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  • Tod eines getreuen Partei-Journalisten: Fritz Wengler ist gestorben
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/in-eigener-sache-fritz-wengler-tod-vize-chefredakteur-berliner-zeit

    6.1.2023 von Maritta Adam-Tkalec - Fritz Wengler arbeitete 15 Jahre bis zur Wende als stellvertretender Chefredakteur der Berliner Zeitung. Der Berliner startete als Schreibender Arbeiter.

    Der langjährige stellvertretende Chefredakteur der Berliner Zeitung Fritz Wengler ist tot. Er starb am 2. Januar in Berlin. Wengler, Jahrgang 1934, war 1973 aus der FDJ-Zeitung Junge Welt in die Berliner Zeitung gewechselt. Bis zum Herbst 1989 bestimmte er an der Seite von Chefredakteur Dieter Kerschek in entscheidender Weise mit darüber, wie die Berliner Zeitung als Organ des Zentralkomitees für die DDR-Hauptstadt inhaltlich gestaltet wurde. Als treuer Parteiarbeiter wachte er sorgsam darüber, dass die von der SED-Parteiführung verfügten Leitlinien und Argumentationsvorschriften im Blatt ihren Niederschlag fanden beziehungsweise Tabus beachtet wurden. Im Herbst 1989 übernahm er wegen Krankheit des Chefredakteurs weitgehend dessen Funktionen.

    Bereits ab Oktober kam es zur offenen Auseinandersetzung in der Redaktion. Mit der friedlichen Revolution verlor Fritz Wengler seine Bedeutung, blieb aber noch bis 1993 Redaktionsmitglied und kümmerte sich unter anderem um die Betreuung von Berufsanfängern.
    Fritz Wengler – vom Jugendbrigadier zum Mietersprecher

    Fritz Wengler, gebürtiger Berliner, der seine Mundart pflegte, hatte in Köpenick den Beruf eines Rohrlegers erlernt, war als Maschinenarbeiter und stellvertretender Jugendbrigadier im Kabelwerk Oberspree tätig. Seinen politischen Weg als getreuer Sozialist begann er als FDJ-Sekretär im Transformatorenwerk. In diesen Jahren entdeckte Fritz Wengler seine Lust am Schreiben. Auch offiziell kam er damit an. Ein „Brigadetagebuch“ öffnete ihm 1959 den Weg zur Teilnahme als Schreibender Arbeiter an der 1. Bitterfelder Konferenz. Im selben Jahr wechselte er in die Junge Welt, wurde Reporter und 1965 stellvertretender Chefredakteur.

    In den vergangenen Jahren engagierte er sich als Vertreter der Interessen von mehr als 500 Bewohnern eines Hochhauses auf der Fischerinsel, wo er selbst seit mehr als 50 Jahren lebte und wo seine Kinder aufwuchsen. Und er ließ als Sprecher des Wohngebietsbeirates von sich hören.

    Der marxistischen Tageszeitung junge Welt (jW) blieb er bis zum Schluss als Genossenschafter und Förderer grafischer Kunst verbunden.

    #histoire #DDR #socialisme #SED #presse #journalisme #nécrologie

  • Zum Tod von Fritz Wengler : „Ick vasteh dit janze Ding nich, Alexander“
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/zum-tod-von-fritz-wengler-ick-vasteh-dit-janze-ding-nich-alexander-

    Ce texte fait froid dans le dos. On sent la fin qui approche et on comprend comment une génération entière de socialistes a ruiné la société qu’ils avaient construit. A mon avis c’est le meilleur texte sur la fin de la #RDA.

    10.1.2023 von Alexander Osang - Alexander Osang erinnert sich an seinen Chef bei der Berliner Zeitung, der ihm 1989 ein Versprechen gab, das er nicht halten konnte. Wengler ist vor wenigen Tagen gestorben.

    Die Pappeln stehen wie eine grüne Wand um den grauen Neubauturm auf der Fischerinsel, wo Fritz Wengler wohnt, der mir vor 20 Jahren ein Versprechen gab, das er nicht halten konnte. Wengler lebt seit 40 Jahren in einer Wohnung im zweiten Stock, die langsam zugewachsen ist wie ein Dornröschenschloss. Ich habe ihn angerufen und gefragt, ob er mit mir reden will.

    Worüber, hat er gefragt.

    Ich will herausfinden, wer ich war, hab ich gesagt.

    Ach so, sagte er, und ich habe mir vorgestellt, wie er dort, am anderen Ende der Leitung, lächelte. Über den naiven Ansatz.

    Vor 20 Jahren war Fritz Wengler erster stellvertretender Chefredakteur der Berliner Zeitung, und weil der Chefredakteur Probleme mit dem Herzen hatte, regierte Wengler die Zeitung durch den Revolutionsherbst. Ich war damals Mitte zwanzig und Jugendredakteur. Wir hatten nie viel miteinander zu tun, aber in der Nacht zum 7. Oktober 1989 kreuzten sich unsere Leben.

    Ich sollte über den Fackelzug der FDJ berichten, der am Vorabend des 40. Jahrestags der DDR durch die Innenstadt zog. Die Republik ging gerade unter, der Fackelzug war die Bordkapelle auf der „Titanic“. Ich rannte hinein, fragte die Leute, was sie hier machten, und schrieb einen Text, der mit vielen Fragen begann. Sind Fackelzüge noch zeitgemäß?, war die erste. Ich schrieb keine Antwort hinter die Fragen, denn mein Mut reichte nicht für ein Nein. Mir zitterten schon so die Hände. Ich zitierte Leute aus dem Zug. Ein Mädchen sagte, dass es traurig sei, weil seine Freundin in den Westen ging. Es habe sehr wohl geweint, sagte es, nachdem Honecker ein paar Tage vorher den Flüchtlingen hatte hinterherrufen lassen: Wir weinen euch keine Träne nach. Gorbatschow kam bei mir vor, Daniel Ortega auch, aber nicht Honecker.

    Ich gab den Text nach unten in die vierte Etage, wo die Chefredaktion saß. Irgendwann klingelte mein Telefon und Fritz Wengler bestellte mich ein. Er saß am Schreibtisch des Großraums und starrte auf das Manuskript.

    Vor ein paar Monaten hatte er mir einen Text über eine unzufriedene Mädchenbrigade aus dem Kosmetikkombinat noch mit den Worten zurückgegeben: „Ick vasteh dit janze Ding nich, Alexander.“ Er hatte mich angesehen, eine Pause gemacht und gesagt: „Aber ick bin mir sicher, du kriegst dit hin.“ Ich war zurückgefahren zu der Mädchenbrigade und hatte sie nach den Dingen gefragt, mit denen sie zufrieden waren, bei ihrer Arbeit, in ihrem Land. Sie hatten mir all die positiven Dinge zusammengekratzt, die ihnen einfielen. Die hatte ich in den Text geschrieben, den auch Fritz Wengler verstand.

    Er war nie laut, kein Schreihals wie andere, er versteckte seine Macht hinter einem Berliner Arbeiterakzent und einem Gesicht, das aussah, als hätte Loriot es gezeichnet. Aber er war hart. Wir kämpften um meinen kleinen, hasenmutigen Text wie die Löwen. Am Ende standen Honecker drin, der FDJ-Chef Eberhard Aurich und ein konstruktiver Schlusssatz, aber es gab auch noch das Mädchen, das seine Freundin beweinte, und die Fragen am Anfang.

    Kurz vor Mitternacht kam der Andruck mit dem Text aus der Setzerei. Der Großraum war fast leer. Fritz Wengler und ich lasen ihn noch mal durch. „Versprich mir, dass es wenigstens so bleibt, Fritz“, sagte ich, und er gab mir die Hand. Als ich am nächsten Tag die Zeitung aufschlug, stand hinter meinen Fragen, auf die ich keine Antwort hatte, ein Ja.

    Braucht die Jugend unserer Zeit Fahnenwälder und Hochrufe, um ihre Empfindungen auszudrücken?

    Ja.

    Ich hatte das Gefühl, als öffnete sich der Boden unter mir. Ein Kollege sagte mir, er würde verstehen, wenn ich kündigte, aber es wäre irgendwie schade, jetzt, da wir auch bald Glasnost bekämen. Wengler war nicht da und ließ mir später ausrichten, er habe kalte Füße bekommen.

    Wir blieben beide bei der Zeitung. Ich machte Karriere, Wengler nicht. Er blieb stellvertretender Chefredakteur, aber man gab ihm keine Aufgaben mehr. Wengler kümmerte sich um den journalistischen Nachwuchs und um das Jagdwesen, weil einer seiner Freunde Jäger war. Am Ende sah ich ihn mit einem kleinen Leiterwagen über die Flure ziehen und Büromaterial verteilen. 1993 bot ihm der Herausgeber Erich Böhme eine Abfindung an. Er nahm sie und ging in den Ruhestand. Ich habe nie mit ihm über die Oktobernacht geredet, über sein gebrochenes Versprechen.

    Es riecht nach Müllschlucker im zweiten Stock des Hochhauses. Fritz Wengler ist 75 Jahre alt, hat sich aber kaum verändert, ein klares, freundliches Gesicht mit unergründlichen dunklen Augen. Er führt mich in ein kleines, schattiges Zimmer, es gibt zwei Bücherregale und einen runden Tisch. Auf dem Tisch stehen eine Thermoskanne und zwei Tassen. Seine Frau stellt sich kurz vor, dann zieht sie sich zurück. Fritz Wengler schließt die Tür. Nur wir beide. Ein Gespräch unter Männern.

    „So“, sagt er, und ich erzähle ihm, dass ich über den Fackelzugtext reden will.

    „Ick weeß“, sagt Fritz.

    „Woher weißt du denn das?“

    „Worüber denn sonst. Ein einziges Ja, mit dem ick allet umjedreht habe. In so ’ner Situation war ick auch noch nicht. Hab ick oft dran jedacht in den letzten Jahren“, sagt er. „Zucker?“

    Er sagt, dass er sich an den Tag minutiös erinnern kann. Er erzählt von den Anleitungen, in die er als Chefredakteur gehen musste. Anleitungen bei Joachim Herrmann, Agitationssekretär im Politbüro und früher Wenglers Chefredakteur bei der Jungen Welt. Er taucht ein in die Kapillaren des Anleitungssystems. Sie kannten sich ja alle, sagt er. Es gab Anordnungen, die er nicht verstand, aber sie kamen nie aus dem Dunklen. Sie kamen von Leuten, die er seit Jahren kannte, Vertrauten sozusagen.

    „Theoretisch begründet wurde es mit dem demokratischen Zentralismus, weeste ja allet“, sagt er.

    Ich nicke.

    „Marx war als Chefredakteur ein Diktator“, sagt Wengler und lächelt leicht. Marx. Er hat jetzt festen Boden unter den Füßen.

    „Die Anordnung für die Feier zum Republikgeburtstag war: Wir lassen uns nicht in die Suppe spucken. Wir haben allen Grund, stolz uff uns zu sein. Und der Fackelzug ist dit Kernstück. Wir wussten ja, dass draußen allet in heller Uffregung war. Aber die Jugend der DDR sollte der Welt zeigen, wat wir geleistet haben, daran hat mich Achim Herrmann am Telefon immer wieder erinnert. Ick weeß nich, wie oft der mich an dem Abend anjerufen hat. Ununterbrochen, wirklich. Jeht doch allet klar mit dem Fackelzug, Fritz? Immer ditselbe. Ausm Palast muss der anjerufen haben. Und dann krieg ick dein Ding uff’n Tisch. Und ick wusste: So jeht es nicht.“

    Er macht eine Pause, trinkt einen Schluck Kaffee, dann sagt er: „Aus drei Gründen“, und ich merke, wie er wächst, während ich langsam zum Jugendredakteur schrumpfe. Es waren immer drei Gründe, aus denen irgendetwas nicht ging.

    „Also erst mal die Fragen. Dann die Gorbi-Rufe und Honecker, der nich vorkam, und schließlich die Mieke, die heult, weil ihre Freundin abjehaun war“, sagt er. „Dit Mädel wollte ick drinbehalten, ick hab wirklich mit mir gerungen. Aber am Ende war ick mir nicht sicher. Deswegen hab ich das Ja reingeschrieben. Ick musste den Kopp hinhalten.“

    „Aber du hast es mir doch versprochen?“

    „Es ging nicht um eine Meinungsäußerung von Osang. Es ging um die Haltung der Redaktion. Und ick bin mit einem schlechten Gewissen ins Bett gegangen in der Nacht, dit kannste mir glooben.“

    „Mir gegenüber?“

    „Meiner Partei gegenüber. Meinem Land“, sagt er und sieht mich ungerührt an. Ich bin ein Zahnrad, ein Teilchen einer Maschine. Mir fallen all die Momente ein, in denen ich ermahnt wurde, meine persönlichen Interessen mit den gesellschaftlichen in Übereinstimmung zu bringen. Es ging immer gleich um alles. Ein Versprechen zwischen zwei Männern ist unter diesen Bedingungen nicht viel wert.

    In seinen Bücherregalen stehen historische Abhandlungen über die Habsburger, die Hohenzollern, die Hunnen und die Kelten, neben den Erinnerungen von Frank Schöbel, Eberhard Esche und Inge Keller. Mein Individualismus muss ihm lächerlich vorkommen, selbstbezogen und weinerlich. Er sagt, dass er sich hinter niemandem verstecken will. Wenn man Papst werden will, muss man katholisch sein. Wo gehobelt wird, fallen Späne.

    „Hast du wirklich nicht einen Moment an mich gedacht, als du das Ja hingeschrieben hast?“, frage ich.

    „Ach, komm. Es ist mir nicht egal gewesen, dass ich hier einem jungen Journalisten seinen Artikel versaue und möglicherweise auch seinen Ruf, aber ich hatte da eine Aufgabe zu lösen“, sagt Fritz Wengler. „Ich hatte einen Auftrag meiner Partei. Und ick hab mich damit identifiziert. Ick war überzeugt, dass wir das Land halten können, wenn wir stark bleiben. Durch Konsens erreichste gar nischt.“

    Er erzählt, wie er als FDJ-Schüler am 17. Juni 1953 vorm Haus der Ministerien Stellung in der Leipziger Straße bezog, um die Aufständischen abzuwehren. Er redet von Krawallmachern und Truppenteilen und kitzlijen Situationen. Aber letztlich bekamen sie alles unter Kontrolle, und er konnte zurückgehen an die FDJ-Schule, wurde Jugendbrigadier im Kabelwerk Oberspree, wo er ein mitreißendes Brigadetagebuch schrieb, das ihn zur Bitterfelder Konferenz brachte und schließlich zur Jungen Welt.

    „Da hab ick so wat jemacht, wie du später bei der Berliner Zeitung. Rausfahren, uffschreiben, wieder rausfahren. Ick war schneller als die andren und hatte immer einen besonderen Blick“, sagt er. Er erzählt, wie er mit seinen Texten aneckte, wie er ständig die Möglichkeiten auslotete, um die Wirklichkeit einzufangen. Er holt mich ins Boot, denke ich. Vielleicht will er sagen, dass der 7. Oktober 1989 für mich so etwas hätte werden können wie für ihn der 17. Juni 1953. Eine Erfahrung, die mich härter, weiser, einsichtiger und vielleicht irgendwann zu einem ersten stellvertretenden Chefredakteur gemacht hätte, der einmal die Woche in die Agitationskommission des Zentralkomitees ging, wo er Anleitungen bekam, die er nicht immer verstand, aber dennoch umsetzte, weil sie nicht aus dem Dunkeln kamen, sondern von Menschen, die er kannte, Vertrauten sozusagen. Ein weiterer Stellvertreter einer Macht, die es gar nicht gab ohne ihn. Später bringt Wenglers Frau eine Schale mit Kartoffelchips, und wir knabbern ein bisschen wie alte Bekannte, Vertraute sozusagen.

    „Jetzt ham wa vier Stunden über dit eine Ja jeredet“, sagt Wengler.

    Ich erzähle ihm, dass der Fackelzugartikel mir immer mal wieder um die Ohren fliegt. Wenn irgendjemand eine Rechnung mit mir offen hat, kopiert er ihn und schickt ihn durch die Gegend, um zu zeigen, was für ein Mensch ich war, damals.

    „Dit willste nun aus der Welt räumen“, sagt Fritz Wengler und lächelt mich mitleidig an.

    Er sagt, dass er alles über die Französische Revolution gelesen hat, was es auf dem deutschen Büchermarkt gibt. Die Jakobiner haben 50 Jahre gebraucht, bis ihnen die Geschichtsschreiber einigermaßen Gerechtigkeit haben widerfahren lassen, sagt Fritz Wengler. 50 Jahre. Papier ist geduldig. Fritz, mein Chefredakteur, sitzt einfach da, liest in seinen historischen Büchern und wartet, dass ihm Recht geschieht. Er hat einst ein Versprechen gegeben, das größer war als das, das er mir in besagter Oktobernacht gab. Er hat das eine gehalten, indem er das andere brach. So sieht er das, und damit bin ich im Boot. Sein Ja steht in meinem Text für die Ewigkeit. Auch wenn die lebendige Erinnerung längst verloschen ist, hängen Fritz Wengler und ich immer noch zusammen in diesem Text in dieser Zeitung fest. Bestimmte Dinge sind nicht richtigzustellen.

    Dies ist eine gekürzte Fassung des Textes „Das Versprechen“, erschienen im Buch „Das letzte Einhorn“, Ch. Links Verlag Berlin, 2022

    #histoire #DDR #socialisme #SED #presse #journalisme

    • A mon avis c’est le meilleur texte sur la fin de la RDA.

      Effectivement, merci @klaus

      une traduction en français ici, un peu améliorable par endroits, mais surtout qui ne rend pas le dialecte berlinois (je suppose…)

      “Je ne comprends pas cette chose, Alexandre” – .
      https://fr.trenddetail.com/aujourd/288761.html

      Si vous voulez être pape, vous devez être catholique.

    • Ou c’est une traduction automatique et la machine n’a rien compris à l’histoire ou la personne devant l’écran n’a pas fait son travail. La qualité est suffisante pour comprendre la trame du récit mais l’âme du texte s’est perdu en route.

    • Tous les problèmes évoqués dans ce texte étaient connus depuis les années 1970. Malheureusement la génération qui était née en RDA n’était pas en mesure y changer quelque chose. C’est les vieux qui bloquaient tout parce qu’ils pensaient que le moindre espace d’ouverture allait se transformer en terrain d’attaque pour l’ennemi de classe. En fin de compte ils ont eu raison parce que l’absence de développement politique et les mensonges omniprésentes sur l’état de la société ont rendu la RDA tellement vulnérable qu’il suffisait d’un leger vent de liberté pour permettre aux capitalistes de prendre le contrôle de toutes les institutions. Nous en connaissons le résultat.

  • Deutschlands beste Schachspielerin : „Mit Schlausein hat das nichts zu tun“
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/interview-elisabeth-paehtz-ostdeutsche-grossmeisterin-deutschlands-

    Si tu te sens un peu con après les verres que tu as bu lors de la fête de la soirée passée, ne t’inquiètes pas. C’est ton état normal. La meilleure joueuse d’échecs allemande t’explique pourquoi.

    Elisabeth Pähtz erklärt, wie sie sich als Frau und Ostdeutsche in der Schachwelt durchgekämpft hat – und wie der Ukrainekrieg die Turniere durcheinanderbringt.
    ...
    „Die Weltmeisterschaften 2005 habe ich gewonnen, obwohl ich in der Nacht vorher bis um vier oder fünf in der Bar war.“

    En réalité il faut se l’avouer que les gens sont plus ou moins doués et supportent plus ou moins bien les excès divers. Elisabeth Pähtz est sans doute une femme exceptionnelle à plein d’égards.

    Je soupçonne la rédaction du quotidien Berliner Zeitung d’avoir publié cette interview le 31. afin de nous aider à boire sans mauvaise conscience. ;-)

    Bonne année 2023 !

    #échecs #sport #femmes #alcool #2023

  • Mitten in Kreuzberg: Neue Sozialwohnungen und klimaneutrale Büros
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/mitten-in-kreuzberg-neue-sozialwohnungen-und-klimaneutrale-bueros-l


    Blick auf das neue Quartier auf dem Areal des früheren Postscheckamtes am Halleschen Ufer in Kreuzberg.

    Es geht voran mit dem Geldmachen. Das alte Postscheckamt, eine öffentliche Einrichtung der staatlichen Bundespost und Ort zum Leben und Arbeiten für viele Westberlinerinnen und Berliner, wird endgültig zum Eigentumswohnungsghetto mit ein paar netten fast bezahlbaren Alibiwohnungen nebenan. Verdichtung ist angesagt, der Rubel rollt weil öffentliche Gärten und Freiflächen zugebaut werden. „Niemandsland“ heißt so ein nicht profitables Gelände auf Immobilisch. Ich bin auch so ein Niemandsland, unprofitabel und verwildert. Ein Mensch eben, keine parfümierte Immoschnepfe, die mit hohlem Gedöns ihre Gier schönredet. Die zerrt den verwesenden Leichnam van der Rohes aus dem Grab, um dem ollen Büroturm, wahrlich kein Meilenstein der Architekturgeschichte, ordentlich Mies-Nimbus zu verpassen. So geht das. Noch nicht gebaut wird schon verkauft.

    Grelle Fummels aus den Fifties, Sixties
    Alles hohl und hundsgemein
    Auf Skoda oder Fiorucci
    Flieg ich nicht mehr ein
    Da bleib ich kühl
    Kein Gefühl

    Ideal, Blaue Augen, 1980

    28.12.2022 von Ulrich Paul - Auf dem Areal des ehemaligen Postscheckamtes in Kreuzberg entsteht ein Stadtquartier mit hohem sozialen und ökologischen Anspruch.

    Auf dem Areal des ehemaligen Postscheckamtes in Kreuzberg gehen die Arbeiten für das geplante neue Stadtquartier mit Büros, Wohnungen und Geschäften voran. Nachdem im März 2021 mit dem symbolischen ersten Spatenstich die Bauarbeiten starteten, befinden sich mittlerweile fast alle Teilprojekte am Halleschen Ufer in Bau.

    Der Kölner Investor Art Invest modernisiert den alten 90 Meter hohen Büroturm und baut zwei neue Häuser mit Büros und Geschäften. Die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Degewo errichtet 337 Mietwohnungen. Und das ebenfalls aus Köln stammende Immobilienunternehmen Pandion plant 86 Eigentumswohnungen.

    „Das Grundstück war vorher eine Art Niemandsland im Herzen Berlins“, sagt Lena Brühne, Berliner Niederlassungsleiterin von Art Invest. „Durch die Entwicklung des Quartiers betreiben wir also eine Stadtreparatur.“ Die Art Invest hat ihrem Projekt den Namen „Die Macherei Berlin-Kreuzberg“ gegeben. Weil die Gebäude am Halleschen Ufer 40 bis 60 liegen, tragen die drei Gebäudeteile als Namenskürzel ein M für Macherei, gefolgt von der jeweiligen Hausnummer. So heißen die Gebäude M40, M50 und M60. Der alte Postbank-Tower trägt das Kürzel M50, die beiden neuen Büro- und Geschäftsbauten firmieren unter M40 und M60.

    Das achtgeschossige Haus M40 entsteht nach Plänen des Büros Robert Neun Architekten als sogenanntes Holz-Hybrid-Haus, also in einer Mischung aus Holz und Beton. Neben bepflanzten Dächern ist ein offener Innenhof vorgesehen, der als das „grüne Herz“ des Gebäudes angekündigt wird. „Unser Holz-Hybrid-Haus M40 wird ab Frühjahr 2023 rasant wachsen“, sagt Lena Brühne. „Zu diesem Zeitpunkt werden die Holzverbundelemente angeliefert, die wie Legosteine aufgebaut werden.“ Bis zum Jahr 2024 soll das Gebäude fertig sein, die anderen beiden der Art Invest ebenfalls.

    Der 24-geschossige Büroturm, der jetzt das Kürzel M50 trägt, wird nach Plänen des Architekten Eike Becker umgestaltet. Er richtet sich dabei nach dem Vorgänger-Bau. „Die Architektur vom M50 greift den Stil des Oberpostdirektors Prosper Lemoine auf, nach dessen Plänen das Objekt entwickelt wurde“, sagt Lena Brühne. „Er orientierte sich dabei an der typischen Architektursprache von Mies van der Rohe, der unter anderem die Neue Nationalgalerie entworfen hat.“

    Büroturm wird im nächsten Jahr als Stahlbetonskelett dastehen

    Nach dem Auszug der Mieter aus dem Turm Ende 2021 hat die Art Invest zunächst mit der Entkernung und Schadstoffsanierung begonnen. Diese Arbeiten dauern bis heute an. „Im nächsten Jahr wird der Turm kurzzeitig im Rohbau als Stahlbetonskelett dastehen, was sicher ein imposantes Bild abgeben wird“, so Brühne. „Zudem werden wir die oberen drei Etagen, die bislang als Techniketagen genutzt werden, abbrechen und neu aufbauen, um sie in Teilen als nutzbare Mietflächen zu entwickeln.“ Die Fassade des Büroturms wird erneuert, außerdem entsteht am Fuß des Towers ein eingeschossiger Flachbau. Dort soll neben einem Restaurant ein Fitnessstudio einziehen – mit Außenlaufbahn auf dem Dach. Oben im Turm ist eine Skybar geplant. Mit bester Sicht über die Stadt.

    „Bei der Fassade des Turms arbeiten wir mit speziellen Elementen, die vorproduziert und anschließend eingesetzt werden“, sagt Lena Brühne. Für die Montage werde ein rund 120 Meter hoher Kran eingesetzt, der an dem Hochhaus verankert wird. An der Südfassade des Büroturms sollen auf einer Fläche von 760 Quadratmetern Fotovoltaik-Elemente montiert werden, um aus Sonnenlicht Strom zu gewinnen.

    Das M60 entsteht nach Plänen des Architekturbüros Sauerbruch Hutton als achtgeschossiges Bürohaus. Im rückwärtigen Teil sind die Eigentumswohnungen der Pandion geplant. Das Besondere: Das Bürohaus soll ein „Zero-CO₂-Haus“ werden, also ein klimaneutrales Haus. Erreicht wird dies freilich durch einen gewissen Kunstgriff: Die Fotovoltaik-Elemente, die Sonnenlicht in elektrischen Strom umwandeln, sollen nämlich nicht nur auf dem eigenen Dach stehen, sondern zugleich auf den Dächern der benachbarten Degewo-Häuser.
    Autofreies Quartier heißt, dass oberirdisch keine Autos fahren

    Beim Verkehr wird Nachhaltigkeit ebenfalls großgeschrieben. „Die Macherei Berlin-Kreuzberg wird ein autofreies Quartier“, sagt Lena Brühne. Der Begriff „autofrei“ wird von der Art Invest allerdings sehr großzügig ausgelegt. Autofrei bedeute, „dass die Außenanlagen für den normalen Autoverkehr gesperrt sind“, sagt Brühne. Autos sind als Verkehrsmittel weiter eingeplant, zumindest in begrenzter Zahl. „In zwei Tiefgaragen, die von der Hauptstraße erreicht werden, entstehen 120 Stellplätze für Autos“, sagt Brühne. Sie versichert: „Wir setzen auf urbane Mobilität, weswegen wir unseren künftigen Mietern zusätzlich 800 unterirdische Fahrradstellplätze sowie Duschen und Umkleiden anbieten.“

    Das Projekt zeigt: Nachhaltigkeit spielt bei Immobilienprojekten eine immer größere Rolle. Unter anderem, weil sich viele Unternehmen das Ziel gesteckt haben, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt CO₂-neutral zu werden. In alten Büros mit hohem Energieverbrauch lässt sich das Ziel nur schwer oder gar nicht erreichen. In neuen Quartieren wie in der Macherei schon eher. „Das Quartier richtet sich an Mieter, die neben einem hohen Anspruch an Lage, Qualität und Flexibilität der Flächen einen besonderen Wert auf ökologische Nachhaltigkeit legen“, sagt Lena Brühne. „Hier sehen wir einen wachsenden Bedarf.“ Einerseits müssten viele Unternehmen immer höhere Anforderungen im Bereich CO₂-Emissionen erfüllen, was sich natürlich auch in ihren Flächen widerspiegeln müsse. Andererseits sei Klimagerechtigkeit ein „ganz wesentlicher Aspekt für junge Berufseinsteiger“, so Brühne. „Sie legen viel Wert auf ihren eigenen Carbon Footprint, auch an ihrem Arbeitsplatz.“

    Die Wohnungen der Degewo entstehen im rückwärtigen Teil des Areals auf insgesamt drei Baufeldern mit jeweils zwei Häusern. „Die Rohbauarbeiten für die Baufelder eins und drei haben begonnen“, sagt eine Degewo-Sprecherin auf Anfrage. „Im Frühjahr 2023 wird Richtfest gefeiert und der Innenausbau kann beginnen.“ Die Arbeiten auf Baufeld zwei sollen im Februar 2023 starten. Geplant sei, dass die neuen Wohnhäuser ab Mitte 2024 übergeben werden. Dann beginne auch die Vermietung.
    Degewo baut 75 Prozent Sozialwohnungen

    75 Prozent der Wohnungen, die die Degewo errichtet, sollen als Sozialwohnungen entstehen und für eine Kaltmiete ab 6,50 Euro je Quadratmeter vermietet werden. Der Entwurf für die Wohnhäuser stammt vom Büro Dahm Architekten + Ingenieure. Nach ihren Plänen entstehen Wohnungen mit einer Größe von 35 bis 105 Quadratmetern.

    Die Pandion baut keine Mietwohnungen, sondern Eigentumswohnungen. „Wir planen insgesamt 86 Zwei- bis Vier-Zimmer-Wohnungen für Paare und Familien“, erklärt eine Unternehmenssprecherin. Die Wohnungen sollen zwischen 46 und 95 Quadratmeter groß sein. Die Baugrube für das Projekt sei fertig. Im Januar 2023 solle der Rohbau beginnen. Zum genauen Start der Vermarktung der Wohnungen und zum Fertigstellungtermin könne man aktuell aber noch keine Auskunft geben, so die Sprecherin.

    Postbank-Hochhaus (Berlin)
    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Postbank-Hochhaus_(Berlin)

    Blaue Augen
    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Blaue_Augen?searchToken=2wqimfpy2l6ptlnzu8q7191bk

    https://www.youtube.com/watch?v=uaEiVAODN-A

    #Berlin #Kreuzberg #Hallesches_Ufer #Großbeerenstraße #Stadtentwicklung #Architektur #Privatisierung #Gentrifizierung #Wohnen #Immobilien

  • Polizei nimmt zehn neue Blitzer in Betrieb – vor allem im Berliner Osten
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/mobilitaet-verkehr-raser-temposuender-polizei-nimmt-zehn-neue-blitz

    20.12.2022 von Peter Neumann - Raser aufgepasst: Die Zahl der Tempomessanlagen steigt deutlich. Auch bei den halbstationären Geräten gibt es kräftigen Zuwachs – trotz Vandalismus.

    Wer gern zu schnell mit dem Auto durch die Stadt fährt, muss an weiteren Stellen damit rechnen, geblitzt zu werden. Die Zahl der Geschwindigkeitsmessanlagen steigt in Berlin deutlich an, teilte die Polizei mit. So wird die Zahl der stationären Blitzer allein bis zum Ende des kommenden Jahres um rund ein Drittel zunehmen – vor allem im Osten Berlins. Auch bei den semistationären Geräten, die in Form von rollbaren Anhängern an Straßen aufgestellt werden, ist ein kräftiger Zuwachs in Sicht, sagte Frank Schattling von der Landespolizeidirektion. Die Polizei berichtet aber auch von Vandalismus – und davon, dass Tempomessungen in bestimmten Bereichen auf Schwierigkeiten stoßen.

    Abzocke, Wegelagerei, Willkür gegenüber Autofahrern: Frank Schattling, der bei der Berliner Polizei seit vielen Jahren für das Thema Verkehrssicherheit zuständig ist, kennt die Argumente. „Wir stellen Blitzer dort auf, wo es notwendig ist, einen Anlass gibt“, entgegnet er. Zum Beispiel dort, wo notorisch gerast wird oder wo es wegen erhöhter Geschwindigkeit mehr Zusammenstöße gibt als anderswo.

    So ist es zum Beispiel an der Kreuzung Kurfürstendamm/Cicerostraße in Wilmersdorf. Nachdem sich an diesem Knotenpunkt zum Teil schwere Unfälle ereignet haben, ließ die Polizei dort jüngst ein Tempomessgerät aufstellen. Auch an der Landsberger Allee in Lichtenberg wurde vor kurzem ein stationärer Blitzer postiert. Er steht an der Fahrbahn stadteinwärts unweit der Einmündung der Zechliner Straße. Die dritte neue Anlage dieses Jahres steht an der Schildhornstraße in Steglitz, Fahrtrichtung A100.
    Schwerpunkte in den Bezirken Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick

    „Die drei stationären Blitzer sind montiert, es sind aber noch einige Arbeiten erforderlich“, sagte Oliver Woitzik, der ebenfalls der Stabsabteilung Verkehr angehört. So, wie es derzeit aussieht, könnten die Tempomessgeräte zu Beginn des Jahres 2023 in Betrieb genommen und scharf geschaltet werden.

    Durch die Neuanschaffungen ist die Zahl der Anlagen, die sich im Bestand der Berliner Polizei befinden, von 33 auf 36 gestiegen. Zwei ältere Blitzer sind derzeit nicht in Betrieb: Einer ist kaputt, der andere befindet sich in einem Baustellenbereich, erklärte Schattling. Die Zahl der technisch bedingten Ausfälle, die in früheren Jahren in Berlin mit bis zu 50 Prozent ziemlich hoch war, ist deutlich gesunken. „Viele Standorte sind mit moderner Technik ausgestattet worden“, erklärte Oliver Woitzik. Einige Geräte mit älterem Innenleben waren zum Teil Jahre außer Betrieb, bis sie wieder instand gesetzt wurden.

    Bei den 36 Geräten im Bestand der Polizei wird es im kommenden Jahr nicht bleiben. „Unsere Planung für 2023 sieht vor, in Berlin sieben weitere stationäre Blitzer in Betrieb zu nehmen“, kündigte Woitzik an. Davon werden fünf Geräte in Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick entlang von Raserstrecken postiert. Zwei Blitzer sind für Standorte im Westen der Stadt vorgesehen. Der Beschaffungsprozess für alle sieben Anlagen läuft. Dadurch wächst die Zahl der stationären Blitzer bis Ende 2023 auf 43.
    Mit Aufklebern vom 1. FC Union unbrauchbar gemacht

    Warum konzentrieren sich die Zuwächse auf den Osten Berlins? Zwischen den beiden Stadthälften gebe es bei den stationären Blitzern immer noch ein Ungleichgewicht, das nach und nach ausgeglichen werden soll, erklärte die Polizei.

    Dass das bei manchen Kraftfahrern nicht auf Begeisterung stößt, zeigte sich in Köpenick am Standort An der Wuhlheide/Rudolf-Rühl-Allee. Der dort stationierte Blitzer musste 2020 wieder abgebaut werden, nachdem das Gerät mehrmals beschädigt worden war. Es wurde so oft zerstört oder mit Aufklebern vom 1. FC Union Berlin unbrauchbar gemacht, dass die Polizei entschied, die Anlage umzusetzen. Die Reparaturkosten hätten die Einnahmen durch Bußgelder in einem unverhältnismäßig hohen Maße überstiegen, hieß es. Der Blitzer wurde zur Landsberger Allee, Ecke Weißenseer Weg verlagert.

    Auch einer der semistationären Blitzer der Berliner Polizei fiel Vandalismus zum Opfer. Durch Brandstiftung entstand hoher Sachschaden, hieß es. Andere Anlagen wurden mit Aufklebern beklebt oder mit Farbe besprüht. Doch weil die Messtrailer mit Alarmanlagen versehen sind, ist die Polizei meist schnell vor Ort, hieß es.

    Zurzeit gehören sechs semistationäre Blitzer zum Bestand der Polizei. Die rollbaren gepanzerten Anhänger können je nach Bedarf dort stationiert werden, wo dies nötig ist. „Ihre Zahl wird in den Jahren ab 2024 um zehn steigen“, kündigte Frank Schattling an.
    Polizei: Überwachung von abbiegenden Lastwagen ist schwierig

    Bei den stationären Blitzern zeichnet sich ebenfalls weiterer Zuwachs ab. In der Koalitionsvereinbarung hat Rot-Grün-Rot festgelegt, dass deren Zahl bis zum Ende der Wahlperiode um 60 steigen soll. Die Gesamtzahl würde dann mehr als 90 betragen. „Das werden wir schaffen“, hieß es bei der Polizei, nachdem bei den Grünen Skepsis geäußert worden war. Notwendig sei aber auch, die Bußgeldstelle personell zu verstärken. Mehr Blitzer würden nichts nützen, wenn die erhöhte Zahl der Feststellungen nicht zügig abgearbeitet werden kann. Inzwischen sei damit begonnen worden, den Personalbestand aufzustocken, sagte Frank Schattling.

    Um Unfälle zum Beispiel mit Radfahrern zu vermeiden, dürfen Lkw an Knotenpunkten nur noch in Schritttempo abbiegen. Doch dies zu überwachen, sei schwierig, gab die Polizei zu bedenken. Die Überprüfung der Fahrtenschreiber wäre ein Ansatz, das wäre aber aufwendig. Mit Handlasergeräten ließe sich das Tempo messen, allerdings wären Toleranzwerte abzuziehen – bei geringem Tempo problematisch. Zudem seien nur in einem Prozent der Abbiegeunfälle Lastwagen verwickelt. „Wir werden Kreuzungen überwachen, dann aber stets den gesamten Knotenpunkt“, hieß es.
    Die Autobahn A100 und Kurfürstendamm sind weiterhin bei Rasern beliebt

    Auch weiterhin werde sich die Berliner Polizei um gefährliche Verhaltensweisen kümmern, die das Strafgesetzbuch unter dem Paragraf 315d als verbotene Kraftfahrzeugrennen sanktioniert, kündigte Schattling an. Während dieses Jahres wurden im Zeitraum von Januar bis Ende November etwas mehr als 460 Verfahren eingeleitet. Das sind rund elf Prozent mehr als im selben Zeitraum des vergangenen Jahres, als rund 520 Rennen festgestellt wurden. Im gesamten Jahr 2020 waren es 750.

    Flucht vor polizeilichen Maßnahmen nimmt mit etwas über 40 Prozent inzwischen den Großteil ein, berichtete Schattling. Gefolgt von Einzelrennen (Anteil rund ein Drittel) und Rennen mit mehreren Beteiligten, die knapp ein Fünftel aller Fälle in Berlin ausmachen. An den Schwerpunkten hat sich dagegen nichts geändert. Die A100, der Kurfürstendamm, die Landsberger und die Nonnendammallee sind weiterhin die beliebtesten Raserstrecken in der Stadt.

    Postbank-Hochhaus (Berlin)
    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Postbank-Hochhaus_(Berlin)

    Blaue Augen
    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Blaue_Augen
    https://www.youtube.com/watch?v=uaEiVAODN-A

    #Berlin #Verkehr #Überwachung

  • Eskalation im Berliner Taxistreit: Strafanzeige gegen Verkehrssenatorin
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/eskalation-im-berliner-taxistreit-strafanzeige-gegen-verkehrssenato

    3.8.2021 von Peter Neumann - Der Vorwurf lautet: Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Behörden in Berlin unternähmen zu wenig gegen Mietwagenbetreiber, die sich nicht an Gesetze halten.

    Dieser Streit schwelt schon seit langem in Berlin: Taxibetreiber beschweren sich darüber, dass ihnen Unternehmen, die für Uber und FreeNow fahren, einen ruinösen Wettbewerb aufdrängen. Die Verwaltung unternehme zu wenig gegen die unlautere Konkurrenz, die der Taxibranche die Luft abschnüre, heißt es. Jetzt haben sich fünf Taxibetreiber zusammengetan, um den Konflikt vor Gericht zu bringen. Die Unternehmer haben bei der Staatsanwaltschaft Berlin Strafanzeige erstattet, wie Justizsprecher Martin Steltner auf Anfrage der Berliner Zeitung bestätigte. Die Anzeige richtet sich gegen Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) sowie einen Gruppenleiter des Landesamts für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten, kurz LABO. Ihnen wird Beihilfe zur Steuerhinterziehung, zur Schwarzarbeit und zum Vorenthalten von Arbeitnehmerentgelten vorgeworfen.

    Taxi? Es gibt doch Alternativen! Wer preiswerter durch die Stadt chauffiert werden möchte, bestellt sich bei Uber & Co. einen Mietwagen mit Fahrer. Rund 5000 Fahrzeuge dieser Art, so eine aktuelle Schätzung, gibt es derzeit in Berlin. Während sich Taxifahrer an ihre Tarifordnung halten müssen, steht es der Konkurrenz frei zu bestimmen, welche Fahrpreise sie berechnet. Doch legal seien die meist niedrigeren Tarife nicht zu erwirtschaften, heißt es bei den Taxiunternehmern, die am 12. Juli Anzeige erstattet haben. Sie wittern Steuerhinterziehung und Leistungsbetrug. Das LABO als zuständige Behörde kümmere sich nicht intensiv genug um den Rechtsbruch.
    In Hamburg wird stärker kontrolliert

    246 Js 518/21: Das ist das Aktenzeichen der Strafanzeige. Einen juristischen Vorstoß mit dieser Ausrichtung hat es in Berlin bisher offenbar noch nicht gegeben. Das zeige, wie groß die Wut sei, sagte einer der beteiligten Taxibetreiber. „Hintergrund der Anzeige ist, dass in Kenntnis der Senatorin und ihres Geschäftsbereichs gegen geltendes Recht zur Vergabe von Mietwagenkonzessionen verstoßen wird“, teilte er mit. „Fahrtentgelte der Mietwagen werden in Kenntnis der Beschuldigten nicht korrekt abgerechnet. Hierdurch entsteht dem Land Berlin ein Steuerschaden in Höhe von mehreren hundert Millionen. In der Anzeige befindet sich unter anderem das Beispiel eines Mietwagenunternehmers, dem in Hamburg die Konzession entzogen wurde, in Berlin aber eine Konzession ausgestellt wurde.“ Dabei habe die Hamburger Behörde ihr Berliner Pendant informiert.

    „Wer in Hamburg eine Konzession haben will, muss unter anderem erklären, woher das Geld für das Unternehmen kommt“, so der Taxibetreiber. Dagegen werde in Berlin nur selten geprüft, ob die gesetzlichen Voraussetzungen eingehalten werden. In Berlin sei es auch die Regel, dass die fast immer türkischen, arabischen oder nordafrikanischen Fahrer schwarz arbeiten, hieß es. Sozialversicherungsbeiträge würden, wenn überhaupt, nicht vollständig abgeführt. Um sich dem Zugriff der Behörden zu entziehen, würden in den Unternehmen meist noch vor Ablauf von zwei Jahren wesentliche Positionen auf polnische Bürger umgeschrieben – und aus deutschen werden polnische Firmen. Hintermänner steuern und überwachen die Praktiken, hieß es. 

    Justiz: Von einer „Smoking Gun“ kann nicht die Rede sein

    Die Vorwürfe aus der Taxibranche seien haltlos, hieß es bei den Betreibern der Apps, bei denen Mietwagen mit Fahrer gebucht werden können. Die Fahrtaufträge gingen an Firmen, bei denen die Fahrer angestellt sind, so Uber. Die Mitarbeiter hätten alle Rechte, die ein Arbeitnehmer in Deutschland habe, und sie bekämen den Mindestlohn - oft mehr.

    „Ich zahle zehn Euro plus Prämien. Wer besonders produktiv ist, kann auf bis zu 12,50 Euro pro Stunde kommen“, erklärte der Mietwagenbetreiber Thomas Mohnke, Sprecher des Berliner Branchenverbands „Wir fahren“. Für viele Menschen mit Migrationshintergrund sei die Tätigkeit als Mietwagenfahrer eine Möglichkeit, in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse zu gelangen, betonte er. Und auch die Fahrgäste würden profitieren - indem sie neben dem Taxi ein kostengünstigeres Verkehrsmittel zur Wahl haben. Wie berichtet, wendet sich der Verband gegen die nun eröffnete gesetzliche Möglichkeit, Mindesttarife für Uber, FreeNow und Co. festzulegen. Der Senat möchte prüfen, ob er die neue Option nutzt.

    Es sei rechnerisch unmöglich, aus den derzeit üblichen Mietwagen-Fahrpreisen nach Abzug der Provisionen für die Fahrdienstvermittler den Mindestlohn zu zahlen, entgegnete der Berliner Taxiunternehmer Richard Leipold. Er formulierte es ironisch: „Manchmal habe ich den Eindruck, alte Mathelehrer drehen sich bereits so schnell in ihren Gräbern, dass sie auch als Propeller eingesetzt werden könnten.“

    „Eine solche Anzeige ist hier im Haus nicht bekannt. Wir können dazu nichts sagen“, sagte Jan Thomsen, Sprecher von Regine Günther. Welche Wirkung wird die Strafanzeige der fünf Taxibetreiber gegen die Verkehrssenatorin und den Gruppenleiter des Landesamts entfalten? Bei der Justiz gibt man sich zurückhaltend. Eine „Smoking Gun“ sei der Vorstoß wohl nicht – soll heißen: Ob die Anzeige den erwünschten Erfolg erzielen wird, sei zweifelhaft.
     
    Treffen zum Taxi-Notstand am Flughafen BER

    Immerhin: In ein anderes Taxi-Thema kommt Bewegung. Wie berichtet, gibt es am Flughafen BER zu wenig Taxis. Im vergangenen Jahr haben sich Berlin und der Landkreis Dahme-Spreewald darauf geeinigt, dass maximal jeweils 300 Taxis am neuen Airport Fahrgäste laden dürfen. Nun zeigt sich, dass selbst diese kleinen Kontingente derzeit nicht ausgeschöpft werden. Mitte August gibt es nun ein Spitzengespräch in der Senatsverkehrsverwaltung, zu dem Vertreter der Taxibranche geladen sind.

    #Taxi #Berlin #Uber #Senat #Politik #BER

  • Taucher im Aquadom: „Die Leute fanden es toll, dass wir da drin waren“
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/taucher-im-aquadom-die-leute-fanden-es-toll-dass-wir-da-drin-waren-

    16.12.2022 von Andreas Kopietz - Matthias T. hat früher die Scheiben des Riesenaquariums vom AquaDom am Alexanderplatz von innen geputzt. Ein anstrengender Job mit viel Auf und Ab.


    Ein Taucher reinigt das Aquarium im Hotel.

    Wenn Matthias T. gearbeitet hat, wurde er automatisch zu einer Touristenattraktion. Er war ein Taucher, der den Aquadom geputzt hat, jenes Großaquarium im Hotel Dom Aquarée, das am Freitagmorgen geplatzt ist. Der heute 60-Jährige hat dort vor einigen Jahren als Taucher das Riesenaquarium gepflegt und die Scheiben gereinigt. Er war dafür bei einer Firma angestellt. Matthias T. ist Tauchlehrer und sagt, dass nicht jeder in das Aquarium gelassen wurde. Man benötigte mindestens ein Zertifikat als Divemaster.

    Herr T., wie putzt man so ein Riesenaquarium?

    Ich bin mit einem Mikrofasertuch reingegangen und habe damit die Algen von den Plexiglasscheiben gewischt. Das war nötig, denn die Korallen waren keine richtigen Korallen, die Algen aufnehmen, sondern künstlich.

    Sie sind da sozusagen in ein Schwimmbecken gestiegen?

    Man ging von oben über eine Leiter in das Wasser, was relativ eng war. Denn mit der ganzen Tauchausrüstung und Flasche auf dem Rücken bestand die Gefahr, dass man mit der Flasche an die Scheiben kam, vor allem, wenn man sich unten die Flossen angezogen hat…

    …und dass so vielleicht die Scheiben durch Haarrisse beschädigt wurden?

    Vielleicht. Schon möglich.

    Wie oft sind Sie da reingestiegen?

    Wir waren zu viert, und es musste dort jeden Tag sauber gemacht werden. Jeder hat ein Viertel vom Turm geputzt. In der Woche waren wir zu viert, am Wochenende zu zweit.

    War das nicht gefährlich mit den Haien, die da überall im Wasser herumschwammen?

    Nein, die Haie waren zu der Zeit noch relativ klein.

    Hat die Arbeit Spaß gemacht?

    In erster Linie habe ich da sauber gemacht. Wenn Kinder draußen waren, hat man ein bisschen rumgehampelt, mal die Maske abgenommen. Die Leute draußen fanden das toll, dass da Taucher drin waren. Interessant war auch das Ausstatten des Aquariums. Zum Beispiel mit Amphoren, die von manchen Fischen als Bruthöhlen benutzt werden. Als Taucher habe ich schon viel gesehen, zum Beispiel die Malediven. Hier konnte ich die Fische näher sehen – besser als im offenen Meer. Ab und zu haben wir sie auch gefüttert. Man nahm eine Tüte mit runter, und die Tiere kamen wie Kamikaze-Flieger auf einen zu. Das war schon eine interessante Arbeit.

    Wie viel Luft hatten Sie mit?

    Wir hatten eine Zehn-Liter-Flasche. Und wenn sie nicht gereicht hat, konnten wir sie oben wechseln, wir hatten da Ersatzflaschen. Normalerweise kommst du aber mit den zehn Litern anderthalb Stunden gut über die Runden.

    War die Arbeit anstrengend?

    Die Wassertemperatur war okay, da konnte man die anderthalb Stunden im Nassanzug locker aushalten. Aber dieses Rauf und Runter, durch das ständige Wechseln der Tiefe – da ist man anschließend ganz schön platt.

  • So unterschiedlich wächst die Einwohnerzahl in den Berliner Bezirken
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/so-unterschiedlich-waechst-die-einwohnerzahl-in-den-berliner-bezirk

    13.12.2022 von Ulrich Paul - Die aktuelle Bevölkerungsprognose gibt Auskunft darüber, wie sich Berlin entwickelt. Die Vorhersage zeigt laut BUND, dass zu viele Wohnungen geplant werden.

    Berlin wächst weiter, doch von Bezirk zu Bezirk unterscheidet sich der Anstieg der Einwohnerzahl mitunter erheblich. Das geht aus der aktuellen Bevölkerungsprognose zur Entwicklung in den zwölf Bezirken hervor, die am Dienstag im Senat auf Vorlage von Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) beschlossen wurde.

    Danach steigt die Einwohnerzahl in Pankow von 2021 bis 2040 um rund 37.000 Menschen. Das entspricht einem Wachstum von neun Prozent. In Treptow-Köpenick zieht die Einwohnerzahl zwar ebenfalls um neun Prozent an, doch aufgrund der geringeren Ausgangszahl entspricht dies in absoluten Zahlen „nur“ einem Zuwachs um 25.300 Menschen.

    In Mitte wird ein Anstieg der Einwohnerzahl um 22.900 Menschen erwartet. In Lichtenberg soll die Zahl der Bürger um 19.500 Menschen steigen, in Friedrichshain-Kreuzberg um 18.000, in Marzahn-Hellersdorf um 14.200 und in Spandau um 14.050. Danach folgen Reinickendorf mit einem Plus von 11.350 Einwohnern, Charlottenburg-Wilmersdorf (plus 8800), Tempelhof-Schöneberg (7900) und Neukölln (6400). Den geringsten Anstieg bei der Einwohnerzahl sagt die Prognose für Steglitz-Zehlendorf voraus. Dort ist lediglich ein Zuwachs von 1900 Bürgern zu erwarten.
    Fast vier Millionen Einwohner im Jahr 2040 in Berlin

    „Berlin wächst weiter“, sagte der Stadtentwicklungssenator, „aber mit sehr starken lokalen Unterschieden.“ Allein Pankow wachse in der Größenordnung einer Stadt wie Stendal. „Das bringt viele Herausforderungen mit sich, die wir gemeinsam und in einer stadtweiten Anstrengung lösen müssen.“ Zum Beispiel beim Wohnungsbau, bei der Kita- und Schulversorgung oder beim Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs.

    Bereits am 4. Oktober hatte der Stadtentwicklungssenator die Bevölkerungsprognose für ganz Berlin präsentiert. Sie sagt einen Anstieg der Einwohnerzahl von 3,775 Millionen im Jahr 2021 auf 3,963 Millionen im Jahr 2040 voraus. Die Bevölkerungsprognose stützt sich auf Erkenntnisse von Experten aus Wissenschaft und Praxis und wurde von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in Zusammenarbeit mit dem Amt für Statistik Berlin-Brandenburg erarbeitet. Drei Varianten wurden dabei erarbeitet. Für die weitere Planung orientiert sich der Senat an der mittleren Variante, weil sie die weitere Entwicklung „mit der höchsten Wahrscheinlichkeit“ abbilde. Im Jahr 2030 sollen in Berlin demnach 3,909 Millionen Menschen leben.

    Der Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND) zieht auf Grundlage der Bevölkerungsprognose die bisherige Neubauplanung in Zweifel. Wie berichtet, plant der Senat den Bau von 200.000 Wohnungen bis zum Jahr 2030. Diese Zahl ist laut BUND aber zu hoch. Bei einem für Berlin erwarteten Bevölkerungsstand von 3,909 Millionen Menschen im Jahr 2030 müssten bei einer durchschnittlichen Haushaltsgröße von 1,75 Personen bis dahin insgesamt 143.727 Wohneinheiten neu errichtet werden, rechnet der BUND vor. Aber nicht 200.000.
    BUND: Bis 2040 werden 184.584 Wohnungen benötigt

    Im gesamten Prognosezeitraum bis 2040 müssten insgesamt 184.584 neue Wohnungen gebaut werden, wenn in 18 Jahren wie erwartet 3,963 Millionen Menschen in der Hauptstadt wohnen. Eingerechnet sei sogar der durch Abrisse oder Umbauten von der Senatsverwaltung angenommene Abgang von 1000 Wohneinheiten jährlich.

    #Berlin #Stadtentwicklung #Stadtplanung #Demographie #Wohnen

  • Die Stimme des Ostens – Tamara Danz von Silly
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/die-stimme-des-ostens-tamara-danz-von-silly-li.297354


    Aujourd’hui on fête le soixante dixième anniversaire de Tamara Danz la chanteuse rock la plus importante de la RDA.

    14.12.2022 von Jens Blankennagel - Tamara Danz hätte die Tamara-Danz-Straße in Berlin vielleicht nicht sehr gemocht. Der Name der bekanntesten und besten Sängerin der DDR-Rockmusik passt nicht so ganz zu dieser unscheinbaren Nebenstraße im kalten kapitalistischen Herzen des neuen Berlin.

    Tamara Danz war berühmt für ihre wilde Frisur und vor allem für ihre kraftvolle Stimme, die so kalt sein konnte und doch auch so zu Herzen gehend. Berüchtigt war auch ihr unbeugsamer Wille, für ihre Band Silly alles zu erreichen. Legendär war ihr politisches Engagement, mit dem sie am Ende der DDR zu einer Stimme der Reformwilligen wurde. Und überraschend war ihr Krebstod im Juli 1996 – mit gerade einmal 43 Jahren. Am 14. Dezember dieses Jahres wäre Lenore Tamara Danz, geboren in einem kleinen Dorf in der Nähe des thüringischen Breitungen, 70 geworden.

    Ausgerechnet dieser Frau, die für eine menschlichere und gerechtere Welt sang und kämpfte, wurde diese Straße gewidmet. Gerade noch so im Osten Berlins, genau neben dem Mercedes-Platz mit dem Zalando-Hauptsitz und der Verti Music Hall. Der ist das Herz des sogenannten Entertainmentviertels an der East Side Gallery in Friedrichshain. Ein Ort, der so gar nicht für das raue, düstere, kühne, abgedrehte Ost-Berlin von Tamara Danz steht, sondern für kaltes Neonlicht, für flimmernde Werbebildschirme, die über vier Etagen reichen, und für gesichtslose Glas-Beton-Bauten, die an jeder Einkaufsmeile dieser Welt stehen könnten.

    Die Straße ist in Frauenhand

    Doch an diesem Abend im Jahr 2022 hätte es Tamara Danz hier sicher gefallen. An diesem Abend ist die Straße in Frauenhand: Da ist zum einen der Name ihrer Straße, und da ist Billie Eilish, die gleich nebenan in der Arena ein Konzert gibt. Die unangepasste 20 Jahre alte Sängerin ist zum Superstar des noch recht jungen Jahrzehnts aufgestiegen. Sie wird von 14.000 Fans gefeiert. Meist sind es Frauen.

    Und da ist Zoe Jamileh, 23, eine Berliner Straßenmusikerin, die auf der Tamara-Danz-Straße mit ihrer Gitarre unermüdlich Lieder singt. Ihre eigenen, aber vor allem Coverversionen von Klassikern. Zoe Jamileh sagt: „Ich kenne Tamara Danz zwar nicht, aber das passt doch gut.“ Dann singt sie mit kraftvoller Stimme „Stronger Than Me“ von Amy Winehouse.

    Auch bei Tamara – wie sie von ihren Fans nur genannt wurde – ging es anfangs nur um ihre Stimme, ihre Stimmgewalt. Sie sang in einigen Bands und im Oktoberklub, einer linientreuen Singegruppe, die mit ihren Liedern helfen wollte, die Jugendlichen der DDR zu sozialistischen Persönlichkeiten zu machen.

    1978 holte die Familie Silly Tamara Danz als Sängerin. Als Frontfrau dieser Band war sie nun nicht mehr eine von vielen Stimmen im Hintergrund des Oktoberklubs. Sie wurde die prägnanteste Frauenstimme der DDR und gern auch als Rockröhre bezeichnet. Kraftvoll, cool, aber auch empathisch. 

    Oftmals fangen Bands engagiert an, mit hochfliegenden Träumen. Und wenn ihnen dann ein Hit gelingt, richten sie sich im schönen Leben der Stars ein. Nicht so Silly. Die Gruppe begann als Unterhaltungsband am Schwarzen Meer, spielte in Bulgarien und Rumänien vor Urlaubern aus dem Ostblock zum Tanz auf. Der Legende nach hörte sie dort ein Mann von einer West-Plattenfirma, und die Band kehrte mit einen West-Vertrag in die DDR zurück. Nun war klar: Ihr Album musste auch im Osten veröffentlicht werden. Der Rest ist Musikgeschichte.

    Ein Album zu veröffentlichen, war im Osten ungleich schwerer als im Westen, auch aus politischen Gründen und wegen der Zensur. Die Bands mussten entweder besonders angepasst oder besonders gut und beliebt sein. Die Familie Silly gehörte zu den Musikern mit Anspruch. Selbst ihre Säuferhymne „Ich bin der letzte Kunde“ mit dem Mitgröl-Refrain ist viel schlauer, trauriger und realistischer als die vielen belanglosen Albernheiten der damaligen Neuen Deutschen Welle.

    Bald hieß die Band nicht mehr Familie Silly, sondern nur noch Silly – und von da an entwickelte sie sich zu einer der musikalisch und textlich anspruchsvollsten Bands des offiziellen DDR-Rock. Und da war immer diese Stimme. Zwar hatten die Jungs von Silly die Band gegründet, aber Tamara Danz war es, die den Unterschied machte: The Voice. Die Gruppe wurde vom Staat gefördert und hofiert, machte aber keinen angepassten Ost-Pop, sondern Musik, die aufhorchen ließ. Auch im Westen.

    Der West-Berliner Fotograf Jim Rakete – auch Bandmanager von Spliff, Nina Hagen, Nena und Die Ärzte – hat einmal begeistert erzählt, wie verblüfft er war, als er zum ersten Mal das Lied „Mont Klamotte“ hörte, das Titelstück des zweiten Silly-Albums. Ein Song über einen künstlichen Berg im Herzen von Berlin, der nach dem verlorenen Weltkrieg von den Trümmerfrauen aus dem Schutt der Ruinen zusammengekarrt wurde.

    Der Song beginnt ruhig und kühl und steigert sich zu einem Rockgewitter mit schneidenden Gitarren. Wer ihn hört, versteht auch heute noch, warum Jim Rakete damals geplättet war. Solche Musik, die sich quer zu allen Trends stellt, gibt es nicht allzu häufig. Und als Jim Rakete hörte, dass die Band aus dem Osten Berlins kam, war er noch mehr überrascht. Er sagte, dass er sich zuvor nie darum geschert hätte, was es hinter der Mauer im Osten – keine drei Kilometer von seinem Studio in Kreuzberg entfernt – an Musik gab. Rakete wurde der Fotograf und West-Manager von Silly.

    Gründungsversammlung des Komitees fürGerechtigkeit im BerlinerCongress Centrum 1992, auf dem Podium unter anderen: Stefan Heym, Tamara Danz,Peter-Michael Diestel, GregorGysi und Rio Reiser.ullstein bild

    Es waren die Texte, die die oft ungewöhnliche Musik von Silly erdeten. Texte über Frauen wie „Die wilde Mathilde“ oder „So ’ne kleine Frau“, klug, poetisch, ehrlich. Tamara Danz trug sie so leidenschaftlich und überzeugend vor, dass kaum jemand auf die Idee kam, dass sie von einem Mann stammten. Von Werner Karma, dem vielleicht besten Songtexter der späten DDR.

    Texte, die den vorher üblichen Schwulst der 70er-Jahre weit hinter sich ließen, die lebensnah waren und sich nicht anbiederten an die Staatsräson oder an den Zeitgeist. Texte, die weise waren und doch eingängig, in denen jedes Wort den richtigen Platz hatte und zu deren Refrains die Musiker von Silly dann Melodien zimmerten, die hängen blieben. Auch bei Leuten, die lieber die etwas dreckigere Variante des Ostrocks hörten, etwa die Band Pankow oder Punk von Feeling B.

    Tamara Danz war nicht nur eine selbstbewusste Frau mit Berliner Schnauze, sondern auch äußerst zielstrebig. Sie machte Silly zu ihrer Band, wurde zur unangefochtenen Chefin. Nach und nach wechselte sie alle Musiker aus, weil sie andere besser fand oder weil sie sich in sie verliebt hatte. Sie wurde von anderen Bands durchaus gefürchtet, weil sie immer auf der Suche nach den besten Musikern war – für Silly.

    Tamara Danz trat selbstbewusst auf wie ein Alphatier, und das in Zeiten, in denen das bei Frauen nicht üblich war, schon gar nicht in einer so männlich dominierten Branche wie der Rockmusik. Und sie war nacheinander mit zwei Mitgliedern ihrer Gruppe liiert, ohne dass die Band zusammenbrach.
    Schutz vor der Stasi

    Zum Ende der DDR meldete sich Tamara Danz verstärkt politisch zu Wort. Die Zeit um 1989 wurde von einer winzigen Gruppe mutiger Oppositioneller geprägt. Sie fanden sich zu kleinen Demos zusammen, die sich schnell zu Massenkundgebungen auswuchsen und schließlich zu einer friedlichen Revolution führten, in der nicht ein Schuss auf Demonstranten fiel.

    Etwa 50 Musiker, darunter auch Silly, verfassten dann die Resolution der Rockmusiker, in der sie klar und deutlich mehr Freiheitsrechte einforderten. Die Verfasser wurden vom Staat bedrängt und mitunter drangsaliert, viele Musiker lasen den Text dennoch bei ihren Konzerten vor. Nun kamen auch Jugendliche, die gar nicht auf DDR-Rock standen, zu den Konzerten, um mit ihrer Anwesenheit die Bands vor der Stasi zu schützen.

    Dann der Mauerfall, die große Freiheit und der Kampf um die Macht und die politische Deutungshoheit in einem kollabierenden Staat. Die einen wollten die schnelle Vereinigung mit der Bundesrepublik, die Bürgerbewegungen eher eine eigenständige DDR. Dafür trat auch Tamara Danz ein, die eine Zeit lang öfter auf politischen Podien zu sehen war als auf Rockbühnen. Sie saß in einer Reihe mit Schriftstellern wie Stefan Heym oder Christa Wolf und warb für einen menschlichen Sozialismus.

    Sie war ganz oben in der öffentlichen Wahrnehmung, sie wurde gehört. Doch die Idee einer eigenständigen DDR interessierte immer weniger Leute. Bei der ersten freien Wahl der DDR am 18. März 1990 gewannen nicht die Bürgerbewegungen, sondern das konservative Bündnis um die CDU.

    Dann kam der „Sommer der Deutschen Mark“, und viele DDR-Bürger reisten mit dem ersten Westgeld in ihren ersten Sommer der Freiheit. Nachdem sie zurückgekommen waren, wurde die DDR am 3. Oktober offiziell Teil der Bundesrepublik. Nun wurden die Reden der Bürgerrechtler, Intellektuellen und Künstler über einen Dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus noch weniger gehört.

    Auch für Tamara Danz war es der größtmögliche anzunehmende Absturz. Eben war sie noch wichtig gewesen, wurde nach ihrer Meinung gefragt; nun verschwand sie aus der öffentlichen Wahrnehmung. Und die Lieder der Band aus den Playlists der Radiosender. Nach dem Mauerfall gingen die Blicke der meisten Ostdeutschen erst mal nur nach Westen. Es gab viel nachzuhören und nachzuholen, kaum jemand hörte noch Ostrock.

    Und was machten Tamara Danz und ihre Jungs von Silly? Irgendwann wieder Musik. Nun wechselte die Sängerin auch den letzten Mann aus, den Texter Werner Karma, um endlich ihre eigenen Texte zu schreiben. Sie erkrankte an Krebs, doch noch vor der Diagnose schrieb sie Texte, die wie eine düstere Vorahnung klingen: „Gib mir Asyl hier im Paradies, hier kann mir keiner was tun. Gib mir Asyl hier im Paradies, nur den Moment, um mich auszuruh’n.“

    Ganz am Ende, mit dem letzten Album mit Tamara, erreichten Silly noch einmal ein breiteres Publikum. Tamara Danz starb am 22. Juli 1996. Nach ihrem Tod sagten viele: Es war falsch, dieser früher so wichtigen Ost-Stimme seit Jahren nicht mehr zugehört zu haben.

    Die Band Silly machte mit anderen Sängerinnen wie Anna Loos, Julia Neigel und Anna R. weiter. Gute Stimmen, aber keine hat annähernd das Charisma von Tamara Danz, die nun 70 Jahre alt geworden wäre.

    Und sicher würde sie sich ein wenig über ihre kleine Straße am Mercedes-Platz freuen. Mehr Ehre geht kaum. Und irgendwie ist dieser Ort nicht völlig falsch: Denn die Straße beginnt an der berühmten East Side Gallery, dem fast letzten Stück der Berliner Mauer. Ein Ort, an dem auch in der Nacht des Konzerts von Billie Eilish viele Leute an den riesigen Wandbildern vorbeigehen, um nachzuspüren, wie es denn war mit der Mauer und mit Ost und West. Das passt doch ganz gut zu Tamara.

    https://www.youtube.com/watch?v=PbLFg2lIgho

    https://fr.m.wikipedia.org/wiki/Tamara_Danz

    #DDR #Berlin #Tamara-Danz-Straße #Friedtichshain #musique #rock #féminisme #histoire

  • Schmidt, Honecker und das „Bratwurst-Drama“ auf dem Weihnachtsmarkt
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/schmidt-honecker-und-das-bratwurst-drama-im-wiedervereinten-weihnac

    Und „Internationale Spezialitäten“. Bei genauerem Hinsehen werden hier allerdings nur Produkte aus Russland angeboten: Pelmeni, Warenki, Kaviar, Wodka. „Na ja, Osteuropa“, sagt der Verkäufer, während er über die Kasse gebeugt nach dem Wechselgeld kramt, und als er aufblickt: „Wir wollen keine Politik, wir wollen Ruhe.“ Er lächelt undefinierbar freundlich. Früher stand „Russische Spezialitäten“ über seiner Bude.

    #Allemagne #culture #politique #guerre

  • Tunnelbruch am Alex zeigt: So verwundbar ist Berlins Infrastruktur
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/berlin-verkehr-kommentar-sperrung-u2-der-tunnelbruch-am-alex-zeigt-

    25.11.2022 von Peter Neumann - Nicht zum ersten Mal hat ein privates Bauprojekt öffentliche Anlagen beschädigt. Schon 2018 warnte die BVG vor „erheblichen Risiken“ für die U-Bahn.

    In der U2 nach #Pankow ist es leer geworden. Das hat seinen Grund. Fahrgäste müssen in den U-Bahnhöfen Klosterstraße und Senefelderplatz umsteigen. Weil der Pendelverkehr zwischen diesen Stationen nur alle 15 Minuten fahren kann, verlängert sich die Reisezeit spürbar. Kein Wunder, dass viele Menschen der #U2 den Rücken gekehrt haben – keine gute Nachricht für die Mobilitätswende.

    In der einst so stark frequentierten Ost-West-Linie lässt sich hautnah nachvollziehen, was passiert, wenn private Bauvorhaben öffentliche Infrastruktur beschädigen. Wenn Investitionsvorhaben, die einer begrenzten Zahl von Menschen nutzen, viele zehntausend Menschen im Alltag beeinträchtigen.
    Die Sohle des unterirdischen Bahnhofsbauwerks ist gerissen

    Denn so ist es an der U2. Im #U-Bahnhof #Alexanderplatz musste am 7. Oktober eines der beiden Gleise gesperrt werden, nachdem sich das unterirdische Bauwerk bewegt hatte. Sensoren hatten eine „Setzung“ registriert, die schließlich auf 3,6 Zentimeter angewachsen war. Die Sohle des Bahnhofsbauwerks ist gerissen, weitere Risse haben sich gebildet. Der Verursacher scheint klar zu sein: Das Immobilienunternehmen Covivio hat nebenan eine Grube ausgehoben, dort sollen zwei 130 Meter hohe Türme entstehen.

    „Das ist schon gravierend“: So ernst sind die Schäden im U-Bahn-Tunnel unterm Alexanderplatz

    Laut BVG wird es mindestens bis Februar #2023 dauern, bis die U2 wieder wie früher verkehren kann. Doch sicher ist selbst das noch nicht, die Senatsauskunft wirkt beunruhigend: „Inwiefern eine Bestandssanierung oder ein Teilneubau in Betracht kommt, kann derzeit noch nicht abschließend bewertet werden.“

    Es ist nicht das erste Mal, dass Fahrgäste der U2 unter privaten Bauprojekten leiden. So stellte die BVG 2012 den Betrieb am #Potsdamer_Platz anderthalb Monate lang ein. In die Baugrube der heutigen #Mall_of_Berlin am #Leipziger Platz war Grundwasser eingedrungen. Im November 2015 gab auf der Baustelle für das Motel One an der #Grunerstraße der Boden um sechs Zentimeter nach. Folge war ein Tempolimit.

    Sensoren im U-Bahn-Tunnel: Auch die Linien U5 und U8 werden überwacht

    Immer wieder haben die Fachleute der #BVG, die mit den Besonderheiten des sand- und wasserreichen Berliner Bodens vertraut sind, vor Risiken gewarnt. Das zeigt ein Brief, den die damalige BVG-Chefin Sigrid Nikutta am 6. März 2018 der damaligen Bausenatorin Katrin Lompscher schickte. Das brisante Schreiben liegt der Berliner Zeitung vor.
    BVG befürchtete, dass #Grundwasser bis zu 17 U-Bahnhöfe flutet

    Das Unternehmen sei „hinsichtlich des geplanten Bauvorhabens sehr in Sorge“, schrieb Nikutta. Das Projekt sei mit „erheblichen Risiken für die Anlagen der BVG und damit den ungestörten Betrieb der U-Bahn“ behaftet. Gutachter würden eine Tunnelsetzung um 1,6 Zentimeter erwarten, anderswo gemachte Erfahrungen ließen aber fünf Zentimeter befürchten. Sollte es zu Schäden und unkontrollierbaren Grundwassereintritten kommen, sei zu befürchten, dass bis zu 17 U-Bahnhöfe geflutet und der Betrieb mehrere Jahre beeinträchtigt werden könnte. „Aus den dargelegten Gründen können wir als BVG den Bau dieses Hochhauses nicht befürworten“, so Nikutta.

    Was diesen Brief so beunruhigend macht, ist der Umstand, dass es um ein Vorhaben geht, für das die Arbeiten noch gar nicht begonnen haben. Im östlichen Bereich des Alexanderplatzes will der amerikanische Investor Hines ein 150 Meter hohes Gebäude errichten, auf einem Fundamentblock, der nur für ein 40 Meter hohes Bauwerk geplant worden war. Direkt darunter verläuft die U5.

    Schon die Bebauungspläne müssen Vorkehrungen fordern

    Zwar schloss die BVG eine nachbarschaftliche Vereinbarung ab, in der Hines zusagt, den Tunnel für 30 Millionen Euro mit einer Innenschale zu verstärken. Dazu hatte der Senat die BVG schon 2014 angehalten – doch das Landesunternehmen zeigte sich skeptisch. Erst Jahre später unterschrieb die BVG.

    Sensoren überwachen nun die U5 und die U8 in diesem Bereich. Die U8 könnte auch von einem anderen geplanten Bauprojekt betroffen sein: Der Investor Signa will das Karstadt-Ensemble am #Hermannplatz umbauen.

    Eines ist klar: Auch der Senat und die Bezirke müssen sich dafür einsetzen, dass öffentliche Infrastruktur nicht durch private Vorhaben beeinträchtigt wird. Nicht überall bekennen sich Investoren mit dem Abschluss nachbarschaftlicher Vereinbarungen zu ihrer Verantwortung. Deshalb ist es zwingend geboten, solche Verträge bereits in den Bebauungsplänen zu fordern. Das Debakel am Alexanderplatz zeigt, wie verwundbar das Berliner Verkehrssystem ist.

    #Berlin #Mitte #Privatisierung #ÖPNV #U-Bahn

  • Neue Nachbarn fürs KaDeWe: Kommt die legendäre Diskothek Dschungel zurück?
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/berlin-city-west-signa-passauer-strasse-neue-nachbarn-fuer-das-kade

    24.11.2022 von Ulrich Paul - So verändert sich die Passauer Straße: Signa errichtet neben Berlins bekanntestem Kaufhaus ein Neubau-Ensemble mit Verkaufsflächen und Büros.

    Dort, wo einst das Parkhaus des KaDeWe stand, entsteht ein Gebäude-Ensemble mit Verkaufsflächen und Büros. Aber auch ein Parkhaus, das 25 Meter in die Tiefe reicht.

    Dort, wo einst das Parkhaus des KaDeWe stand, entsteht ein Gebäude-Ensemble mit Verkaufsflächen und Büros. Aber auch ein Parkhaus, das 25 Meter in die Tiefe reicht.Signa

    Dort, wo über Jahrzehnte Kunden des KaDeWe ihre Autos parkten, entsteht ein neues Bauprojekt. Der KaDeWe-Eigentümer Signa errichtet an der Passauer Straße in Schöneberg ein Gebäude-Ensemble aus Büros und Verkaufsräumen. Am Donnerstag wurde der Grundstein gelegt.

    Das alte Parkhaus ist längst abgerissen. Wo es stand, reicht die Baugrube mittlerweile 25 Meter in die Tiefe. Hier soll Berlins tiefste Tiefgarage entstehen, wie der Bauherr mitteilte. Sie reicht fünf Geschosse nach unten und bietet künftig Abstellplätze für rund 100 Fahrräder und für mehr als 500 Autos sowie 80 Ladepunkte für Elektroautos. 

    Zu dem Neubau-Ensemble gehört ein siebengeschossiges Büro- und Geschäftshaus, das sich über die gesamte Fläche des Grundstücks Passauer Straße 1 bis 3 erstreckt. In seiner Höhenentwicklung orientiert es sich an der bestehenden Blockrandbebauung. In der Mitte des Grundstücks ist ein Hochhaus mit zwölf Geschossen geplant.
    Regenwasser wird zur Bewässerung der Grünflächen genutzt

    In dem Neubau entsteht eine vermietbare Fläche von insgesamt rund 20.000 Quadratmetern. Im Erdgeschoss, im ersten Obergeschoss sowie im ersten Untergeschoss sind die Verkaufsflächen vorgesehen. In den darüberliegenden Etagen und im Hochhaus entstehen Büros. Ein Dachgarten auf dem 2. Obergeschoss und zwei weitere bepflanzte Dachterrassen gehören dazu. Ende 2024 soll das Ensemble fertig sein.

    Bezirksbürgermeister Jörn Oltmann (Grüne) lobte das Vorhaben als „nachhaltigen Bau“. Geplant ist beispielsweise, dass ein Regenrückhaltebecken als Grauwasserspeicher dient. Das Wasser soll später zur Bewässerung der Grünflächen auf den Terrassen und Dachgärten genutzt werden. Eine moderne Wärmepumpe deckt 35 Prozent des Wärme- und 50 Prozent des Kältebedarfs. Überschüssiger Strom wird ins Netz eingespeist. Außerdem sorgt eine 250 Quadratmeter große Photovoltaikanlage auf dem begrünten Dach des Vorderhauses für CO2-freie Energie.

    Signa plant in dem Block neben dem KaDeWe noch mehr. Timo Herzberg, Chef von Signa Real Estate, berichtete am Rande der Grundsteinlegung, dass sein Unternehmen auch das Grundstück an der Ecke Passauer Straße/Tauentzien neu gestalten wolle. Das Schuhgeschäft Leiser ist dort ausgezogen. An seiner Stelle soll ein Neubau entstehen. Sport Scheck soll die Flächen vorübergehend nutzen.

    Überlegungen zu möglicher Rückkehr der Diskothek Dschungel

    Erworben hat Signa zudem das ehemalige Ellington-Hotel in der Nürnberger Straße, wie Herzberg sagte. Das Gebäude soll mit dem Ensemble an der Passauer Straße über einen gemeinsamen Hof verbunden werden. Eine Hotelnutzung im Ellington sei nicht mehr geplant, stattdessen sind unter anderem Verkaufsflächen und Gastronomie vorgesehen. Und womöglich kehrt eine Legende zurück. Überlegt wird nach Herzbergs Angaben, die Diskothek Dschungel wiederzueröffnen. Sie lockte in der Nürnberger Straße 53 von 1978 bis 1993 ein internationales Publikum an. Zu den Stammgästen gehörten die Musiker Iggy Pop und David Bowie.

    Zur Frage, wie der Neubau in der Passauer Straße mit dem Insolvenzantrag von Galeria Karstadt Kaufhof zusammenpasst, sagte Sebastian Schmidt, der Sprecher von Signa Real Estate: Signa Real Estate und Signa Retail, zu der Galeria Karstadt Kaufhof gehört, seien zwei rechtlich und wirtschaftlich getrennte Unternehmen. Dahinter stünden verschiedene Investoren. Deswegen habe die Immobiliensparte von Signa nichts mit dem Insolvenzverfahren von Galeria Karstadt Kaufhof zu tun.

    #Berlin #Schöneberg #Tauentzienstraße #Passauer_Straße #KaDeWe

  • Berliner Arbeitslosenzentrum : Das Bürgergeld ist nur ein halber Fortschritt
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/interview-soziales-reform-berliner-arbeitslosenzentrum-das-buergerg

    La réforme du système Hartz IV contient quelques menus avantages pour les ayants-droit. Il sera rebâtisé en « Bürgergeld » et l’obligation première d’accepter n’importe quel travail sera adoucie. On ne sera plus obligé de vendre sa voiture, ce qui n’est pas un progrès car déjà maintenant tu peux la garder si ce n’est pas une caisse de luxe. Il y a encore d’autres petites avantages en comparaison avec le statut quo. Le problème de fond gravissime perdure : On te terrorise avec la menace constante de te couper les vives si tu ne coopères pas. Cette menace donne au système d’allocations sociales sa qualité de terrorisme d’état.

    Beaucoup d’ayants-droit n’en font pas la demande une fois qu’ils ont vécus le calvaire kafkaesque imposé par les mesures du « Amt ». Si tu ne trouves pas assez vite un plan pour échapper au pillonage des mortiers bureaucratiques, on te fera mijoter à petit feu jusqu’à ce que tu tombes sérieusement malade. On t’alimente et on te harcèle en même temps. La réforme reste pathogène.

    Ce sont des choses à savoir pour saisir le sens des informations transmises dans cette interview.

    24.11.2022 von Anne-Kattrin Palmer - Wochenlang haben die Parteien um das Bürgergeld gerungen. „Wir hätten uns eine weitergehende Reform gewünscht“, sagt Frank Steger vom Arbeitslosenzentrum.

    Der Streit um das Bürgergeld ist beigelegt, dennoch musste die Ampel-Koalition von vielen ihrer Pläne abweichen. Frank Steger ist Vorsitzender des Berliner Arbeitslosenzentrums (BALZ). Wir fragten ihn, wie die Debatte um das Bürgergeld an der Basis aufgenommen worden ist und was auf Leistungsempfänger zukommt.

    Herr Steger, wie ist der Stand beim Bürgergeld?

    Die Berater warten noch auf handfeste Fakten, weil es bislang nur die politische Debatte gab. Bislang fehlen die rechtlichen Details. Das werden Bundesrat und Bundestag nun nachliefern.

    Nun ist wochenlang um das Thema Bürgergeld gerungen worden. Es gab einen Vermittlungsausschuss und all das war begleitet von teils sehr unschönen Debatten. Wie haben Sie das empfunden?

    Wir, als Verein, der Menschen in Not berät und hilft, und auch die Betroffenen hätten sich eine durchaus weitergehende Reform gewünscht. Dass was die Ampel vorgelegt hat, haben wir als deutliche Verbesserung, aber nicht als eine Überwindung von Hartz IV angesehen. Die jüngste Debatte hat nun leider dazu geführt, dass wichtige Punkte in dem Ampelvorhaben verwässert wurden. Das finde ich tragisch. Ich habe kein Verständnis für die Union. Viele der haltlosen Argumente waren vorgeschoben. Es ging nur darum, politisch zu punkten.

    Viele haben die Debatte auch als gefährlich empfunden, auch weil Leistungsempfänger mit Geringverdienern verglichen worden waren. Leistung müsse sich lohnen und das sei mit dem neuen Bürgergeld nicht gegeben, argumentierte die Union. Wie kam das bei den Betroffenen an?

    Die Behauptung geht an der Realität vorbei. Wir wissen durch die Sozialforschung, dass es viele Menschen in unserem Land gibt, die einen Leistungsanspruch hätten, aber diesen gar nicht wahrnehmen. Das gilt insbesondere für die Menschen, die mit Leistungen der Jobcenter ein unzureichendes Arbeitsentgelt aufstocken. Studien nach sind dies 30 bis 50 Prozent. Viele sind zu stolz. Hinzu kommt ein Klima, in dem Bedürftige stigmatisiert werden. Die Debatte der Union hat dazu geführt, dass dieses Stigma verstärkt worden ist.

    Gekippt worden ist auch das Schonvermögen von 60.000 Euro, es ist auf 40.000 Euro reduziert worden, und dass Betroffene zwei Jahre lang nicht umziehen müssen, wenn sie Bürgergeld beziehen. Diese Karenzzeit gilt nur für ein Jahr. Was bedeutet das für Leistungsempfänger?

    Es wird Bedürftige mehr unter Druck setzen. Sie müssen sich eventuell bereits nach einem Jahr eine neue Wohnung suchen. Die Angst schwingt dann immer mit. In der Zeit können sie sich nicht vor allem darauf konzentrieren, einen neuen Job zu finden oder sich weiterzubilden. Und zum Schonvermögen: So viel Geld hat von den Leistungsberechtigten kaum jemand auf der hohen Kante – und wenn, dann Menschen, die jahrelang erwerbstätig waren und sich was aufgebaut haben. Diese langjährig hart arbeitenden Menschen, die die Union vermeintlich im Blick hatte, haben nun einen Tritt bekommen und werden, wenn sie ins Bürgergeld fallen, früh in Angst und Schrecken versetzt.

    Das, was die Leute jetzt umtreibt, sind die gegenwärtigen Probleme. Sie leiden unter der Inflation, den gestiegenen Lebensmittelpreisen und hohen Heiz- und Gaskosten.

    Wie erleben Sie das vor Ort, wenn Sie mit Betroffenen reden?

    Dass, was die Leute jetzt umtreibt, sind die gegenwärtigen Probleme. Sie leiden unter der Inflation, den gestiegenen Lebensmittelpreisen und hohen Heiz- und Gaskosten. Ihnen geht es um die Leistung. Die Regelsätze sind einfach nicht den Lebensumständen angepasst, auch die geplante Anhebung des Bürgergelds auf 502 Euro ist zu niedrig, weil die hohen Kosten derzeit alles auffressen. Viele Betroffene erleben auch die Jobcenter nicht als bürgerfreundlich. Da wäre die halbjährige Vertrauenszeit, in denen Menschen weniger Sanktionen erhalten, ein gutes Experiment gewesen, um Leistungsempfänger gezielter in langfristige Jobs zu vermitteln. Auch etliche Jobcenter-Leitungen waren an der Vertrauenszeit interessiert.

    Die Ampel wollte dies, nannte es einen Kulturwandel in der Behörde. Kann davon keine Rede mehr sein?

    Mit den Änderungen am ursprünglichen Entwurf der Ampel ist nicht alles schlecht geworden. Es gibt aber auch eine ganze Reihe von Punkten, die verbessert worden sind. Die Vermögensgegenstände, wie eine Eigentumswohnung bis zu einer bestimmten Größe oder ein Auto, gelten künftig als angemessen und müssen nicht verkauft werden, bevor es das Bürgergeld gibt. Die Freibeträge für Ferienjobs von Schülern und Auszubildenden sind erhöht worden. Außerdem gibt es ab 2023 einen Bürgergeld-Bonus und ein Weiterbildungsgeld, wenn Betroffene sich weiterbilden. Die Zwangsverrentung ab 63 wird abgeschafft und es gibt die Entfristung des sozialen Arbeitsmarktes. Wichtig ist insbesondere die Abschaffung des Vermittlungsvorgangs, es geht jetzt nicht mehr nur darum, die Menschen schnellstmöglich zu vermitteln, sondern darum, sie langfristig und dauerhaft in den Arbeitsmarkt zu bringen. Das sind Verbesserungen gegenüber dem jetzigen Rechtszustand, die bleiben werden.

    Viele beklagen die Bürokratie in den Jobcentern – bleibt die?

    Ja, das wird sich nicht grundlegend ändern. Viele, die zu uns kommen, es sind im Jahr etwa 5000, verstehen die Formulare nicht oder empfinden die Schreiben der Jobcenter als bedrohlich. Wenn man am Existenzminimum lebt und ständig Bescheide und Hinweise zu Nachweispflichten per Post erhält, ist man ständig in Angst, was die Behörde jetzt schon wieder von einem möchte. Viele fühlen sich auch als Bittsteller und sind zermürbt, das schieben sie dann auf die Bürokratie. Doch daran wird sich kaum etwas ändern. Eine Jobcenter-Chefin hat jüngst festgestellt, man könne im Jobcenter gar nicht auf Augenhöhe beraten, da der eine das Geld braucht und der andere es genehmigt. Sie hat meines Erachtens recht.

    Das zeigt, wie weltfremd die Debatte ist, in der es ja im Zusammenhang mit Hartz IV immer um das Schreckgespenst des renitenten Arbeitslosen geht.

    Werden die Jobcenter Probleme bei der Umsetzung bekommen?

    Das werden sie, es sind ja gerade noch sechs Wochen bis zum 1. Januar 2023. Ich gehe davon aus, dass die höheren Regelsätze pünktlich zu Jahresbeginn ausgezahlt werden, weitere Änderungen kommen später. Die Behörde ist Umstellungen inzwischen gewohnt, es gab schon immer rechtliche Änderungen. Seit Jahren sind neue Gruppen zur SGB-II-Grundsicherung hinzugekommen – seit Juni 600.000 Ukrainer, durch den Syrien-Krieg kamen ebenso neue Gruppen hinzu – und das mussten die Jobcenter alles stemmen. Insgesamt betreuen sie fast 6 Millionen Menschen, davon sind 1,9 Millionen nicht erwerbstätig wie Kinder und Behinderte, weitere 600.000 sind alleinerziehend, 800.000 arbeiten und erhalten eine Aufstockung. Nur eine Minderheit der Leistungsberechtigten ist arbeitslos. Das zeigt wie weltfremd die Debatte ist, in der es ja im Zusammenhang mit Hartz IV immer um das Schreckgespenst des renitenten Arbeitslosen geht.

    Zur Person
    Frank Steger (65) ist seit 1988 Mitarbeiter des Evangelischen Kirchenkreises Zehlendorf, heute Teltow-Zehlendorf. Er war Sozialsekretär, später für Bildungsarbeit und inzwischen für Gesellschaftsdiakonie und Fundraising zuständig. Seit 1993 ist der Diplom-Politologe als Vereinsvorsitzender verantwortlich für die Geschäftsführung des Berliner Arbeitslosenzentrums evangelischer Kirchenkreise e. V. (BALZ).

    #Allemagne #Bürgergeld #HartzIV #allocations_sociales #politique

  • Leben und Sterben auf dem Fluss: auf den Hausbooten in Rummelsburg
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/feiern-musik-und-drogen-ueber-das-leben-auf-den-hausbooten-in-rumme

    https://m.kauperts.de/Strassen/Rummelsburger-See-10317-Berlin

    https://www.openstreetmap.org/way/10295991#map=14/52.4916/13.4768

    21.8.2022 von Ode Maria Punamäe - Vom Rummelsburger Ufer aus sind sie gut zu sehen. Oder auch vom Treptower Park aus: mehrere Boote, die auf der Mitte des Flusses zusammengebunden sind. Sie wirken fast wie schwimmende Inseln, sie bewegen sich nur leicht, wie im Fluss verankert. Manchmal kann man Menschen sehen, die darauf herumlaufen. Wer lebt dort? Juan sitzt am Ufer der Rummelsburger Bucht. Er sagt: „Ja, ich wohne auf einem der Boote.“ Und: „Klar, komm mit, ich zeig es dir, mein Zuhause.“

    Boot 1: „Berlin ist so anstrengend und stressig“

    Eine Minute später fährt Juan mit seinem kleinen Motorboot herum, vorbei an mehreren Hausbooten. Einige sehen aus, als würden sie bald zusammenfallen oder untergehen. Andere sind größer und schicker. Eine ältere Frau winkt im Vorbeifahren. „Für viele Menschen hier“, sagt Juan, „ist das Boot ihr einziges Zuhause.“ Das sei bei rund der Hälfte der Menschen der Fall.

    Nach ein paar Minuten Fahrt steigen wir auf sein Boot. Als der Motor abgestellt ist, wird es plötzlich ganz still. Kein Großstadtlärm ist mehr zu hören, nur das Rauschen der Wellen und leise Musik aus einem kleinen Radio irgendwo. Aber die Musik kommt nicht von Juans Boot, sondern von einem der anderen Boote, die mit seinem verbunden sind. Die Boote haben sich zusammengeschlossen, vor allem aus Sicherheitsgründen: Wenn einer der Bewohner ans Ufer fährt, kann ein anderer sein Haus im Auge behalten.

    Juans Freundin heißt Tatjana, sie wohnt mit ihm schon seit längerem auf dem Boot. „Das ist gut für die Seele“, sagt sie. „Ich bin hier viel mehr mit der Natur verbunden.“ Sie habe zwar eine eigene Wohnung in der Stadt, aber so oft wie möglich sei sie auf dem Boot. Im September wird sie ihre Wohnung in Friedrichshain ganz aufgeben. „Ich mag nicht, dass mein ganzes Geld für die Miete draufgeht“, sagt sie, „außerdem habe ich mich schon daran gewöhnt, auf dem Wasser zu leben.“ Wenn es im Winter zu kalt werde, könne sie in der Wohnung ihrer Mutter schlafen.

    Es ist meine Entscheidung, auf dem Boot zu leben. Torsten, Ex-Lkw-Fahrer

    In den Sommermonaten, so berichten es die Bewohner, ist das Leben leicht. Die Leute unternehmen etwas zusammen, verbringen fröhliche Nächte miteinander. Im Winter ist die Atmosphäre etwas rauer, und die Leute, die das ganze Jahr über hier wohnen, geraten leichter in Streit. Gerade dann wird klar, dass man die Gemeinschaft der anderen braucht. Immer ist etwas zu reparieren, und allein wird es schnell langweilig.

    Tatjana ist in Berlin geboren, aber hat die Stadt nie wirklich gemocht. „Berlin ist so anstrengend und stressig“, sagt sie. „Ich habe dort auch nie richtig gute Freunde gefunden.“ Auf dem Fluss habe sie das Gefühl, zu einer Gemeinschaft zu gehören. „Wir haben alle die gleiche Leidenschaft für Boote und Wasser.“ Aber das heißt nicht, dass es keine Probleme gebe.

    Boot 2: „Irgendwann geht es wahrscheinlich nicht mehr“

    Ein kleines Boot schwimmt vorbei. Es ist beladen mit Baumstämmen, Seilen und allerlei Baumaterial. Inmitten all dieser Dinge sitzt Torsten, der gerade aus seinem Bootshaus gekommen ist. Der 59-jährige Mann lebt seit neun Jahren auf dem Fluss. Früher hat er als Lkw-Fahrer gearbeitet, jetzt lässt seine Gesundheit das nicht mehr zu. „Es ist meine Entscheidung, auf einem Boot zu leben.“ Bis vor zwei Jahren war er Teil der größten Bootsinsel in der Mitte der Spree, „Neu-Lummerland“. Aber Torsten erzählt, das sie sich entschieden haben, auseinander zu fahren, wegen interner Spannungen, aber auch wegen der vielen Regeln des Senats.

    Mit den Jahren sei es immer schwieriger geworden, eine Stelle zu finden, wo man ankern darf. Außerdem gibt es immer mehr Vorschriften für den Bau eines Hausboots: Die Boote dürfen eine bestimmte Größe nicht überschreiten und wenn doch, werden sie sofort ans Ufer geschickt. Die Wasserschutzpolizei fährt jeden Tag eine Runde und fordert die Boote manchmal auf, näher ans Ufer zu rücken oder fragt nach ihren Papieren.

    Torsten aber fühlt sich wohl hier. „Die Gruppe der Rummelsburger Bootshausgemeinde ist in den letzten Jahren sogar gewachsen“, sagt er, „wohl auch, weil die Mieten in der Stadt immer höher werden.“ Er glaubt, dass es bald keinen Platz mehr auf dem Wasser für neue Leute geben wird. „Es gibt auch immer mehr Geschäfte und Touristenboote.“ Gentrifizierung ist auch auf dem Wasser ein Thema. Ob Torsten hier für den Rest seines Lebens bleibe, weiß er noch nicht. „Irgendwann geht es wahrscheinlich einfach nicht mehr“, sagt er, „weil es anstrengend ist und ich älter werde.“

    Boot 3: „Das Einzige, was fehlt, ist eine Kirche“

    Nicht jeder Bootsbewohner will öffentlich sprechen. Manche sind hier, weil sie sich von der Stadt und auch von der Welt abgrenzen wollen. Da ist Candy, der gerade sein Boot bemalt. Der 51-Jährige hat an einer Reality-Show teilgenommen und hat kein Problem mit Öffentlichkeit: „Ich bin sowieso überall im Internet.“ Er lebt erst seit einer Woche auf dem Boot und besucht einen Freund. Es sei wie überall: Manche wollen Partys, andere nur Geld verdienen. „Das hier ist wie ein Dorf in der Stadt“, sagt Candy, „das Einzige, was fehlt, ist eine Kirche."

    Tatsächlich, wer genauer hinblickt, merkt: Hier auf dem Fluss lebt ein Querschnitt der Berliner Gesellschaft. Es gibt Obdachlose, die von staatlicher Hilfe leben, direkt neben gutverdienenden IT-Spezialisten, deren Boot ihr Homeoffice ist, bis hin zu reichen Geschäftsleuten, die Bootsfahrten für Touristen anbieten. Manche leben hier, weil sie nichts Besseres gefunden haben, aber die meisten schlafen einfach lieber auf dem Wasser.

    Candy zeigt auf die Wohnhäuser direkt am Fluss und erzählt von den Leuten in den schicken Wohnungen mit Wasserblick. Der Unterschied könnte größer nicht sein. Eine 3-Zimmer-Wohnung koste hier rund eine Million Euro, das billigste Boot sei nur 1000 bis 2000 Euro wert. Die Menschen auf dem Fluss haben eine WhatsApp-Gruppe mit über 300 Mitgliedern. Dort reden sie über nötige Reparaturen von Booten, sie fragen, ob jemand ein Kanu vermisse oder schimpfen über die Reichen am Ufer. Im Chat gibt es aber auch einige Nachrichten, die von einer Person handeln, die letzte Woche auf ihrem Boot verstorben ist.

    Boot 4: „Wir versuchen, ihm zu helfen, ins Leben zurückzukehren“

    Alle Bewohner auf den ersten drei Booten haben einen „Kapitän“ erwähnt. Zum Abschluss der Tour fährt Juan noch ein dunkelrotes Boot an. Es ist, so sagt man sich, das älteste Boot im Fluss, 135 Jahre alt ist es. „Das ist der Maestro“, sagt Juan und zeigt auf einen langhaarigen Türken namens Cahit. Der 61-Jährige ist der, zu dem alle kommen, wenn es Probleme gibt. „Ich bin so etwas wie ein Friedensstifter", sagt Cahit. Mal hat jemand ein Paddel gestohlen, mal ist Benzin verschwunden. „Es ist ein Kindergarten hier!“ Nur Gewalt wird nicht geduldet. Wer schlägt, der muss ans Ufer.

    Cahits Boot liegt seit drei Jahren an der Rummelsburger Bucht, er lebt seit 25 Jahren auf diesem Boot. Sein Zimmer ist nur zehn Quadratmeter groß, in einer Ecke ist die Toilette, einen Meter weiter die Küche. Ein Bett, ein Tisch. Mehr brauche er nicht. In 25 Jahren ist sein Boot zweimal gesunken und wieder zusammengebaut worden, und das sieht man auch, es sieht abgenutzt aus. Trotzdem will Cahit für immer auf diesem Boot bleiben. Er könne nicht mehr in einem Haus leben, dann würde er sich wie eingesperrt fühlen.

    Zweimal pro Woche macht er Musik in den Clubs. Der Mann hat weder eine Krankenversicherung noch ein Bankkonto, aber das Geld, das er durch das Auflegen von Techno und Elektro in den Clubs verdient, reicht ihm. „Im Gegensatz zu mir leben hier viele Leute vom Staat“, sagt er.

    Neulich sei die Gemeinschaft wieder gewachsen. Das war im letzten Winter, da schliefen sieben Leute direkt am Ufer in einem Busch. Damals war ein Boot übrig, sie luden die Menschen auf das Boot und diese blieben bis heute. Sie leben jetzt wie eine Gemeinschaft zusammen und sind sehr dankbare Menschen.

    Am Ende erzählt Cahit von dem toten Mann aus dem WhatsApp-Chat. Der Mann, der letzte Woche auf einem Boot gestorben ist, war der siebte Tote, den Cahit in seinen drei Jahren hier gesehen hat. „Einer war Alkoholiker, die anderen hatten eine Überdosis Speed oder Kokain, alles Mögliche.“ Man könne den Drogenkonsum auf den Booten nicht regulieren. „Aber wenn wir sehen, dass jemand zu viel nimmt, versuchen wir einfach, ihm zu helfen, wieder ins Leben zurückzukehren.“

    Der Kapitän zeigt auf einen kleinen Zettel an einer Wand. Er erzählt, dass er statt zu Gott zur Mutter Erde bete. Auf dem Zettel habe er Regeln aufgeschrieben, um besser mit Mutter Erde zusammenzuleben. Mit grünem Filzstift stehen dort zehn Wörter untereinander: Liebe, Empathie, Glücklich sein, Wissen, Verantwortung, Vergebung, Dankbarkeit, Respekt, Ehrlichkeit, Nachhaltigkeit. Candy hatte gesagt, dass es in diesem seltsamen Dorf keine Kirche gibt. Wenn es eine gebe, dann wäre es dieses alte Boot des Kapitäns.

    #Berlin #Lichtenberg #Treptow-Köpenick #Treptow #Rummelsburg #Wohnen #Rummelsburger_Bucht #Rummelsburger_See #Fladchenkai #Fischzug #Nixenkanal #Bartholomäusufer #Paul_und_Paula-Ufer #Hansa-Ufer #Bolleufer #Zillepromenade #Alt-Stralau #Tunnelstraße #Gustav-Holzmann-Straße #Zur_alten_Flussbadeanstalt #Liebesinsel #Kratzbruch

    #Insel_der_Jugend
    https://www.openstreetmap.org/way/22769137
    #Bulgarische_Straße

    #Regattaufer #Caroline-Tübbecke-Ufer

  • Her mit den Autos! Die kranke Debatte um die Berliner Friedrichstraße
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/her-mit-den-autos-die-kranke-debatte-um-die-berliner-friedrichstras

    27.10.2022 von Peter Neumann - Einzelhändler, die ihr eigenes Viertel schlechtreden. Politiker, die auf Zwangsbeglückung setzen. Richtige Maßnahmen am falschen Ort – das musste scheitern. 

    Als alles begann: Im August 2020 wurde der rund 500 Meter langer Abschnitt zwischen der Leipziger und der Französischen Straße autofrei. Doch die Flaniermeile geriet in die Kritik.Berliner Zeitung/Carsten Koall

    Wohnungsknappheit. Marode Schulen. Müll in Parks. Berlin hat viele Probleme. Doch die Stadt streitet sich lieber über eine unbedeutende Straße in Mitte. Für diejenigen, die dort ihr Geld verdienen, mag sie sicher wichtig sein. Für den Großteil der Berliner spielt die Friedrichstraße, abgesehen vom dort gelegenen Bahnhof, im Alltag keine Rolle.

    Wenn es allerdings um Mobilitätspolitik geht, ist der Abschnitt rund um die Galeries Lafayette, der seit August 2020 von Autos nicht mehr befahren werden darf, so etwas wie Ground Zero. Um ihn tobt eine Diskussion, bei der man erleben kann, wie laut Argumente detonieren, wenn privaten Kraftfahrzeugen auch nur ein paar Meterchen Straße genommen werden. Nachdem das Verwaltungsgericht die derzeitige Sperrung vor Kurzem für rechtswidrig erklärt hat, hat der Streit wieder an Aggressivität gewonnen.

    Eine positive Vision fehlt, es ist alles nur negativ

    Auf der einen Seite stehen manche Anlieger, Verbände, die Opposition. Es ist ihr gutes Recht, die Sperrung und die notgedrungen provisorische Gestaltung zu kritisieren. Auch, als Betroffene dagegen zu klagen. Aber manchmal verwundert es schon, mit wie viel Verve Anlieger, Verbände und die Opposition diesen Bereich seit Jahren zu einer Art Elendsgebiet stilisieren, in dem der Handel einen von den Grünen verursachten Tod stirbt und Radfahrer Fußgänger jagen. Wer die tristen Darstellungen liest, dürfte erst recht keine Lust mehr haben, dort vorbeizuschauen – und vielleicht sogar einzukaufen.

    Dabei bestand vor der Sperrung dazu kaum Anlass. Außer, man brauchte eine neue Rolex, einen neuen Montblanc. Schon vorher waren Leerstandsrate und Fluktuation hoch, schon vorher fühlten Berliner nicht das Bedürfnis, in der Friedrichstraße zu bummeln, geschweige denn abends auszugehen. Der Investorentraum von einem Ost-Kudamm, einer Luxusmeile mit hohen Mieten, aber ohne Aufenthaltsqualität ging nicht auf. Mit Sitzbänken, Vitrinen und 65 Bäumen in Kübeln hat der Bezirk versucht, die Tristesse zu kaschieren - und bekam diese Bemühungen dann auch noch um die Ohren gehauen.

    Zu Recht beschweren sich Anrainer darüber, dass der Autoverkehr in den Parallelstraßen zugenommen habe. Das hat auch die Klägerin, die nun Recht bekam, mit guten Gründen moniert. Allerdings bleiben die Kritiker eine Erklärung dafür schuldig, was genau für den Einzelhandel in der Friedrichstraße besser werden soll, wenn auch sie wieder auf ganzer Länge von Autos befahren werden darf und wenn Fußgänger auch dort wie früher auf die schmalen Gehwege verwiesen werden. Eine positive Vision fehlt, es ist alles nur negativ.

    ... und so war es vorher: die Friedrichstraße mit den Galeries Lafayette (hinten links) im Oktober 2018.

    Verfechter der Mobilitätswende erleben erneut, wie schwierig ihr Anliegen umzusetzen ist und wie sehr sie vom Straßenverkehrsrecht behindert werden. Politiker und Verwaltungsleute müssen erkennen, dass Zwangsbeglückung nicht funktioniert. Wenn die Anrainer die Flaniermeile partout nicht wollen, ist es eben so. Dann lasst wieder Autos lärmen und stauen! Mit der Bedingung, dass das auf absehbare Zeit so bleibt, damit die Staatskasse von Kosten für weitere Verschönerungsversuche verschont wird.

    Auch wenn Details zu kritisieren sind: Was in der Friedrichstraße geschehen ist, waren die richtigen Maßnahmen am falschen Ort. Das nächste Mal sollte der Senat eine berlinweite Ausschreibung starten. Wer will, dass sein Kiezzentrum schöner wird? Das Viertel, das die breiteste Unterstützung nachweist, bekommt zehn Millionen Euro.

    #Berlin #Mitte #Friedrichstraße #Verkehr #Stadtentwicklung

  • Trailerpark in Ost-Berlin: Wenn nur ein Container zum Wohnen bleibt
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/trailerpark-in-ost-berlin-wenn-nur-ein-container-zum-wohnen-bleibt-


    So schnell kanns gehen. Scheidung. Depression, schwuppdiwupp bist du obdachlos. Trailerparks in Berlin sind eine teure Notlösung.

    26.10.2022 von Jenni Roth - Jennifer Nakamura lebt auf 21 Quadratmetern in einem Container in Karlshorst. Und auch dieses Zuhause ist bedroht. Berlin und die Wohnungsnot – unsere Serie.

    Die Tage mit Sonne sind die besten. Dann sitzt Jennifer Nakamura, eine schmale Person mit einem rotblonden Zopf und feinen Gesichtszügen, mit einem Kaffee zwischen ihren Traumfängern auf der Dachterrasse und lauscht dem Rauschen der Blätter des großen Lindenbaums über ihr. So ein Baumhausgefühl, sagt sie. Und keine Nachbarn in der Nähe. „Ich bin hier so nah an der Natur. Ein so schöner Ort.“

    Nakamura, 38 Jahre alt, lebt in einem Doppelstockcontainer in Berlin. Über eine Metallrampe gelangt man auf ihre Terrasse. Ihre Unterkunft misst 21 Quadratmeter, hat ein kleines Fenster mit einer pinkfarbenen Gardine, und der Blick geht auf ungefähr 50 andere Container und Wohnwagen: Hier am Hönower Wiesenweg in Karlshorst steht einer von vielen Trailerparks der Hauptstadt. Siedlungen, wie man sie aus den USA etwa schon länger kennt, wo die Menschen dauerhaft in Wohnmobilen leben, weil sie keine bezahlbare Wohnung finden. In Städten wie San Francisco gehören sie schon fast zum Stadtbild. In Berlin stehen sie abseits, halb versteckt, und gelten als Symbol für Verarmung oder sogar Verslumung. Für nichts Gutes jedenfalls, findet die Frau, die vor dem Nachbargrundstück den Bürgersteig vor ihrem Haus fegt. Sie wohne seit 51 Jahren in dieser Straße, und noch nie sei hier so viel Polizei patrouilliert. „Überhaupt Polizei!“

    Naja, sagt Nakamura, es sei eben kein Familienkranz auf dem Gelände. Wenn sie erzählt, klingt sie kindlich, offen, als würde sie über jeden Satz staunen oder über die ganze Welt. Und sie hat ihre eigene. Natürlich gebe es schon auch mal Streit auf dem Gelände oder Geschrei. Aber das sei doch in den besten Familien so – da sei ja auch immer jemand, den man nicht leiden kann. Aber verstehen kann sie das Misstrauen von draußen schon: Als sie zum ersten Mal hier war, im Sommer, um das Gelände zu besichtigen, seien ihr auch als Erstes die Sperrmüllberge auf der Straße aufgefallen. Der mit Graffiti besprühte Wellblechzaun. Aber drinnen sei es überraschend sauber gewesen. Ein bisschen wie in einem Western habe sie sich gefühlt, mit dem holzverkleideten Wohnwagen, auf den man als Erstes zuläuft. Mit den Containern, teils zwei übereinander, links und rechts, mit dem steinigen, staubigen Boden.

    Manche Wohnwägen haben kleine Vorgärten, mit Kletterpflanzen, Kunstrasen oder Gartenzwergen. An der Wand eines Containers hängt eine Dartscheibe, vor einem anderen stehen zwischen Plastikstühlen leere Bierflaschen und Schnapsgläser. Auf Nakamuras Terrasse steht nur eine Puppenküche für ihre Kinder, und an der Wand kleben ein paar Sticker von den Vorgängern. Im Container stehen – das ist die Standardmöblierung – Bett, Schrank, Fernseher, Sideboard. Dazu hat Nakamura einen Herd mit zwei Platten gekauft und einen Reiskocher: „Sushireis schmeckt sonst einfach nicht.“ Und alles Japanische sei nun mal ihre große Leidenschaft. Außerdem musste das Bücherregal mit, für ihre Buddha-Figuren und die Fantasy-Romane.

    Vor allem aber hat Jennifer Nakamura einen kleinen Luxus, ein Minibad: ein abgetrennter Raum mit Tür, Toilette und Waschmaschine. Den hätte ihr Fast-Nachbar auch gern. „Die hygienischen Bedingungen sind schwierig“, sagt der Mitfünfziger, zeigt auf die Containerreihe mit den Gemeinschaftsbädern, wie man sie von Campingplätzen kennt. Um seinen Wohnwagen hat er einen kleinen Zaun gezogen – wegen des Hundes, sagt er, eine Mischung aus Bulldogge und Rottweiler. Er sei arbeitslos und aus seiner Wohnung habe er ausziehen müssen, sein Untermieter gleich mit. Der wohne jetzt im Wohnwagen nebenan. Seit zwei Jahren. Er klingt verbittert und gleichzeitig resigniert. Eine „richtige Wohnung“ hätte er gern. Aber wie die meisten anderen hier hat er auf dem Wohnungsmarkt keine guten Karten. „Viele von den Leuten hier waren schon im Knast. Oder Obdachlose. Naja, Leute, die nicht klarkommen.“ Stolze 550 Euro zahle er für seinen Wagen, 500 Euro zahlt eine andere Frau ein paar Container weiter.

    „Luxuspreise!“, sagt Kevin Hönicke. „Ich finde das dreckig, dass man arme Menschen so ausnützt, anstatt nach einer sozialen Lösung zu suchen.“ Der Lichtenberger Bezirksstadtrat sagt, er müsse den Trailerpark in Karlshorst unbedingt auflösen. Er und sein Amt streiten sich mit dem Eigentümer, der das Gelände an verschiedene Vereine und GmbHs vermietet. Die betrieben illegale Geschäfte auf Kosten der Steuerzahler, sagt Hönicke.

    Illegal, weil die Trailer auf einem Gewerbegrundstück stehen, auf dem eine Vermietung nie genehmigt worden und rechtlich auch gar nicht möglich sei, sagt Hönicke: „Diese Art und Weise des Wohnens ist in Berlin einfach nicht erlaubt“. Wohnen müsse in Berlin in festen Häusern „zu gesunden Wohnverhältnissen“ stattfinden. Und auf Kosten der Steuerzahler, weil das Jobcenter die Miete für die meisten Anwohner übernimmt. 500 Euro für durchschnittlich 20 Quadratmeter sind zwar ein Festpreis, es kommen keine Strom- oder Wasserkosten dazu. Aber hochgerechnet würde das etwa für eine 50-Quadratmeter-Wohnung 1200, 1300 Euro bedeuten. Ein hübscher Verdienst jedenfalls für die Vermieter.

    Jennifer Nakamura weiß gar nicht genau, wie hoch die Miete für ihren Container ist. Auch ihre Miete zahlt das Jobcenter, seit sie im vergangenen Herbst ihre Arbeit in einem Schmuckgeschäft kündigte wegen ihrer Depressionen. Deshalb ist sie auch seit knapp einem Jahr krankgeschrieben.

    Dabei wirkte ihr Leben nach außen fast makellos: schöne Wohnung, zwei entzückende Kinder mit einem Mann, den sie liebte – ein Japaner. Den hatte sie bei einem Japanisch-Stammtisch kennengelernt: „Ich wusste schon immer, dass ich einmal einen Japaner heiraten würde.“ Es war Liebe auf den ersten Blick, sagt sie. Nach einem Jahr heirateten sie. Und dann lief doch alles anders, als sie sich das erträumt hatte. Erst zog sie von Berlin nach Stuttgart, wo er lebte, und wo sie eigentlich nie hinwollte. Nach zwei Jahren überredete sie ihn, zurückzuziehen, und fing an, eine Wohnung zu suchen. Monatelang. Bis sie diese Anzeige für eine Traumwohnung mit vier Zimmern und Garten entdeckte. Sie schrieb eine Mail, in der sie alles offenlegte: Die Familie wolle zurück nach Berlin. Sie hätten kaum Geld und keinen Job, würden sich aber kümmern. Sie bekam die Wohnung. Und mit der Eigentümerin, die im Haus unten wohnte, eine Ersatzoma für die Kinder gleich mit dazu.

    Ihre Kinder sind unter der Woche nicht bei ihr. Umso wichtiger ist Jennifer Nakamura ihr Hund Lucy.

    Aber Jennifer Nakamura wurde nur noch unglücklicher. „So ein toller Ort im Grünen – und ich fühlte mich wie im goldenen Gefängnis.“ Sie beschreibt Einsamkeit, die sie in der Ehe gespürt habe. Als dann noch ihr Hund starb, sei etwas in ihr zusammengebrochen.

    Ihre Depressionen wurden lebensbedrohlich, Nakamura lieferte sich selbst in eine Klinik ein. Als die Therapeuten sie fragten, was Zuversicht in ihr Leben bringen könnte, sei ihr klar geworden, dass sie sich trennen musste, sagt sie. Dann war sie diejenige, die nach der Trennung aus der Wohnung ausziehen musste: Die Vermieterin wollte nicht, dass das Jobcenter die Miete finanzierte.

    Erst wollte sie zusammen mit den Kindern, drei und fünf Jahre alt, ausziehen. Drei, vier Monate lang, sagt Nakamura, habe sie nichts anderes gemacht, als abends bis zum Umkippen das Internet zu durchforsten. Dann starb ihre Großmutter, die für sie, die als Heimkind ohne Eltern aufgewachsen war, alles bedeutete. Trotzdem wachte sie nachts auf und scannte neue Angebote. Verschickte Hunderte Anfragen. Zweimal wurde sie eingeladen. Aber da stand sie dann in einer Traube von 40, 50 Menschen.

    Die junge Mutter schraubte ihre Ansprüche nach unten. Drei Zimmer, zwei Zimmer, ein Zimmer, WG-Zimmer. Auf Ebay Kleinanzeigen fand sie nicht viel – außer übergriffigen Angeboten: „Ich habe ein Zimmer für dich und helfe dir bei allem. Nur leider geht die Tür nicht zu.“ Oder: „Du hast so schöne rote Haare.“ Sie weitete ihre Suche aus, auf Facebook-Gruppen zu alternativem Wohnen und das Stichwort „Container“.

    Dann ging alles ganz schnell. Anschauen, unterschreiben, drei Wochen später einziehen, Ende August war das. Nakamura wusste sofort, das passt. Nicht zuletzt war da Klaus, der Sozialarbeiter: „Der hat immer ein offenes Ohr. Und er ist sehr seriös, ohne Hintergedanken“, sagt sie. Und auch ihr neuer Hund war willkommen: ein Rauhaardackelmix, zwei Jahre alt. Lucy könne hier ohne Leine laufen und mit den anderen Hunden spielen. Und von denen gibt es einige, dazu Katzen.

    Die Haustiere sind für Wolfgang Ziegler, dem das Grundstück gehört, ein Sinnbild für das „fehlende soziale Fingerspitzengefühl der Obrigkeiten“, die Haustiere in anderen Unterkünften oft nicht gestatten. Er wolle, dass die Bewohner hier frei leben können, sagt er. Deshalb habe er auch Obdachlose aus dem Camp in der Rummelsburger Bucht hergeholt. Das Camp, dass der Bezirk Lichtenberg unter Stadtrat Kevin Hönicke vergangenen Winter räumen ließ. „Der hat die Leute da in der Kälte rausgeprügelt und in Unterkünfte verfrachtet, wo sie nicht bleiben konnten“, sagt Ziegler. Zumindest nicht selbstbestimmt: In Obdachlosenheimen etwa gibt es feste Türschlosszeiten, Tiere, Alkohol oder Drogen sind verboten.

    Man trifft im Trailerpark in Karlshorst auch mittags schon mal Bewohner, die sich nur noch lallend unterhalten. „Ja und“, sagt Nakamura: „Leben und leben lassen“, das sei ihre Haltung. Die rund 90 Mitbewohner seien schon nach wenigen Monaten eine Art Ersatzfamilie geworden. Sie fühle sich angekommen. Auch wenn ihre Kinder sehr fehlten. An den Wochenenden, wenn sie bei ihr sind, könnten sie mit in dem schmalen Bett schlafen. Eine Dauerlösung sei das nicht. Außerdem kümmere sich ihr Ex-Mann, sie seien ein „super Team“, sagt Nakamura. Wenn ihre Kinder sie besuchen, ermahne sie sie nur, sich bei Gewaltwörtern lieber die Ohren zuzuhalten. Böswillig sei hier keiner, im Gegenteil. Sie hätten schon ein Fahrrad geschenkt bekommen und Walkie-Talkies. Einer der Bewohner, ein Punk, habe im Sommer aus einem Schlauchboot einen Pool gemacht. Und dann sei auch noch ein alter Bekannter aus ihrer Ausbildungszeit in Kladow nebenan eingezogen, der lasse sich auch gerade scheiden.

    Aber womöglich werden sie alle bald wieder umziehen müssen. SPD-Politiker Hönicke jedenfalls glaubt fest daran, dass es nicht mehr lange dauert, bis das Gericht seinem Nutzungsverbot zustimmt. Andererseits: Es gibt diverse vergleichbare Wohnprojekte in Berlin, die zwar nicht offiziell genehmigt, dafür aber geduldet werden. Mehr als zehn Jahre hätten sich weder Bezirk oder Bauamt an ihn gewandt, sagt Wolfgang Ziegler, der Eigentümer. Bis vor zwei Jahren, bis zu dem Zeitpunkt, als der Immobilienriese Bonava begann, direkt gegenüber mit der „Parkstadt Karlshorst“ ein gigantisches Wohnprojekt hochzuziehen: Mehr als 1000 Eigentums- und Mietwohnungen, mit eigener Kita, Schule und 1000 Quadratmetern Grünfläche.

    Neben Bonava hätten ihm noch andere Projektentwickler Kaufangebote gemacht, sagt Ziegler, bis zu 1,6 Million Euro hätten sie ihm geboten. Aber genauso wenig wie die Frau, die seit 51 Jahren auf dem Nachbargrundstück nebenan lebt, will er verkaufen – das sei weder zeit- noch berlingemäß. Ziegler sagt, er sei sicher, dass der Bezirk nur wegen der Neubauten gegen sein Grundstück kämpfe: „Bewohner in so einem Luxusviertel wollen natürlich nicht auf einen Trailerpark mit Leuten gucken, die es im Leben vielleicht nicht so gut getroffen haben.“ SPD-Politiker Hönicke hält dagegen: Man beanstande das Projekt, seit ein Kollege es zufällig bei der Wohnungssuche entdeckt habe. Und der Trailerpark sei nun mal illegal.

    Zwar hat Hönicke versprochen, die Bewohner im Fall einer Räumung notfalls in Hostels unterzubringen. Aber da will Jennifer Nakamura auf keinen Fall hin. Für sie wäre das Ende des Trailerparks ein harter Schlag. Aber egal wie, von einem Wunsch wird sie nicht abrücken: Berlin, sagt Nakamura, verlasse sie nie wieder.

    #Berlin #Lichtenberg #Karlshorst #Hönower_Wiesenweg #SPD #Wohnungsnot #Armut #Wohnen #Immobilien

  • „Das ist schon gravierend“: So ernst sind die Schäden im U-Bahn-Tunnel unterm Alexanderplatz
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/das-ist-schon-gravierend-so-ernst-ist-der-tunnelschaden-unterm-alex

    18.10.2022 von Peter Neumann - Weil der Tunnel der U-Bahn-Linie U2 unter dem Alexanderplatz in Bewegung geraten ist, wurde ein Gleis gesperrt. Weiterhin können die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) nicht sagen, wie lange die Fahrgäste noch umsteigen und einen Pendelverkehr nutzen müssen. Doch nun zeichnet sich das Konzept ab, wie das unterirdische Bauwerk in der City Ost saniert werden könnte. Bekannt wurde auch, dass erste Schäden schon im August beobachtet wurden – und dass sie ein schwerwiegendes Ausmaß erreicht haben. „Das ist nicht zu unterschätzen“, sagte Ephraim Gothe (SPD), Baustadtrat von Mitte.

    Wie berichtet hat sich das Tunnelbauwerk der U2 im Bereich des U-Bahnhofs Alexanderplatz um fast vier Zentimeter gesetzt. Das bedeutet, dass sich die Betonkonstruktion gesenkt hat. Nach den Informationen, die Gothe vorliegen, bewegte sie sich bisher je nach Bereich um 3,1 bis 3,6 Zentimeter nach unten. „Das ist schon gravierend“, lautet die Einschätzung des Stadtrats, der Bauingenieur ist.
    Beton ohne Stahl auf der historischen „Centrumslinie“

    Für das Bauwerk bedeutet eine Setzung fast immer eine Belastung. In diesem Fall gilt das in besonderem Maße, denn der Beton ist unbewehrt. Das bedeutet, dass kein Stahl eingebaut wurde, der die Stabilität normalerweise erhöht. Der Abschnitt der damaligen „Centrumslinie“, der vom Spittelmarkt zum Alexanderplatz und zum Teil als Hochbahn weiter zum heutigen U-Bahnhof Schönhauser Allee führt, ist 1913 in Betrieb gegangen.

    Risse in den Tunnelwänden des Bahnhofs der U2 zeigen, wie stark das Bauwerk durch die Setzung belastet ist. Ende August seien sie erstmals gesichtet worden, berichtete der Stadtrat. Daraufhin habe die BVG mit der Covivio Kontakt aufgenommen, so Gothe. Das Immobilienunternehmen will nebenan ein Hochhaus mit Zwillingstürmen errichten, die über 33 ober- und drei unterirdische Geschosse verfügen. Dazu wurde neben dem Hotel Park Inn, in unmittelbarer Nachbarschaft des U-Bahnhofs, eine Baugrube ausgehoben, die mehrere Stockwerke tief in den Boden reicht. Weil sie im Wesentlichen fertig ist, gebe es dort inzwischen keine Arbeiten mehr, wie die Covivio bestätigte.
    Nicht mehr lange – und die BVG hätte den U-Bahn-Tunnel sperren müssen

    Dem Vernehmen nach hielt man es bei der BVG noch Anfang Oktober für möglich, den Verkehr auf der stark belasteten U-Bahn-Linie U2 in vollem Umfang aufrechtzuerhalten. Doch nach einem erneuten Gespräch mit Covivio zogen die Bauexperten des Landesunternehmens am 7. Oktober die Reißleine. „Da die Messung für das Gleis in Richtung Pankow sich nun einem Grenzwert nähert und Sicherheit oberste Priorität hat, lässt die BVG die U2 im Bereich des Alexanderplatzes bis auf weiteres vorsichtshalber nur noch auf dem gegenüberliegenden Gleis fahren“, teilte die BVG damals am Abend mit.

    Der U-Bahnhof Alexanderplatz ist mit drei Linien ein stark genutzter Knotenpunkt im Osten Berlins. Auf diesem Bild von 2020 ist die U2 nach Pankow zu sehen. Dieses Gleis ist seit dem Abend des 7. Oktober gesperrt.

    Der U-Bahnhof Alexanderplatz ist mit drei Linien ein stark genutzter Knotenpunkt im Osten Berlins. Auf diesem Bild von 2020 ist die U2 nach Pankow zu sehen. Dieses Gleis ist seit dem Abend des 7. Oktober gesperrt.imago/Rolf Zöllner

    Der Grenzwert für die Setzung, um den es geht, beläuft sich auf vier Zentimeter. Tiefer darf das Bauwerk nicht absacken. „Wenn der Wert überschritten wird, wäre die Vollsperrung des Tunnelabschnitts die zwangsläufige Folge“, sagte ein Insider.
    Zu früh an die Öffentlichkeit gegangen? Covivio schreibt kritischen Brief

    Um den Betrieb auf der U2 wenigstens zum Teil aufrechtzuerhalten und den Fahrgästen zusätzliche Unannehmlichkeiten zu ersparen, habe die BVG „verantwortungsvoll reagiert“. Das sieht manch einer bei der Covivio aber offenbar anders. Nach Informationen der Berliner Zeitung hat das Unternehmen vor Kurzem einen Brief geschrieben. Dass die BVG an die Öffentlichkeit gegangen sei, bevor der Grenzwert erreicht wurde, stößt darin auf ein negatives Echo.

    Auf der Arbeitsebene stellt Bezirksstadtrat Gothe eine gute Zusammenarbeit zwischen der BVG und den Hochhausbauern fest. Dies und die Tatsache, dass in der Baugrube nicht mehr gearbeitet werde, habe ihn und die Verwaltung dazu bewogen, von der behördlichen Anordnung eines Baustopps abzusehen. „Das ist nicht erforderlich“, sagte der Bezirkspolitiker. „Wichtig ist, dass an der Lösung der Probleme gearbeitet wird.“

    Das sei offensichtlich der Fall, so Gothe. Es gebe bereits ein erstes Konzept, wie das Tunnelbauwerk stabilisiert werden könnte. Seitlich von der Baugrube aus könnte Beton unter die Konstruktion injiziert werden, erfuhr der Ingenieur. Dadurch würde der U-Bahnhof wieder eine feste Grundlage bekommen.
    BVG kündigt für Ende dieser Woche neue Informationen an

    Wie lange die Teilsperrung andauere und Fahrgäste auf den nur alle 15 Minuten verkehrenden Pendelverkehr ausweichen müssten, teilt die BVG weiterhin nicht mit. Doch das Unternehmen möchte in absehbarer Zeit ein Update geben. „Die Prüfungen an den Anlagen der U2 am Alexanderplatz dauern an“, teilte BVG-Sprecher Nils Kremmin mit. „Wir gehen davon aus, dass erste Zwischenergebnisse Ende dieser Woche vorliegen. Sollte es Änderungen im Betriebskonzept geben, werden wir umgehend informieren.“

    Covivio-Sprecherin Barbara Lipka bekräftigte den Zeitplan. „Wir hatten letzte Woche eingeschätzt, dass es rund 14 Tage dauern würde, bis erste Ergebnisse der gemeinsamen Untersuchungen seitens BVG, Bauunternehmen und Covivio vorliegen würden“, teilte sie am Dienstag mit.

    Die Linke fordert, Hochhausbauten in der Nähe von U-Bahn-Tunneln zu stoppen. „Alle Hochhausbauten im Umfeld von genutzten U-Bahn-Tunneln müssen sofort angehalten werden“, verlangten die Abgeordneten Katalin Gennburg und Kristian Ronneburg. „Bevor diese weitergeplant oder weitergebaut werden können, müssen die Projekte hinsichtlich ihrer Risiken für den U-Bahn-Verkehr erneut untersucht und neu bewertet werden. Das gilt beispielsweise für weitere Planungen am Alexanderplatz und am Hermannplatz.“
    Investor Hines zahlt BVG 30 Millionen Euro für die Tunnelertüchtigung

    Am Alexanderplatz will auch das US-Unternehmen Hines ein Hochhaus errichten. Es nahm die Debatte zum Anlass, um darauf hinzuweisen, dass man sich mit der BVG 2021 auf ein Verfahren zum Schutz des darunter liegenden Tunnels der U5 geeinigt habe. 30 Millionen Euro würden investiert. „Zur bestmöglichen Optimierung der Tunnel-Sicherheit wird der alte Beton der Tunnelwand teilweise abgetragen und eine neue dichte, lasttragende Innenschale gesetzt werden. Das Verfahren kommt im Ergebnis einem Neubau des rund 90 Jahre alten U-Bahn-Tunnels gleich“, so Hines. Eine längere durchgehende Unterbrechung des U-Bahn-Verkehrs sei dafür nicht erforderlich, hieß es bei der BVG. Sperrungen in der Nacht oder am Wochenende reichten aus.

    #Berlin #Mitte #Alexanderplatz #Verkehr #ÖPNV #U-Bahn #Immobilien #Hochhaus #Privatisierung

  • Berlins dunkle Geschichte: Die vergessene Geheimdienstzentrale der Nazis
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/ns-vergangenheit-berlins-dunkle-geschichte-an-diesem-ort-sassen-goe

    29.7.2022 von Armin Fuhrer - In Charlottenburg befand sich die Zentrale von Hermann Görings „Forschungsamt“, eines streng geheimen Abhördienstes. Stadtgeschichte, die man kennen sollte.

    Die Schillerstraße in Charlottenburg wirkt an diesem Sommertag ein wenig abgehoben vom brausenden Großstadtverkehr, der nur einen Steinwurf entfernt am Ernst-Reuter-Platz tobt. Ruhig liegt sie da, nur wenige Menschen queren die Bürgersteige und nur ab und an durchfährt ein Auto die stille Straße. Vor allem die Kreuzung Schiller- und Schlüterstraße, wirkt geradezu heimelig. Hier beginnt leicht zurückgesetzt ein großer Gebäudekomplex, das Oberstufenzentrum Körperpflege, ein moderner Zweckbau, der sich zig Meter an der Schillerstraße entlangzieht.

    Was kaum jemand weiß: Genau an dieser Stelle mitten in Charlottenburg, wo heute zukünftige Friseure, Maskenbilderinnen und Zahntechniker ausgebildet werden, befand sich von 1935 bis 1945 die Zentrale des „Forschungsamtes des Reichsluftfahrtministeriums“. Der harmlos klingende Name war eine geschickte Tarnung.

    Tatsächlich verbarg sich dahinter ein großer, heute vergessener Geheimdienst des Dritten Reiches, der über ein Beinahe-Monopol bei der Telefonüberwachung und zahlreiche weitere Kompetenzen verfügte. Sein oberster Herr war Hermann Göring. Adolf Hitlers zweiter Mann hatte sich mit dieser Behörde, die in ihren besten Zeiten bis zu 6000 Mitarbeiter hatte, ein äußerst wirkungsvolles Instrument geschaffen, mit dem er alles und jeden überwachen konnte: Regimegegner, Wehrmachtsgeneräle, Wirtschaftsunternehmen, Botschaften und ausländische Staatsmänner und Nazi-Funktionäre.

    Die äußerst breite Geschichtsschreibung zum Dritten Reich hat das Forschungsamt fast völlig ignoriert, weil es kaum Spuren hinterließ. Selbst renommierte Historiker sind oft ahnungslos, was diese Institution betrifft.

    Von Göring verborgen hinter dem Namen „Forschungsamt“
    Göring baute seine neue Behörde fast vom ersten Tag nach der Machtübernahme Hitlers auf. Er erkannte sofort die Möglichkeiten, die ihm eine solche Einrichtung bieten würde, denn ihm war klar, dass er durch die heimliche Überwachung des Telefonverkehrs viele wertvolle Informationen in die Hände bekommen würde. Er integrierte die neue Überwachungsbehörde, obwohl sie eine Einrichtung der NSDAP war, in sein gerade im Entstehen befindliches Reichsluftfahrtministerium und nannte es „Forschungsamt“, sodass seine wirkliche Bedeutung vor der Öffentlichkeit und dem Ausland verborgen blieb.

    Zu den Aufgaben des Forschungsamtes gehörten die Überwachung des Funkverkehrs, die Dechiffrierung verschlüsselter Nachrichten zum Beispiel der Botschaften in Berlin und später der Kriegsgegner sowie die Auswertung der gewonnenen Erkenntnisse ebenso wie die intensive Beobachtung des ausländischen Rundfunks und der Zeitungen.

    Für die Bedeutung, die es bald erlangen sollte, war aber vor allem eine Entscheidung Hitlers ausschlaggebend, die Göring bei ihm durchgesetzt hatte: Das Amt bekam das Monopol bei der Überwachung der Telefone – keine andere Institution des Dritten Reiches durfte die Telefonleitungen anzapfen. Erst 1940 setzte Reichspostminister Wilhelm Ohnseorge durch, dass auch seine Behörde, in deutlich geringerem Umfang, den Telefonverkehr überwachen durfte.

    Die Akten wurden fast komplett vernichtet
    Die Anfänge waren sehr bescheiden. In den ersten Monaten nach der Gründung im April 1933 arbeiteten etwa zehn Männer am Aufbau der Behörde, die zunächst im Dachgeschoss des neuen Luftfahrtministeriums in der Behrenstraße (das später in sein neues Gebäude an der Wilhelmstraße wechselte) in Mitte untergebracht wurde. Doch schon wenige Monate später stand aus Platzgründen der erste Umzug in ein Gebäude gegenüber an. Bis Ende des Jahres 1933 erhöhte sich die Mitarbeiterzahl auf 133. Zwei Jahre später folgte der Umzug in die Schillerstraße.

    Hermann Göring als oberster Chef delegierte die Kontrolle des Forschungsamts an seinen Staatssekretär Paul Körner. Darunter stand an der Spitze ein Leiter. Es gab während der zwölfjährigen Existenz des Amts insgesamt drei Chefs, am längsten stand Prinz Christoph von Hessen an der Spitze, von 1935 bis 1943. Das Amt wurde in sechs Hauptabteilungen gegliedert, später kam es zu mehreren Umstrukturierungen.

    Schon bald konnte die neue Einrichtung auf große Erfolge blicken. Wen genau die Mitarbeiter des Forschungsamtes alles abhörten, ist heute leider nicht mehr nachzuvollziehen, denn die Akten wurden fast vollständig in der letzten Phase des Zweiten Weltkrieges vernichtet. Aber aus Funden in anderen Archivunterlagen und späteren Aussagen von Angestellten des Amtes kann immerhin einiges nachvollzogen werden.

    „Braune Blätter“ mit Berichten für Göring
    Göring setzte sein Machtmittel natürlich gegen die Gegner des NS-Regimes ein. Zum Beispiel wurden Kritiker aus Kirchenkreisen überwacht. Auch Wirtschaftsunternehmen gerieten ins Visier, so zum Beispiel die Zentrale der Junkers-Flugzeugwerke in Dessau, die Göring unter seine Kontrolle bringen wollte. Er bekam die Berichte über abgehörte Telefonate schriftlich auf den Schreibtisch. Sie waren auf braunem Papier gedruckt und hießen daher intern „Braune Blätter“. Auch Hitler wurde jeder Bericht geschickt. Ein Kreis von hohen Behördenchefs bekam ebenfalls ausgewählte Berichte zur Ansicht.

    Kaum überraschend gerieten auch schnell ausländische Regierungen ins Visier von Görings Lauscher. Das gilt zuallererst für die in Berlin angesiedelten Botschaften, deren Funk- und Telefonverkehre intensiv überwacht wurden. Aber Deutschlands Lage in der Mitte Europa bot noch mehr Möglichkeiten: Weil viele Telefonverbindungen von Ost nach West durch das Land gingen, konnten auch sie angezapft und damit der Verkehr zwischen den Botschaften beispielsweise in Prag oder Warschau mit den Außenministerien in London oder Paris überwacht werden.

    Ein spektakulärer Erfolg gelang dem Forschungsamt zum Beispiel während der Konferenz von Bad Godesberg vom 22. und 23. September 1938, auf der es um die von Hitler erhobenen Ansprüche auf das Sudetenland ging. Das Forschungsamt hörte während dieser Konferenz den gesamten Telefon- und Funkverkehr zwischen dem angereisten britischen Premierminister Neville Chamberlain und seiner Regierungszentrale in London ab.

    Auch die eigenen Leute waren nicht sicher
    Der größte Abhör-Coup gelang allerdings nicht dem Forschungsamt, sondern der Reichspost. Ihrer „Forschungsstelle“ gelang es, in der Nacht vom 28. auf den 29. Juli 1943 über eine Abhörstation in Holland ein Telefongespräch zwischen US-Präsident Franklin D. Roosevelt und dem britischen Premierminister Winston Churchill abzuhören.

    Aber auch die eigenen Leute waren nicht sicher vor Görings Lauschern. So gibt es beispielsweise den schriftlichen Bericht eines ehemaligen Mitarbeiters aus der Nachkriegszeit, nach dem nahezu alle Telefonate von SA-Führer Ernst Röhm in den Wochen vor seiner von Hitler angeordneten Ermordung am 30. Juni 1934 im Zuge des sogenannten Röhm-Putsches abgehört worden seien. Erwiesen ist, dass hohe Wehrmachtsoffiziere, denen gegenüber Hitler und Göring stets misstrauisch waren, überwacht wurden.

    Abgehört wurde auch der Gauleiter aus Franken und Herausgeber des antisemitischen Hetzblattes „Der Stürmer“, Julius Streicher. Und eine Weile konnten sich die Männer in der Schillerstraße sogar den nächtlichen Abhördienst mit dem Liebesgesäusel von Joseph Goebbels versüßen. Als der liebestolle Propagandaminister seine Frau Magda betrog und stundenlang mit seiner Geliebten, der Schauspielerin Lida Baarova, telefonierte, wurde er regelmäßig abgehört. Daran erinnerte sich nach dem Krieg im Verhör mit dem britischen Geheimdienst ein Mitarbeiter, der selbst gebannt die nächtlichen Telefonate mitgehört haben wollte. Die Berichte wurden sehr wahrscheinlich Hitler vorgelegt, der Goebbels zur Beendigung des Verhältnisses zwang.

    Die Zahl der Mitarbeiter stieg nach dem ersten Umzug des Amts 1933 rasant an. 1938 soll sie nach der Aussage eines Mitarbeiters aus der Nachkriegszeit bei 3800 gelegen haben, während der Hochphase im Krieg bei 6000. Ein großer Teil davon arbeitete in Abhörstationen, genannt „Forschungsstellen“, die in deutschen Städten und nach dem Beginn des Krieges in den besetzten Gebieten aufgebaut wurden und der Zentrale ihre Berichte lieferten.

    Das hochgesicherte Gebäude fiel Passanten kaum auf
    Als 1935 die Räume in der Behrenstraße nicht mehr ausreichten, wurde dringend nach einer neuen Zentrale gesucht. Sie wurde schließlich in Charlottenburg gefunden. In der Schillerstraße 116–120 bot sich ein großer Komplex, die Schillerkolonnaden, an, die vermutlich ursprünglich als Wohngebäude für Angehörige der Reichswehr gebaut worden waren. Hier wurde auch ein riesiges Archiv mit Karteikarten und auf Schelllackplatten aufgezeichneten Gesprächen angelegt.

    Obwohl das Gebäude hochgesichert war, fiel ahnungslosen Passanten nicht auf, was sich in dem Komplex, der später noch vergrößert wurde, befand. Das Forschungsamt war unter seiner offiziellen Bezeichnung sogar mit Rufnummer und Adresse im Berliner Adressbuch aufgeführt und verfügte über einen eigenen Poststempel.

    Mitten im Zentrum der Reichshauptstadt befand sich nun also eine Einrichtung, die nahezu jeden ins Visier nehmen konnte. Bald schwirrten Gerüchte durch die Berliner Luft, dass zahlreiche Telefonate abgehört werden würden, man mahnte zur Vorsicht. Insgesamt soll das Amt nach Schätzungen ehemaliger Mitarbeiter rund eine halbe Million Telefongespräche abgehört haben. Das mag uns heute in Zeiten von NSA und BND wenig erscheinen, aber für die damalige Zeit war das eine beeindruckende Menge.

    Während des Krieges nahm die Bedeutung des Forschungsamtes aber stetig ab. Vor allem, weil Hitler lieber seiner „Intuition“ vertraute als den Erkenntnissen der Abhörexperten. Sie hatten beispielsweise viele Daten zu Fabriken in der Sowjetunion gesammelt und daraus geschlossen, dass Armee und Wirtschaft des Landes bei weitem nicht so schwach waren, wie Hitler und die Führung der Wehrmacht glaubten. Doch der „Führer“ hörte nicht auf sie und griff im Juni 1941 die Sowjetunion an. Das Ergebnis ist bekannt.

    Die Alliierten ahnten nichts von der Existenz des Amts
    Am 22. November 1943 wurden große Teile des Gebäudekomplexes in der Schillerstraße bei einem verheerenden Bombenangriff zerstört. Mit ihm ging ein Teil der Akten in Flammen auf. Die Zentrale wurde daraufhin nach Breslau verlegt. Nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 auf Hitler übernahm SS-Führer Heinrich Himmler die Kontrolle über das Forschungsamt.

    Kurz vor der Belagerung Breslaus durch die Rote Armee wurden die verbliebenen Mitarbeiter Anfang 1945 in zwei Gruppen aufgeteilt. Die eine ging nach Schleswig-Holstein, die andere nach Bayern. Bei Kriegsende verstreuten sie sich in alle Himmelsrichtungen. Weil sie genau wussten, welch gefährliches Wissen in den noch verbliebenen Akten steckte, verbrannten sie vorher das Material. Auf die Brisanz der Unterlagen deutet auch die Tatsache hin, dass zwei der drei Chefs des Amtes unter mysteriösen Umständen bei Unfällen ums Leben kamen, nachdem Göring das Vertrauen in sie verloren hatte. In beiden Fällen ist es gut möglich, dass er seine Finger im Spiel hatte.

    Wie erfolgreich das Forschungsamt arbeitete, können wir heute nur erahnen. Übrigens hatten auch die Alliierten absolut keine Ahnung von seiner Existenz. Sie kamen ihm erst in der unmittelbaren Nachkriegszeit durch Äußerungen ehemaliger Mitarbeiter, die zufällig in ihre Hände geraten waren, auf die Spur und begannen, Informationen zu sammeln, die sich heute noch in den Archiven in den USA und England finden. Auch Göring erwähnte während des Kriegsverbrechertribunals in Nürnberg sein Forschungsamt – mit unverhohlenem Stolz.

    Armin Fuhrer ist Journalist und Historiker. Er hat das Buch „Görings NSA. Das ‚Forschungsamt‘ im Dritten Reich. Die unbekannte Geschichte des größten Geheimdienstes der Nazis“ veröffentlicht.

    Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag freien Autorinnen und Autoren sowie jedem Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.

    #Berlin #Charlottenburg #Schillerstraße #Ernst-Reuter-Platz #Schillerkolonnaden

    #Geschichte #Nazis #Geheimdienst #Forschungsamt #Forschungsstelle #Reichsluftfahrtministerium #Funkverkehr #Rundfunk #Überwachung #Telefon #Botschaft

  • Berliner lebt von 317 Euro
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/berliner-ex-koch-hat-317-euro-netto-ich-habe-manchmal-nur-4-euro-am

    Ein großer Teil der Berliner Fahreinnen und Fahrer von Taxis und Mietwagen lebt wie in diesem Artikel geschildert. Er zeigt beispielhaft, wie sehr Menschen aus allen im Gesetz gegen die Schwarzarbeit (SchwarzArbG) genannten Branchen von Armut und Altersarmut betroffen sind. Die ist für sie fast unvermeidbar, egal wie sehr sie sich anstrengen:

    1. im Baugewerbe,
    2. im Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe,
    3. im Personenbeförderungsgewerbe,
    4. im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe,
    5. im Schaustellergewerbe,
    6. bei Unternehmen der Forstwirtschaft,
    7. im Gebäudereinigungsgewerbe,
    8. bei Unternehmen, die sich am Auf- und Abbau von Messen und Ausstellungen beteiligen,
    9. in der Fleischwirtschaft,
    10. im Prostitutionsgewerbe,
    11. im Wach- und Sicherheitsgewerbe. ...

    ... müssen Beschäftigte nach § 2a Abs. 1 Nr. 1 bis 10 SchwarzArbG bei der Arbeit Personalausweis und Sozialversicherungsausweis mit sich führen. Damit kann leichter geprüft werden, ob sie bei der Sozialversicherung gemeldet und für sie Lohnsteuer gezahlt wird. Gegen Niedriglöhne und Altersarmut hilft das Gesetz jedoch nicht.

    Die einfachen abhängig Beschäftigten und kleinen Selbständigen dieser Branchen befinden sich in einer Zwickmühle. Entweder sie akzeptieren, dass ihnen ein großer Teil des Lohns unter der Hand ausgezahlt wird, und sie damit höhere Transferleistungen erhalten. Beide Einnahmequellen zusammen ermöglichen ein normales Leben oberhalb der Armutsgrenze. Oder sie sind ehrlich und leben auch während der Zeit ihrer Erwerbstätigkeit in Armut. Die Altersarmut ist ihnen in jedem Fall sicher.

    Unter diesen Umständen fällt die Entscheidung so gut wie immer für „das schnelle Geld“, was neben verschärfter Altersarmut weitere Probleme und Gefahren mit sich bringt.

    – Die Bosse locken ihre Arbeiterinnen und Arbeiter in eine Gaunergemeinschaft, in der Gehorsam und Loyalität rücksichtslos durchgesetzt werden.
    – An das Erstreiten besserer Entlohnung ist nicht zu denken.
    – Gewerkschaftliche Durchsetzung besserer Arbeitsbedingungen wird massiv erschwert.
    – Betriebrat? Fehlanzeige! Damit entfallen Mitsprache im Betrieb und Einigungsstellen bei Konflikten zwischen Boss und Belegschaft.
    – Der mächtige Boss verhandelt immer mit einzelnen schwachen, armen und machtlosen Angestellten.
    – Kein Kündigungsschutz, oft gibt es kein Kranken- und Urlaubsgeld.
    – Der Boss kann sich wie ein kleiner König aufführen, unmögliche Arbeitszeiten oder unbezahlte Arbeit anordnen.
    – Und nicht zuletzt gilt, „die Kleinen henkt man, die Großen läßt man laufen“, und wenns die doch mal erwischen sollte, greift „mitgefangen, mitgehangen“.

    Die innerbetrieblichen Beziehungen sind deshalb oft von rüde: „Chef, wenndu nicht zahlst, ich fahr das Auto gegen Baum.“

    Hier nun der Artikel über den frühverrenteten Koch. Ein tapferer Mann, dem wie den meisten seiner Schicksalsgenossinnen und -genossen nach Jahrzehnten harten Schuftens noch der bescheidendste Wohlstand verwehrt wird und immer noch glaubt, was man ihm eingebleut hat: „Hättest Du in die Sozialversicherung eingezahlt, würde es Dir jetzt nicht so gehen!“ Das ist eine Lüge, ein millionenfach gebrochenes Versprechen für Niedriglöhner, mit dem Menschen in lebenslange Ausbeutung gezwungen werden.

    20.8.2022 von Anne-Kattrin Palmer - Jeder hat seine Probleme, jeder schultert sie anders. Michael M. nickt, sagt: „Ja, das ist so. Ich wäre auch gerne gesund, aber Stress ist für mich Gift.“

    Der Berliner, den wir in einem Park treffen, ist 57 Jahre alt. Er ist groß und kräftig, hat kurze, halb graue Haare und trägt Jeans und ein Leinenhemd. „Ich habe immer auf mein Äußeres geachtet, man soll mir meine Situation nicht ansehen.“ Wir setzen uns auf eine Bank im Schatten mit Blick auf eine Kirche.

    Michael M. ist seit sechs Jahren erwerbsgemindert und musste seinen Beruf aufgeben. „Ich bin gelernter Koch und habe mein halbes Leben in der Gastronomie und Hotellerie verbracht.“ Er sei immer selbstständig unterwegs gewesen, erzählt er. „Ich bin durch ganz Deutschland gereist und oft in Restaurants eingesprungen, wenn Not am Mann war.“

    Als Caterer hat er auch gearbeitet, er belieferte Messen und Events. „Als ich den Beruf erlernt habe, in den 80ern, hieß es schon, dass Koch ein Mangelberuf ist. Das ist heute noch so, überall fehlen die Kräfte in der Gastronomie. Auch, weil es ein Knochenjob ist.“

    Er selbst musste mit 51 Jahren aufhören, sagt er. „Ich war aufgebraucht und ausgelaugt.“ Oft habe er sechs, sieben Tage die Woche gearbeitet, vom Morgen an bis Mitternacht. „Gastronomie ist ein hartes Geschäft. Und irgendwann hat mein Körper Signale geschickt, dass er es nicht mehr mitmacht.“

    Michael M. konnte plötzlich keinen Bus und keine Bahn mehr betreten, traute sich nicht mehr in Kaufhäuser. „Es waren Angstzustände, ausgelöst durch die Belastung.“
    Serie: Kassensturz – so viel bleibt den Berlinern zum Leben

    Lebensmittel sind teurer geworden, Heiz- und Energiekosten gestiegen. Der Winter wird hart, heißt es, die Prognosen sind düster. Wie können Berliner und Berlinerinnen das schultern?
    Wir treffen Angestellte, Rentner, Gastronomen und viele mehr, die uns offen darlegen, wie viel sie verdienen und was davon jetzt und künftig noch übrig bleibt. Alle, die uns einen Blick in die Haushaltskasse erlauben, bleiben auf Wunsch anonym.
    Wenn auch Sie uns Ihre Lage schildern wollen, können Sie uns gerne schreiben. Kontakt: leser-blz@berlinerverlag.com

    Damals riet ihm sein Arzt, die Notbremse zu ziehen und einen Rentenantrag zu stellen. „Ich habe seinen Rat befolgt, und ruckizucki hat man mich in Rente geschickt.“ Seitdem erhält er monatlich von der Deutschen Rentenversicherung 52,50 Euro. Er sagt: „Es ist so wenig, weil ich damals als dummer Mensch nicht eingezahlt habe. Daher beklage ich mich nicht und jammere nicht rum.“ Dafür habe er vorher gut verdient. „So zwischen 2500 und 5000 Euro im Monat“, sagt er, fügt hinzu: „Aber wenn es einem gesundheitlich schlecht geht, nutzt kein Geld der Welt.“

    Michael M. lebt heute von seiner Mini-Rente, die allerdings verrechnet wird, und von Grundsicherung. Monatlich erhält er 1066,23 Euro. So steht es auf dem Papier, überwiesen bekommt er 841,24 Euro. Abgezogen sind bereits 220,30 Euro für die Krankenkasse, inklusive Pflegeversicherung. Den Betrag überweist die Behörde direkt an die Kasse.

    Er kramt in seinen Unterlagen. „Der Rest steht mir persönlich zur Verfügung. Davon zahle ich aber auch Miete und Nebenkosten“, sagt er. Seine 70 Quadratmeter große Wohnung kostet 411,47 Euro monatlich, hinzu kommen derzeit Heizkosten in Höhe von 22 Euro und Strom mit 43 Euro. „Ich habe einen alten Mietvertrag. und der ist Gold wert.“
    Kassensturz: Berliner überlegt sich genau, wie er sein Geld einteilt

    Der Vermieter habe ihm allerdings schon angekündigt, dass er die Miete um 15 Prozent erhöhen muss. Auch die Heizkosten würden sich wahrscheinlich um das Vierfache erhöhen. „Das zahlt das Amt. Aber trotzdem werde ich weiter sparsam leben. Ich drehe meine Heizung selten auf. Im Winter kann ich auch mit einem dicken Pullover in einem Zimmer sitzen.“ Ansonsten zahle er noch 4,90 Euro Kontoführungsgebühren sowie 4,99 für seine Handy-Flatrate. Außerdem bezieht er Prepaid-Internet. „Das kostet mich 29,99 im Monat.“ Hinzu kommen Drogerieartikel, manchmal Medikamente, die Kosten für den Waschsalon.

    Michael M., der in Charlottenburg geboren ist, sagt: „Ich habe 317,32 Euro zum alltäglichen Leben übrig und haushalte damit wie ein Kaufmann. Darin bin ich geübt. Man muss sich sehr wohl überlegen, wie man sich das Geld einteilt.“ Er habe etwa zehn Euro am Tag, manchmal seien es aber auch nur sieben oder vier Euro. „Falls plötzliche Ausgaben anstehen.“
    Der Berliner durchforstet täglich alle Prospekte

    Lebensmittel sind ihm wichtig. „Das Essen muss gut sein, dann ist die Laune auch besser.“ Er lächelt und sagt als Mann vom Fach, welches System ihm hilft, über die Runden zu kommen: „Der Gewinn liegt im Einkauf. Ich studiere alle Prospekte, notiere mir Artikel, die mir gefallen.“ Täglich klappere er alle Supermärkte in seiner Umgebung ab, immer auf der Jagd nach Sonderangeboten.

    „Das tut mir gut. Ich komme raus und treffe Menschen.“ Heute gibt es zum Beispiel Schnitzel zum Mittagessen. „Bei einem Supermarkt gab es Schweinerücken im Angebot. Das Kilo 5,99 Euro. Ich habe mir ein halbes Kilo gegönnt. Daraus kann ich Schnitzel machen, Rouladen und mehr. Dann habe ich drei Tage zu essen.“ Er sei schließlich gelernter Koch. „Ein Bekannter von mir lebt nur von Essen aus Büchsen. Das könnte ich nicht.“

    Manchmal geht er zum Wochenmarkt in Charlottenburg, es ärgert ihn, dass dort die Currywurst inzwischen 3,20 Euro kostet. Er sagt: „Gut, die müssen bei den steigenden Energiepreisen auch reagieren. Doch mir tut jeder Euro mehr weh.“ Er sei aber clever, habe sich eine andere Bude gesucht. „Dort kostet die Wurst noch 2,20 Euro.“ In Siemensstadt habe er einen weiteren Imbiss entdeckt, bei dem die Wurst nur 1,80 Euro koste.

    An der Kirche auf dem Charlottenburger Wochenmarkt gibt es wöchentlich die Lebensmittel-Ausgabe der Tafel. „Das Angebot nehme ich nicht wahr. Ich fühle mich nicht arm.“ Das sei eine Kopf-Geschichte. „Jetzt, in dieser Situation, habe ich weniger Geld zur Verfügung, aber ich bin immer noch der, der ich war.“ Er zuckt mit den Schultern. „Was mich manchmal ärgert, ist, dass ich mir nichts spontan kaufen kann. Eine meiner zwei Hosen ist zerrissen. Ich kann nicht einfach losgehen und mir eine neue holen.“

    Am 15. Juli sind überraschend 200 Euro auf seinem Konto angekommen, der Zuschuss des Staates für die Krisenzeit, in der alles teurer wird. „Das Geld lege ich auf die hohe Kante.“ Sollte etwas passieren, habe er ein kleines Polster. „Bei mir gehen immer wieder Haushaltsgeräte kaputt. Das ist schon eine Frechheit, dass die heute nicht mehr so lange halten. Das war früher anders, meine Oma hatte ihren Staubsauger 40 Jahre lang.“ Jüngst haben sein Fernseher und sein Staubsauger den Geist aufgegeben. Er suchte bei Ebay nach einem neuen Modell, fand eines für 50 Euro. „Man muss erfinderisch sein, sonst steht man am Monatsende ohne Geld da. Den Preise für den Fernseher musste ich allerdings von meinem Tagessatz abziehen und konnte weniger einkaufen.“

    Damit habe er klarzukommen. Beim Amt für Soziales habe er auch schon mal ein Darlehen beantragt, wenn ihm etwas in seinem Haushalt in die Brüche gegangen war. „Ich musste einmal sieben Monate auf eine Antwort warten. Daher lass ich das einfach.“ Ansonsten komme er mit den Behörden gut klar. „Ich habe kaum Schwierigkeiten, man findet immer einen Weg.“

    Michael M. besitzt kein Auto, mit den Öffentlichen kann er bis heute wegen seiner Angstphobie nicht fahren. Er hat sich ein Fahrrad gekauft „Damit radele ich überall hin, ob es schneit oder stürmt, das spielt keine Rolle.“ Er fügt hinzu: „Sollte das kaputt gehen, habe ich ein richtiges Problem.“

    Jüngst hat er mal wieder eine politische Debatte verfolgt, wie so oft hat er sich geärgert. Es ging um die vermeintliche „Gratismentalität“ im Zusammenhang mit dem auslaufenden 9-Euro-Ticket, FDP-Chef Christian Lindner benutzte diesen Ausdruck. Michael M. hat sich darüber aufgeregt. „Ich vermisse den Respekt gegenüber Menschen, die eben nicht viel Geld haben.“

    Er lehnt sich zurück, sagt: „Ich habe immer wieder das Gefühl, dass Menschen, die auf staatliche Hilfe angewiesen sind, runtergemacht werden. Als seien sie Gauner und würden dem Staat extra auf der Tasche liegen. Natürlich gibt es solche und solche, aber das kann man doch nicht über einen Kamm scheren“, sagt er und fügt hinzu: „Viele wissen doch gar nicht, wie schwer es ist, über die Runden zu kommen. Manchmal frage ich mich, ob die Politiker noch sagen können, wie viel eigentlich ein Liter Milch kostet.“

    Stattdessen werde eine Politik betrieben, die Menschen sozial ausgrenze. „Die größte Ohrfeige war für mich am Jahresanfang die 3-Euro-Erhöhung der Grundsicherung pro Monat. Das hilft uns kaum. Schon in den Corona-Zeiten sind die Preise in den Supermärkten gestiegen.“ Grundsicherung und Hartz IV müssten doch den Lebensumständen angepasst werden, sagt er. Daher sei es auch richtig, dass die Sozialverbände dagegen klagen.

    Sein „Held“ sei derzeit der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher. „Er nennt die Dinge beim Namen“, sagt er. Der Ökonom warnte jüngst vor einer „sozialen Polarisierung“. Die Politik habe die Pflicht, angesichts einer drohenden Gasknappheit für Versorgungssicherheit zu sorgen. „Die Situation ist bedrohlich“, mahnte Fratzscher. Weil die Preise explodiert seien. Laut Fratzscher haben die zwei bislang geschnürten Entlastungspakete nicht die Menschen „am unteren Ende gezielt entlastet“. Rentner und insbesondere Menschen, die Sozialleistungen wie Hartz IV erhielten, seien zu wenig unterstützt worden. Gerade sie hätten aber „keine Schutzmechanismen“, um längere Zeit mit hohen Preisen klarzukommen.

    Michael M. fühlt sich ernst genommen, wenn er so etwas hört. „Ärmere Menschen brauchen mindestens 680 Euro im Monat zum Leben. Das ist angesichts der steigenden Kosten angemessen. Es würde den betroffenen Menschen mehr Spielraum geben.“

    So sehen das auch die Sozialverbände, die nach der Bekanntgabe der Höhe der geplanten Gasumlage sich in dieser Woche wieder in Position gebracht haben und auf schnelle weitere Hilfen des Staates für ärmere Haushalte pochen.

    „Die Bundesregierung darf die Menschen mit kleinem Geldbeutel jetzt nicht allein lassen“, forderte etwa der Präsident des Sozialverbands Deutschland (SoVD), Adolf Bauer. Es brauche jetzt schnell „armutsfeste Regelsätze“ in der Grundsicherung sowie die Einführung der Kindergrundsicherung, sagte er der Funke-Mediengruppe. Er warnte davor, dass die Gasumlage in Höhe von 2,419 Cent die Teuerungsrate in Deutschland nochmals deutlich erhöhen werde: „Auf einen Familienhaushalt kommen zusätzlich zu den gestiegenen Gaspreisen durch die Gasumlage Mehrkosten von mehreren Hundert Euro zu.“ Der Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider, twitterte, dass die Gasumlage die Gaspreise durch die Decke gehen lasse. Daher müsse es jetzt ein Entlastungspaket für Einkommensschwache geben und nicht erst im nächsten Jahr.

    Michael M. nickt. „Ich bin gespannt, was uns jetzt noch erwartet und wie wir die Krise stemmen.“ Alexander von Schönburg habe 2005 in seinem Buch „Die Kunst des stilvollen Verarmens“ beschrieben, wie man ohne Geld reich wird, sagt der Berliner. Und schon damals darauf aufmerksam gemacht, dass die fetten Jahre längst vorbei seien. „Er meinte, dass wir alle uns mehr einschränken müssen.“ Jetzt sei es wohl endgültig so weit.

    Manchmal frage ich mich, ob die Politiker noch wissen, wie viel eigentlich ein Liter Milch kostet.

    Was mich manchmal ärgert, ist, dass ich mir nichts spontan kaufen kann.

    Ich drehe meine Heizung selten auf. Im Winter kann ich auch mit einem dicken Pullover in einem Zimmer sitzen.

    Michael M. über die steigenden Heizkosten.

    * Alle Namen sind verändert, der Redaktion aber bekannt.

    #Berlin #Arbeit #Krankheit #Armut #Grundsicherung

  • Trinkgeld in Berlin : Nur die Hälfte der Gäste gibt überhaupt etwas
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/trinkgeld-in-berlin-nur-die-haelfte-der-gaeste-gibt-ueberhaupt-etwa

    2.8.2022 von Nicolas Butylin - Fabian Orru ist sauer. „Rund die Hälfte der Gäste gibt Trinkgeld“, sagt er, „für die andere Hälfte der Menschen sind Fast-Food-Ketten und Restaurants das Gleiche.“ Sie verstünden nicht, dass ein Gaststättenbesuch eine Serviceleistung sei. Orru ist Oberkellner im Ristorante Piazza Rosa, einem italienischen Restaurant am Roten Rathaus. Der 47-Jährige weiß noch genau, wann es begann, dass die Touristen weniger „tippen“ wollten, wie es im Englischen heißt: mit der Eroberung von Billig-Airlines. „Vor 20 Jahren kamen nur Touristen mit einem üppigen Geldbeutel in unser Restaurant, jetzt kann das mit Easyjet jeder tun, und sie essen zu viert eine Pizza ohne Getränke – und ohne Trinkgeld.“

    In Deutschland herrscht eine regelrechte Trinkgeld-Debatte seit dem vergangenen Wochenende. ARD-Moderatorin Anja Reschke schrieb auf ihrem Twitter-Account von einer Kellnerin, die sich über fehlendes Trinkgeld beschwerte. Sie listete Beispiele auf, darunter eine 7000 Euro teure Familienfeier ohne einen Cent Trinkgeld. In einem weiteren Vorfall heißt es, dass „zwei Frauen um die 40, dem Anschein nach nicht arm“, stundenlang in dem Lokal an zwei Cappuccinos genippt hätten und ebenfalls kein Trinkgeld dazugaben. Dabei gilt in Deutschland der ungeschriebene Trinkgeld-Knigge: Experten empfehlen etwa zehn Prozent der Gesamtrechnung für die Servicekräfte.

    Oberkellner Orru: „Falls Gäste uns Trinkgeld hinterlassen, dann sind zehn Prozent schon sehr gut.“ Die meisten ließen nur drei bis fünf Prozent der Gesamtrechnung an Trinkgeld da. „Wenn es gut läuft, dann gibt einer von 50 Gästen einen Zuschlag von zehn Prozent.“ Touristen aus Skandinavien und den USA sollen nach Angaben des Kellners die besten Trinkgelder geben, während Spanier, Italiener, Franzosen und Asiaten offenbar „keine Ahnung von der Trinkgeldkultur haben“.

    Keiner will mehr in der Gastro arbeiten? Kein Wunder. Meine Bekannte (Studentin) arbeitet seit ein paar Wochen nebenbei als Aushilfe in einem Lokal an der Hamburger Alster. Schön gelegen, mit Terrasse, manche kommen für Kaffee und Kuchen, manche essen richtig und am Wochenende
    — Anja Reschke (@AnjaReschke1) July 30, 2022

    Angestellte in der Gastronomie kritisieren die Entwicklungen rund ums Trinkgeld in Deutschland. Dabei sind die Gründe vielfältig: Steigende Lebensmittelpreise, die drohende Energiekrise, für die viele sparen wollen, und Folgen der Corona-Pandemie tragen sicherlich zur Trinkgeld-Flaute in Berlin bei. Hinzu kommen das vermehrte Bezahlen mit Kredit- und Girokarten sowie fehlende Servicekräfte. Kellner wurden im Zuge der Pandemie entlassen oder wechselten freiwillig den Job und fehlen immer noch. Weniger Service heißt weniger Kundenkontakt und das bedeutet auch weniger Trinkgeld.
    „Jeder, der sich beschwert, ist sehr gierig“

    Allerdings gibt es in der Hauptstadt auch Stimmen, die Anja Reschke widersprechen. David Wolny ist Schichtleiter im Hofbräuhaus am Alexanderplatz und sagt, dass es hier weiterhin sehr gute Trinkgelder gebe. „Ich würde mich über Trinkgelder in Deutschland nicht beklagen.“ Er geht sogar noch weiter: „Jeder, der sich beschwert, ist sehr gierig, schließlich sind die Löhne auf 13 Euro gestiegen.“ Gefragt, welche Touristen das meiste Trinkgeld geben, ähnelt seine Antwort der seines italienischen Kollegen auf der anderen Seite des Alexanderplatzes: „Amerikaner geben das meiste Trinkgeld, auch Deutsche haben eine ausgeprägte Trinkgeldkultur. Hingegen geben Asiaten und Franzosen nichts dazu“, so Wolny.

    In der Tat ist es in China, Japan oder Korea nicht üblich, Trinkgeld zu geben. Im Gegenteil: Lässt man dort Geld auf dem Tisch liegen, tragen es die Kellner dem Gast hinterher. Dabei könnte die Trinkgeld-Problematik in Deutschland mit strukturellen Gegebenheiten der Gastronomie hierzulande zusammenhängen. So berichtet ein Barista der Berliner Zeitung, dass viele Cafés inzwischen Selbstbedienung eingeführt haben. Schon allein deshalb gibt es weniger Kontakt zwischen Dienstleister und Kunden, was wiederum in weniger Trinkgeld resultiert.

    Yuna, eine kolumbianische Mitarbeiterin im Café What Do You Fancy Love am Rosa-Luxemburg-Platz, sieht die Selbstbedienung als Hauptgrund für fehlendes Trinkgeld. „Oftmals bekommen wir nur aufgerundetes Geld in unsere Trinkgeld-Box“, sagt sie. Als Beispiel werden 12,40 Euro auf 13 Euro aufgerundet. Die Wahlberlinerin erklärt, dass für sie solche Trinkgeldbeträge nicht entscheidend seien, sondern vielmehr der Stundenlohn und wie viele Tage sie im Monat arbeite.

    Auch der Berliner Psychologe Arthur Bohlender will nicht pauschal über die Trinkgeldkultur der Deutschen urteilen. Trinkgeld sei eine individuelle Entscheidung. „Es gibt nicht diesen einen Maßstab.“ Sozioökonomische Gründe wie die Inflation würden zu den derzeitigen Entwicklungen dazugehören, sagt der Psychologe. Er betrachtet die Debatte aus Sicht der Kundschaft, also der „Gebenden“. „Auch die Kunden hoffen auf ein kollektives Verständnis dafür, dass es nun mal in der jetzigen Situation nichts gibt.“ Er wirbt für mehr Verständnis für Kunden, die etwas mehr auf jeden Cent schauen müssen als vor einem Jahr.

    Eine weitere bemerkenswerte Entwicklung zum Trinkgeld sieht ein Kellner einer griechischen Taverne im Friedrichshain. Seinen Namen möchte er nicht nennen. Demnach geben im Ostteil der Hauptstadt mehr Menschen Trinkgeld, da dort öfter in bar bezahlt werde. Üblicherweise „tippt“ man bei Barzahlungen auch mehr. In den westlichen Bezirken und in Mitte speise dagegen eine Kundschaft, die häufiger mit der Karte zahlt: Trinkgeld gibt es da in der Regel weniger.