumenten getrieben, die Angst hätten, beim Einkaufen oder bei Geschäften generell über den Tisch gezogen zu werden, fasst Schroeder den Trend zusammen.

    Datenschutzgesetz? Ja, aber der Staat darf alles

    Beim Datenschutz ist die Besorgnis der Chinesen so groß, dass China 2021 das europäische Datenschutzgesetz weitgehend übernimmt. Das Personal Data Protection Law (PDPL) mit siebzig Paragrafen hat sich fast völlig an der Datenschutz-Grundverordnung (General Data Protection Regulation) der EU orientiert. Die Definition von „persönlichen Daten“ und „Verarbeitung“ sind im chinesischen Gesetzentwurf fast genauso weit ausgelegt wie im europäischen. Dazu gehört zum Beispiel auch, dass Organisationen und Personen, die mit chinesischen Daten arbeiten, ebenfalls unter dieses Gesetz fallen.

    Das chinesische Gesetz schützt allerdings eher davor, dass Firmen Missbrauch mit Daten betreiben. Dafür sind harte Strafen vorgesehen, die bis zu 7,4 Millionen US-Dollar reichen oder gar einem Abzug in Höhe von fünf Prozent des unternehmerischen Jahresgewinns. Der Staat hingegen darf noch alles. Allerdings ist damit der Datenschutzgeist aus der Flasche. Es wird spannend sein, wie sich das wachsende Datenschutzbewusstsein der Chinesen auf der einen Seite und der zunehmende Kontrollwunsch in der Kommunistischen Partei vereinbaren lassen.

    Frank Sieren ist einer der führenden deutschen China-Kenner. Er berichtet seit 1994 aus Peking und ist damit der deutsche Journalist, der am längsten in China lebt. Sein jüngstes Buch „China to Go – 100 innovative Trends und erhellende Einblicke“ erschien 2023 im Penguin Verlag, 320 Seiten, 24 Euro. Sie können sich über Linkedin mit ihm vernetzen und ihn so kontaktieren.

    #Chine #crédit_social #surveillance #capitalisme #exploitation #révolution

  • Berlin-Besuch : Für Nancy Pelosi bleibt das Goldene Buch verschlossen – US-Politikerin im Roten Rathaus
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/berlin-besuch-fuer-nancy-pelosi-bleibt-das-goldene-buch-verschlosse


    Quelle marque de baskets porte l’ambassadrice Amy Gutmann ?

    A l’époque de la DDR la fidélité de vassal états-unienne affichée par les politiciens de Berlin-Ouest fut l’expression d’un équlibre précaire enret les blocs de l’Est et de l’Ouest. Aujourd’hui le maire de Berlin montre la même attitude lors du spectacle de la visite privée de la „Speaker Emerita“ Pelosi.

    Les chrétien-démocrates, social-démocrates et verts jurent toujours sur la constitution états-unienne comme à l’époque du mur. Le maire de Berlin exprime son appréciation particulière de la récente apparition de Pelosi dans le rôle de Madame Chiang Kai-shek dans le théâtre chinois. A Berlin l’esprit de la ville-frontière hante les politiciens municipaux. Heureusement le ridicule ne tue pas les zombies politiques.

    Elmar Schütze - Die Grande Dame der US-Demokraten zu Gast in Berlin: Erst lobte sie Regierungschef Kai Wegner, am Abend war Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg an der Reihe.

    Wenn eine eine Reise tut – und noch dazu eine weite –, dann nimmt sie gerne mit, was geht. Nancy Pelosi war am Freitag nach Berlin gekommen, um einen Termin bei der American Academy zu absolvieren. Der altehrwürdige amerikanische Thinktank verleiht den Henry-A.-Kissinger-Preis 2023 an Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Die langjährige Sprecherin der Demokraten im US-Repräsentantenhaus ist als Laudatorin gebucht.

    Da sie nun also ohnehin nach Berlin kommen wollte, ließ Pelosi ihr Büro nach weiteren Polit-Terminen in der Stadt suchen. Fündig wurden ihre Leute beim Regierenden Bürgermeister Kai Wegner im Roten Rathaus und anschließend bei Bundestagspräsidentin Bärbel Bas im Regierungsviertel. Am Freitagabend stand dann der eigentliche Grund der Reise an: Die American Academy hatte für die Preisvergabe die Telekom-Repräsentanz an der Französischen Straße gemietet.

    Magenta dominiert bei Nancy Pelosis Besuch in Berlin

    Apropos Telekom. Womöglich hatte sich Pelosi von der Werbe-Farbe von Europas größtem Telekommunikationsunternehmen inspirieren lassen. Jedenfalls trug sie beim Besuch bei Kai Wegner am frühen Nachmittag ein Kostüm in Magenta.

    Begleitet wurde die 83-jährige Grande Dame der US-Demokraten von Botschafterin Amy Gutmann. Die 73-Jährige, eine passionierte Radfahrerin, wie sie die erstaunte Hauptstadtpresse schon mehrfach wissen ließ, trug einen dunklen Blazer, darunter ein kurzes rotes Kleid, nackte Beine und weiße Turnschuhe an den Füßen.

    Obama trug sich im Goldenen Buch ein, für Nancy Pelosi blieb das Gästebuch

    Bei der Gelegenheit ließen sich einmal mehr die Feinheiten des Protokolls des Roten Rathauses bewundern. So wurde Nancy Pelosi zunächst die Vitrine mit dem Goldenen Buch Berlins mit dem Eintrag des damaligen US-Präsidenten Barack Obama aus dem Jahr 2013 gezeigt. Für die nicht in Regierungsfunktion angereiste Pelosi blieb das Gästebuch der Stadt Berlin. In diesem verewigte sie sich als „Speaker Emerita“, als ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses.

    In ihre Rede stieg die weltgewandte Pelosi, die zuletzt mit ihrem Engagement für die Unabhängigkeit Taiwans einen Aufschrei der Volksrepublik China provozierte, mit einem langgezogenen „Oui gääht’s?“ ein. Um dann in ihrer Muttersprache Gastgeber Kai Wegner für seine jüngsten Statements zu Israel und Palästina zu loben. Der Regierende Bürgermeister sei eindeutig jemand, „der die Menschen zusammenbringen möchte“.

    Wegner revanchierte sich artig, indem er sagte, wie „glücklich und auch stolz“ er sei, Pelosi empfangen zu dürfen. Er sei bekanntlich „jemand, der felsenfest an die transatlantischen Beziehungen, an ein starkes Band für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte“ glaube, so Wegner. Schließlich habe er persönlich es den Westalliierten zu verdanken, „dass ich in Frieden und Freiheit aufwachsen durfte“. So freue er sich jetzt schon darauf, im kommenden Jahr Los Angeles zu besuchen, die Metropole, mit der Berlin die älteste Städtepartnerschaft aufweise. Bei der Gelegenheit wolle er auch nach Boston reisen, sagte er.

    Seit diesem Freitag kommt für Wegner vielleicht noch ein weiteres Ziel hinzu: Baltimore. Schließlich hatte ihm Nancy Pelosi gerade davon erzählt, dass ihr Vater und ihr Bruder Bürgermeister der Stadt bei Washington D.C. gewesen seien und von Baltimores Rathaus geschwärmt.

    Kai Wegner wünscht den US-Demokraten Glück bei Präsidentschaftswahl

    Ganz am Ende wurde Kai Wegner auch parteipolitisch. „Ich wünsche Ihnen alles Gute, auch für die Wahlen in Amerika“, sagte er in Richtung seines Gastes. Deren Ausgang sei „ganz entscheidend für eine enge Zusammenarbeit zwischen den USA und Europa“. Klarer hätte sich der CDU-Politiker kaum vom Ex-US-Präsidenten Donald Trump abgrenzen können, ohne diesen auch nur namentlich zu nennen.

    Anschließend verabschiedeten sich die beiden Politiker – wenn auch nur für ein paar Stunden. Wegner stand am Abend auf der Gästeliste bei der Verleihung des Kissinger-Preises an den Norweger Stoltenberg.

    P.S. Il semble qu’Amy Gutmann et Nancy Pelosi ne soient pas copines à cause de quelques vieilles histoires chinoises.

    Amy Gutmann faced questions over Penn’s donations from China at hearing for ambassadorship
    https://www.inquirer.com/news/amy-gutmann-penn-president-biden-germany-ambassador-20211214.html
    https://www.inquirer.com/resizer/dLVOCRAUIZBHx5US1G7zf5TEtXU=/800x533/smart/filters:format(webp)/cloudfront-us-east-1.images.arcpublishing.com/pmn/32GQQGI6YZFHPILTOL5BJ4V2P4.jpg
    Cet article nous apprend qu’Amy Gutmann a fait embaucher Joe Biden par son université quand il était au chômage. Elle n’est pas appréciée par tous les sénateurs démocrates à cause de ses relations trop étroites avec les républicains (et les Chinois).

    14.12.2021 by Susan Snyder, Jonathan Tamari - “What I do know and what I make sure is that no gifts, no contracts to the University of Pennsylvania are allowed to threaten academic freedom or allowed to threaten national security,” Gutmann said.

    University of Pennsylvania President Amy Gutmann faced questions Tuesday about Penn’s donations from China, but largely batted them back during a relatively ruffle-free, 90-minute Senate foreign relations committee hearing on her nomination to become U.S. ambassador to Germany.

    U.S. Sen. James E. Risch, the ranking Republican on the committee, noted that Penn received $86 million in donations and contracts from China since 2014, and he was surprised that Gutmann had previously said she wasn’t aware of most foreign donations and contracts, nor did she have a role in reporting them to the U.S. Department of Education. Universities’ ties to China have become an issue of increasing importance over the last several years with lawmakers concerned about the country’s influence. Members of both parties see China as America’s most prominent rival for global economic and political influence.

    “I understand a university is a large operation,” said Risch, of Idaho. “However, as captain of the ship, you are in charge of it.”

    Gutmann, 72, who was being considered during the hearing along with nominees for two other posts, said the money from China is a small fraction — less than 1% — of the money Penn takes in. Penn, with its 12 schools and six hospitals, received $5 billion since 2014 and $10 billion over her presidency, which began in 2004. she said.

    “It’s not surprising that I don’t know of specific gifts and contracts,” she said. “...What I do know and what I make sure is that no gifts, no contracts to the University of Pennsylvania are allowed to threaten academic freedom or allowed to threaten national security.”

    “I think that’s a fair answer,” Risch responded.

    Gutmann was introduced to the committee by Pennsylvania Sens. Pat Toomey, a Republican, and Bob Casey, a Democrat, an indication of her bipartisan support. Gutmann, a Harvard-educated political scientist who has written on the spirit of compromise, for years has worked with politicians in both parties, inviting both Democrat Joe Biden, before he was president, and Republican Jeb Bush, the former Florida governor who is son and brother to two former presidents, to serve as presidential professors of practice at Penn.

    Both Toomey and Casey spoke glowingly of Gutmann’s accomplishments as the leader of Philadelphia’s largest private employer and longest-serving Penn president.

    “During her tenure, she dramatically grew Penn’s endowment, expanded Penn’s commitment to science, technology and medical innovation and enhanced the university’s engagement in the Philadelphia community,” Toomey said.

    The committee’s chair, Sen. Bob Menendez (D., N.J.), said Gutmann’s “years of experience” and “powerful family history will no doubt serve us well.”

    She would take over as the U.S. representative to one of America’s most powerful European partners just as, Menendez noted, a new government takes hold in Germany and the country remains a critical ally in deterring Russian aggression.

    “The importance of having a Senate-confirmed U.S. ambassador in Berlin cannot be overstated. This is a critical time for the transatlantic relationship, and particularly for the United States and Germany,” Menendez said in his opening remarks. As Russia’s Vladimir Putin “continues to try to bully his way through Europe, we need strong U.S. representation, and close coordination with allies, to stand up for our partners, and reject illegitimate efforts to redraw the map of Europe.”

    Gutmann, along with former Comcast executive David L. Cohen, was one of Biden’s most prominent early ambassador nominees. She has personal ties to Germany — her father fled Nazi Germany and settled in the United States — and an accomplished academic record. She was also in charge when Penn hired Biden to a lucrative teaching position during his years between the vice presidency and his 2020 campaign for president.

    The hearing Tuesday came more than five months after Gutmann’s July nomination, much to the frustration of Democrats who have accused Republicans of stalling confirmations of uncontroversial nominees to significant positions. The Senate committee still has to vote on Gutmann’s nomination, which would then go to the full Senate for a final vote, neither of which have a clear timeline. Cohen was approved as ambassador to Canada last month.

    If confirmed, Gutmann pledged to work on increasing trade and investment with Germany, combatting climate change, strengthening global health and countering terrorism. She also promised to “engage younger generations of Germans” on the U.S. role in rebuilding Germany.

    “I would be excited to begin work during this key juncture in our relations as a new German government is stepping on to the global stage,” she said.

    #USA #Chine #Allemagne #Berlin #relations_internationales #politique #wtf

  • Björn Höcke als Adolf Hitler : Bild zeigt AfD-Politiker mit Schnauzbart
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/hoecke-der-neue-hitler-bild-kampagne--li.2154204

    Voilà un #nazi avec prépuce, du moins c’est-ce qu’on devine car la circoncision se pratique peu chez les Allemands ni juifs ni muselmans. Ce n’est pas drôle non plus, parce que l’affiche n’est pas ambiguë du tout et parce que Bild est politiquement tellement proche des nazis que l’affiche sert à faire oublier ce fait.

    31.10.2023 von Maximilian Beer - Ist Björn Höcke der neue Hitler? Die neue Werbekampagne der Bild legt diesen Vergleich nahe. Auf einer animierten Werbetafel zeigt die Boulevardzeitung den AfD-Politiker Höcke mit einem Hitler-Bart. Der schwarze Punkt wandert in einer Animation unter die Nase des AfD-Politikers und wird so zum berüchtigten Schnauzer. Dazu der Slogan: „Wir bringen’s auf den Punkt. Bild bleibt Bild.“

    In der korrespondierenden Presseerklärung schreibt der Axel-Springer-Verlag, dass die Kampagne zum neuen Markenauftritt von „Deutschlands größter Medienmarke“ gehört. BILD-Chefredakteurin Marion Horn wird mit den Worten zitiert: „Wir benennen klar und deutlich, was schiefläuft, aber feiern auch die richtigen Taten und Worte. Dies zeigen wir in unserer neuen Kampagne selbstbewusst, kritisch und zugleich augenzwinkernd.“

    Björn Höcke fiel in seiner politischen Karriere schon häufiger durch radikal rechte Ausfälle auf. Mehrere Gerichtsurteile bestätigten, dass man ihn im Einzelfall als Faschisten oder Nazi bezeichnen darf. Zuletzt hatte in Hessen die Staatsanwaltschaft gegenüber dem Hessischen Rundfunk bestätigt, dass es sich bei einer solchen Bezeichnung um ein „an Tatsachen anknüpfendes Werturteil“ handle. Doch ist der direkte Hitler-Vergleich dadurch zu rechtfertigen?

    Vergleiche von aktuellen Politikern mit Hitler werden von den meisten Historikern kritisch beurteilt, denn Nazi-Vergleiche bergen das Risiko, die Gräuel des Nationalsozialismus zu relativieren. Laut der französischen Sprachwissenschaftlerin Marie-Hélène Pérennec werde durch häufige Nazi-Vergleiche „die Verharmlosung der Verbrechen der Nazis“ begünstigt und eine Gewöhnung an NS-Vergleiche verursacht.

    Trotzdem kommt es in der politischen Auseinandersetzung immer wieder zu Hitler-Vergleichen. Zuletzt sorgte ZDF-Satiriker Jan Böhmermann in der Debatte um Friedrich Merz und seine Äußerungen zu einer möglichen Zusammenarbeit der CDU mit der AfD auf kommunaler Ebene für Irritationen: „Keine Sorge, die Nazis mit Substanz wollen nach aktuellem Stand voraussichtlich nur auf kommunaler Ebene mit Nazis zusammenarbeiten“, schrieb Böhmermann auf Twitter. Damals bot Bild den Böhmermann-Kritikern eine Plattform. Die CDU-Vizechefin Karin Prien sprach von einer Verharmlosung des Nationalsozialismus. Prien sagte zu der Debatte: „Das spaltet die Gesellschaft und betreibt das Geschäft der Nazis.“

    Ist Höcke für Bild also der neue Hitler? Ein Bild-Unternehmenssprecher gab sich auf Anfrage der Berliner Zeitung schmallippig: „Wir machen in dem genannten Motiv der neuen Kampagne „BILD bleibt BILD“ einen Punkt. Was Sie daran erkennen, überlassen wir gerne Ihnen.“

    In der AfD sorgt die Kampagne des Boulevard-Blatts für Kritik. „Wer so für sich wirbt, der kann nicht gleichzeitig den Anspruch erheben, als seriöser Berichterstatter wahrgenommen zu werden“, sagt der hessische Bundestagsabgeordnete Jan Nolte der Berliner Zeitung.

    Der brandenburgische AfD-Abgeordnete René Springer meint: „Die Bild hat selbst dazu beigetragen, dass migrationskritische, konservative oder patriotische Standpunkte in die rechtsextreme Ecke geschoben wurden, worüber man sich jetzt aber beschwert.“

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